Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz eines Unternehmers bei Tätigkeiten, die sowohl seinem eigenen als auch einem anderen Unternehmen dienen. Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO für Unternehmer
Orientierungssatz
Verrichtet ein Unternehmer Tätigkeiten für sein eigenes Unternehmen, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören, so wird er ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig, auch wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient (vgl BSG 1967-12-14 2 RU 1/65 = BSGE 27, 233). Daher ist ein Mieter, der auf dem Grundstück des Vermieters auch im Interesse seiner eigenen Haushaltung einen Baum fällt, nicht nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfall versichert.
Normenkette
RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Tatbestand
Der bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versicherte Monteur H S (S.) wohnte neben zwei anderen Mietparteien in einem der Erbengemeinschaft F gehörenden Haus in E. Am 20. April 1971 fällte er eine auf dem Grundstück dicht neben einem Holzschuppen stehende Linde; in dem Schuppen hielt S. zehn Kaninchen, eine andere Mietpartei lagerte darin Holz. Bei dem Zersägen der gefällten Linde prallte ein Teil des Stammes gegen das linke Bein des S., der dadurch einen Unterschenkelbruch erlitt. Die Klägerin wandte für die stationäre Behandlung des S., für Transportkosten und für Krankengeld insgesamt 7.081,73 DM auf. Der Beklagte hat durch Bescheid vom 9. Mai 1975 die Gewährung von Leistungen an S. abgelehnt, weil dieser nicht zu den bei ihm versicherten Personen gehöre.
Mit der bei dem Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten oder der Beigeladenen zur Zahlung von 7.081,73 DM begehrt. Das SG hat die Beigeladene zur Zahlung verurteilt, weil S. wie ein Hausbesorger für die Erbengemeinschaft F tätig gewesen und daher die Beigeladene der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger sei (Urteil vom 24. Februar 1977). Die Berufung der Beigeladenen hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen zurückgewiesen (Urteil vom 12. Juli 1978). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: S. habe zur Erbengemeinschaft F nicht in einem Beschäftigungsverhältnis iS des § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Jedoch sei er gemäß § 539 Abs 2 RVO wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherter tätig geworden. Das Fällen und die Verwertung des Baumes habe im Interesse der Erbengemeinschaft F gelegen, weil eine Beschädigung des Schuppens zu befürchten gewesen sei. S. sei wie ein Hausbesorger tätig gewesen. Auf die Revision der Beigeladenen hat das Bundessozialgericht (BSG) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil vom 26. März 1980 - 2 RU 69/78). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Das LSG habe nicht berücksichtigt, daß eine den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO begründende Tätigkeit unter Umständen geleistet werden m uß, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) ähnlich ist. Dies erfordere, daß durch sie ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen hergestellt werde. Vom LSG sei daher zu prüfen, ob S. bei dem Fällen des Baumes etwa im Rahmen seiner Haushaltung tätig geworden sei. Eine Tätigkeit des S. im Rahmen seiner eigenen Haushaltung wäre als unternehmerische Tätigkeit zu werten. Zwar könne auch ein Unternehmer wie ein Arbeitnehmer tätig werden. Dies sei jedoch nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgeschlossen, wenn der Unternehmer im Rahmen seines eigenen Unternehmens Tätigkeiten verrichtet, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören. In Beachtung dieser rechtlichen Gesichtspunkte hätte das LSG daher tatsächliche Feststellungen treffen müssen, ob das Fällen des Baumes nicht etwa auch der der Haushaltung des S. zuzurechnenden Kaninchenhaltung oder der Brennholzgewinnung diente. Insoweit habe das LSG nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG).
Das LSG hat die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des SG Hannover vom 24. Februar 1977 erneut zurückgewiesen (Urteil vom 22. Juli 1980). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Würdigung der Zeugenaussagen des S. und des Rentners F ergebe, daß S. den Baum sowohl im eigenen Interesse zum Schutz seiner Kaninchen, als auch im Interesse des Vermieters zur Verhinderung einer weiteren Beschädigung des Schuppens gefällt habe. Bei einer gemischten Tätigkeit dieser Art hänge der Unfallversicherungsschutz davon ab, ob die Verrichtung im Einzelfall betrieblichen Interessen wesentlich - nicht überwiegend - gedient habe. Da S. den Baum - auch - im Interesse der Hauseigentümer gefällt habe, sei er wie deren Hausbesorger tätig geworden. Er habe daher einen von der Beigeladenen zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten; der auf § 1504 RVO gestützte Ersatzanspruch der Klägerin sei somit begründet.
Durch Beschluß vom 11. Dezember 1980 (2 BU 137/80) hat das BSG die Revision zugelassen.
Die Beigeladene hat das Rechtsmittel eingelegt und sich zur Begründung auf ihre sachlich-rechtlichen Ausführungen im Beschwerdeverfahren bezogen.
Die Beigeladene beantragt,
unter Aufhebung bzw entsprechender Abänderung
des angefochtenen Urteils nach den Anträgen der
Vollmachtgeberschaft in der Vorinstanz, insbesondere
im Ergebnis auf Klageabweisung, hilfsweise auf Zurückverweisung
an die Vorinstanz zu erkennen.
Dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beklagte beantragt,
auf die Revision hin unter Aufhebung des Urteils
des SG Hannover vom 24. Februar 1977 die Klage
abzuweisen.
Er trägt vor, daß seine Zuständigkeit nicht in Betracht komme.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision der Beigeladenen ist begründet.
Der geltend gemachte Ersatzanspruch steht der Klägerin nicht zu.
Der Ersatzanspruch setzt nach § 1504 Abs 1 RVO voraus, daß der die Leistungspflicht der Klägerin auslösende Bruch des linken Unterschenkels des S. Folge eines Arbeitsunfalles ist, den ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung - der Beklagte oder die Beigeladene - zu entschädigen hat.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß S., als er den Baum fällte und zerteilte, zu der Erbengemeinschaft F nicht in einem den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung begründenden Beschäftigungsverhältnis iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gestanden hat. Der Kläger war aber auch nicht wie ein solcher Beschäftigter nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfall versichert.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die das BSG mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gebunden ist (§ 163 SGG), hat S. den Baum sowohl in seinem eigenen Interesse als auch im Interesse der Erbengemeinschaft F gefällt. Wie der erkennende Senat bereits in dem zurückverweisenden Urteil vom 26. März 1980 (aaO) zu erkennen gegeben hat, ist in diesem Fall die Tätigkeit des S. als eine im Rahmen seiner eigenen Haushaltung liegende unternehmerische Tätigkeit zu werten, die eine Versicherung nach § 539 Abs 2 RVO ausschließt (vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 2; Urteil vom 31. Mai 1978 - 2 RU 27/76 - unveröffentlicht). Denn eine nach § 539 Abs 2 RVO versicherte Tätigkeit erfordert, daß sie unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) ähnelt. Zwar kann auch ein Unternehmer wie ein Arbeitnehmer tätig werden. Verrichtet jedoch ein Unternehmer Tätigkeiten für sein eigenes Unternehmen, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören, so wird er ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig, auch wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient (BSG aaO; BSGE 5, 168, 174; 7, 195, 197; 27, 233, 235; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 476 h; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 100 Buchst b letzter Absatz; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl Kennzahl 302 S 1). Bei dem Fällen der Linde war S. auch zum Schutz seiner in dem neben der Linde stehenden Schuppen untergebrachten Kaninchen und damit für seine eigene Haushaltung tätig. Hierbei war er weder kraft Gesetzes noch kraft Satzung gegen Arbeitsunfall versichert (§ 543 Abs 1 RVO). Eine den Versicherungsschutz begründete gemischte Tätigkeit liegt in diesem Fall nicht vor.
Die vorinstanzlichen Urteile waren daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Eine Kostenentscheidung entfällt gemäß § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen