Entscheidungsstichwort (Thema)
Orthopädisches Hilfsmittel. Kleinschreibmaschine. Einengung des anspruchsberechtigten Personenkreises
Orientierungssatz
1. Die Regelung in § 4 Abs 8 der DVO zu §§ 11 und 13 BVG, nach der eine Kleinschreibmaschine nur einem eng umgrenzten Personenkreis für den Privatgebrauch zu liefern ist, stellt keine unzulässige Einengung des gesetzlichen Anspruchs auf Heilbehandlung (§§ 9, 10, 11 und 13 BVG) dar.
2. Das folgt aus der Zweckbestimmung des Hilfsmittelbegriffs im Recht der Kriegsopferversorgung (hierzu grundsätzliche Ausführungen unter Heranziehung des Hilfsmittelbegriffs der gesetzlichen Krankenversicherung).
Normenkette
BVG § 9 Nr 1, § 10 Abs 1, § 11 Abs 1 Nr 8, § 13 Abs 1; BVG§11Abs3§13DV § 4 Abs 8 Fassung: 1972-01-31
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.01.1980; Aktenzeichen S 28 V 29/79) |
Tatbestand
Bei dem Kläger ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH anerkannt, und zwar wegen Narben am linken Ellenbogen mit Bewegungseinschränkung und Arthrosis deformans des Ellenbogengelenks und Aufhebung der Unterarmdrehbewegung, geringer Verformung des Speichenköpfchens, geringer Gefühlsstörungen am linken Unterarm, Verlustes des vierten Fingers rechts mit dazugehörigem Mittelhandknochen und Teilverlustes des zweiten und dritten Fingers rechts.
1978 beantragte der Kläger, ihm ein Schreibgerät zu stellen, weil es ihm nicht möglich sei, zu schreiben, wenn er auch "tippen" könne. Mit seinem Antrag machte der Kläger auf ein geräuschloses Schreibgerät der Firma C, das als Communicator bezeichnet werde, aufmerksam.
Mit Bescheid vom 30. Januar 1979 lehnte das Landesversorgungsamt den Antrag ab, weil nach § 4 Abs 8 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs 3 und des § 13 Bundesversorgungsgesetz (BVG) -DV- eine Kleinschreibmaschine für den Privatgebrauch nur Blinden und Ohnhändern sowie diesen Personen hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung gleichzuachtenden Berechtigten und Leistungsempfängern geliefert werden dürfe. Der Kläger zähle bei seiner Situation nicht zu diesem Berechtigtenkreis.
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt: Der Communicator sei eine Kleinschreibmaschine, die für eine Spezialgruppe Behinderter entwickelt worden sei. Ob der Kläger zu diesem Kreis gehöre, bleibe dahingestellt, ebenso, ob er dieser Schreibmaschine zum Privatgebrauch bedürfe und ob er befugt gewesen sei, sich ohne Mitwirkung des Landesversorgungsamtes, aber zu Lasten des Versorgungsfiskus, den Communicator zu beschaffen. Jedenfalls sei der Kläger nicht hinsichtlich der Art und Schwere seiner Behinderung einem Blinden oder Ohnhänder gleichzuachten. Hierunter seien nur solche Personen zu verstehen, die - im Gegensatz zu der Auffassung des Klägers - nicht allein hinsichtlich des Funktionsausfalles wie Blinde oder Ohnhänder geschädigt seien. Die Unfähigkeit des Klägers zu handschriftlichen Arbeiten erfülle für sich allein nicht den Begriff der gleichen Schwere der Behinderung.
Der Kläger hat Revision eingelegt und eine Zustimmungserklärung des Beklagten beigefügt.
Er rügt die falsche Anwendung bzw Auslegung des § 13 Abs 1 BVG iVm § 4 Abs 8 der DV. Er ist der Auffassung, daß bei Gewährung von Hilfsmitteln ausschließlich auf die Störung der Funktion abgestellt werden müsse. Die in dem angefochtenen Urteil vertretene Auffassung führe zu der sicherlich nicht gewollten Konsequenz, daß zwar ein Doppelbeinamputierter eine Schreibmaschine erhalten müsse, und zwar nur, weil seine Behinderung der Schwere nach zu beachten sei, während andererseits ein Schreibunfähiger eine Kleinschreibmaschine nicht erhalte. Im übrigen stelle die Regelung in § 4 Abs 8 der DV eine unzulässige Einengung des gesetzlichen Anspruches nach §§ 9, 10, 11 und 13 BVG dar. Nach diesen Vorschriften sei Voraussetzung, daß durch das Hilfsmittel die durch die Gesundheitsstörung bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit beseitigt oder gebessert werde. Die Einengung dieses Anspruchs nur für Blinde und Ohnhänder und diesen Gleichzuachtende sei im Wege der DV nicht zulässig.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und den Bescheid
des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu
verurteilen, an ihn 1.176,-- DM gegen
Eigentumsübertragung an dem Communicator auf das
Land Nordrhein-Westfalen zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihre Einwilligung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegeben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig.
Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat mit Recht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gewährung des Communicators nicht zu. Sein Leistungsbegehren findet in den einschlägigen Vorschriften keine Grundlage, im besonderen nicht in § 9 Nr 1, § 10 Abs 1, § 11 Abs 1 Nr 8 und § 13 Abs 1 BVG sowie der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs 3 und des § 13 BVG, § 1 Nr 14 und § 4 Abs 8 (BVG idF vom 22. Juni 1976 - BGBl I S 1633 - und der Änderung durch das 10. Anpassungsgesetz vom 10. August 1978 - BGBl I S 1217 -, Durchführungsverordnung idF vom 23. August 1976 - BGBl I S 2422 -).
Das SG hat im einzelnen richtig ausgeführt, daß der Kläger sein Begehren nicht auf die §§ 1 und 4 der DV stützen kann. In § 1 Nr 14 wird zwar eine Kleinschreibmaschine zum Hilfsmittel iS des § 13 Abs 1 BVG erklärt. Das SG erkennt auch in dem Communicator, den der Kläger angeschafft hat, eine Kleinschreibmaschine; das ist nicht zu beanstanden. Nach § 4 Abs 8 der DV ist eine Kleinschreibmaschine nur Blinden und Ohnhändern sowie diesen Personen hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung Gleichzuachtenden zu liefern. Zu diesem Berechtigtenkreis gehört der Kläger nicht. Er ist weder blind noch Ohnhänder. Er kann auch diesen Personen nicht gleichgeachtet werden. Seine Behinderungen entsprechen schon nicht der Art nach denen eines Ohnhänders. Wenn auch unterstellt werden kann, daß der Kläger in beiden Händen die Greiffähigkeit soweit verloren hat, daß er einen Schreibstift nicht zu führen vermag, so ist er doch in der Lage, jede Hand noch für andere Funktionen einzusetzen, zB wie er selbst vorträgt, zum Tippen. Der relativ eng begrenzte Funktionsausfall an seinen Händen ist deshalb nicht dem totalen Funktionsverlust Behinderung zukommt, braucht nicht geklärt zu werden (vgl BSG SozR 3100 § 11 Nr 11). Die Ansicht des Klägers, daß es im Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein Hilfsmittel lediglich auf den speziellen Funktionsausfall ankommen könne, erscheint einleuchtend, erweist sich aber nach dem positiv gesetzten Recht nicht als selbstverständlich. In der Verordnung ist an mehreren Stellen die Formulierung gebraucht, daß ein Zustand hinsichtlich der Art und der Schwere einer bestimmten Behinderung gleichzuerachten sei. Daneben ist dann in einer zusätzlichen Regelung ausgesprochen, daß neben Art und Schwere eines Befundes die Funktionstüchtigkeit eines Organs gestört sein müsse. So wird zB in § 4 Abs 4, nach welchen handgetriebene Krankenfahrzeuge an Querschnittsgelähmte, drei- und vierfach Amputierte usw geliefert werden kann, gesagt, daß Fahrzeuge auch anderen Personen zu verschaffen seien, die hinsichtlich der Art und der Schwere der Behinderung oder hinsichtlich des Ausmaßes der Gehbehinderung gleichzuachten sind. Hieraus ergibt sich, daß zwischen der allgemeinen Gleichstellung nach Art und Schwere der Behinderung und der speziellen wegen einer Gehbehinderung unterschieden wird. Für die spezielle Gehbehinderung ist eine besondere Regelung getroffen. Sie wäre unnötig, wenn schon in der generellen Aussage, daß nach Art und Schwere der Behinderung eine Gleichstellung erforderlich sei, genügen würde. Ähnliche Regelungen sind in § 4 Abs 11 und § 5 Abs 1 der DV zu erkennen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Regelung der Verordnung Rechtens. Der Verordnungsgeber konnte sich hierfür auf die gesetzliche Ermächtigung in § 24a Buchst a und b BVG stützen. Die Bundesregierung ist hiernach ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Art, Umfang und besondere Voraussetzungen der orthopädischen Versorgung und der Ersatzleistungen näher zu bestimmen sowie näher zu regeln, was als Hilfsmittel und als Zubehör iS des § 13 Abs 1 BVG gilt. Im Zusammenhang mit § 10 Abs 1 und § 11 BVG sind Inhalt, Zweck und Ausmaß dieser gesetzlichen Ermächtigung hinreichend deutlich bestimmt (Art 80 Abs 2 Satz 2 des Grundgesetzes -GG-). Freilich ist mit dieser Gesetzesformel ein Maßstab gesetzt, an dem die Durchführungsverordnung auf ihre Gültigkeit hin zu messen ist (BSG SozR 3614 § 5 Nr 1). Richtig ist auch, daß die Verordnung in § 4 Abs 8 den Kreis der Berechtigten für das Hilfsmittel (Kleinschreibmaschine) erheblich eingrenzt. Die Regelung der Verordnung mag also hinter denjenigen Grenzen zurückbleiben, die durch das Gesetz selbst abgesteckt sind. Es lag aber in der Kompetenz des Verordnungsgebers, den Personenkreis einzuengen, soweit er damit die Absicht des Gesetzes nicht verfehlte. Für ein solches Verfehlen besteht kein Anhalt. Andererseits kann es nicht Sache der Rechtsauslegung sein, unmittelbar aus dem Gesetz eine den Wortlaut voll ausschöpfende Inhaltsdeutung abzuleiten und diese abweichend von der Verordnung für verbindlich zu erklären. Sonst würde in das normgeberische Ermessen des Verordnungsgebers durch das Gericht unzulässig eingegriffen (BSG SozR 3610 § 5 Nr 2).
Im übrigen besteht zu einer anderen Auslegung der Durchführungsverordnung aus dem Sinn des BVG heraus kein Grund. In § 24a BVG deutet schon die Ermächtigung, daß die besonderen Voraussetzungen der orthopädischen Versorgung durch die Rechtsverordnung festgelegt werden können, darauf hin, daß nicht jedes Mittel, das einen orthopädischen Zweck erfüllen könnte, auch anzuschaffen ist. Der Umfang der Heilbehandlung ist nicht unbegrenzt. Das wird auch in § 11 Abs 1 Satz 3 BVG iVm § 182 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) erkennbar. Danach decken sich Art und Umfang der orthopädischen Versorgung - wie der Heilbehandlung überhaupt -, auf die ein Rechtsanspruch besteht, soweit das BVG nichts anderes bestimmt, mit den Leistungen, zu denen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ihren Mitgliedern gegenüber verpflichtet sind. Die Leistung muß ausreichend und zweckmäßig sein und darf das notwendige Maß nicht überschreiten. Für das Recht der Krankenversicherung hat das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach ausgesprochen, daß die Krankenkassen nur zur Gewährung von solchen Hilfsmitteln verpflichtet sind, die den Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezwecken, also unmittelbar auf die Behinderung gerichtet sind (BSGE 45, 133, 136 = SozR 2200 § 182b Nr 4). Diese hiernach gebotene Unmittelbarkeit sei vor allem dann gegeben, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Funktion - Greifen, Gehen, Sitzen, Hören, Sehen usw - ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt. Kein Anspruch gegen die Krankenkasse bestehe dagegen dann, wenn ein Hilfsmittel erforderlich ist, um lediglich die Folgen und Auswirkungen der Behinderung in den verschiedenen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet, zu beseitigen oder zu mildern, wenn also das Hilfsmittel nicht bei der Behinderung selbst ansetze (vgl BSG SozR 2200 § 182b Nr 12). Unter diesem Aspekt sind eine elektrische Schreibmaschine - BSGE 37, 138 = SozR 2200 § 187 Nr 1 - und auch eine Blindenschriftschreibmaschine - SozR 2200 § 182b Nr 5 - nicht als Hilfsmittel angesehen worden, die von der Krankenkasse zu leisten sind. Wenn demgegenüber die DV bestimmt, eine Kleinschreibmaschine sei nur einem eng umschriebenen Personenkreis für den Privatgebrauch zu liefern, so liegt darin keine unzulässige Begrenzung des gesetzlichen Anspruchs auf Heilbehandlung. Davon ist umso weniger auszugehen, als die Zweckbestimmung des Hilfsmittelbegriffs im Recht der Kriegsopferversorgung im allgemeinen noch über die des Krankenversicherungsrechts hinausgeht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen