Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung von Rentenanwartschaften. Erstattung durch den Träger der Versorgungslast. Rechtsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Die Erstattung von Aufwendungen des Trägers der Rentenversicherung aufgrund von Rentenanwartschaften, die durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind, durch den Träger der Versorgungslast richtet sich auch bei Erstattungsfällen zwischen 1992 und 2000 noch nach der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung 1980 (VersorgAusglErstV).
Normenkette
SGB VI § 225 Abs. 1, § 226 Abs. 1; RVO § 1304b Abs. 2 S. 2; VersorgAusglErstV § 1 Abs. 1 Nr. 6 F: 1985-12-20, Abs. 2 Nr. 2 F: 1985-12-20; VAErstV § 3 F: 2001-10-09, § 4 F: 2001-10-09
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2002 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. April 2001 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 369.332,73 € (= 722.352,04 DM) zu zahlen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Leistungen zur Rehabilitation nach Maßgabe des § 225 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Die Klägerin erbrachte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen zur Rehabilitation an Personen, für die im Rahmen eines Versorgungsausgleichs Rentenanwartschaften gemäß § 1587b Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) begründet worden waren (sog Quasi-Splitting).
Mit Anforderungsschreiben vom 27. Oktober 1997 und 27. Januar 1998 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten als Träger der beamtenrechtlichen Versorgungslast Erstattungsforderungen im Gesamtbetrag von 1.771.011,91 DM für das Kalenderjahr 1996 und von 2.702.289,08 DM für das Kalenderjahr 1997 als Aufwendungen iS des § 225 Abs 1 SGB VI geltend. Der Beklagte erstattete die Aufwendungen anteilig; in Höhe der für Rehabilitationsleistungen erbrachten Aufwendungen (468.060,14 DM für das Jahr 1996 und 264.291,90 DM für das Jahr 1997) verweigerte er die Erstattung, weil insoweit die Leistungen des Rentenversicherungsträgers nicht auf Rentenanwartschaften beruhten, die iS des § 225 Abs 1 SGB VI durch die Entscheidung des Familiengerichts begründet worden seien. Verwaltungsakten bestehen insoweit nicht.
Die Leistungsklage der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 24. April 2001; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 17. Mai 2002). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch finde seine Grundlage allein und unmittelbar in § 225 Abs 1 SGB VI, der gemäß § 300 Abs 1 SGB VI für alle Erstattungsfälle ab 1. Januar 1992 anzuwenden sei, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung vom 11. März 1980 (VAErstV 1980) idF der Verordnung vom 20. Dezember 1985 bedürfe. Daher könne dahinstehen, ob die VAErstV 1980 wegen des Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die jeweils aktuelle Ermächtigungsnorm zu benennen (sog Zitiergebot), zum 1. Januar 1992 nichtig geworden sei, wenngleich das nachträgliche Erlöschen einer Ermächtigungsnorm ohne Einfluss auf den Rechtsbestand einer während ihres Bestehens ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung sei. Denn selbst wenn die VAErstV 1980 – hier: § 1 Abs 1 Nr 6 der Verordnung – weiterhin anwendbar sein sollte, könne sie nur im Kontext zu § 225 Abs 1 SGB VI gelesen werden, so dass die in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Kausalitätserwägungen zu berücksichtigen seien. Hiernach könnten nur solche Rehabilitationsleistungen erstattet werden, die ohne die im Wege des Quasi-Splittings begründeten Rentenanwartschaften nicht hätten bewilligt werden können.
Die neue VAErstV vom 9. Oktober 2001 (VAErstV 2002) finde ausweislich ihres § 3 erstmals auf die Erstattung der im Jahre 2001 entstehenden Aufwendungen der Träger der Rentenversicherung Anwendung. In ihr sei zudem die – in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelte – konkrete Betrachtungsweise zugrunde gelegt, so dass auch bei Anwendung dieser Verordnung ein pauschales Abrechnungsverfahren ausgeschlossen sei. Überlegungen dazu, warum der Gesetzgeber in § 4 Satz 2 VAErstV 2002 das Außerkrafttreten der VAErstV 1980 ausdrücklich geregelt habe, erschienen entbehrlich. Daher könnten für den streitigen Erstattungszeitraum 1996/1997 in die Abrechnung der Rehabilitationskosten nur solche Leistungen einbezogen werden, die bei Hinwegdenken des Versorgungsausgleichs nicht hätten erbracht werden können.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 225 Abs 1 SGB VI sowie des § 1 VAErstV 1980 und führt zur Begründung aus: Die VAErstV 1980 sei bis zum 31. Dezember 2000 weiterhin anwendbar, auch wenn der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 9. November 1999 (B 4 RA 16/99 R – SozR 3-2600 § 225 Nr 2) von der Nichtigkeit dieser Verordnung ab 1. Januar 1992 ausgegangen sei, weil die Ermächtigungsnorm des § 1304b Reichsversicherungsordnung (RVO) mit diesem Datum weggefallen sei. Das Bundesjustiz- und Bundesarbeitsministerium gingen ebenfalls davon aus, dass die VAErstV 1980 bis zum Inkrafttreten der VAErstV 2002 fortbestanden habe, weil ansonsten das Außerkrafttreten der alten Verordnung in § 4 Satz 2 VAErstV 2002 nicht hätte geregelt werden müssen. Schließlich sei zur Begründung zu § 3 VAErstV 2002, wonach die neue Verordnung erst ab 2001 Anwendung finde, ausgeführt, dass es für die Jahre zuvor bei der Anwendung bisherigen Rechts verbleibe. Der Argumentation des Berufungsgerichts, wonach selbst bei Weitergeltung der VAErstV 1980 diese nur im Kontext zu § 225 Abs 1 SGB VI unter Anwendung der vom BSG im Urteil vom 14. Mai 1996 (4 RA 22/95 – SozR 3-5795 § 4 Nr 6) dargelegten Kausalitätserwägungen erfolgen könne, könne angesichts der gleichen Grundaussagen in § 1304b RVO wie in § 225 Abs 1 SGB VI nicht gefolgt werden. Beide Vorschriften regelten übereinstimmend, dass Aufwendungen, die dem Rentenversicherungsträger “auf Grund” begründeter Anrechte entstünden, vom Versorgungsträger zu erstatten seien. Bis zum 31. Dezember 1991 seien dennoch sämtliche nach Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung bewilligten Rehabilitationsleistungen entsprechend § 1 Abs 1 Nr 6 iVm Abs 2 Nr 2 VAErstV 1980 von den Versorgungsträgern erstattet worden, obwohl sie – entgegen dem eigentlichen Wortlauts des § 1304b RVO – überwiegend nicht “auf Grund” begründeter Anrechte entstanden seien.
Der Gesetzgeber habe sich im Jahre 1980 für ein pauschales Abrechnungsverfahren entschieden, welches auch bei der Abrechnung von Aufwendungen aus fiktiver Nachversicherung nach § 72 des Gesetzes zu Art 131 Grundgesetz ≪GG≫ (G 131) über Jahrzehnte praktiziert worden sei. Erst nach Bekanntwerden der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 14. Mai 1996 habe sich die Rechtsauffassung der Versorgungsträger geändert. Diese geänderte Rechtsauffassung sei dann in die neue Erstattungsverordnung vom 9. Oktober 2001 eingeflossen, so dass ab dem Erstattungszeitraum 2001 die Abrechnung von Rehabilitationskosten nach der – jetzt maßgebenden – konkreten Betrachtungsweise (Einzelfallprüfung) zu geschehen habe. Diese neue Betrachtungsweise diene nicht “der Klarstellung”; sie bilde eine völlige Umkehr vom bisherigen Erstattungsverfahren. Nach der Begründung zur VAErstV 2002 komme eine Rückwirkung der Verordnung nicht in Betracht (BR-Drucks 646/01, S 7).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2002 sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. April 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 369.332,73 € (= 722.352,04 DM) zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig. Der schriftsätzlich formulierte Antrag der Klägerin, “das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2002 aufzuheben und der Leistungsklage vom 5. Juli 1999 stattzugeben”, entspricht – gerade noch – dem Erfordernis des § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach die Revisionsbegründung ua einen bestimmten Antrag enthalten muss. Zwar ist aus dem Antrag, “der Leistungsklage stattzugeben”, für sich allein das Revisionsziel nicht zu erkennen. Im Zusammenhang mit der übrigen Revisionsbegründung und der Einbeziehung des Verweises auf den Schriftsatz der Klägerin vom 5. Juli 1999 an das SG im Klageverfahren erschließt sich jedoch, dass die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Kosten für Rehabilitationsleistungen in den Kalenderjahren 1996 und 1997 in Höhe von 369.332,73 Euro (= 722.352,04 DM) begehrt.
Die Revision ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Rehabilitationsleistungen für die Kalenderjahre 1996 und 1997 nach Maßgabe des § 225 Abs 1 SGB VI iVm § 1 Abs 1 Nr 6, Abs 2 Nr 2 VAErstV 1980. Denn die VAErstV 1980 idF der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung vom 20. Dezember 1985 ist auch nach dem Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) – bis einschließlich Ende 2000 – weiterhin auf das Erstattungsverfahren nach § 225 Abs 1 SGB VI anwendbar geblieben. Mangels gesetzlicher Vorgaben für die Ausgestaltung der Erstattung in § 225 Abs 1 SGB VI bzw dem inhaltsgleichen § 1304b Abs 2 RVO war der Verordnungsgeber in den Grenzen des Art 80 Abs 1 Satz 2 GG frei, eine pauschale Erstattungslösung zu wählen. Auch das Zitiergebot des Art 80 Abs 1 Satz 3 GG ist beachtet: Die Ermächtigungsnorm des Art 4 des Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften vom 14. Juli 1976 ist in der VAErstV 1980 genannt; diese Vorschrift ist mit dem Inkrafttreten des RRG 1992 (SGB VI) nicht außer Kraft getreten und hat jedenfalls bis zum Ausfüllen der Ermächtigungsnorm des § 226 Abs 1 SGB VI Gültigkeit beansprucht.
Die VAErstV 1980 ist auch im vorliegenden Fall anwendbar, weil der Gesetzgeber von der Verordnungsermächtigung des § 226 SGB VI für Abrechnungszeiträume bis zum 31. Dezember 2000 keinen Gebrauch gemacht hatte. Die VAErstV 2002 vom 9. Oktober 2001 findet nach ihrem § 3 erstmals auf die Erstattung der im Jahre 2001 entstehenden Aufwendungen der Träger der Rentenversicherung Anwendung. Nach § 4 Satz 1 VAErstV 2002 tritt diese Verordnung am 1. Januar 2002 in Kraft; gleichzeitig tritt die VAErstV 1980 idF der VO vom 20. Dezember 1985 außer Kraft. Dieser ausdrücklichen Regelung in § 4 Satz 2 VAErstV 2002 hätte es nicht bedurft, wenn die VAErstV 1980 bereits mit Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 – wegen der Geltung der neuen Ermächtigungsnorm des § 226 Abs 1 SGB VI bereits ab 1. Januar 1991 (vgl Art 85 Abs 7 RRG 1992) möglicherweise auch schon zu diesem Zeitpunkt – außer Kraft getreten wäre. Die VAErstV 1980 mit den darin zitierten und 1992 aufgehobenen Vorschriften der RVO konnte daher bis zum 31. Dezember 2000 auf die inhaltsgleichen Vorschriften des SGB VI angewandt werden.
Mit der Anwendbarkeit der VAErstV 1980 ist der Argumentation des Berufungsgerichts die Basis entzogen, § 1 Abs 1 Nr 6 dieser Verordnung könne nur im Kontext zu § 225 SGB VI unter Anwendung der vom BSG in der Entscheidung des 4. Senats vom 14. Mai 1996 (4 RA 22/95 – SozR 3-5795 § 4 Nr 6) dargelegten Kausalitätserwägungen gelesen werden. Trotz der vermeintlich kausalen Verknüpfung, die die Verwendung des Wortes “auf Grund” nahe legt, waren in Anwendung der VAErstV 1980 sämtliche nach Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung bewilligten Rehabilitationsleistungen in Anwendung des § 1 Abs 1 Nr 6 iVm Abs 2 Nr 2 dieser Verordnung von den Versorgungsträgern zu erstatten.
Dies entspricht der Amtlichen Begründung der Bundesregierung zur VAErstV 1980 (BR-Drucks 620/79 S 6), wonach – angelehnt an die Regelung zum G 131 – Rehabilitationsleistungen in die Erstattung auch dann einzubeziehen waren, wenn sie ohne den Versorgungsausgleich allein auf Grund der eigenen Beitragsleistung des Ausgleichsberechtigten gewährt wurden. Diese Handhabung ersparte den Trägern der Rentenversicherung zusätzliche versicherungsrechtliche Prüfungen im Einzelfall (vgl auch Schmitz, MittLVA Rheinpr 2001, 485 487). Sie entsprach im Übrigen der Auffassung, dass Rehabilitationsleistungen stets auf dem gesamten Versicherungsverhältnis beruhen.
An dieser Entscheidung ist der Senat nicht durch das Urteil des 4. Senats des BSG vom 9. November 1999 (B 4 RA 16/99 R – SozR 3-2600 § 225 Nr 2) gehindert. Zwar ist in dieser Entscheidung ausgeführt, die VAErstV 1980 sei wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die jeweils aktuelle Ermächtigungsnorm zu benennen, zum 1. Januar 1992 nichtig geworden. Das Urteil betraf aber die Möglichkeit der Abänderung von Entscheidungen über den Versorgungsausgleich und damit einen anderen Streitgegenstand als das vorliegende Verfahren. Dieser Streitgegenstand wurde nach Auffassung des 4. Senats von der VAErstV 1980 bereits thematisch nicht erfasst, so dass die Erwägungen – auch wenn sie in den Leitsatz der Entscheidung aufgenommen wurden – nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung gehören. Der erkennende Senat war daher nicht gehalten, gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG beim 4. Senat des BSG anzufragen, ob er an seiner Rechtsauffassung festhalte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.
Fundstellen
Haufe-Index 937864 |
BSGE 2004, 65 |
BSGE 91, 65 |
SozR 4-2600 § 225, Nr.1 |
ZfSSV 2007 |