Entscheidungsstichwort (Thema)

Rundfunkgebührenbefreiung. Merkzeichen RF. Hinderung der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Dialysebehandlung

 

Orientierungssatz

1. Für die Feststellung über die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, die in landesrechtlichen Vorschriften geregelt sind, ist die Versorgungsbehörde allein zuständig (ständige Rechtsprechung, vgl zuletzt BSG vom 17.3.1982 9a/9 RVs 6/81 = SozR 3870 § 3 Nr 15). Dem Revisionsgericht ist es auch nicht verwehrt, über die Anwendung einer solchen landesrechtlichen Vorschrift zu entscheiden.

2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" liegen nicht vor, wenn ein Dialysepatient infolge der Dialysebehandlung lediglich an drei Tagen der Woche jeweils etwa acht Stunden gehindert ist, öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen.

 

Normenkette

SchwbG § 3 Abs 4 Fassung: 1974-04-29; RdFunkGebBefrV HE 1979 § 1 Abs 1 Nr 3; RdFunkGebBefrV HE 1979 § 1 Abs 1 Nr 2a; RdFunkGebBefrV HE 1979 § 1 Abs 1 Nr 2b; RdFunkGebVtr 1974 Art 7 Abs 2; SGG § 162

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 10.01.1984; Aktenzeichen L 4 Vsb 1360/82)

SG Wiesbaden (Entscheidung vom 08.12.1982; Aktenzeichen S 6 Vsb 396/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt, ihr nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) das gesundheitliche Merkmal "RF" (= Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) zuzuerkennen.

Bei ihr sind an Behinderungen nach dem SchwbG

1) Niereninsuffizienz mit Notwendigkeit der Dialysebehandlung, 2) totale Parathyreoidektomie bei renaler Osteopathie, autologe Epithelkörperchentransplantation, 3) hypotone Kreislaufdysregulation mit Kollapsneigung

mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (nunmehr Grad der Behinderung genannt nach § 1 der Neufassung des SchwbG vom 26. August 1986 - BGBl I 1421 -) um 100 vH sowie außerdem die gesundheitlichen Merkmale "B" (= Notwendigkeit ständiger Begleitung), "G" (= erhebliche Gehbehinderung) und "Freifahrt - Nahverkehr" anerkannt. Den weiteren Antrag, das Merkzeichen "RF" festzustellen, lehnte das Versorgungsamt nach versorgungsärztlicher Stellungnahme ab (Bescheid vom 26. März 1981). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. September 1981).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, da die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" unter Berücksichtigung der Dialysebehandlung und der im Verlaufe des Klageverfahrens zusätzlich anerkannten Behinderung zu 3) nicht gegeben seien. Das hatte auch die im erstinstanzlichen Verfahren von der Versorgungsbehörde eingereichte ärztliche Äußerung vom 15. April 1982 festgestellt, die Grundlage für die zusätzliche Anerkennung der Behinderung zu Ziff 3) und des Merkzeichens "B" war. Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin sei infolge der Dialysebehandlung an drei Tagen der Woche jeweils etwa acht Stunden gehindert, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. In der übrigen Zeit könne sie am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Berufungsgericht habe - meint die Klägerin - seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) verletzt. Es habe nur auf die Dialysebehandlung abgehoben, ohne sich mit den Auswirkungen der übrigen Behinderungen in bezug auf das begehrte Vergünstigungsmerkmal "RF" auseinanderzusetzen. Es sei nicht auszuschließen, daß die Klägerin durch diese zusätzlichen Behinderungen an dialysefreien Tagen ständig gehindert sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Berufungsentscheidung beruhe nicht auf dem gesamten Beweisergebnis des bisherigen Verfahrens (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Zudem habe das LSG die im Land Hessen geltenden Vorschriften über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht unzutreffend angewandt. Die Auslegung, daß dem Behinderten an allen Tagen, dh zu jeder Zeit wegen seines Leidenszustandes die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ständig versagt sein müsse, sei zu eng. Die entsprechende Verordnung des Landes Hessen enthalte keine derartige zeitliche Forderung. Nicht die Dauer der wöchentlich nötigen Dialyse, sondern der lebensbedrohliche Zustand als solcher sowie die damit verbundene Lebensangst seien entscheidend.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile sowie der angefochtenen Verwaltungsbescheide zu verurteilen, der Klägerin das gesundheitliche Merkmal "RF" zuzuerkennen; hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, das gesundheitliche Merkmal "RF" nicht zu.

Die Versorgungsbehörde war für die in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Feststellung über die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, die in landesrechtlichen Vorschriften geregelt sind, allein zuständig (§ 3 Abs 4 SchwbG: BSGE 52, 168, 170 = SozR 3870 § 3 Nr 13; SozR 3870 § 3 Nr 15 und seitdem st Rspr). Dem Revisionsgericht war es nicht verwehrt, über die Anwendung einer solchen landesrechtlichen Vorschrift zu entscheiden. § 162 SGG gestattet neben der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts, die Revision auch darauf zu stützen, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer für den Bezirk des Berufungsgerichts (hier: Land Hessen) geltenden Vorschrift beruht, sofern deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Gerichts hinaus erstreckt. Der Geltungsbereich der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für das Land Hessen vom 18. Dezember 1979 (GVBl I S 263), um deren Anwendung es hier geht, ist auf das Bundesland Hessen beschränkt. Indessen sind für die anderen Bundesländer um der Rechtseinheit willen inhaltlich übereinstimmende Vorschriften, insbesondere über die Gebührenbefreiung, erlassen worden. Die Bundesländer hatten sich im Staatsvertrag vom 5. Dezember 1974 - wie zuvor schon im Jahre 1969 - zu einer einheitlichen Regelung über das Rundfunkgebührenwesen verpflichtet (Art 7 Abs 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags -GVBl I S 135-). Sie sind dieser Verpflichtung nachgekommen, wie beispielsweise die Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht des Landes Hamburg vom 30. September 1975 (GVBl I S 171) und des Freistaates Bayern vom 30. September 1975 (GVBl I S 341) bestätigen. Bei einer solchen Rechtsvereinheitlichung ist eine landesrechtliche Vorschrift als im Sinne des § 162 SGG über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus geltend anzusehen (BSG SozR 3870 § 3 Nr 15 mwN).

Rechtsgrundlage für die zutreffende Entscheidung des LSG, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht seien nicht gegeben, ist § 1 Abs 1 Nr 3 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für das Land Hessen vom 18. Dezember 1979 (GVBl I S 263). Danach ist Behinderten Gebührenfreiheit zu gewähren, die nicht nur vorübergehend in ihrer Erwerbsfähigkeit um 80 vH gemindert sind, und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Behinderte infolge seiner Behinderung nicht nur ständig, sondern auch allgemein an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann; es genügt nicht, daß er von einzelnen, besonders von Massenveranstaltungen ausgeschlossen ist (BSGE 53, 175, 177 f = SozR 3800 § 3 Nr 15). Daran hat sich das Berufungsgericht gehalten und festgestellt, daß die Klägerin infolge der Dialysebehandlung lediglich an drei Tagen etwa acht Stunden gehindert ist, öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen.

Der Senat sieht keinen Anlaß, seine von der Revision als zu eng bezeichnete Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 3 der fraglichen Hessischen Verordnung zu korrigieren. Gerade die Wortfassung der Vorschrift, die Rechtsentwicklung und nicht zuletzt Sinn und Zweck des Schwerbehindertenrechts, die die Eingliederung in die Gesellschaft zum Ziele hat, bestätigen die vom Senat für richtig gehaltene Rechtsanwendung. Dem ist nichts hinzuzufügen. Daß bei bestimmten typisierten Merkmalen geringere Anspruchsvoraussetzungen ggfs ausreichen - etwa wie von der Revision angeführt bei Blindheit und Schwerhörigkeit: § 1 Abs 1 Nr 2a und b der Hessischen Verordnung - hat der Senat bei seiner Rechtsprechung, wie aus den Entscheidungsgründen ersichtlich, berücksichtigt. Er hat jedoch wegen der auch in anderen Gesetzen praktizierten unterschiedlichen Interpretation nicht darauf abgehoben.

Das Berufungsgericht hat die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen nicht verfahrensfehlerhaft festgestellt; sie sind somit für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Entgegen der Meinung der Revision bedurfte es bei dem Sachstand im zweitinstanzlichen Verfahren nicht einer weiteren Sachaufklärung. Zwar ist nicht grundsätzlich auszuschließen, daß die Klägerin infolge der Behinderungen zu 2) und 3) an dialysefreien Tagen ständig gehindert sein könnte, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Darauf ist aber das SG in seinen Entscheidungsgründen wenigstens teilweise eingegangen. Es hat, wie aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ersichtlich, festgestellt, daß auch die weitere Behinderung "hypotone Kreislaufregulationsstörung mit Kollapsneigung" nicht die Gebührenbefreiung rechtfertige. Grundlage hierfür war offensichtlich die vom Landesversorgungsamt im Klageverfahren eingereichte ärztliche Stellungnahme vom 15. April 1982. Darin ist nicht nur die Anerkennung der genannten weiteren Behinderung zu 3) mit einer Teil-MdE um 25 vH und das gesundheitliche Merkmal "B" vorgeschlagen, sondern außerdem festgehalten: "RF kann nicht befürwortet werden, denn eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen in Begleitung ist durchaus zumutbar". Diese ärztliche Äußerung, die sich die Versorgungsbehörde zu eigen machte, durfte das SG seiner Entscheidung zugrunde legen (BSG SozR Nr 66 zu § 128 SGG). Anders wäre die Rechtslage, wenn die ärztliche Äußerung zur Beurteilung des medizinischen Sachverhalts nicht ausgereicht oder die Klägerin substantiiert Beanstandungen dagegen vorgetragen hätte (BSG aaO). Daß dies im Klageverfahren oder gar im Berufungsverfahren geschehen sei, trägt die Revision nicht vor. Gibt aber die Klägerin nicht einmal im Ansatz zu verstehen, daß auch die weiteren anerkannten Behinderungen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ständig ausschließen, was zu erwarten gewesen wäre, wenn dies zuträfe, mußte das Berufungsgericht sich nicht gedrängt fühlen, weitere Beweise zu erheben. Dies umso mehr, als die hier in Betracht kommenden Behinderungen als solche nicht ohne weiteres darauf hindeuten, daß sie an dialysefreien Tagen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unmöglich machen. Zudem ist aus der von der Versorgungsbehörde eingereichten ärztlichen Äußerung ersichtlich, daß der Befundbericht des Facharztes für innere Krankheiten Dr. R. verwertet worden ist. Dennoch sind darin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" verneint. Dies hat die Klägerin - wie ausgeführt - offenbar deswegen hingenommen, weil sie lediglich an der Klärung der grundsätzlichen Rechtsfrage interessiert war, ob entsprechend einer angeblichen Verwaltungsübung im Land Rheinland-Pfalz Dialysepatienten allgemein das gesundheitliche Merkmal "RF" zusteht. Aufgrund dessen ist nicht schlüssig und substantiiert aufgezeigt, daß und inwieweit das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts zur freien richterlichen Beweiswürdigung verletzt haben soll (BSGE 2, 236, 237) oder die Berufungsentscheidung nicht auf dem gesamten Beweisergebnis des bisherigen Verfahrens beruht.

Im übrigen könnte die Revision nicht auf eine neue Sachverhaltsdarstellung abheben; dies wäre unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657190

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