Leitsatz (amtlich)

Auch bei Angestellten ohne akademische Ausbildung, jedenfalls soweit sie im Bereich der gewerblichen Wirtschaft tätig sind, kann bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für eine Einordnung in die Leistungsgruppe 1 der Anl 1 Buchst B zu FRG § 22 aus einer deutlich hervorgehobenen beruflichen Position auf das Vorliegen besonders hoher beruflicher Erfahrungen schon vor Vollendung des 45. Lebensjahres geschlossen werden (Anschluß an und Fortführung von BSG 1975-01-29 11 RA 208/73 = BSGE 39, 95, BSG 1975-10-23 11 RA 222/74 = BSGE 40, 284, BSG 1976-09-14 11 RA 120/75 = Praxis 1977, 91).

 

Normenkette

FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 04.11.1977; Aktenzeichen L 1 An 67/76)

SG Berlin (Entscheidung vom 29.01.1976; Aktenzeichen S 3 An 3815/72)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 4. November 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Bewertung von Versicherungszeiten bei der Berechnung eines Altersruhegeldes.

Der im Jahre 1904 geborene Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Nach dem Besuch des Gymnasiums und der Absolvierung einer Banklehre war er ab 1. April 1924 bei der O B werke AG E tätig. Zunächst wurde er als Korrespondent oder Kontorist in der in Berlin befindlichen Verkaufsabteilung und sodann als Vertreter in der Stadtsektion Berlin beschäftigt. Am 1. Oktober 1926 wurde er zum Instrukteur für die Verkaufsgebiete Süd- und Norddeutschland und später zum Geschäftsführer der damals unabhängigen Filiale in Dresden bestellt. Vom 1. Oktober 1930 an war er Geschäftsführer und einziges Vorstandsmitglied der O B AG in P Hierbei handelte es sich um eine selbständige Vertriebsgesellschaft, deren alleiniger Aktionär die O AG in E war. Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers endete auf Betreiben der nationalsozialistischen Machthaber mit Ablauf des 31. Dezember 1938. In der Folgezeit war der Kläger in der Tschechoslowakei als Waldarbeiter beschäftigt. Von 1943 bis 1945 war er in Konzentrationslagern inhaftiert. Ab April 1945 bis zu seiner Auswanderung in die Vereinigten Staaten leitete er wiederum die O AG in P, die jedoch in wesentlichen Teilen abgebaut wurde und nur noch einen Reparaturbetrieb unterhielt.

Mit Bescheid vom 21. August 1972 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 1. September 1969 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage berechnete sie das Altersruhegeld aufgrund des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I 1846) für die Bezugszeit ab 1. Februar 1971 neu. In beiden Bescheiden wurde die Zeit von 1930 bis 1938 nicht als Versicherungszeit berücksichtigt.

Der Kläger erhob deswegen Klage. Im Verlaufe des Verfahrens nahm die Beklagte durch zwei Bescheide vom 22. Mai 1973 eine Neuberechnung des Altersruhegeldes vor. Hierbei berücksichtigte sie den Zeitraum vom 1. Oktober 1930 bis 31. Dezember 1938 als glaubhaft gemachte, die Zeiten vom 1. Januar bis 13. Mai 1940, vom 1. Januar bis 23. Mai 1941 sowie vom 23. Juni bis 28. August 1942 als nachgewiesene tschechoslowakische Beitragszeiten und die übrigen Zeiten zwischen dem 1. Januar 1939 bis zum 30. April 1945 als Ersatzzeiten. Die Beitragszeiten und die Ersatzzeiten, soweit sie als verfolgungsbedingt angesehen wurden, wurden der Leistungsgruppe (LG) B 2 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) zugeordnet. Ebenso verfuhr die Beklagte bei den durch eine Beitragsnachentrichtung veranlaßten Neufeststellungen des Altersruhegeldes durch die Bescheide vom 26. Juli 1974 und vom 21. März 1975. Demgegenüber begehrte der Kläger eine Einordnung der Zeiten in die LG B 1.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung des dem Kläger gewährten Altersruhegeldes die in der Zeit vom 1. September 1934 bis 31. Oktober 1947 anerkannten Beitrags- und Ersatzzeiten mit Werten der Leistungsgruppe 1 der Anlage 1 B zu § 22 FRG zu bewerten (Urteil vom 29. Januar 1976). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat auf die Berufung der Beklagten die Klage insoweit abgewiesen, als der Kläger eine günstigere Bewertung der anerkannten Beitragszeiten vom 1. Mai 1945 bis zum 31. Oktober 1947 begehrt hat. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 4. November 1977). Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beschäftigung des Klägers als leitender Geschäftsführer der O AG in … von September 1934 bis Ende 1938 sei mit den Werten der LG 1 der Anlage 1 B zu § 22 FRG zu bewerten. Die weitgehende Dispositionsbefugnis des Klägers als des alleinigen Geschäftsführers einer Aktiengesellschaft habe deutlich die eingeschränkte Dispositionsbefugnis der LG B 2 überschritten. Der Tätigkeit des Klägers sei auch jedenfalls in der Zeit ab September 1934, nachdem die Gründungsphase der Gesellschaft habe als abgeschlossen angesehen werden können, eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zugekommen. Die Gesellschaft sei für den gesamten Vertrieb eines großen deutschen Industrieunternehmens in der Tschechoslowakei zuständig gewesen. Dem Kläger hätten ein Prokurist und mindestens 30 Festangestellte sowie eine Vielzahl sonstiger Personen in der Zentrale der Gesellschaft und in den Filialen in allen größeren Städten der Tschechei unterstanden. Er habe auch ein besonders hohes Maß an Erfahrungen aufgewiesen. Das Lebensalter könne hierfür nicht mehr als einen Anhaltspunkt bieten. Ebenso könne nicht allein die Absolvierung einer Hochschulausbildung das entscheidende Kriterium sein. Als entscheidend sei anzusehen, ob die Erfahrungen ein so hohes Maß erreichten, daß sie zur Ausübung einer entsprechend qualifizierten Beschäftigung befähigten, ob sie also im konkreten Einzelfall ausreichten, um den Angestellten schon vor seinem 45. Lebensjahr zu befähigen, eine berufliche Position auszufüllen, die sich aus den allgemeinen Positionen seiner Berufskollegen deutlich heraushebe. Eine solche Position habe der Kläger schon mit einem Lebensalter von 30 Jahren erreicht. Es müsse daher angenommen werden, daß ihm die vorherigen Berufsjahre insbesondere bei den O-Werken besondere Erfahrungen für diese Tätigkeit vermittelt hätten, zumal ihm der Arbeitgeber bei Beendigung der Tätigkeit "unübertreffliche Erfolge" bescheinigt habe. Eine schematische Betrachtungsweise etwa nach der Dauer der Berufstätigkeit sei vom Gesetz nicht gedeckt. Auch bei der Bewertung der Beitrags- und Ersatzzeiten zwischen 1939 und April 1945 sei eine Einstufung in die LG B 1 gerechtfertigt. Für die Zeit ab Mai 1945 gelte dies hingegen nicht, weil die Aufsichts- und Dispositionsbefugnis des Klägers sich nicht mehr in einem Rahmen abgespielt habe, dem erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zugekommen sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 22 FRG. Das LSG habe zu Unrecht die Beschäftigung des Klägers als leitender Geschäftsführer der O S AG in P von September 1934 an mit den Werten der LG B 1 bewertet. Es habe im Ergebnis ausschließlich aus der vom Kläger erreichten "deutlich herausgehobenen" beruflichen Position die Schlußfolgerung gezogen, daß er das für die LG B 1 erforderliche "hohe Maß an beruflichen Erfahrungen" besessen habe. Mit dieser Schlußfolgerung habe das LSG das Merkmal der besonders hohen beruflichen Erfahrungen durch das Merkmal besonders herausragender beruflicher Leistungen kompensiert oder ersetzt. Dadurch sei es von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen, nach der die übrigen für eine Einstufung in die LG B 1 maßgebenden Beschäftigungsmerkmale den Mangel der besonderen beruflichen Erfahrungen nicht ausgleichen könnten und allein Befähigung und Können noch nicht die erforderliche Voraussetzung hoher beruflicher Erfahrungen erfüllten. Der Kläger habe eine besonders qualifizierte Ausbildung wie zB eine abgeschlossene Hochschulausbildung nicht durchlaufen, deswegen nicht schon in kürzerer Zeit Erfahrungen sammeln und ebensowenig bis zum Ende des Jahres 1938 ein besonders hohes Maß an beruflicher Erfahrung erreichen können. Damit entfalle die Möglichkeit, die Zeit von September 1934 bis Ende 1938 der LG B 1 zuzuordnen. Dasselbe gelte dann für die Bewertung der nachfolgenden Zeit bis April 1945.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 1976 insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, die Zeit vom 1. September 1934 bis April 1945 der Leistungsgruppe B 1 zuzuordnen, und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, das angefochtene Urteil widerspreche nicht der Rechtsprechung des BSG. Das LSG habe seine Ansicht, daß er - Kläger - ein besonders hohes Maß beruflicher Erfahrungen besessen habe, auch auf eine Darstellung und Würdigung seines gesamten beruflichen Werdeganges gestützt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erteilt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch nachträgliche Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist, nachdem allein die Beklagte Revision eingelegt hat, die Bewertung der Beitrags- und Ersatzzeiten während des Zeitraums vom 1. September 1934 bis zum 30. April 1945. Rechtsgrundlagen hierfür sind § 22 Abs 1 FRG und § 13 Abs 1, § 14 Abs 1 WGSVG. Nach § 22 Abs 1 Satz 1 Buchst b) FRG werden, wenn Zeiten der in § 15 FRG genannten Art (Beitragszeiten bei nichtdeutschen Rentenversicherungen) als Versicherungszeiten angerechnet werden und der Rentenversicherung der Angestellten zuzuordnen sind, diesen Zeiten bestimmte Gehalts- oder Beitragsklassen bzw (für Zeiten ab 1. Juli 1942 an) bestimmte Bruttojahresarbeitsentgelte nach Maßgabe der Anlage 1 zu § 22 FRG zugrunde gelegt. Das gilt, sofern dies gegenüber einer Berechnung nach den allgemeinen Vorschriften für den Berechtigten günstiger ist, entsprechend für Verfolgungszeiten, wenn durch sie eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen oder beendet worden ist (§ 13 Abs 1 WGSVG) oder wenn der Verfolgte aus Verfolgungsgründen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ein geringeres Arbeitsentgelt als ein nicht verfolgter Versicherter erhalten hat (§ 14 Abs 1 WGSVG). Anlage 1 zu § 22 FRG enthält eine Definition der Leistungsgruppen. Danach gehören in der Rentenversicherung der Angestellten zur LG B 1 Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis. Die LG B 2 umfaßt insbesondere Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben.

Für die Einstufung in die LG B 1 ist zunächst maßgebend, daß die Angehörigen dieser Leistungsgruppe über die Angehörigen der LG B 2 herausragen müssen. Zwar setzt dies keine uneingeschränkte Aufsichts- und Dispositionsbefugnis voraus, weil eine gewisse Einschränkung dieser Befugnis zum Wesen jeder Arbeitnehmertätigkeit gehört. Jedoch muß bei den Angestellten der LG B 1 die Aufsichts- und Dispositionsbefugnis umfangreich gewesen sein; sie müssen in der Regel unternehmerische Funktionen jedenfalls hinsichtlich eines wesentlichen Teilbereichs des Unternehmens selbständig und eigenverantwortlich wahrgenommen haben. Überdies müssen sich die Tätigkeit des Angestellten in leitender Stellung und seine Aufsichts- und Dispositionsbefugnisse in einem Rahmen abgespielt haben, dem erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zugekommen ist. Hierfür sind in erster Linie die Größe und Bedeutung des Unternehmens maßgebend, in dem der Versicherte leitend tätig gewesen ist. Schließlich müssen, wie sich insbesondere aus einem Vergleich mit den Merkmalen der LG B 2 ergibt, auch als Voraussetzung für eine Einordnung in die LG B 1 besondere Erfahrungen in dem dem Angestellten übertragenen Tätigkeitsbereich vorhanden gewesen sein, die das Maß der für die LG B 2 geforderten besonderen Erfahrungen überschritten haben. Die hiernach erforderlichen Erfahrungen werden regelmäßig nicht vor der Erreichung des 45. Lebensjahres erworben worden sein. Allerdings können sie insbesondere aufgrund einer qualifizierten Ausbildung wie zB eines Hochschulstudiums auch schon vor der Erreichung dieses Alters vorgelegen haben. Vor allem akademisch ausgebildete Angestellte können das für die Einstufung in die LG B 1 geforderte hohe Maß an Erfahrungen schon vor Erreichen des 45. Lebensjahres besessen haben, wenn sie bereits vorher eine berufliche Position erreicht haben, die sich aus den allgemeinen Positionen ihrer Kollegen deutlich herausgehoben hat. Dies muß objektiv feststellbar und evident sein. Begabung, Befähigung, Fleiß und Können vermögen für sich allein die Voraussetzung hoher beruflicher Erfahrungen nicht zu ersetzen (vgl BSGE 24, 113, 114 f = SozR Nr 2 zu § 22 FRG; BSGE 39, 95, 97 = SozR 5050 § 22 Nr 1; BSGE 40, 284, 286 = SozR 5050 § 22 Nr 2; BSG SozR Nr 3 zu § 22 FRG und Nr 3 zu § 23 FRG; BSG Praxis 1971, 91; BSG DAngVers 1977, 297; Urteile vom 20. September 1973 - 11 RA 20/73 - und vom 24. November 1978 - 11 RA 9/78 -).

Das Berufungsgericht hat zu Recht für die hier allein noch streitige Zeit ab 1. September 1934 die Voraussetzungen einer Einordnung der Tätigkeit des Klägers in die LG B 1 als erfüllt angesehen.

Ohne Rechtsfehler ist es zunächst zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger eine umfassende Aufsichts- und Dispositionsbefugnis gehabt habe, wie sie für eine Zuordnung seiner Tätigkeit in die LG B 1 erforderlich ist. Zu diesem Ergebnis ist es aufgrund der Feststellungen gelangt, daß der Kläger alleiniger Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft gewesen ist und im Rahmen des geltenden Aktienrechts die Befugnis gehabt hat, alle Maßnahmen im Rahmen des üblichen Geschäftsablaufs zu entscheiden, wobei er lediglich gegenüber dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft und gegenüber der Mutterfirma in Fragen besonderer Bedeutung oder gemäß den Erfordernissen des Aktienrechts verantwortlich gewesen ist. Gegen diese Feststellungen hat die Beklagte Revisionsrügen nicht vorgebracht; sie sind daher für den Senat bindend (§ 163 SGG). Auf ihrer Grundlage ist die Schlußfolgerung, daß der Kläger eine für die Einordnung in die LG B 1 erforderliche umfassende Aufsichts- und Dispositionsbefugnis besessen hat, rechtlich nicht zu beanstanden.

Dasselbe gilt für die Auffassung des Berufungsgerichts, die Aufsichts- und Dispositionsbefugnis habe in einem Rahmen bestanden, dem erhebliche Bedeutung zukomme. Das LSG hat hierzu festgestellt, daß der Kläger alleiniger Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft und diese für den gesamten Vertrieb eines großen deutschen Industrieunternehmens in der Tschechoslowakei zuständig gewesen sei. Ihm hätten jedenfalls nach Abschluß der Gründungsphase der Gesellschaft ein Prokurist und 30 Festangestellte sowie eine Vielzahl sonstiger Personen in der Zentrale der Gesellschaft und in den Filialen aller größeren Städte der Tschechoslowakei unterstanden. Diese Feststellungen sind ebenfalls von der Beklagten nicht angegriffen worden und deshalb für den Senat bindend. Sie tragen das rechtliche Ergebnis, daß sich die Aufsichts- und Dispositionsbefugnis des Klägers in einem Rahmen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung abgespielt hat.

Das LSG hat schließlich rechtsfehlerfrei angenommen, daß der Kläger in der hier maßgeblichen Zeit ab 1. September 1934 das für die Ausübung seiner Tätigkeit erforderliche hohe Maß an beruflichen Erfahrungen besessen hat. Zunächst steht diese Annahme nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Zwar hat dieses wiederholt unterstrichen, daß Befähigung und Können allein noch nicht die Voraussetzung hoher beruflicher Erfahrungen erfüllen (vgl insbesondere BSGE 40, 284, 286 = SozR 5050 § 22 Nr 2). Der Senat teilt diese Auffassung. Das LSG hat jedoch nicht aus der Befähigung und dem Können des Klägers auf hohe berufliche Erfahrungen geschlossen. Es hat diese Schlußfolgerung vielmehr daraus gezogen, daß der Kläger schon im Lebensalter von 30 Jahren eine berufliche Position erreicht gehabt hat, die sich aus den allgemeinen Positionen gleichaltriger kaufmännischer Angestellter deutlich herausgehoben hat. Hiermit hat das LSG ersichtlich an die Urteile des BSG vom 29. Januar 1975 (BSGE 39, 95, 97 = SozR 5050 § 22 Nr 1), vom 23. Oktober 1975 (BSGE 40, 284, 286 = SozR 5050 § 22 Nr 2) und vom 14. September 1976 (Praxis 1977, 91) angeknüpft, wonach vor dem 45. Lebensjahr besondere Erfahrungen nur dann erworben sein können, wenn der Angestellte schon zuvor eine berufliche Position erreicht hat, die sich aus den allgemeinen Positionen seiner Berufskollegen deutlich heraushebt. Dies hat das BSG bislang allerdings nur für Angestellte mit akademischer Ausbildung ausgesprochen. Es bestehen jedoch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, auch bei Angestellten ohne eine solche Ausbildung bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für eine Einordnung in die LG B 1 aus einer deutlich hervorgehobenen beruflichen Position auf das Vorliegen der hierfür erforderlichen besonderen Erfahrungen zu schließen. Das gilt jedenfalls für Angestellte im Bereich der gewerblichen Wirtschaft. In diesem dem Wettbewerb und dem Konkurrenzdruck ausgesetzten Bereich sind hohe berufliche Erfahrungen regelmäßig essentielle Voraussetzung für die Übertragung einer der LG B 1 entsprechenden leitenden Tätigkeit. Für den Regelfall - Ausnahmen mögen beispielsweise in Familienunternehmen gelten - kann nicht angenommen werden, daß leitende Positionen mit Angestellten besetzt werden, die nicht das für eine wirtschaftlich erfolgreiche Ausübung ihrer leitenden Tätigkeit erforderliche besonders hohe Maß an Erfahrungen mitbringen. Allerdings kann nicht außer Betracht bleiben, daß berufliche Erfahrungen in erster Linie durch praktische Ausübung der jeweiligen beruflichen Tätigkeit erworben werden und ihr Ausmaß somit auch vom Lebensalter des Betreffenden abhängt. Das Lebensalter kann jedoch nicht mehr als eines von mehreren Indizien für das Vorliegen besonderer Erfahrungen sein. Ergeben sich diese bereits aus anderen Anhaltspunkten wie etwa aus der tatsächlichen Erreichung und Innehabung einer besonders hervorgehobenen beruflichen Position, so kann allein wegen eines relativen niedrigen Lebensalters des Versicherten das Vorhandensein besonders hoher beruflicher Erfahrungen nicht verneint werden. Das muß um so mehr gelten, als die Einordnung in die LG B 1 selbst nicht von einem bestimmten Lebensalter abhängig gemacht worden ist und im Rahmen der übrigen Leistungsgruppen die Berufsgruppenkataloge, nach denen die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe teilweise von der Erreichung eines bestimmten Lebensalters abhängig ist, gegenüber der einleitenden Definition der jeweiligen Leistungsgruppe den Nachrang haben, so daß bei Erfüllung der Merkmale der einleitenden Definitionen dem Lebensalter des Versicherten keine maßgebliche Bedeutung mehr beigemessen werden kann (vgl BSG SozR Nrn 6 und 7 zu § 22 FRG; BSGE 29, 181, 183 = SozR Nr 8 zu § 22 FRG).

Der Senat übersieht nicht, daß insbesondere bei Berücksichtigung des unausweichlichen Zwanges zur Schematisierung (vgl BSGE 40, 284, 286 = SozR 5050 § 22 Nr 2) das Vorliegen der für eine Einordnung in die LG B 1 erforderlichen besonders hohen beruflichen Erfahrungen bei Angestellten mit einem Lebensalter unter 45 Jahren nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann. Die Schematisierung darf jedoch nicht dazu führen, daß ein nachweisbar schon in jüngeren Lebensjahren erreichter ungewöhnlicher beruflicher Erfolg allein unter Hinweis auf das Lebensalter als nicht eingetreten angesehen wird. Der Kläger hat nach den Feststellungen des LSG einen solchen ungewöhnlichen Berufserfolg erzielt. Ihm ist bereits mit 26 Jahren die verantwortliche Leitung der - damals allerdings zunächst im Aufbau begriffenen - selbständigen ausländischen Vertriebsgesellschaft eines großen deutschen Industrieunternehmens übertragen worden. Speziell in dieser Tätigkeit hat er bis zum Beginn des hier noch allein streitigen Zeitraums (1. September 1934) vier weitere Jahre lang berufliche Erfahrungen sammeln können (zur Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts vgl Urteil des BSG vom 3. Februar 1977 - 11 RA 24/76 -). Diese haben ihrerseits zu den nach den Feststellungen des LSG vom Arbeitgeber bezeugten "unübertrefflichen Erfolgen" geführt. Auf der Grundlage dessen ist die Zuordnung der fremden Beitragszeit ab 1. September 1934 zur LG B 1 der Angestellten rechtlich nicht zu beanstanden.

Dasselbe gilt dann aber auch für die während des Zeitraums vom 1. Januar 1939 bis zum 30. April 1945 zurückgelegten Ersatzzeiten der Verfolgung und anerkannten fremden Beitragszeiten mit verfolgungsbedingtem Minderverdienst.

Die Revision der Beklagten erweist sich somit als unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1654841

BSGE, 58

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