Leitsatz (redaktionell)
Das Recht der Berichtigung kann verwirkt werden. Hierzu genügt allerdings nicht der Zeitablauf allein. Vielmehr ist noch erforderlich, daß weitere Umstände hinzutreten müssen, welche die späte Berichtigung mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar und dem Beschädigten usw gegenüber wegen des illoyalen Verhaltens der Verwaltung nicht als zumutbar erscheinen lassen. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit müssen die Interessen des Beschädigten usw am weiteren Bezug der bisher gewährten Versorgungsgebührnisse und die der Allgemeinheit an der Durchsetzung der wirklichen Rechtslage gegenüber abgewogen werden.
Ein über zwölf Jahre währender Rentenbezug eines zur Zeit der Berichtigung 66jährigen Beschädigten allein reicht nicht aus, um die Interessen des Beschädigten überwiegen zu lassen. Der Senat hält an seiner in BSGE 9, 199 (BSG 1959-03-05 8 RV 607/57) abgedruckten Entscheidung fest. Danach muß einerseits auch im sozialen Rechtsstaat der Gedanke lebendig bleiben, daß eine formale Rechtsstellung, die dem einzelnen sachlich nicht gerechtfertigte Ansprüche auf Leistungen aus öffentlichen Mitteln gewährt, nicht zum Nachteil der anderen und des Ganzen durch die Rechtsordnung geschützt oder aufrechterhalten werden darf. Andererseits widerspricht der Status eines Fürsorgeempfängers - falls der Beschädigte auf ihn verwiesen werden sollte - weder dem Prinzip der Rechts- und Sozialstaatlichkeit noch dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder der Menschenwürde.
Normenkette
KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; BGB § 242; GG Art. 20, 1-2
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. September 1962 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger hat infolge einer im Jahre 1915 als Soldat erlittenen Verwundung das Sehvermögen rechts verloren; das rechte Auge ist später, 1954, operativ entfernt worden. Im Mai 1945 ist er noch als Angehöriger der Waffen-SS ins Lazarett gekommen und wegen grauen Stars auf dem linken Auge operiert worden. Gestützt auf eine Stellungnahme des Augenarztes Dr. F wurden auf Grund der Sozialversicherungsdirektive (SVD) 27 mit Bescheid vom 21. Februar 1948 praktische Blindheit beider Augen als durch militärischen Dienst entstanden anerkannt sowie die Rente eines Erwerbsunfähigen und Pflegezulage gewährt.
Nach einer ärztlichen Untersuchung im März 1949 hob der damalige Träger der Kriegsopferversorgung (KOV) durch den Berichtigungsbescheid vom 19. April 1949 auf Grund der Nr. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) 11 den Bescheid vom 21. Februar 1948 insoweit auf, als sich die Anerkennung dieser Schädigungsfolgen als unzutreffend erwiesen habe. Die Linsenlosigkeit des linken Auges sei nicht auf Einflüsse des Wehrdienstes zurückzuführen. Eine Wehrdienstbeschädigung liege nur für die Erblindung des rechten Auges mit Entartungsvorgängen und grauem Star vor. Durch einen zweiten Bescheid vom gleichen Tage stellte der Versorgungsträger nochmals diese Schädigungsfolge als hervorgerufen durch Einwirkung des militärischen Dienstes fest und gewährte dafür Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. Auf die Berufung nach altem Recht verurteilte das Oberversicherungsamt (OVA) nach Beweisaufnahme durch Urteil vom 14. Februar 1952 die Verwaltung unter Aufhebung ihrer Bescheide, dem Kläger für den im Bescheid vom 21. Februar 1948 aufgeführten Leistungsgrund seit dem 1. Juni 1949 eine Kriegsbeschädigtenrente nach einer MdE um 60 % zu gewähren; es bestehe zwar eigentlich nur eine Anspruchsberechtigung für den Schaden des rechten Auges, jedoch habe das Versorgungsamt (VersorgA) die Anerkennung nach der SVD 27 vom 21. Februar 1948 aus Rechtsgründen nicht gemäß Nr. 26 der SVA 11 berichtigen können. Inzwischen sei nach dem Gutachten der vom OVA gehörten Ärzte eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, und die MdE betrage nur noch 60 v.H.
In der Folgezeit gewährte das VersorgA auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Rente nach einer MdE um 60 v.H. durch die Bescheide vom 3. Mai 1952, 21. Oktober 1954 sowie 4. November 1958 und bezeichnete als Schädigungsfolge zuletzt den "Verlust des rechten Auges". In einer augenfachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 1954 und einem Prüfvermerk des leitenden Arztes vom 16. Oktober 1954 wurde ausgeführt, daß die MdE nicht zutreffend, sondern zu hoch eingeschätzt und festgestellt sei. Nach weiteren Vermerken vom 21. Oktober 1954, 26. Juli 1955, 23. und 27. Oktober 1959 über die Möglichkeit einer Berichtigung erteilte die Verwaltung den Berichtigungsbescheid vom 4. März 1960 auf Grund des § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG), änderte den Bescheid vom 21. Februar 1948 dahin ab, daß als Schädigungsfolge nur Erblindung des rechten Auges anerkannt werde, und die Bescheide vom 21. Februar 1948, 3. Mai 1952 und 21. Oktober 1954 dahin ab, daß die MdE nur noch 30 v.H. betrage. Es stellte die Rente nach dieser MdE vom 1. Mai 1960 an fest. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 19. April 1961 die Verwaltungsbescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger weiter Rente nach einer MdE um 60 v.H. zu zahlen, weil der letzte maßgebende Bescheid vom 4. November 1958 nicht aufgehoben worden sei. Außerdem habe das VersorgA die Fristen des § 43 VerwVG nicht eingehalten. Es habe zwar am 21. Oktober 1954 festgehalten, die Sache sei in die Liste der zu berichtigenden Bescheide einzutragen. Nach der Verkündung des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der KOV habe das VersorgA erst am 26. Juli 1955 geprüft, ob die Voraussetzungen der §§ 41 oder 42 VerwVG erfüllt seien, habe diese Frage verneint und habe die Rente weiter nach einer MdE um 60 v.H. fünf Jahre lang weitergezahlt. Der Versuch einer Berichtigung im Jahre 1960 habe gegen Treu und Glauben verstoßen.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt und durch einen weiteren Bescheid vom 30. Mai 1961 den Berichtigungsbescheid vom 4. März 1960 dahin ergänzt, daß auch der Rentenbescheid vom 4. November 1958 aufgehoben werde. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie ausgeführt, es müsse geprüft werden, ob der Berichtigungsbescheid auch auf § 42 VerwVG gestützt werden könne. Durch Urteil vom 11. September 1962 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers den Bescheid vom 30. Mai 1961 aufgehoben. Es hat ausgeführt, die Rechtskraft des Urteils des OVA habe das VersorgA gehindert, im Jahre 1960 auf Grund des § 41 VerwVG einen Berichtigungsbescheid zu erlassen, denn die Berichtigung nach dieser Vorschrift stimme im wesentlichen mit der nach Nr. 26 der SVA 11 überein. Deshalb habe die rechtskräftige Verneinung der Möglichkeit zu berichtigen - wenn das Urteil des OVA auch sicherlich nicht richtig gewesen sei - einer nochmaligen Berichtigung entgegengestanden. Außerdem aber habe das VersorgA die Fristen des § 43 VerwVG nicht beobachtet. Schließlich habe der Kläger auch nicht etwa durch unrichtige Angaben den Erlaß des Bescheides im Jahre 1948 erschlichen. Es hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Bescheid vom 30. Mai 1961 zurückzuweisen, ferner auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen,
gegebenenfalls die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie rügt mit näherer Begründung, das LSG habe sein Urteil nicht auf den gesamten Inhalt der Akten gegründet, die Rechtskraft der Entscheidung des OVA verkannt und die §§ 42 und 43 VerwVG verletzt.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Auch nach § 42 VerwVG sei das VersorgA durch die Rechtskraft des Urteils des OVA an einer Berichtigung gehindert gewesen.
Die Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel ist nach § 164 SGG zulässig. Es ist auch begründet.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides des VersorgA vom 4. März 1960 mit Ergänzung vom 30. Mai 1961.
Das Berufungsgericht hat diesen Bescheid für rechtswidrig erklärt und dies aus der Rechtskraft der Entscheidung des OVA vom 14. Februar 1952 hergeleitet, weil die damals auf Nr. 26 SVA 11 gestützte Berichtigung vom 19. April 1949 / 20. April 1950 mit der am 4. März 1960 gemäß § 41 VerwVG vorgenommenen übereinstimme. Dies ist nicht frei von Rechtsirrtum, wie die Revision zutreffend gerügt hat.
Es trifft zwar zu, daß die Wortfassung beider Vorschriften ähnlich ist. Nr. 26 SVA 11 lautet:
"Ein rechtskräftiger Bescheid kann aufgehoben werden, wenn bei einem Anspruchsberechtigten festgestellt wird, daß die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend erweisen oder daß eine Erwerbsminderung in der bisher angenommenen Höhe nicht besteht; in diesen Fällen ist ein neuer berufungsfähiger Bescheid zu erteilen."
§ 41 Abs. 1 Satz 1 VerwVG hat folgenden Wortlaut:
"Bescheide über Rechtsansprüche können zuungunsten des Versorgungsberechtigten von der zuständigen Verwaltungsbehörde durch neuen Bescheid nur geändert oder aufgehoben werden, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht."
Trotz aller Ähnlichkeit der beiden Vorschriften ergibt schon ein Vergleich der Texte, daß ihre Fassung voneinander abweicht. Bei der Frage, ob sie nach Voraussetzungen und Wirkungen übereinstimmen, ist auch die Rechtsentwicklung zu berücksichtigen. Die Nr. 26 der SVA 11 ist am 31. Dezember 1952 außer Kraft getreten. Für die hieran anschließende Zeit bis zum Inkrafttreten des VerwVG am 1. April 1955 hat es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, auf Grund deren alte Bescheide berichtigt werden konnten, gefehlt. Deshalb waren insoweit die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts heranzuziehen (BSG 8, 11 ff, 14). Erst das VerwVG gab dann wieder eine ausdrückliche gesetzliche Basis für die Möglichkeit zu berichtigen. Mag auch die Berichtigung ununterbrochen möglich gewesen sein, so unterschieden sich doch die Vorschriften der Nr. 26 der SVA 11 und des § 41 VerwVG; im übrigen liegt zwischen ihnen eine gesetzlose Zeit. Das dahingehende Vorbringen der Beklagten trifft deshalb zu.
Die Entscheidung des LSG läßt sich auch nicht deshalb aufrechterhalten, weil durch das Urteil des OVA die Verwaltung an einer Berichtigung gehindert gewesen wäre. Zu Unrecht verweist der Kläger auf die in BSG 15, 248 ff abgedruckte Entscheidung. Der Streitfall, welcher ihr zugrunde gelegen hat, ist wesentlich anders gelagert als der hier zu entscheidende. In ihm hatte das SG über den Rentenanspruch des Versorgungsempfängers insgesamt neu entschieden. Im vorliegenden Fall dagegen beschränkte sich das Urteil des OVA darauf, den früheren Berichtigungsbescheid vom 19. April 1949 aufzuheben. Wie sich aus Tenor und Gründen ergibt, hat das OVA über den mit Bescheid vom 21. Februar 1948 anerkannten Leistungsgrund "praktische Blindheit beider Augen" nicht entschieden, sondern ist von ihm ausgegangen und hat wegen einer festgestellten wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Rentenhöhe von 100 % (Bescheid vom 21. Februar 1948) auf 60 v.H. herabgesetzt. Damit hat das OVA nicht das gesamte Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers neu gestaltet. Die Verwaltung war entgegen der Auffassung des Klägers durch diese Entscheidung nicht gehindert, sowohl bei einer weiteren Besserung der festgesetzten Schädigungsfolgen die Rente neu festzustellen, als auch den Leistungsgrund durch eine Berichtigung zu ändern, weil sie dadurch keine gerichtliche Entscheidung, auch nicht die des OVA, berichtige.
Wenn es sonach der Beklagten grundsätzlich nicht verwehrt gewesen ist, gemäß § 41 VerwVG die frühere Anerkennung der Schädigungsfolgen zu berichtigen, so hätte das Berufungsgericht - ähnlich wie das SG - prüfen müssen, ob die Verwaltung etwa durch ihre langdauernde Untätigkeit das Recht zum Berichtigen verloren hatte. Insoweit kommt eine Verwirkung in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 2, 284 ff; 7, 112ff, 199 ff) ist auch im öffentlichen Recht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Verwirkung von Rechten möglich. Hierzu genügt allerdings nicht - wie das SG anscheinend angenommen hat - der Zeitablauf allein. Vielmehr ist noch erforderlich, daß weitere Umstände hinzutreten müssen, welche die späte Geltendmachung oder Ausübung des Rechts mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar und dem Rechtspartner gegenüber wegen des illoyalen Verhaltens des anderen Teils nicht als zumutbar erscheinen lassen (BSG 7, 201). Bei der Prüfung der Zumutbarkeit müssen die Interessen des Klägers am weiteren Bezug der bisher gewährten Versorgungsgebührnisse und die der Allgemeinheit an der Durchsetzung der wirklichen Rechtslage gegeneinander abgewogen werden. Zu dieser Prüfung und Abwägung hat das Berufungsgericht wegen seiner Rechtsauffassung keinen Anlaß gesehen und hat auch keine Feststellungen getroffen. Zur Abwägung der Interessen des Klägers und der Allgemeinheit ist nur festgestellt, daß der Kläger bei dem Erlaß des streitigen Berichtigungsbescheides 66 Jahre alt war und vorher zwölf Jahre lang Versorgungsgebührnisse nach einer MdE um 60 v.H. bezogen hatte. Dies allein kann nicht ausreichen, um die Interessen des Klägers überwiegen zu lassen und die verspätete Berichtigung als nicht rechtmäßig zu betrachten. Der Senat hält vielmehr an seiner in BSG 9, 199 ff abgedruckten Entscheidung vom 5. März 1959 fest. Danach muß einerseits auch im sozialen Rechtsstaat der Gedanke lebendig bleiben, daß eine formale Rechtsstellung, die dem einzelnen sachlich nicht gerechtfertigte Ansprüche auf Leistungen aus öffentlichen Mitteln gewährt, nicht zum Nachteil der anderen und des Ganzen durch die Rechtsordnung geschützt oder aufrechterhalten werden darf (vgl. BVerfG 7, 129 ff, 152). Andererseits widerspricht der Status eines Fürsorgeempfängers - falls der Kläger auf ihn verwiesen werden sollte - weder dem Prinzip der Rechts- und Sozialstaatlichkeit noch dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder der Menschenwürde. Die Auffassung, daß der Empfang von Fürsorgeunterstützung regelmäßig ein Verdrängen aus der gesellschaftlichen Stellung und damit einen sozialen Abstieg bedeutet, entspricht einer gesellschaftlichen Denkweise, die als überholt gelten muß. Das ist in den Stellungnahmen zu der Entscheidung vom 5. März 1959 (zB von Bernhardt in "Zeitschrift für Sozialreform" 1959 S. 540 ff, 568 a.E.) verkannt worden.
Aus all diesen Gründen beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des § 41 VerwVG und kann auch nicht etwa aus anderen rechtlichen Erwägungen aufrechterhalten werden. Das angefochtene Urteil war demgemäß aufzuheben und der Streitfall an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß die Verwaltung nach ihren unangefochten festgestellten Bescheiden und Vermerken gegenüber dem Kläger nicht allein die ihr allgemein obliegende Pflicht zum Handeln gehabt hat, sondern in diesem besonderen Fall zu schnellem Handeln verpflichtet gewesen ist. Insoweit ist hier maßgebend, daß der Träger der KOV schon einmal versucht hat, die ursprüngliche Anerkennung vom 21. Februar 1948 zu berichtigen. Durch diesen ersten Berichtigungsbescheid vom 19. April 1949 war dem Kläger bekannt geworden, daß er seine Rente nicht unangefochten beziehe. Insoweit hat das Urteil des OVA vom 14. Februar 1952 für ihn keine klaren Verhältnisse geschaffen. Denn dort ist ausgeführt, "daß eigentlich nur eine Anspruchsberechtigung für den Schaden des rechten Auges vorliegt". Dadurch war der Kläger hinlänglich auf die Zweifelhaftigkeit seines Anspruchs hinsichtlich seiner Berechtigung, auch für den Schaden am linken Auge Versorgung zu beziehen, hingewiesen worden.
Auch die Verwaltung hat nach der Entscheidung des OVA dem Kläger die Zweifelhaftigkeit seiner Ansprüche erkennbar gemacht. Denn sie hat in dem Umanerkennungsbescheid vom 3. Mai 1952, welcher gleichzeitig das Urteil des OVA vom 14. Februar 1952 ausführte, als Schädigungsfolge aufgeführt "Erblindung des rechten Auges mit Entartungsvorgängen und grauem Star". Das OVA aber hatte den im Bescheid vom 21. Februar 1948 aufgeführten Leistungsgrund "praktische Blindheit beider Augen" als maßgebend bezeichnet. Diese anderweitige, sich widersprechende Bezeichnung der Schädigungsfolgen mußte der Kläger vernünftigerweise mit den Ausführungen im Urteil des OVA über die "eigentliche Anspruchsberechtigung für den Schaden allein am rechten Auge" zusammenbringen. Die gleichen Erwägungen mußte der Kläger vernünftigerweise im Anschluß an den Bescheid vom 21. Oktober 1954 anstellen, weil in ihm als Schädigungsfolge bezeichnet worden ist "Verlust des rechten Auges". Es kann hierbei unerörtert bleiben, ob und welche Vorstellungen der Kläger sich auf Grund des § 214 des am 1. Januar 1954 in Kraft getretenen SGG, insbesondere der Tatsache machen konnte, daß die Beklagte von ihren Rechten aus dieser Vorschrift keinen Gebrauch gemacht hat. Denn auf jeden Fall mußten seine früher schon bestehenden Zweifel an seiner Rentenberechtigung hinsichtlich des Schadens an dem linken Auge durch den weiteren Bescheid vom 21. Oktober 1954 - wie bereits dargelegt - erneut wachgerufen werden. Gleichzeitig mit diesem Bescheid hat die Verwaltung - wie das Berufungsgericht durch den ausdrücklichen Hinweis auf die Blattzahl 136 der Versorgungsakten festgestellt hat - in dem Vermerk vom 21. Oktober 1954 ihre Zweifel über die Berechtigung des Klägers erneut aktenkundig gemacht und die Eintragung zur Liste der zu berichtigenden Bescheide bestehen lassen. Damit hat die Beklagte zum Ausdruck gebracht, sie wolle ihrerseits für den Kläger klare Verhältnisse schaffen, sobald dies möglich sei. Darüber hinaus hätte sie erkennen müssen, daß ihr gegenüber dem Kläger sogar eine besondere Pflicht oblag, sein Versorgungsrechtsverhältnis sobald als möglich rechtlich einwandfrei zu gestalten.
Dieser Pflicht hat die Beklagte zunächst entsprochen. Denn sie hat, nachdem die neue Berichtigungsmöglichkeit gemäß § 41 VerwVG gegeben war, durch die Verfügung vom 26. Juli 1955 die Prüfung eingeleitet. Sie hat aber den Kläger hiervon nicht unterrichtet. Erst im Oktober 1959 hat sie sich dann zur Berichtigung entschlossen und hat im November 1959 an das Landesversorgungsamt berichtet, um dessen Zustimmung einzuholen. Bei dieser Sachlage wird das LSG prüfen müssen, ob die Verwaltung dadurch, daß sie über vier Jahre nach dem Inkrafttreten des VerwVG untätig geblieben war, sogar den Kläger niemals auf ihre Berichtigungsabsicht hingewiesen hatte, in ihm bis zum Jahre 1959 etwa die Bedenken zum Schweigen gebracht hat, welche gegen seine Berechtigung sprechen konnten. Es wird weiter prüfen müssen, ob sich der Kläger dadurch zum uneingeschränkten Bezug einer Rente entsprechend einer MdE um 60 v.H. für berechtigt halten konnte und gehalten hat und ob er zu diesem Schluß bei einer vernünftigen Auslegung des Verhaltens der Verwaltung gelangen konnte, auch wenn er sich nicht darüber im klaren war, daß dieser hier eine besondere Pflicht zum schnellen Handeln oblag und sie sie durch ihre Untätigkeit gegebenenfalls verletzt hatte.
Erst wenn das Berufungsgericht diese erforderlichen weiteren Ermittlungen angestellt und weitere Feststellungen getroffen hat, wird es entscheiden können, ob im vorliegenden Fall die späte Berichtigung mit der Wahrung von Treu und Glauben nicht vereinbar gewesen ist und dem Kläger wegen des illoyalen Verhaltens der Verwaltung nicht hat zugemutet werden dürfen.
Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht weiter zu prüfen haben, ob der Berichtigungsbescheid auf die Vorschrift des § 42 VerwVG gestützt werden kann, wie die Beklagte erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11. September 1962 ausgeführt hat. Dabei wird das LSG berücksichtigen müssen, daß seine bisherige Auffassung, die Fristen des § 43 VerwVG seien nicht eingehalten, nicht frei von Rechtsirrtum ist. Nach § 43 Abs. 2 VerwVG beginnt die Frist von drei Monaten für die Einleitung des Berichtigungsverfahrens mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Dieser war der Verwaltung bereits vor dem Inkrafttreten des VerwVG bekannt. Infolgedessen begann die Dreimonatsfrist hier mit diesem Gesetz. Sie ist allerdings nicht von dem Inkrafttreten des Gesetzes, dem 1. April 1955, zu berechnen. Denn das Gesetz datiert erst vom 2. Mai 1955 und ist am 3. Mai 1955 durch Ausgabe des Bundesgesetzblattes veröffentlicht worden. Erst von diesem Zeitpunkt an läuft die Dreimonatsfrist, so daß sie mit der Verfügung der Verwaltung vom 26. Juli 1955 eingehalten wäre.
Demgemäß war wie geschehen zu erkennen. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen