Leitsatz (amtlich)
Ein unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freigestellter Arbeitnehmer hat auch für die Zeit nach Eintritt des Insolvenzereignisses Anspruch auf Konkursausfallgeld, wenn er von der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens erst später Kenntnis erhält. Dies gilt jedenfalls bis zur endgültigen Betriebseinstellung.
Normenkette
AFG § 141b Abs 1; AFG § 141b Abs 4
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 08.11.1988; Aktenzeichen L 14 Ar 12/88) |
SG Berlin (Entscheidung vom 25.11.1987; Aktenzeichen S 60 Ar 126/87) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 30. April bis zum 11. Mai 1986 Konkursausfallgeld (Kaug) zusteht.
Der Kläger war seit Februar 1983 bei der A. für C. in der Medizin (GFC) als Projektmanager beschäftigt. Das Unternehmen kündigte das Arbeitsverhältnis am 7. April 1986 zum 30. Juni 1986 und stellte den Kläger ab 29. April 1986 unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei. In der Zeit vom 16. bis 25. Mai 1986 hielt er sich urlaubsbedingt außerhalb B auf. Hierfür nahm er vom 20. bis 23. Mai 1986 Tarifurlaub in Anspruch. Während der Freistellung des Klägers ging am 9. Mai 1986 bei der Arbeitgeberin der Beschluß des Amtsgerichts Charlottenburg vom 29. April 1986 über die Ablehnung des - von der Firma selbst am 4. April 1986 gestellten - Konkursantrages ein. Dies teilte die Arbeitgeberin dem Kläger mit Schreiben vom 15. Mai 1986 mit.
Auf seinen Antrag vom 28. Mai 1986 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. März bis 29. April 1986 Kaug in Höhe von 6.486,57 DM (Bescheid vom 18. Juni 1986). Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch verlangte der Kläger höhere Leistungen, weil er erst nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub von der Konkursablehnung erfahren habe und somit bis zum 26. Mai 1986 "in Unkenntnis der Ablehnung weitergearbeitet" habe (§ 141b Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-). Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage insoweit stattgegeben, als die Beklagte verurteilt worden ist, Kaug auch für die Zeit bis zum 11. Mai 1986 - dem Tag der endgültigen Betriebseinstellung - zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 141b Abs 4 AFG. Er habe in Unkenntnis des Beschlusses über die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse "weitergearbeitet". Der Begriff des Weiterarbeitens sei nicht so zu verstehen, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung vorgelegen haben müsse. Dies wäre ab 30. April 1986 tatsächlich nicht mehr der Fall gewesen, weil der Kläger - wenn auch unter Entgeltfortzahlung - von der Arbeitsleistung freigestellt gewesen sei. Jedenfalls für eine Zeit bezahlten Urlaubs, für die ein insolvent gewordener Arbeitgeber Arbeitsentgelt schulde, bestehe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 4100 § 141b Nrn 14 und 34) ein Kaug-Anspruch. Aus dem Schutzzweck des § 141b AFG werde deutlich, daß es nur auf das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und einen daraus resultierenden Entgeltanspruch ankomme. Dementsprechend sei auch eine Unterscheidung zwischen urlaubsbedingter Abwesenheit und Abwesenheit infolge Freistellung (bei Anspruch auf Entgelt) nicht gerechtfertigt. Hier wie dort solle das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden, wobei der Unterschied lediglich darin bestehe, daß der Urlaub ein vom Arbeitnehmer und die Freistellung ein vom Arbeitgeber gewollter Grund für das Nichtarbeiten sei. Zwar müsse das Arbeitsverhältnis trotz der Insolvenz ernstlich weitergeführt worden sein. Das BSG stelle hier jedoch auf ein Weiterführen "trotz des Insolvenzereignisses" ab und damit auf die Vorstellung der Beteiligten zu diesem Zeitpunkt. Insoweit hätten sich die Absichten des Klägers in Bezug auf sein Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses nicht ändern können, weil er hiervon keine Kenntnis gehabt habe. Wenn er auch von dem Konkursantrag Kenntnis gehabt und auch gewußt habe, daß seine Freistellung im Hinblick auf diesen Konkursantrag erfolgt sei, so bedeutet dies nicht, daß an seinem ernsthaften Willen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gezweifelt werden könne. Jedenfalls deute seine - erfolgreiche - Kündigungsschutzklage auf den Willen zur Fortsetzung hin, ebenso sein trotz der Freistellung erfolgtes gelegentliches Aufsuchen der Firma. Wenn der Kläger nicht die Absicht zur Fortsetzung gehabt hätte, hätte er sich auch bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis mit Entgeltanspruch arbeitslos melden können.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141b Abs 4 AFG und macht ua geltend, der Begriff "weitergearbeitet" in § 141b Abs 4 AFG könne - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - nicht dieselbe Bedeutung haben wie der des Arbeitsverhältnisses. Seinem Wortsinne nach müsse der Arbeitnehmer, der sich auf den persönlichen Insolvenztatbestand des § 141b Abs 4 AFG berufe, grundsätzlich am maßgebenden Insolvenztag und danach tatsächlich gearbeitet haben. Unter "Weiterarbeit" sei daher die Fortsetzung der Arbeit über einen Zeitpunkt hinaus zu verstehen, zu dem Anlaß zur Einstellung der Arbeit hätte bestehen können. Hierfür spreche auch der Sinn und Zweck der genannten Sonderregelung. Sie solle Härten für die Arbeitnehmer beseitigen, die in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses weiterarbeiteten. Nur ausnahmsweise sei auch für eine Zeit nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers Kaug zu gewähren, soweit der Arbeitnehmer in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses weitergearbeitet habe. Darin komme die Vorstellung des Gesetzgebers zum Ausdruck, daß im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse die Reichweite des Schutzes der Härteregelung maßgeblich von tatsächlichen Bindungen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber in Unkenntnis des Insolvenzereignisses bestimmt werde, die den Arbeitnehmer hinderten, den Lebensunterhalt durch den Einsatz bzw das Angebot seiner Arbeitskraft außerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses sicherzustellen. Mithin sei die Ausdehnung der Versicherung durch das Kaug auf der Grundlage des § 141b Abs 4 AFG nur insoweit gerechtfertigt, als das Beschäftigungsverhältnis, das vom Tatsächlichen her bestimmt werde, bestehen geblieben sei. Für die Richtigkeit dieser Auffassung lasse sich auch die bisherige Rechtsprechung des BSG zu § 141b Abs 4 AFG anführen. Da der Kläger mit Wirkung vom 29. April 1986 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt gewesen sei und im Hinblick auf die vom Arbeitgeber bereits ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die am 30. April 1986 erfolgte Aushändigung der Arbeitsunterlagen keine Aussicht mehr auf Weiterbeschäftigung gehabt habe, sei das Beschäftigungsverhältnis zwischen der Firma GFC und dem Kläger mit der Freistellung beendet worden. Anders als in den vom BSG bisher entschiedenen Fällen, in denen die Arbeitnehmer urlaubsbedingt von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt gewesen seien, könne unter den hier vorliegenden Umständen von einer Weiterarbeit iS einer Weiterbeschäftigung nach der Freistellung keine Rede sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. November 1988 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 1987 aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht auch für die Zeit vom 30. April bis zum 11. Mai 1986 Kaug zu.
Die Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Kaug (§ 141b Abs 1 und Abs 3 AFG) sind nach den Tatsachenfeststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG gebunden ist, gegeben. Der Kläger hatte bei Eintritt des Insolvenzereignisses - der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse - noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt iS von § 141b Abs 2 AFG.
Zwar sind nach § 141b Abs 1 AFG nur die für die letzten dem Eintritt des Insolvenzereignisses vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses bestehenden Ansprüche auf Arbeitsentgelt kaug-fähig. Hiervon macht § 141b Abs 4 AFG jedoch eine Ausnahme. Hat der Arbeitnehmer in Unkenntnis des Abweisungsbeschlusses weitergearbeitet, so treten an die Stelle der letzten dem Abweisungsbeschluß vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses die letzten dem Tag der Kenntnisnahme vom Abweisungsbeschluß vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Die Anwendung dieser Vorschrift zugunsten des Klägers scheitert - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht daran, daß der Kläger bereits ab 29. April 1986 von der Arbeitgeberin freigestellt worden war.
Der Senat kann offenlassen, ob durch die Freistellung das Beschäftigungsverhältnis iS der Sozialversicherung (s dazu BSGE 47, 201, 204) beendet worden ist. § 141b AFG stellt nicht auf das Ende des Beschäftigungsverhältnisses, sondern des Arbeitsverhältnisses ab (vgl dazu BSG SozR 4100 § 141b Nr 33; Gagel, AFG, Kommentar, § 141b Rdnr 7). Das Arbeitsverhältnis kann aber über den Zeitpunkt der Beendung des Beschäftigungsverhältnisses fortdauern, zB im Falle der Freistellung (vgl dazu BSGE 13, 263, 264 f). Hier ist das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht schon während des Zeitraums beendet gewesen, für den Kaug begehrt wird. Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG hat der Kläger den Willen gehabt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die Freistellung war ein einseitiger Akt des Arbeitgebers, so daß darin nicht die Vereinbarung über eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesehen werden kann. Das bedeutet: Das Arbeitsverhältnis bestand über den Eintritt des Insolvenzereignisses hinaus weiter und es war - trotz der Freistellung - weiter Arbeitsentgelt zu zahlen.
Der Kläger hat auch in der streitigen Zeit "weitergearbeitet" iS von § 141b Abs 4 AFG. Bereits in der Entscheidung des BSG vom 30. Oktober 1980 (BSGE 50, 269, 270) ist angenommen worden, daß auch Arbeitnehmer, die sich im Zeitpunkt des Eintritts des Insolvenzereignisses im Urlaub befinden und erst später von dem Insolvenzereignis erfahren, geschützt sind. Dieses Urteil führt dazu ua aus: Hierfür sprächen sowohl der Zweck des Kaug als auch der Zweck der besonderen Regelung des § 141b Abs 4 AFG. Der Kaug-Anspruch solle keine Entschädigung für die Zeit sein, in der der Arbeitnehmer ohne Gegenleistung gearbeitet habe, sondern eine Ersatzleistung für die Zeit, für die der Arbeitsentgeltanspruch zu erfüllen gewesen sei. Im Falle des § 141b Abs 4 AFG gelte nichts anderes. Die Vorschrift enthalte eine Härteregelung. Sie verlagere lediglich zeitlich den Schutz des Kaug-Anspruchs über den Insolvenzfall des § 141b Abs 3 Nr 1 AFG hinaus, bis der Arbeitnehmer von dem Insolvenzfall Kenntnis nehme. Daß der Arbeitnehmer weitergearbeitet habe, werde zwar nur hier, nicht aber in den Fällen verlangt, für die die Härteregelung nicht gelte. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, nach § 141b Abs 4 AFG werde Kaug nur insoweit gezahlt, als eine Arbeitsleistung ohne Gegenleistung erbracht worden sei. Das Erfordernis des Weiterarbeitens besage nur: Nach der konkursgerichtlichen Feststellung des Insolvenzfalles des § 141b Abs 3 Nr 1 AFG könne nicht ohne weiteren Anhalt davon ausgegangen werden, daß die Arbeitsverhältnisse weitergeführt würden. Sei jedoch tatsächlich weitergearbeitet worden, so lasse dies aber keinen Zweifel daran zu, daß das Arbeitsverhältnis trotz der Insolvenz des Arbeitgebers ernstlich weitergeführt worden sei.
Es sind keine vernünftigen Gründe ersichtlich, bei der Anwendung des § 141b Abs 4 AFG zwischen Arbeitnehmern zu unterscheiden, die sich in Urlaub befunden haben, und solchen, die vom Arbeitgeber freigestellt worden sind. In beiden Fällen fehlt es zwar an einer tatsächlichen Arbeitsleistung. Darauf kommt es jedoch nicht an. Stellt der Kaug-Anspruch - wie bereits in der zitierten Entscheidung herausgestellt worden ist - lediglich eine Ersatzleistung für die Zeit dar, für die der Arbeitsentgeltanspruch zu erfüllen ist, dann ist diese Leistung dem Arbeitnehmer zu gewähren, unabhängig davon, ob er beurlaubt oder freigestellt war. Dies gilt jedenfalls bis zur endgültigen Betriebseinstellung. Ob im Hinblick auf die Regelung des § 141b Abs 4 AFG ("weitergearbeitet") auch ein Kaug-Anspruch für die Zeit danach entsteht, kann der Senat offenlassen; denn im vorliegenden Falle geht es nur noch um die Zeit bis zur Betriebseinstellung.
Da der Kläger von dem Beschluß des Amtsgerichts Charlottenburg vom 29. April 1986 nicht vor dem 12. Mai 1986 Kenntnis erlangt hat, ist auch die weitere Voraussetzung für die Gewährung des Kaug für eine Zeit nach Eintritt des Insolvenzereignisses erfüllt.
Die zusprechenden Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen