Leitsatz (amtlich)
Die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz ist für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge vom 1953-07-18 für den Bereich der ehemaligen britischen Besatzungszone auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung anzurechnen.
Normenkette
MRV BrZ 117 § 7 Abs. 2; BVG § 29 Fassung: 1952-03-19, § 31 Fassung: 1955-01-19
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 2.August 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Der Kläger, geboren 1918, ist vertriebener Landwirt und bezog seit Januar 1949 laufend Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu). Gleichzeitig wurde ihm als Kriegsbeschädigtem (50 v.H.) Versorgungsrente gewährt. Diese Rentenbeträge wurden mehrmals erhöht; daraus erwuchs dem Kläger nach Mitteilung des Versorgungsamts Hildesheim für die Zeit vom 1.Oktober 1950 bis 30. April 1953 eine Rentennachzahlung von 1.362.- DM. Das Arbeitsamt Northeim forderte von diesem Betrag 1.245,90 DM (1.124,60 DM gezahlte Alfu und 121,30 DM Teuerungszuschlag), weil es die Rentenerhöhungen nicht bei der Bemessung der Alfu hätte berücksichtigen können (Verfügung vom 12.März 1953). Zugleich wurde die Alfu ab 1.Mai 1953 auf 11,40 DM wöchentlich festgesetzt. Der Erstattungsanspruch des Arbeitsamts wurde durch das Versorgungsamt befriedigt.
Der Kläger legte gegen die Verfügung des Arbeitsamts Northeim vom 12.März 1953 Einspruch ein, wurde damit aber vom Spruchausschuss (Bescheid vom 30.Oktober 1953) zurückgewiesen, da die Anrechnung gesetzlich vorgeschrieben sei. Der Kläger legte hiergegen "Berufung" mit der Begründung ein, daß man zwischen Grundrente und Ausgleichsrente zu unterscheiden habe. Die Grundrente werde zur Abdeckung eines Mehraufwands gezahlt und sei deshalb anrechnungsfrei.
II. Das nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (1.1.1954) auf das Sozialgericht Hildesheim als Klage übergegangene Rechtsmittel wurde zurückgewiesen (Urteil vom 6. Juli 1954). Die Anrechnung auch der Grundrente sei zu Recht erfolgt. Das Rentenanrechnungsgesetz vom 18. Juli 1953, das die Grundrente anrechnungsfrei lasse, sei erst im August 1953 in Kraft getreten und habe keine Rückwirkung auf die Anrechnung der für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 30.April 1953 an den Kläger gezahlten Rente. Nach § 7 der bis dahin geltenden Militärregierungsverordnung (MRVO) Nr. 117 (Anhang) sei die Grundrente zutreffend auf die Alfu angerechnet worden und deshalb die Rückforderung überzahlter Beträge nach § 177 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) gerechtfertigt.
Die vom Kläger eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Landessozialgericht Celle (Urteil vom 2.August 1955) erachtete dieses Rechtsmittel für zwar zulässig, aber unbegründet. Da die MRVO Nr. 117 bis zum Inkrafttreten des Rentenanrechnungsgesetzes nur die in § 7 Abs. 2 des Anhangs aufgeführten Einkünfte von der Anrechnung ausnehme, seien sowohl die Grundrente wie die Ausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als sonstiges Einkommen des Arbeitslosen bis auf den Freibetrag von 6.- DM in der Woche anrechnungspflichtig. Dem Rentenanrechnungsgesetz sei keine Rückwirkung beigelegt, nur für die Zukunft lasse es die Grundrente anrechnungsfrei.
Die Revision wurde zugelassen.
III. Das Urteil des Landessozialgerichts ist dem Kläger am 3.Oktober 1955 zugestellt worden. Er legte mit Schriftsatz vom 11.Oktober 1955, eingegangen beim Bundessozialgericht am 12.Oktober, Revision ein und beantragte,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Celle vom 2.August 1955 und des Urteils des Sozialgerichts Hildesheim vom 6.Juli 1954 nach dem Klagantrag zu erkennen,
also die angefochtene Verfügung des Arbeitsamts vom 12.März 1953 und die Spruchausschußentscheidung vom 30. Oktober 1953 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Alfu für die Zeit vom 1.Oktober 1950 bis 30.April 1953 ohne Anrechnung der Grundrente zu zahlen. In der Begründung wird ausgeführt, daß die Beschädigten-Grundrente nach dem BVG zur Abgeltung eines erhöhten Aufwands im Vergleich zu gesunden Menschen, nicht aber zur wirtschaftlichen Existenzsicherung des Beschädigten bestimmt sei. Dies ergebe sich auch aus der Begründung der Bundesregierung zum Bundesversorgungsgesetz. Der Höhe nach reiche die Grundrente über den Betrag solcher Mehraufwendungen nicht hinaus, so daß tatsächlich von einer Leistung für erhöhten Aufwand auszugehen sei, die gemäß § 7 Abs. 2 Buchst. b des Anhangs zur MRVO Nr. 117 anrechnungsfrei bleiben müsse. Auch nach dem Versorgungsrecht bleibe die Beschädigten-Grundrente beim Zusammentreffen mit anderen Renten ungeschmälert und außer Ansatz.
Die Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Nach § 177 AVAVG in der Fassung der MRVO Nr. 111 in Verbindung mit Art. III der MRVO Nr. 117 sei die Alfu zu entziehen, sobald die Voraussetzungen zu ihrem Bezuge nicht mehr vorlägen oder sich herausstelle, daß sie schon bisher nicht vorgelegen hätten. Voraussetzung für den Bezug der Alfu sei neben anderen die Bedürftigkeit. Bei der Bedürftigkeitsprüfung sowie für die Bemessung der Alfu hätten als Einkommen des Arbeitslosen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu gelten, also auch die Grundrente nach dem BVG. Unter den Ausnahmen in § 7 Abs. 2 des Anhangs zur MRVO Nr. 117 sei die Grundrente nicht erwähnt. Sie könne auch nicht als Sonderzulage oder Leistung zur Abgeltung eines erhöhten Aufwandes angesehen werden. Zwar sei richtig, daß nach Versorgungsrecht sonstige Einkommen auf die Grundrente nicht angerechnet würden. Im Recht der Arbeitslosenfürsorge aber sei eine solche Ausnahmeregelung nicht getroffen. Als Sonderzulagen im Sinne des § 7 Abs. 2 könnten nur Leistungen gelten, die von Gesetzes wegen ausdrücklich als solche bezeichnet seien, wie z.B. Pflegezulage (§ 35 BVG), Grundrente werde aber in jedem Falle gezahlt; sie sei also keine Sonderleistung. Erst das Rentenanrechnungsgesetz vom 18. Juli 1953 habe für die Zukunft die Nichtanrechnung der Grundrente auf die Alfu vorgesehen. Da in ihm eine Vorschrift für die zurückliegende Zeit fehle, bringe der Gesetzgeber selbst zum Ausdruck, daß er es für die Vergangenheit bei der bisherigen Regelung belassen wolle.
Demgegenüber blieb der Kläger in seinem Erwiderungsschriftsatz vom 6. Januar 1956 bei seinem bisherigen Rechtsstandpunkt.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
IV. Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), auch form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig (§ 169 SGG).
Die Feststellung des Landessozialgerichts, daß die Berufung zulässig gewesen sei, ist ohne Rechtsirrtum erfolgt. Der Rückerstattungsanspruch nach § 177 AVAVG betrifft nicht eine einmalige Leistung, sondern die - lediglich zu einer Summe zusammengefaßten - Beträge, die der Kläger in der Zeit vom 1.Oktober 1950 bis 30.April 1953 zu Unrecht erhalten hat. Da sich dieser Anspruch auf wiederkehrende Leistungen über einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (drei Monate) erstreckt, stand § 144 SGG der Berufung nicht entgegen.
V. Die Revision ist jedoch materiell-rechtlich nicht begründet.
Eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Alfu auf Grund der MRVO Nr. 117 (brit. Zone) ist die Bedürftigkeit (§ 3 des Anhangs zur MRVO Nr. 117). Bei der Prüfung der Bedürftigkeit (§ 6 a.a.O.) und für die Bemessung der Alfu der Höhe nach ist nach § 7 Abs. 1 Buchst. a (a.a.O.) auf die Alfu grundsätzlich das Einkommen des Arbeitslosen anzurechnen, sofern es 6.- DM in der Woche übersteigt. Nur die in Abs. 2 des § 7 unter Buchst. a bis d ausdrücklich bezeichneten Pflegegelder, Sonderzulagen, Leistungen, Übergangsrenten und Unterstützungen bleiben von der Anrechnung ausgenommen. Hierunter sind aber die Beschädigtenrenten nach §§ 29 ff. des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG -) vom 20.12.1950 (BGBl. I S. 791) nicht aufgeführt.
Der Beschädigte hat Anspruch auf eine Grundrente, solange seine Erwerbsfähigkeit infolge einer Schädigung um 25 v.H. oder mehr gemindert ist (§ 29 Abs. 1 BVG). Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v.H. oder mehr (Schwerbeschädigte) wird außerdem eine Ausgleichsrente nach Maßgabe der §§ 32 bis 34 gewährt (§ 28 Abs. 2 BVG).
Als Kriegsbeschädigtem mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. wurden dem Kläger beide Renten gezahlt. Während die Anrechenbarkeit der Ausgleichsrente außer Streit steht, greift der Kläger die Anrechnung der Grundrente mit der Behauptung an, sie falle unter die Begriffe der "Sonderzulagen und Leistungen, die zur Abgeltung eines erhöhten Aufwands gewährt werden" (§ 7 Abs.2 Buchst. b des Anhangs zur MRVO Nr. 117) und müsse deshalb anrechnungsfrei bleiben.
In der Fassung dieser Gesetzesstelle selbst findet, da der Abs. 2 des § 7 die "Grundrente" überhaupt nicht nennt, der Standpunkt des Klägers keine Stütze. Er läßt sich aber auch nicht aus dem BVG herleiten. Nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 BVG wird die Grundrente wegen und auf Dauer einer durch Kriegsschädigung eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt. Allein schon die Behinderung des Beschädigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begründet den Anspruch.
Nach anerkannter Auslegungsregel ist zunächst der Wortlaut des Gesetzes für die Rechtsprechung maßgebend und grundsätzlich davon auszugehen, daß er den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt. Das ist hier klar und deutlich geschehen. Deshalb kann aus den in der amtlichen Begründung zum BVG - Bundestagsdrucksache 1.Wahlperiode 1949, Nr. 1333 - (A. Allgemeiner Teil, Abschnitt III; B. Besonderer Teil, zu §§ 28 bis 33) gebrachten Erläuterungen "Mehraufwendungen oder Ausgaben, die ein gesunder Mensch nicht hat, oder Ausfälle an wirtschaftlichen Vorteilen aus einer Betätigung außerhalb des Berufs" kein entgegengesetzter Schluß gezogen werden; auch diese Begriffe sind vielmehr auf den Bereich der Erwerbsminderung abgestellt. Dies ergibt sich sinnfällig ferner daraus, daß gesetzestechnisch der folgende § 30 BVG sogleich die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit umschreibt. Nicht die unter der Voraussetzung der Schädigung allgemein gezahlte Grundrente, wohl aber die speziellen Versorgungsleistungen nach §§ 10 bis 27 sowie nach § 35 ff. BVG fallen unter "Sonderzulagen und Leistungen, die zur Abgeltung eines erhöhten Aufwandes gewährt werden". Diese Erkenntnis wurde auch bislang schon in der Rechtsprechung der britischen Zone (vgl.OVA. Hannover in Breithaupt 1953, S. 542; OVA. Hamburg ebendort, S. 546; OVA. Köln ebendort, S. 549) einhellig vertreten. Allein das OVA. Schleswig (vgl. Breithaupt 1952, S. 800) bekundete eine gegenteilige Auffassung in mißverständlicher Auslegung einzelner Teilsätze aus der amtlichen Begründung zum BVG von 1950.
Im übrigen findet sich im gesamten Bundesversorgungsgesetz, das für die in der Beschädigtenversorgung geltenden Schutznormen primär zuständig ist, auch sonst keine Bestimmung, welche die Grundrente von einer Anrechnung auf die Alfu ausschließt. Daß innerhalb des Versorgungsrechts anderweitige Einnahmen die Grundrente nicht kürzen, bleibt für das Recht der Arbeitslosenfürsorge außer Belang.
VI. Der Gesetzgeber hat erst durch das Gesetz über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge vom 18. Juli 1953 (BGBl. I S. 660), in Kraft seit 7. August 1953, eine Neuregelung getroffen.
Fortan ist die Grundrente des Beschädigten - unter gewissen in § 1 enthaltenen Modifikationen - auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nicht anzurechnen. § 2 erstreckt dieses Gesetz auf das Land Berlin, § 3 bestimmt das Inkrafttreten und die Anwendung auf laufende Unterstützungsfälle. Eine Rückwirkung ist dem Gesetz indessen nicht beigelegt. Daraus ergibt sich zwingend, daß der Gesetzgeber nur für die Zukunft eine einheitliche Regelung für das Bundesgebiet bewirken will und geschaffen hat. Die bis dahin gebietsweise zuständigen - unterschiedlichen - Rechtsvorschriften sind unberührt geblieben.
Mithin ist die Grundrente nach dem BVG für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge, also bis einschließlich 6. August 1953, für den Bereich der ehemaligen britischen Besatzungszone auf die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung anzurechnen.
VII. Die Revision des Klägers ist deshalb unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs.1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen