Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Übergangsgeld bei Arbeitsunfähigkeit oder (und) Nichtausübbarkeit einer ganztägigen Erwerbstätigkeit wegen der Teilnahme an Heilmaßnahmen
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Übergangsgeld nach § 16 BVG besteht für den Betreuten wegen Teilnahme an einer Badekur auch dann, wenn er schon vor Antritt der Badekur wegen Nichtschädigungsfolgen arbeitsunfähig ist (Anschluß an BSG vom 1978-10-25 9 RV 60/77 = SozR 3100 § 20 Nr 1).
2. Zur Unterscheidung zwischen Arbeitsunfähigkeit und tatsächlicher Vereinbarung zur Ausübung einer ganztägigen Erwerbstätigkeit (§ 16 Abs 2 BVG iVm § 13 RehaAnglG).
Normenkette
BVG § 16 Abs 1 Buchst a Fassung: 1974-08-07; BVG § 16 Abs 2 Fassung: 1974-08-07; RehaAnglG § 13 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Schleswig (Entscheidung vom 23.09.1980; Aktenzeichen S 5 V 59/79) |
Tatbestand
Die klagende Innungskrankenkasse begehrt von dem beklagten Versorgungsträger Ersatz von Krankengeld, das sie dem bei ihr krankenversicherten Beschädigten (L) während einer auf Kosten des Beklagten durchgeführten Badekur gezahlt hatte.
Der Beschädigte bezieht Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH. Er unterzog sich in den Monaten November/Dezember 1978 der vom Beklagten bewilligten Badekur. Zuvor war der Beschädigte wegen Nichtschädigungsfolgen vom 8. September 1978 an arbeitsunfähig. Nachdem der Beklagte dem Beschädigten wegen der vorausgegangenen Arbeitsunfähigkeit ein Übergangsgeld während der Dauer der Kurbehandlung versagt hatte, billigte ihm die Klägerin für diese Zeit Krankengeld zu.
Der Beklagte lehnte der Klägerin gegenüber eine Kostenerstattung in Höhe von 3.182,-- DM ab, da nach einer ministeriellen Weisung dem einschlägigen Urteil des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1978 - 9 RV 60/77 - (BSG SozR 3100 § 20 Nr 1) nicht zu folgen sei. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten zur Kostenerstattung in der beantragten Höhe gemäß § 20 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verpflichtet.
Der Beklagte hat mit der zugelassenen Sprungrevision die unrichtige Anwendung des § 16 BVG gerügt. Nach § 16 Abs 2 BVG, so führt der Beklagte aus, sei ein Anspruch auf Übergangsgeld nur begründet, weil eine Arbeitsunfähigkeit unterstellt werde. Bestehe aber bereits aus schädigungsunabhängigen Gründen Arbeitsunfähigkeit, dann könne der Betreffende nicht mehr arbeitsunfähig werden. § 16 Abs 2 BVG beinhalte gegenüber § 16 Abs 1 Buchst a BVG keinen selbständigen Anspruchstatbestand. Außerdem fehle es an einem Ursachenzusammenhang zwischen der Unfähigkeit, eine ganztätige Erwerbstätigkeit auszuüben, und der Maßnahme im Sinne des § 16 Abs 2 BVG.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG den Beklagten verurteilt, der Klägerin das dem Beschädigten gezahlte Krankengeld zu ersetzen.
Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Ersatzanspruch ist § 20 Satz 1 BVG. Diese Vorschrift enthält Bestimmungen über die Kostenabwicklung für die Fälle, in denen die Krankenkasse ausschließlich im Auftragsbereich des § 18 c Abs 2 BVG für die Versorgungsverwaltung tätig geworden sind. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25.Oktober 1978 - 9 RV 60/77 - (BVG SozR 3100 § 20 Nr 1) verwiesen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Nach den unangefochtenen und somit bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) ist der Beschädigte Mitglied der Klägerin. Sie gewährte dem Beschädigten Krankengeld für die Zeit der Badekur, die der Beklagte wegen Schädigungsfolgen durchgeführt hatte. Dem Beschädigten stand indessen für diese Zeit ein Anspruch auf Übergangsgeld nach § 16 Abs 1 Buchst a iVm Abs 2 BVG idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - RehaAnglG - (BGBl I S 1881) zu.
Nach § 16 Abs 1 Buchst a BVG wird den Beschädigten Übergangsgeld gewährt, wenn sie wegen einer Gesundheitsstörung, die als Folge einer Schädigung anerkannt ist oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht ist, arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Daneben ist nach Abs 2 dieser Vorschrift auch der Berechtigte als arbeitsunfähig im Sinne der §§ 16 bis 16 f BVG anzusehen, der wegen der Durchführung einer Maßnahme der Heil- oder Krankenbehandlung oder einer Badekur keine ganztätige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Der Ansicht des Beklagten, dem Beschädigten stehe ein Anspruch auf Übergangsgeld wegen der Teilnahme an einer Badekur nicht zu, weil er zuvor schon wegen schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig gewesen sei, ist nicht zu folgen.
Nach dem Urteil des erkennenden Senats (aaO), gegen dessen Gründe stichhaltige Argumente nicht geltend gemacht worden sind, enthält § 16 Abs 2 BVG einen selbständigen Anspruchstatbestand. Seine Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Berechtigte wegen einer Badekur keine ganztätige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Dann ist er, so schreibt das Gesetz eindeutig vor, "als arbeitsunfähig anzusehen", ohne daß tatsächlich Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung zu bestehen braucht. Die hier vertretene Auffassung wird durch den Wortlaut des § 13 RehaAnglG bestätigt. Dort wird dem Behinderten bei medizinischen Maßnahmen zur Rehabilitation Übergangsgeld zuerkannt, wenn er entweder arbeitsunfähig im Sinne der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften ist oder wegen Teilnahme an einer solchen Maßnahme keine ganztätige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Mithin wird neben der Arbeitsunfähigkeit als weitere selbständige Anspruchsvoraussetzung Übergangsgeld auch bei einer tatsächlichen Unmöglichkeit zur Ausübung einer ganztätigen Erwerbstätigkeit zuerkannt. § 13 RehaAnglG ist zwar im Streitfall nicht unmittelbar anzuwenden. Diese Gesetzesbestimmung enthält jedoch, wie überdies die Vorschriften im zweiten Abschnitt des RehaAnglG (§§ 9-20), einen einheitlichen Leistungsrahmen, der in die Einzelgesetze transformiert wurde. Dementsprechend wurden die Leistungsvorschriften in den für die einzelnen Rehabilitationsträger geltenden Gesetzen nach den Grundsätzen des zweiten Abschnittes des RehaAnglG ergänzt (Jung-Preuß, Rehabilitation, Die Angleichung der Leistungen, 2. Aufl S 9). Die Neueinfügung der §§ 16 bis 16 f BVG sowie die Streichung des § 17 BVG gehen auf § 27 Nr 5 RehaAnglG zurück. Infolgedessen können in § 16 Abs 2 BVG nicht von § 13 RehaAnglG abweichende Leistungsvoraussetzungen enthalten sein.
Die Unterscheidung zwischen Arbeitsunfähigkeit und tatsächlicher Verhinderung zur Ausübung einer ganztätigen Erwerbstätigkeit ist sachangemessen. Arbeitsunfähig ist, wer weder seine letzte Erwerbstätigkeit noch eine ähnliche Arbeit verrichten kann (BSGE 41, 201, 203 = BSG SozR 2200 § 182 Nr 12). Bei der Prüfung, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist lediglich zu fragen, welche Tätigkeit der Versicherte zuletzt verrichtet hat und ob er sie - oder eine ähnlich geartete - nach seinem Gesundheitszustand noch verrichten kann. Wenn und solange dies verneint wird, ist er arbeitsunfähig (BSGE 26, 288, 290 = BSG SozR Nr 25 zu § 182 der Reichsversicherungsordnung -RVO-; BSGE 46, 190, 191 = BSG SozR 2200 § 182 Nr 34). Auf eine andere als die gewohnte Tätigkeit muß sich der Versicherte ausnahmsweise nur dann verweisen lassen, wenn er diese tatsächlich ausübt (BSGE 32, 18 = BSG SozR Nr 40 zu § 182 RVO). Desgleichen ist die Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten, der an einer Arbeitserprobung als berufsfördernder Maßnahme teilnimmt, weiterhin nach der vor dieser Maßnahme "zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit" zu beurteilen (BSGE 47, 47, 51 = BSG SozR 2200 § 182 Nr 34 und BSG SozR 2200 § 1237 Nr 9). Einer Arbeitsunfähigkeit steht demnach nicht die Annahme entgegen, daß außerhalb des letzten Tätigkeitsbereichs Arbeitsfähigkeit gegeben sein kann. Folglich kann ein Arbeitsunfähiger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Sinne des § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) verfügbar sein (BSG SozR 2200 § 241 Nr 14 mit Zitaten). Lediglich beim Bezug von Krankengeld ist ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld vorgesehen (§ 118 Abs 1 Nr 2 AFG). Infolgedessen schließt Arbeitsunfähigkeit nicht begriffsnotwendig die Fähigkeit aus, - überhaupt - ganztätig erwerbstätig zu sein. Sonach ist entgegen der Ansicht des Beklagten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Unfähigkeit, ganztätig zu arbeiten und der Maßnahme im Sinne des § 16 Abs 2 BVG auch dann gegeben, wenn Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung vorliegt. Letztere und das Hindernis, "keine" Erwerbstätigkeit ausüben zu können, decken sich nicht.
Schließlich ist auch nach § 16 Abs 2 letzte Alternative BVG die Gewährung von Übergangsgeld nicht vom Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit abhängig. Vielmehr kommt es allein darauf an, daß dem Berechtigten im Anschluß an eine stationäre Behandlung eine Schonungszeit zugebilligt worden ist. Ursprünglich gehörte das Schongeld zu den nachgehenden Maßnahmen und wurde nur gezahlt, wenn der Betreute nach einer durchgeführten stationären Heilbehandlung zwar arbeitsfähig war, jedoch noch der Schonung bedurfte (zur Rechtsentwicklung vgl BSGE 48, 23, 25 f = BSG SozR 2200 § 1240 Nr 6). Nach der nunmehr zu § 1240 RVO (diese Vorschrift entspricht § 16 BVG) entwickelten Rechtsprechung wird allerdings Übergangsgeld auch dann zugestanden, wenn der Versicherte, dem eine Schonungszeit verordnet wird, bei der Entlassung aus der stationären Heilbehandlung noch arbeitsunfähig ist, sofern mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb einer kurzen Übergangszeit zu rechnen ist (BSGE 46, 108 = BSG SozR 2200 § 1240 Nr 1). Hieraus folgt, daß bei Maßnahmen der Rehabilitation ein Anspruch auf Übergangsgeld unabhängig davon zustehen kann, ob Arbeitsunfähigkeit gegeben ist oder nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen