Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsschadensausgleich. Nachschaden. Altersgrenze. Rente. Schwerbehinderung. vorzeitiges Altersruhegeld. Vergleichseinkommen
Leitsatz (amtlich)
Vergrößert sich der Einkommensverlust eines Schwerbeschädigten dadurch, daß er mit 60 Jahren vorzeitig Altersruhegeld bezieht, erhöht sich sein Berufsschadensausgleich jedenfalls bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres.
Orientierungssatz
Führt neben der Altersgrenze (60. Lebensjahr) die schädigungsbedingte Schwerbehinderteneigenschaft zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und damit zum vorzeitigen Altersruhegeldbezug, hängt die Frage, ob das Vergleichseinkommen dann unverändert bleibt oder um 25 vH ermäßigt wird, nach § 8 S 3 BSchAV davon ab, ob der Beschädigte glaubhaft machen kann, daß er ohne die Schädigung noch arbeiten würde. Glaubhaft, daß ohne die Schädigung die Erwerbstätigkeit nicht aufgegeben worden wäre, ist es immer, wenn - wie hier - ohne die Schädigung ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben keinen Rentenanspruch ausgelöst hätte.
Normenkette
BSchAV § 8 S 1 Nr 3; BSchAV § 8 S 3; BVG § 30 Abs 3; BVG § 30 Abs 6 S 1
Verfahrensgang
SG Lübeck (Entscheidung vom 01.03.1988; Aktenzeichen S 9 V 266/86) |
Tatbestand
Der Streit der Beteiligten wird darum geführt, ob das Vergleichseinkommen für den Berufsschadensausgleich um 25 vH zu kürzen ist, wenn ein nur wegen der Beschädigung Schwerbehinderter mit Vollendung des 60. Lebensjahres Altersruhegeld aus der Rentenversicherung bezieht.
Der 1926 geborene Kläger erhält Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH wegen Verlustes des rechten Unterschenkels nach Granatsplitterverletzung. Den seit 1. August 1973 bewilligten Berufsschadensausgleich verminderte der Beklagte nach § 30 Abs 3 bis 6 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) iVm § 8 Satz 1 Nr 3 Berufsschadensausgleichsverordnung vom 29. April 1984 (BGBl I 861) - BSchAV - um 25 vH, nachdem der Kläger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, als Schwerbehinderter den Beruf vorzeitig aufzugeben (Bescheid vom 18. Juli 1986). Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat unter Zulassung der Sprungrevision den Beklagten verurteilt, dem Berufsschadensausgleich das ungekürzte Vergleichseinkommen zugrunde zu legen. Zugunsten des Klägers greife § 8 Satz 3 BSchAV ein. Ohne die Schädigung wäre der Kläger unzweifelhaft noch über die Altersgrenze von 60 Jahren hinaus erwerbstätig geblieben. Das folge vor allem daraus, daß er ohne die Schädigung nicht Schwerbehinderter wäre und daher auch nicht die Möglichkeit gehabt hätte, ab dem 60. Lebensjahr nach § 1248 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Altersruhegeld zu beziehen (Urteil vom 1. März 1988).
Der Beklagte rügt mit der vom SG zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Entscheidung sei widersprüchlich. Es stehe fest, daß die Schädigung den Kläger tatsächlich nicht gezwungen habe, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, denn die Beschwerden seien gegenüber früher unverändert. Die Rechtsordnung habe dem Kläger allerdings ermöglicht, schon mit 60 Jahren Altersruhegeld zu beziehen. Der Einkommensverlust beruhe daher nicht auf anerkannten Schädigungsfolgen. Nur bei einer gesundheitlich veranlaßten Berufsaufgabe müsse das ungekürzte Vergleichseinkommen zugrunde gelegt werden. Auf die Prüfung der Motivation für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben könne nicht verzichtet werden, denn es gebe auch die Fälle, in denen die Schwerbehinderung nicht - wie hier - ausschließlich auf Schädigungsfolgen beruhe.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Bis zur Erreichung einer Altersgrenze, die ohne Schwerbehinderung den Übergang in die Altersrente zuläßt, ist das Vergleichseinkommen des Klägers nicht zu kürzen. Das SG hat zu Recht entschieden, es sei glaubhaft, daß der Kläger ohne die Schädigung und die hierauf beruhende Schwerbehinderung schon aus Rechtsgründen noch erwerbstätig wäre.
Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, daß der für den Berufsschadensausgleich maßgebliche Einkommensverlust durch die Schädigungsfolgen eingetreten sein muß (§ 30 Abs 3 BVG), die Schädigung also für den Einkommensverlust zumindest eine wesentliche Bedingung iS der Mitursache gewesen sein muß (BSG SozR 3100 § 30 Nr 72 und Nr 67 unter Verweis auf BSGE 37, 80, 87). Die Prüfung dieses Ursachenzusammenhangs wird bei altersbedingtem, aber vorzeitigem Ausscheiden durch § 8 Satz 3 BSchAV in Überstimmung mit § 30 Abs 6 BVG besonders geregelt. Die Prüfung ergibt für den vorliegenden Fall, daß der Berufsschadensausgleich des Klägers aus der Differenz zwischen dem vollen - nicht um 25 vH geminderten - Vergleichseinkommen und dem tatsächlich bezogenen Altersruhegeld zu berechnen ist.
Das Gesetz ordnet in § 30 Abs 6 Satz 1 letzter Halbs BVG ausdrücklich an, daß Arbeitslosigkeit und altersbedingtes Ausscheiden nicht als Nachschaden gelten. Das bedeutet, daß zwei einschneidende Veränderungen des Berufsweges, die typischerweise auf komplexe Ursachen zurückgehen, keine genauere Abgrenzung der schädigungsbedingten und der schädigungsunabhängigen Faktoren erfordern. Sie gelten grundsätzlich nicht als Nachschaden, also nicht als im wesentlichen nachträglich durch schädigungsunabhängige Einwirkungen verursacht. Trotz altersbedingten Ausscheidens aus dem Beruf ist nicht auf ein fiktives Durchschnittseinkommen der für den Beschädigten maßgeblichen Berufs- oder Wirtschaftsgruppe zurückzugreifen, sondern das tatsächliche Renteneinkommen, statt des früher erzielten Erwerbseinkommens zu berücksichtigen.
Hieraus folgt allerdings noch nicht für alle Fälle, wie der Berufsschadensausgleich bei altersbedingtem Ausscheiden aus dem Beruf zu berechnen ist. Denn damit wird zunächst nur das maßgebliche Bruttoeinkommen, nicht das dem gegenüberzustellende Vergleichseinkommen festgelegt. Außerdem sieht das Gesetz einen besonderen Rentner-Berufsschadensausgleich vor, wenn die Rente durch schädigungsbedingt verminderte Rentenversicherungsbeiträge ermäßigt ist (BSG SozR 3100 § 30 Nr 67) und vor Rentenbeginn kein Berufsschadensausgleich bezogen worden ist (vgl BSGE 62, 1, 3, 4 = SozR 3100 § 30 Nr 69 und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 24. November 1988 - 9 RV 3/88 -).
Da der Kläger im vorliegenden Fall schon vor Rentenbeginn Berufsschadensausgleich bezogen hat, wird sein Berufsschaden als Rentner pauschal durch die Differenz zwischen Vergleichseinkommen und tatsächlicher - hier geminderter - Rente ermittelt. Im Regelfall ist dann das Vergleichseinkommen nach § 8 Satz 1 Nrn 1 und 2 BSchAV um 25 vH zu kürzen. Diese pauschalierte Entwicklung des ohne die Schädigung erzielten Erwerbseinkommens entspricht dem regelmäßigen Verlauf bei Erwerbstätigen. Der derart bedingte Einkommensverlust ist erfahrungsgemäß nicht auf die Schädigung ursächlich zurückzuführen.
Anderes kann aber bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gelten, wenn neben der Altersgrenze die schädigungsbedingte Schwerbehinderteneigenschaft zum vorzeitigen Rentenbezug führt. Ob das Vergleichseinkommen dann unverändert bleibt oder um 25 vH ermäßigt wird, hängt nach § 8 Satz 3 BSchAV davon ab, ob der Beschädigte glaubhaft machen kann, daß er ohne die Schädigung noch arbeiten würde. Damit schließt die Vorschrift an die Fälle des Ausscheidens aus gesundheitlichen Gründen an, wenn die Schädigung wenigstens gleichwertige Mitbedingung des wirtschaftlichen Schadens, also des vorzeitigen Rentenbezugs ist (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 72 mwN). Solche weiteren - wirtschaftlichen - Folgen einer Schädigung sind nach der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung nur feststellbar, wenn gesundheitliche Gründe für die Berufsaufgabe maßgebend sind, der Beschädigte also wegen der Schädigung berufs- oder erwerbsunfähig wird und die Renten nach §§ 1246, 1247 RVO bezieht oder stattdessen aus eben diesem Grund eine Altersgrenze des § 1248 Abs 1 RVO in Anspruch nimmt (vgl zum vorzeitigen Ruhestand bei Beamten BSGE 37, 80 = SozR 3100 § 30 Nr 1)
Eine Ursachenprüfung nach diesem Maßstab versagt aber, wenn aus sonstigen Gründen besondere Altersgrenzen für den vorzeitigen Rentenbezug in Anspruch genommen werden. Hier wirken beim Beschädigten selbst, aber auch bei seinem Arbeitgeber, viele Umstände zusammen, äußere und innere, individuelle und gesellschaftliche. Den Anteil der Schädigung an diesem Motivbündel festzulegen, würden Verwaltungsbehörde und Gerichte überfordern.
Der Verordnungsgeber mußte daher in Übereinstimmung mit § 30 Abs 6 BVG nicht nur beim derzeitigen Bruttoeinkommen in § 9 Abs 7 Satz 3 BSchAV, sondern auch bei der Festlegung des maßgeblichen Vergleichseinkommens in Betracht ziehen, daß die Inanspruchnahme einer Altersgrenze mit der Schädigung im Zusammenhang stehen kann aber nicht muß. Zugleich waren die Schwierigkeiten bei der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs möglichst gering zu halten. Das ist mit § 8 Satz 3 BSchAV geschehen. Der Beschädigte muß nur glaubhaft machen, er wäre ohne die Schädigung noch tätig. Kann er das, so genügt dies für den erforderlichen Zusammenhang, schließt zugleich jede Begünstigung unverständiger Motive aus und hindert einen Leistungsmißbrauch. Glaubhaft, daß ohne die Schädigung die Erwerbstätigkeit nicht aufgegeben worden wäre, ist es immer, wenn ohne die Schädigung ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben keinen Rentenanspruch ausgelöst hätte. So ist es hier. Dem angefochtenen Urteil ist darin beizupflichten , daß es keinen Anhalt dafür gibt, daß der Kläger seine Erwerbstätigkeit vorzeitig beendet hätte, wenn er nicht zugleich Rentenbezieher geworden wäre. Ohne die schädigungsbedingte Schwerbehinderung würde er noch arbeiten.
Wenn der Beklagte demgegenüber meint, entgegen dem Wortlaut des § 8 Satz 3 BSchAV sei vom Beschädigten nicht nur glaubhaft zu machen, daß er ohne die Schädigung noch erwerbstätig wäre, sondern daß die Schädigung die Berufsaufgabe veranlaßt habe, so beruht dies auf der unzutreffenden Vorstellung, auch beim altersbedingten Ausscheiden müsse der Übergang von Erwerbs- zu Erwerbsersatzeinkommen als mittelbare Schädigungsfolge nachgewiesen, wahrscheinlich oder mindestens glaubhaft gemacht werden. Dies ist nach der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes in § 30 Abs 6 BVG gerade nicht erforderlich.
Im übrigen hat der Senat in einer früheren Entscheidung (BSG SozR 3642 § 8 Nr 3) die Höhe des Vergleichseinkommens nicht vom derzeitigen Beruf, sondern davon abhängig gemacht, ob der ursprüngliche Beruf über das Erreichen der Altersgrenze hinaus fortgesetzt worden wäre. Dieser Gesichtspunkt wird nach Vollendung des 63. Lebensjahres der Prüfung zugrunde zu legen sein, wenn sich erneut die Frage stellt, ob nunmehr die vom Beklagten schon bei Vollendung des 60. Lebensjahres zu Unrecht vorgenommene Kürzung des Vergleichseinkommens einsetzen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen