Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Orientierungssatz
Zur unzureichenden medizinischen Sachaufklärung, wenn der Kläger im Ausland wohnt und aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Deutschland zu einer Untersuchung durch einen Sachverständigen reisen kann.
Normenkette
SGG § 103 S. 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 26.06.1986; Aktenzeichen L-5/V-498/84) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 20.12.1983; Aktenzeichen S-12/V-554/83) |
Tatbestand
Nachdem der Kläger erfolglos Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ua wegen der Folgen einer im deutschen Wehrdienst erlittenen Pleuritis exsudativa beantragt hatte (Bescheid vom 10. Dezember 1981, Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1982), begehrte er im Januar 1983 die Überprüfung der getroffenen Entscheidungen wegen einer Verschlimmerung. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 10. März 1983, Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1983). Nach Klageabweisung (Urteil vom 20. Dezember 1983) hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten verurteilt, "Rippenfellveränderungen nach abgelaufener nasser Rippenfellentzündung (Pleuritis exsudativa)" als Schädigungsfolge anzuerkennen; es hat die weitergehende, auf Rentengewährung gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1986). Das Gericht hält die Verwaltung für verpflichtet, nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) die bezeichnete Schädigungsfolge anzuerkennen. Der Kläger sei als Soldat 1944 an einer nassen Rippenfellentzündung erkrankt und leide noch jetzt an der bezeichneten Folge. Allerdings betrage die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) lediglich 10 vH, erreiche also keinen rentenberechtigenden Grad. Die chronische Bronchitis des Klägers sei keine sekundäre Folge des Pleuritis. Erstens müßten andere Einwirkungen im Zivilleben (Zigarettenrauchen usw) ausgeschlossen und zweitens müßten Brückensymptome nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft nachgewiesen sein. Daran fehle es. Außerdem habe der Kläger durch seine Ablehnung, sich im Bundesgebiet untersuchen zu lassen, erforderliche weitere Untersuchungen verhindert.
Der Kläger rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision als Verfahrensmangel, daß das LSG die Sache nicht gemäß seiner Beweisanregung aufgeklärt habe. Das Gericht hätte die eingereichten Beweismittel, insbesondere das Röntgenbild und Behandlungsbescheinigung, fachlich auswerten und, falls der Kläger sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in Deutschland für eine Begutachtung untersuchen lassen könnte, seine Gesundheitsstörungen vor allem durch eine Lungenfunktionsprüfung in seiner Heimat genau ermitteln und die Ergebnisse von einem deutschen Sachverständigen begutachten lassen müssen.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Urteils des LSG sowie Aufhebung der Entscheidungen des SG und des Beklagten den Beklagten zu verurteilen, zusätzlich eine chronische Bronchitis als Schädigungsfolge nach dem BVG anzuerkennen und dem Kläger Beschädigtenrente gemäß einer entsprechenden MdE zu gewähren, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält aufgrund einer versorgungsärztlichen Auswertung des vom Kläger eingereichten Röntgenbildes und einer im Revisionsverfahren nachgereichten Röntgenaufnahme das Begehren für aussichtslos.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die auf Versorgung wegen eines Lungenleidens beschränkte Revision des Klägers hat Erfolg. Das angefochtene Berufungsurteil ist aufzuheben, soweit es diesen Versorgungsanspruch betrifft, und der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen.
Das Urteil enthält keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen für die Beurteilung des geltend gemachten Rentenanspruches. Es beruht auf dem Verfahrensmangel einer unzureichenden Sachaufklärung (§ 103 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das LSG hätte, veranlaßt durch die Beweisanregung des Klägers, weitere Beweise erheben müssen, um darüber entscheiden zu können, ob sich die Schädigungsfolgen im Lungenbereich beim Kläger (§ 1 Abs 1 und 3 Satz 1 BVG) wesentlich verschlimmert haben (§ 48 SGB X) oder von vornherein unrichtig beurteilt worden sind (§ 44 SGB X) und ob sie infolgedessen - über die Anerkennung der Rippenfellveränderungen nach nasser Rippenfellentzündung hinaus - nunmehr die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 25 vH mindern und dadurch einen Rentenanspruch begründen (§§ 7, 64 Abs 2, § 30 Abs 1 und 2, § 31 Abs 1 und 2 BVG). Die vom Kläger im Berufungsverfahren nachgereichten Beweismittel, eine Bescheinigung des Hauses der Gesundheit P vom 14. März 1984 und ein Röntgenbild, hätten auf jene Anspruchsvoraussetzungen hin durch einen medizinischen Sachverständigen beurteilt werden müssen. Das LSG ist aber in seiner Urteilsbegründung nicht auf die Bedeutung dieser Erkenntnismittel für den geltend gemachten Versorgungsanspruch eingegangen. Außerdem durfte das Gericht eine weitere Begutachtung nicht deshalb schlechthin ablehnen, weil der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Deutschland zu einer Untersuchung durch einen Sachverständigen reisen kann. Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht die erreichbaren Erkenntnismittel ausschöpfen, ua auch aufgrund eines sachkundig formulierten Auftrages in der Heimat des Klägers eine Lungenfunktionsprüfung vornehmen sowie anschließend das gesamte Beweismaterial durch einen deutschen Sachverständigen nach Aktenlage auswerten lassen müssen (ständige Rechtsprechung des BSG, zB SozR Nrn 43 und 55 zu § 103 SGG; vgl für das Verwaltungsverfahren: § 65 Abs 1 Nr 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB I). Soweit es um die zusätzliche Versorgung wegen einer Bronchitis geht, müßte aufgrund der Bescheinigung über laufende Behandlungen seit 1945 zuvor versucht werden, weitere Beweise über Brückensymptome zu erheben.
Das Berufungsurteil beruht auf dem bezeichneten Verfahrensfehler. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das LSG aufgrund der gebotenen, aber unterlassenen Sachaufklärung zugunsten des Klägers entschieden hätte.
Das Berufungsgericht hat nunmehr die erforderlichen Beweiserhebungen nachzuholen. Nach der Zurückverweisung der Sache sind auch die im Revisionsverfahren vom Kläger nachgereichten Beweismittel in die Beurteilung einzubeziehen, insbesondere das Röntgenbild vom 31. Dezember 1987. Die versorgungsärztliche Stellungnahme zu diesen Beweismitteln, die der Beklagte während des Revisionsverfahrens eingereicht hat, steht der Zurückverweisung nicht entgegen. Das Revisionsgericht kann die Beweismittel, die im übrigen noch nicht vollständig sind, nicht selbst würdigen.
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen