Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Neufeststellung setzt voraus, daß bereits eine Feststellung nach dem BVG vorangegangen ist. Ob diese Feststellung eine Rente zugesprochen hat oder nicht, ist gleichgültig. (vergleiche BSG 1958-02-12 11/9 RV 948/55 = BSGE 7, 8 und BSG 1959-07-28 11/9 RV 10/57 = BSGE 10, 202).
2. Eine Neufeststellung ist davon abhängig, inwieweit sich die tatsächlichen Verhältnisse oder das Gesetz geändert haben. Im übrigen bleiben die Beteiligten an die frühere Feststellung gebunden.
3. Im Gegensatz zu tatsächlichen Änderungen und Änderungen des Gesetzes steht die Änderung der Rechtsprechung oder Rechtsauffassung. Eine solche gibt keinen Anlaß zu einer Neufeststellung. Eine andere rechtliche Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts genügt zur Änderung des Bescheides nicht.
Normenkette
BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Dezember 1954 aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. April 1954 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Sohn P des am 31. März 1956 gestorbenen Klägers und seiner Ehefrau S K ist 1944 als Soldat gefallen. Die Eltern erhielten bis zum 30. April 1945 Elternversorgung nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz (WFVG). Mit Bescheid vom 17. November 1950 gewährte die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Baden, KB-Abteilung, Elternrente in Höhe von 28,50 DM monatlich nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG). In dem Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 15. August 1951 stellte das Versorgungsamt (VersorgA.) H sonstiges Einkommen der Eltern von 102,11 DM fest. Dieses bestand aus der Invalidenrente des Vaters in Höhe von monatlich 60,80 DM und einem Ruhelohn der Stadtverwaltung H von monatlich 41,31 DM. Das VersorgA. gewährte, da diese Beträge die Einkommensgrenze von damals 100,- DM überstiegen, keine Rente, bewilligte aber einen Härteausgleich in Höhe der bisherigen Rente nach dem KBLG. Als die Invalidenrente auf monatlich 75,80 DM erhöht und ab 1. April 1952 die Einkommensgrenze für Elternrente auf 120,- DM heraufgesetzt wurde, stellte das VersorgA. mit Bescheid vom 12. Januar 1953 den Härteausgleich auf monatlich 14,- DM ab 1. März 1952 fest und bewilligte ab 1. April 1952 eine Elternrente von monatlich 3,- DM und einen Härteausgleich von monatlich 11,- DM.
Gegen den Bescheid vom 12. Januar 1953 legten die Eltern Berufung zum Oberversicherungsamt K ein und beantragten die Gewährung einer höheren Elternrente unter Nichtanrechnung des Ruhelohns. Das Sozialgericht (SG.) Mannheim, auf das die Sache mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 übergegangen ist, änderte mit Urteil vom 27. April 1954 den angefochtenen Bescheid und verurteilte den Beklagten zur Zahlung einer Elternrente von 25,- DM ab 1. März 1952 und von 45,- DM ab 1. April 1952, da der Ruhelohn als freiwillige, jederzeit widerrufliche, von der Bedürftigkeit des Empfängers abhängige Zuwendung nicht als Einkommen anzurechnen sei.
Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg wies mit Urteil vom 20. Dezember 1954 die Berufung des Beklagten als unbegründet zurück und ließ die Revision zu. Es führte aus, die "Rechtskraft" des Umanerkennungsbescheides vom 15. August 1951 erstrecke sich nur auf die Anerkennung des Todes des Sohnes als Schädigungsfolge und auf die Ernährereigenschaft, nicht auf die Berechnung der Rente und die Anrechnung von Einkommen. Da der angefochtene Bescheid vom 21. Januar 1953 die Rente ab 1. März 1952 neu feststelle, sei auch die Rentenberechnung von diesem Zeitpunkt an nachprüfbar. Der Ruhelohn der Stadt sei als freiwillige, laufende Zuwendung nicht als Einkommen nach § 33 Abs. 2 BVG anzurechnen. Der Beklagte legte Revision ein und beantragte, die Urteile des LSG. Baden-Württemberg und des SG. Mannheim aufzuheben und die Klage abzuweisen. Er rügte, das LSG. habe die Anrechenbarkeit des Ruhelohns der Stadtverwaltung nicht mehr prüfen dürfen, da diese Frage in dem rechtsverbindlichen Bescheid vom 15. August 1951 entschieden worden sei; dadurch habe das LSG. die Vorschriften über die Rechtskraft eines Bescheides nach § 84 Abs. 3 BVG, §§ 30, 33 KBLG sowie § 77 SGG und § 62 BVG verletzt. Die Bedürftigkeit der Kläger sei eine Anspruchsvoraussetzung und damit tragender Teil der Entscheidung. Die Frage, ob die Zuwendung der Stadt als Einkommen anzurechnen sei, sei daher nicht mehr zu prüfen gewesen. Die Klägerin S K und die übrigen Miterben, welche das durch den Tod des Klägers G K unterbrochene Verfahren (§ 68 SGG) fortgesetzt haben, beantragten, die Revision zurückzuweisen.
Die Miterben unter Ziff. 10 bis 12 des Urteilskopfes, welche das unterbrochene Verfahren nicht aufgenommen und an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen haben, hatte der Senat zur mündlichen Verhandlung über die Revision mit dem Hinweis geladen, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden könne (§§ 110, 126 SGG).
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist infolge Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Sie ist auch sachlich begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 1953 hat einen Rechtsanspruch auf Elternrente nach dem BVG verneint und Härteausgleich nach § 89 BVG gewährt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG. haben die Kläger beantragt, ihnen Elternrente ohne Anrechnung des Ruhelohnes zu gewähren. Gegenstand des Rechtsstreits ist demnach
1. Abänderung des angefochtenen Verwaltungsakts,
2. Zusprechung einer höheren Elternrente (§ 54 Abs. 4 SGG).
Der Anspruch auf Elternrente ist ein Anspruch auf künftig wiederkehrende, monatlich fällige Leistungen. Ihm liegt zum Teil ein abgeschlossener Tatbestand, der sich in Zukunft nicht mehr ändern kann, zugrunde, wie Tod als Schädigungsfolge, Verwandtschaft (§ 1 Abs. 5, §§ 38, 49 Abs. 1 BVG) und Ernährereigenschaft (§ 50 Abs. 1 BVG). Zum Teil hängen Bestand, Höhe und Dauer des Anspruchs von der künftigen oder wechselnden Gestaltung der Verhältnisse ab, wie Lebensalter, Gebrechlichkeit (§ 50 Abs. 2 BVG), sonstiges Einkommen (§ 51 Abs. 2 BVG) und Änderungen der Einkommensgrenzen.
Der Bescheid vom 12. Januar 1953 ist ein Neufeststellungsbescheid. Er war durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (§ 62 Abs. 1 BVG) veranlaßt, die für die Feststellung der Rente und des Härteausgleichs maßgebend waren. Nach § 62 Abs. 1 und 3 BVG werden Elternrenten wegen einer Erhöhung des sonstigen Einkommens um mehr als 5,- DM monatlich neu festgestellt. Eine Neufeststellung ist davon abhängig, inwieweit sich die tatsächlichen Verhältnisse oder das Gesetz geändert haben. Im übrigen bleiben die Beteiligten an die frühere Feststellung gebunden (ebenso RVA. in EuM. 26 S. 53; Brackmann, Handbuch der Soz. Vers., S. 583); sie kann nicht erneut zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden.
Invalidenrente und Ruhelohn sind als sonstiges Einkommen im Sinne der §§ 51, 33 Abs. 2 BVG sowohl im Umanerkennungsbescheid vom 15. August 1951 als auch im Neufeststellungsbescheid vom 12. Januar 1953 auf die Elternrente angerechnet worden. Die rechtliche Anrechenbarkeit dieser Einkünfte wurde für zulässig erachtet. Diese Beurteilung führte dazu, daß im Umanerkennungsbescheid der Anspruch auf Elternrente verneint wurde, da das Einkommen der Eltern die gesetzlich festgesetzte Einkommensgrenze überschritten hat. Im Neufeststellungsbescheid vom 12. Januar 1953 wurde wegen Erhöhung der Invalidenrente um 15,- DM der Härteausgleich gekürzt und in Verbindung mit der gesetzlichen Erhöhung der Einkommensgrenze auf 120,- DM vom 1. April 1952 an eine Elternrente von 3,- DM (120,- DM abzüglich 117,- DM Einkommen) gewährt.
Von den für den Bescheid vom 12. Januar 1953 maßgebenden Verhältnissen hatten sich bei Erlaß des Bescheides vom 15. August 1951 nur die Höhe der Invalidenrente und die gesetzlichen Einkommensgrenzen (§ 51 Abs. 2 BVG) geändert. Wenn in den tatsächlichen Verhältnissen, die für die Entscheidung maßgebend waren, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist die Rente gemäß § 62 Abs. 1 BVG neu festzustellen. Eine Neufeststellung setzt voraus, daß bereits eine Feststellung nach dem BVG vorangegangen ist. Ob diese Feststellung eine Elternrente zugesprochen hat oder nicht, ist gleichgültig (BSG. 7 S. 8 und BSG. 10 S. 202).
Im Gegensatz zu tatsächlichen Änderungen und Änderungen des Gesetzes steht die Änderung der Rechtsprechung oder Rechtsauffassung. Eine solche gibt keinen Anlaß zu einer Neufeststellung. Eine andere rechtliche Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts genügt zur Änderung des Bescheides nicht.
Der Sachverhalt, der dem angefochtenen Bescheid vom 12. Januar 1953 zugrunde lag, unterscheidet sich von dem Sachverhalt bei Erlaß des Bescheides vom 15. August 1951 nur in zwei Punkten: Die Invalidenrente war von 60,80 DM auf 75,80 DM erhöht worden und die Einkommensgrenze für ein Elternpaar war von 100,- DM auf 120,- DM vom 1. April 1952 an durch das Gesetz zur Änderung des BVG (ÄndG) vom 19. März 1952 (BGBl. I S. 141) heraufgesetzt worden. Nur hinsichtlich dieser zwei Punkte durfte der Bescheid vom 15. August 1951 geändert und ein Neufeststellungsbescheid erlassen werden. Die rechtliche Beurteilung der Anrechenbarkeit der Invalidenrente und des Ruhegeldes als sonstiges Einkommen im Sinne der §§ 51, 33 Abs. 2 BVG durfte nicht geändert werden, selbst wenn freiwillige betriebliche Zuwendungen rechtlich nunmehr nicht als anrechenbares sonstiges Einkommen angesehen worden wären.
Da das LSG. nur die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides als eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vom 12. Januar 1953 vom Zeitpunkt seines Erlasses bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung (20.12.1954) zu beurteilen hatte, erübrigt sich, auf die vom 1. Januar 1955 an geltende Änderung des § 33 Abs. 2 BVG einzugehen (3. ÄndG vom 19.1.1955, BGBl. I S. 25), wonach freiwillige Leistungen aus einem früheren Dienstverhältnis mit dem 20.- DM übersteigenden Betrage als sonstiges Einkommen gelten. Hinsichtlich des anrechenbaren Einkommens (Rente und Ruhelohn) ist aber eine tatsächliche oder rechtliche Änderung nicht eingetreten. Die Frage, ob der Ruhelohn als sonstiges Einkommen anzurechnen war, hatte das LSG. bei der Beurteilung des Neufeststellungsbescheides nicht zu prüfen.
Da das LSG. die Anrechenbarkeit des Ruhelohnes rechtlich anders als in dem Bescheid vom 15. August 1951 beurteilt und dadurch die Vorschriften über die Neufeststellung (§ 62 BVG) nicht richtig angewandt hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Da tatsächliche Feststellungen nicht mehr erforderlich sind, konnte der Senat gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG auch in der Sache selbst entscheiden. Das Urteil des SG. Mannheim beruht auf dem gleichen Fehler wie das Urteil des LSG.; es war daher auf die Berufung des Beklagten aufzuheben. Die Klage war deshalb nach dem Stande der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG. (20.12.1954) nicht begründet.
Sie war mithin abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen