Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Krankengeld ruht nach RVO § 216 Abs 3 auch dann, wenn der Versicherte minderjährig oder geschäftsunfähig ist, aber einen gesetzlichen Vertreter hat, der die Meldung der Arbeitsunfähigkeit hätte erstatten können. Das gleiche gilt, wenn der Versicherte, sein gesetzlicher Vertreter oder die Sozialhilfeträger, der für den von ihm unterstützen Versicherten die Meldung erstattet hat, an ihrer rechtzeitigen Erstattung ohne Verschulden verhindert war.
Leitsatz (redaktionell)
Ersatzanspruch nach RVO § 1531 bei Ruhen des Krankengeldes:
Für die Zeit, in der der Anspruch auf Krankengeld nach RVO § 216 Abs 3 ruht, kann auch der Sozialhilfeträger insoweit keinen Ersatz nach RVO § 1531 beanspruchen.
Normenkette
RVO § 216 Abs. 3 Fassung: 1930-07-26, § 1531 Fassung: 1931-06-05
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Januar 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse noch Ersatz der Leistungen, die er für den Friseurgehilfen Lothar J (J.) für die Zeit vom 3. Mai bis 24. August 1965 aufgewendet hat.
Der 1946 geborene J. war pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Vom 19. März 1965 bis 2. Mai 1965 bezog er wegen eines "akuten psychischen Erschöpfungszustands" Krankengeld. Am 10. April 1965 schied er aus seinem Arbeitsverhältnis aus. Der behandelnde Arzt stellte in einem Bericht vom 27. April 1965 seine Arbeitsfähigkeit ab 3. Mai 1965 fest; J. nahm jedoch eine neue, vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeit "aus psychischem Unvermögen" nicht auf. Am 20. Juli 1965 erfuhr das Sozialamt von seiner Erkrankung und stellte ihn am 4. August 1965 dem Gesundheitsamt zur Untersuchung vor.
Der untersuchende Arzt hielt ihn für arbeitsunfähig und eine weitere nervenärztliche Behandlung für erforderlich. Mit Schreiben des Sozialamts vom 23. August 1965 - bei der Beklagten eingegangen am 25. August 1965 - wurde die Beklagte um Zahlung von Krankengeld für die Zeit ab 3. Mai 1965 gebeten. Im Februar 1966 bestätigte der behandelnde Arzt dem Sozialamt auf Anfrage, daß die Nervenerkrankung des J. über den 2. Mai 1965 hinaus fortbestanden habe und J. aus diesem Grunde arbeitsunfähig gewesen sei.
Der Kläger hat für die Zeit vom 3. Mai 1965 bis 15. September 1966 für J. insgesamt 2.250,55 DM Sozialhilfe gezahlt, nachdem die Beklagte die Zahlung von Krankengeld über den 2. Mai 1965 hinaus abgelehnt hatte: J. sei vom behandelnden Arzt ab 3. Mai 1965 arbeitsfähig geschrieben worden, den späteren "Widerruf" des Arztes könne sie nicht anerkennen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) den Ersatzanspruch des Klägers für die Zeit vom 25. August 1965 bis 15. September 1966 anerkannt; für die Zeit vom 3. Mai bis 24. August 1965 hat es dem Kläger dagegen keinen Ersatz zugesprochen: J. sei zwar auch in dieser Zeit arbeitsunfähig krank gewesen, sein Anspruch auf Krankengeld habe jedoch geruht, weil die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit der Beklagten nicht gemeldet gewesen sei (§ 216 Abs. 3 RVO). Da der Beklagten seinerzeit nur die Bescheinigung des behandelnden Arztes vom 27. April 1965 vorgelegen habe, nach der J. ab 3. Mai 1965 wieder arbeitsfähig gewesen sei, hätte der Beklagten mitgeteilt werden müssen, daß in Wirklichkeit die Arbeitsunfähigkeit über den 2. Mai 1965 hinaus fortbestanden habe. Erst durch das bei der Beklagten am 25. August 1965 eingegangene Schreiben des Sozialamts vom 23. August 1965 sei die Meldung der weiteren Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Soweit hiernach der Anspruch des J. auf Krankengeld geruht habe (vom 3. Mai bis 24. August 1965), bestehe auch kein Ersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte (Urteil vom 25. Januar 1972).
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung des § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das Ruhen des Krankengeldanspruches des J. könne sich nicht auf den Ersatzanspruch des Klägers auswirken, da der Ersatzanspruch ein originärer, von dem Anspruch des Versicherten unabhängiger Anspruch sei. Nach § 1531 RVO genüge es, wenn der Anspruch des Versicherten, wie hier, dem Grunde nach bestehe. Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Januar 1972 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Ersatz seiner Aufwendungen an Sozialhilfe für den Friseurgehilfen Lothar Jung auch für die Zeit vom 3. Mai 1965 bis 24. August 1965 zu zahlen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Januar 1972 zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Ihm steht für die noch streitige Zeit kein Ersatzanspruch gegen die beklagte Krankenkasse zu.
Nach § 1531 Abs. 1 RVO, der hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, kann der Sozialhilfeträger, der einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit unterstützt hat, für die dieser einen Anspruch gegen einen Versicherungsträger hatte oder noch hat, bis zur Höhe des versicherungsrechtlichen Anspruchs Ersatz verlangen. Der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers hängt mithin, obwohl sein Anspruch neu (originär) entsteht und nicht auf einer Rechtsnachfolge im Verhältnis zum Versicherten beruht, nach Grund und Höhe von einem Anspruch des Versicherten ab. Der Versicherungsträger muß zur Erfüllung dieses Anspruchs auch verpflichtet sein, insbesondere darf der Anspruch nicht ruhen. Andernfalls könnte der Versicherungsträger zwar gegenüber dem Versicherten die Leistung verweigern, müßte aber dem Sozialhilfeträger, der den Versicherten während der Ruhenszeit unterstützt hat, Ersatz leisten. Die mit dem Ruhen des Anspruchs bezweckte wirtschaftliche Entlastung des Versicherungsträgers würde also nicht eintreten.
Im vorliegenden Fall hat der Krankengeldanspruch des Versicherten J. während der fraglichen Zeit (3. Mai bis 24. August 1965) geruht, obwohl J. nach Feststellung des LSG damals arbeitsunfähig war. Nach § 216 Abs. 3 Satz 1 RVO ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Kasse nicht gemeldet wird. Der Beklagten ist die (fortbestehende) Arbeitsunfähigkeit des J. während der genannten Zeit nicht gemeldet worden. Ihr lag vielmehr nur eine Mitteilung des behandelnden Arztes vom 27. April 1965 vor, daß J. ab 3. Mai 1965 wieder arbeitsfähig sei. Die Beklagte hatte deshalb keinen Anlaß, irgendwelche Maßnahmen zur Überwachung einer Arbeitsunfähigkeit des J. zu treffen (vgl. § 369 b RVO idF, die bis zum Ende des Jahres 1969 galt). Die in § 216 Abs. 3 RVO vorgesehene Meldepflicht dient aber gerade dazu, der Krankenkasse in den erforderlichen Fällen eine Überwachung der Arbeitsunfähigkeit zu ermöglichen: Unterbleibt die Meldung, so wird sich für die zurückliegende Zeit häufig nicht mehr klären lassen, ob Arbeitsunfähigkeit bestand oder nicht; mindestens könnte die Krankenkasse gegenüber einer verspätet vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes Beweisschwierigkeiten haben. Um die Kasse und damit die Versichertengemeinschaft vor diesen Nachteilen zu schützen, ruht nach § 216 Abs. 3 RVO grundsätzlich - von gewissen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - der Anspruch auf Krankengeld, solange der Kasse eine Meldung der Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegt (vgl. BSG 29, 271, 273).
Das gilt auch, wenn der Versicherte minderjährig oder geschäftsunfähig ist, aber - wie im vorliegenden Fall der Versicherte J. - einen gesetzlichen Vertreter hat, der die Meldung der Arbeitsunfähigkeit hätte erstatten können. Wie in anderen Rechtsbeziehungen hat der gesetzliche Vertreter auch im Bereich der Sozialversicherung die Verpflichtungen und Obliegenheiten des von ihm Vertretenen zu erfüllen, sofern sie nicht ihrer Natur nach nur von dem Versicherten selbst erfüllt werden können. Das trifft für die dem Versicherten obliegende Meldung der Arbeitsunfähigkeit nicht zu. Minderjährigkeit oder Geschäftsunfähigkeit eines - gesetzlich vertretenen - Versicherten schließt deshalb das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 216 Abs. 3 RVO nicht aus (vgl. BSG 25, 76 und 26, 111).
Das gleiche gilt, wenn der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter ohne Verschulden verhindert war, die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig zu melden. Entschieden hat dies der Senat - in Abweichung von der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamtes (so zuletzt EuM Bd. 46, 284) - schon für den Fall, daß der Versicherte die Meldung fristgemäß zur Post gegeben hatte und sie dort verloren gegangen war: Selbst wenn der Versicherte, von dem Verlust in Kenntnis gesetzt, die Meldung unverzüglich wiederholt, ruht sein Krankengeldanspruch, bis die neue Meldung bei der Kasse eingeht (vgl. BSG 29, 271 mit näherer Begründung). Entsprechend kann sich der Sozialhilfeträger, der für einen von ihm unterstützten Versicherten die Meldung der Arbeitsunfähigkeit erstattet hat, nicht darauf berufen, er habe die Meldung nicht früher erstatten können, weil er vorher nichts von der Arbeitsunfähigkeit des Unterstützten gewußt habe (anders noch RVA in AN 1938 S. IV 47). Auch der Sozialhilfeträger kann mithin Ersatz nach § 1531 RVO grundsätzlich nur für die Zeit seit Eingang der Meldung bei der Kasse verlangen.
Da die beklagte Krankenkasse hier erst durch das Schreiben des Sozialamts vom 23. August 1965 von der weiteren Arbeitsunfähigkeit des J. in Kenntnis gesetzt worden ist, hat das LSG dem Kläger für die noch streitige Zeit mit Recht einen Ersatzanspruch versagt. Seine Revision ist unbegründet. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen