Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsausschluß. Rente für abgelaufenen Zeitraum. Rückforderung. aufgehobener Verwaltungsakt. Leistungen ohne Verwaltungsakt
Orientierungssatz
1. Im Revisionsverfahren ist von Amts wegen zu prüfen, ob die unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gegeben sind. Hierzu zählt auch die Zulässigkeit der Berufung (vgl BSG 23.4.1981 1 RA 25/80 = SozR 1500 § 146 Nr 12). Fehlt es an der Zulässigkeit der Berufung, soweit es sich um die Änderung eines Berufsunfähigkeitsrentenbescheides für einen bereits abgelaufenen Zeitraum handelt, ist die Berufung nach § 146 SGG ausgeschlossen.
2. Nach § 50 Abs 1 SGB 10 sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß ein Bescheid rechtswirksam aufgehoben worden ist. Fehlt es jedoch hieran, sind bereits erbrachte Leistungen nicht zu erstatten.
3. Sind Leistungen der Rentenversicherung aufgrund eines Rentenbescheids, also nicht ohne Verwaltungsakt iS von § 50 Abs 2 SGB 10 und nicht zu Unrecht erbracht worden, sind sie nicht zu erstatten ( vgl BSG 11.7.1985 5b RJ 80/84 = SozR 1500 § 146 Nr 19).
Normenkette
SGG § 146; SGB 10 § 50 Abs 1; SGB 10 § 50 Abs 2
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 30.05.1985; Aktenzeichen L 1 J 453/84) |
SG Wiesbaden (Entscheidung vom 01.02.1984; Aktenzeichen S 1 J 247/82) |
Tatbestand
Der Kläger bezieht von der Beklagten seit 1980 Rente wegen Berufsunfähigkeit, die ab 1. Februar 1982 in flexibles Altersruhegeld umgewandelt worden ist. In der Rentenbewilligung war darauf hingewiesen worden, daß der Bezug einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung wegen des Einflusses auf die Rentenhöhe dem Versicherungsträger mitzuteilen sei und bei Verletzung der Mitteilungspflicht überzahlte Beträge zurückgefordert würden.
Auf den Antrag des Klägers vom 9. Juni 1981 bewilligte ihm die Arbeitsverwaltung mit Bescheid vom 5. November 1981 ab Antragstellung Arbeitslosengeld (252,-- DM wöchentlich). Dies teilte der Kläger der Beklagten im gleichen Monat mit. Durch Bescheid vom 14. April 1982 änderte die Beklagte den dem Kläger Berufsunfähigkeitsrente bewilligenden Bescheid vom 23. September 1980, stellte gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) fest, wegen der Gewährung des Arbeitslosengeldes in der Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Januar 1982 habe die Rente wegen Berufsunfähigkeit insoweit nach § 1283 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geruht, und forderte den deshalb überzahlten Betrag von 5.384,20 DM gemäß § 50 SGB 10 zurück. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 1982).
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Wiesbaden mit Urteil vom 1. Februar 1984 den angefochtenen Bescheid aufgehoben, weil die Beklagte das ihr von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10 eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt habe.
Die - vom SG nicht zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 30. Mai 1985 aus den vom SG genannten Gründen zurückgewiesen und die Revision wegen der Frage zugelassen, ob die an seiner Entscheidung mitwirkenden ehrenamtlichen Richter rechtswirksam berufen worden seien.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 48 und 50 SGB 10.
Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Mai 1985 und des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Februar 1984 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG sei unzulässig, soweit sie die Rentenneufeststellung für die Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Januar 1982 betreffe; daran scheitere die Rückforderung.
Die Beigeladene hat sich zur Revision nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Der Beklagten steht gegen den Kläger kein Rückforderungsanspruch aus § 50 SGB 10 zu, weil es an der wirksamen Aufhebung des Verwaltungsakts fehlt, kraft dessen der Kläger die zurückgeforderten Beträge erhalten hat, und die zurückgeforderten Leistungen somit nicht ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind.
Zur Frage der rechtswirksamen Berufung der am angefochtenen Urteil mitwirkenden ehrenamtlichen Richter verweist der Senat auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 1985 (Az 853/85, 1043/85, 1118/85 in SozR 1500 § 13 Nr 1) und auf das Urteil des 11a Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Januar 1986 - 11a RA 46/85 - (aaO § 14 Nr 2). Danach hat er keinen Zweifel an der wirksamen Berufung dieser Richter.
Im Revisionsverfahren ist von Amts wegen zu prüfen, ob die unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gegeben sind. Hierzu zählt auch die Zulässigkeit der Berufung (vgl BSG in SozR 1500 § 146 Abs 12 mwN). Hier fehlt es an der Zulässigkeit der Berufung, soweit es sich um die Änderung des dem Kläger Berufsunfähigkeitsrente zusprechenden Bescheides vom 23. September 1980 durch den angefochtenen Bescheid für die Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Januar 1982 handelt. Insoweit betrifft die Berufung der Beklagten nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume und ist damit durch § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. Bei diesem Berufungsausschluß muß es verbleiben, da das SG die Berufung im Urteil nicht zugelassen hat (§ 150 Nr 1 SGG) und auch die übrigen Voraussetzungen des § 150 SGG weder vorliegen noch von der Revision behauptet werden.
Der Senat muß deshalb das angefochtene Urteil von Amts wegen dahin ändern, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil 1. Instanz als unzulässig verworfen wird, soweit sie die Änderung des die Berufsunfähigkeitsrente bewilligenden Bescheides der Beklagten vom 23. September 1980 für die Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Januar 1982 betrifft. Insoweit ist daher das Urteil des SG, das den angefochtenen Bescheid aufgehoben hat, rechtskräftig geworden. Damit ist die Neufeststellung der Berufsunfähigkeitsrente des Klägers für die Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Januar 1982 entfallen; es verbleibt insoweit bei dem bindend gewordenen Bescheid vom 23. September 1980.
Soweit das SG den angefochtenen Bescheid auch hinsichtlich der Rückforderung des Betrages von 5.384,20 DM aufgehoben hat, war die Berufung, wie das LSG in bezug auf diesen Anspruch zutreffend erkannt hat, gemäß § 149 SGG zulässig, weil der Beschwerdewert 1.000,-- DM überstiegen hat. Die Rückforderung ist jedoch unbegründet, weil weder die Voraussetzungen des § 50 Abs 1 SGB 10 noch des Abs 2 dieser Vorschrift erfüllt sind.
Nach § 50 Abs 1 SGB 10 sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Anwendung dieser Vorschrift auf den vorliegenden Fall würde voraussetzen, daß durch den angefochtenen Bescheid der die Berufsunfähigkeitsrente bewilligende Bescheid der Beklagten vom 23. September 1980 für die Zeit vom 1. Juli 1981 bis zum 31. Januar 1982 rechtswirksam aufgehoben worden wäre, wie es die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid beabsichtigte. Daran fehlt es jedoch, weil der angefochtene Bescheid durch das hinsichtlich der Rentenneufeststellung für den zurückliegenden Zeitraum rechtskräftige Urteil des SG beseitigt worden ist.
Endlich treffen auch die Voraussetzungen des § 50 Abs 2 SGB 10 nicht zu, wonach ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachte Leistungen zu erstatten sind. Die streitigen Leistungen sind aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 23. September 1980 erbracht worden. Sie sind also nicht ohne Verwaltungsakt iS von § 50 Abs 2 SGB 10 erbracht. Auf die Frage, ob die Leistungen zu Unrecht erbracht worden sind, kommt es deshalb für die Anwendung dieser Bestimmung nicht mehr an. Die Revision der Beklagten muß vielmehr hinsichtlich des Rückerstattungsanspruchs schon deshalb zurückgewiesen werden, weil den zurückgeforderten Leistungen ein für die Beklagte rechtsverbindlicher Bescheid zugrunde liegt.
Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom 11. Juli 1985 (SozR 1500 § 146 Nr 19) und die dort zitierte einhellige Rechtsprechung des BSG. Er verbleibt bei seiner Auffassung, daß die durch Inkrafttreten des SGB 10 erfolgte Rechtsänderung - Schutz des Leistungsempfängers durch Einschränkungen schon bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes - bei der Rückforderung - zwar eine Gewichtsverlagerung bei der Statthaftigkeit der Berufung bewirkt hat, diese aber nicht dazu führen kann, § 146 SGG entgegen dem eindeutigen Wortlaut auszulegen und die einschlägige Rechtsprechung des BSG zum Berufungsausschluß in der Rentenversicherung aufzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen