Leitsatz (redaktionell)

1. In der ehemaligen britischen Zone war die Rücknahme rechtswidriger Bescheide in der Zeit vom 1953-01-01 - 1955-03-31 nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen. Hiernach ist eine Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse an der gleichmäßigen Gewährleistung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes das Interesse des Begünstigten an dem Schutz seines Vertrauens auf den Bestand behördlicher Verfügungen überwiegt.

2. Nach Rechtslehre und Rechtsprechung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Widerklage, falls die Verwaltung den durch die Widerklage geltend gemachten Anspruch durch Verwaltungsakt verfolgen kann. Darauf, daß der Kläger für einen Teil des Prozeßstoffes eine Instanz verliert, kommt es im sozialgerichtlichen Verfahren ebensowenig an wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Der Gegenstand der Widerklage ist ein selbständiger prozessualer Anspruch, der von dem Klageanspruch verschieden ist und sich nicht gegenüber der Leistungsklage in einer negativen Feststellungsklage erschöpft. Er ist umfassender als der Klageantrag, weil die Feststellung des Nichtbestehens eines Versorgungsanspruchs jeden der aus dem Versorgungsverhältnis hergeleiteten Anspruch auf Heilbehandlung für bestimmte Leiden, auf Versorgungsleistungen und auf die Höhe der MdE die Rechtsgrundlage entzieht und insoweit zur Abweisung jeder Klage aus dem behaupteten Versorgungsverhältnis führt. Wie indes das LSG mit Recht festgestellt hat, hätte die Beklagte gemäß KOVVfG § 41 über den Gegenstand der Feststellungswiderklage auch durch einen Verwaltungsakt (Rücknahmebescheid) befinden können, der nach SGG § 96 Gegenstand des Rechtsstreits geworden wäre. Damit mußte das Rechtsschutzbedürfnis für die Widerklage verneint werden. Zwar hätte sich die Rechtshändigkeit auch auf den Inhalt des neuen nach SGG § 96 in das Verfahren einbezogenen Verwaltungsakts bezogen, ohne daß es eines Vorverfahrens bedurft hätte. Diese einheitliche Wirkung von Verwaltungsakt und Widerklage erbringt jedoch nicht das für die Widerklage erforderliche Rechtsschutzinteresse.

 

Normenkette

KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; BGB § 242; SGG § 100

 

Tenor

1. Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. Februar 1957 aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Dezember 1954 dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. für Januar 1953 zu gewähren; im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.

4. Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des zweiten und dritten Rechtszugs zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger zog sich im Herbst 1944 als Marinesoldat anläßlich eines Schiffsuntergangs an der norwegischen Küste erhebliche Erkältungen zu. Auf seinen Antrag vom März 1946 gewährte ihm die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Hessen mit Bescheid vom 7. August 1947 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v. H. vom 1. Februar 1947 an und stellte als Schädigungsfolge fest: "doppelseitiger tuberkulöser Lungenspitzenprozeß". Mit Bescheid vom 22. November 1952 - zugestellt am 16. Januar 1953 - nahm das Versorgungsamt (VersorgA.) H die bisherige Anerkennung zurück und stellte die Rente mit Ende Dezember 1952 ein, weil der Kläger nicht an Tbc., sondern an einer angeborenen Wabenlunge leide. Der Beschwerdeausschuß wies am 8. Juni 1953 den Einspruch des Klägers zurück. Der Kläger legte Berufung ein. Die Beklagte, die den Berichtigungsbescheid auch auf § 41 in Verbindung mit § 52 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) stützte, erhob vorsorglich mit Schriftsatz vom 10. August 1955 - eingegangen beim Landessozialgericht (LSG.) am 15. August 1955 - Widerklage mit dem Antrag festzustellen, daß ein Versorgungsanspruch für das Leiden "doppelseitiger tuberkulöser Lungenspitzenprozeß" nicht mehr besteht. Mit Urteil vom 6. Februar 1957 hob das LSG. den Bescheid vom 22. November 1953 und das Urteil des Sozialgerichts (SG.) vom 10. Dezember 1954 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger auch über den 31. Dezember 1952 hinaus Beschädigtenrente nach einer MdE. um 50 v. H. zu gewähren. Auf die Widerklage der Beklagten stellte es fest, daß ein Versorgungsanspruch vom 1. Oktober 1955 an nicht mehr bestehe. Das LSG. führte aus: Der Bescheid vom 22. November 1952 entbehre der rechtlichen Grundlage. Ziffer 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 habe trotz § 84 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht weiter gegolten (mangels einer Verfahrensvorschrift, die einen Zuungunstenbescheid zulasse). Die Beklagte müsse daher die Beschädigtenrente über den 31. Dezember 1952 hinaus leisten. Dagegen sei die Widerklage begründet. Sie sei umfassender als der Klageantrag, prozeßökonomisch und werde auch durch die Ungewißheit erzwungen, welche Rechtsvorschriften in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis 1. April 1955 (Inkrafttreten des VerwVG) Grundlage für einen Berichtigungsbescheid (Rücknahmebescheid) sein sollen. Wegen dieser Unsicherheit könne der Verwaltung nicht zugemutet werden, noch während des schwebenden Rechtsstreits neben dem angefochtenen Berichtigungsbescheid einen zweiten Berichtigungsbescheid zu erlassen; zur Feststellungsklage (Widerklage) bestehe also ein Rechtsschutzinteresse der Beklagten. Beim Kläger liege ohne Zweifel eine congenitale (angeborene) Wabenlunge vor, eine Verschlimmerung habe durch den Wehrdienst unzweifelhaft nicht stattgefunden. Der Beklagte sei daher befugt gewesen, durch Widerklage nach § 41 VerwVG die Anerkennung zu widerrufen und damit die Grundlage des Versorgungsanspruchs zu beseitigen. Die Wirkungen der Berichtigung im gerichtlichen Verfahren seien nicht anders als im Verwaltungsverfahren. Da die Widerklage im August 1955 dem Kläger zugestellt worden sei, sei die Versorgung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 BVG mit Ablauf des September 1955 erloschen. Das LSG. ließ die Revision zu.

Beide Beteiligten legten gegen das am 19. März 1957 zugestellte Urteil am 15. April 1957 Revision ein. Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage der Beklagten zurückzuweisen und insoweit das angefochtene Urteil aufzuheben.

Der Kläger rügt, die Beklagte hätte anstatt der Widerklage einen Verwaltungsakt erlassen müssen (Urteil des BSG. vom 13.7.1956 - 1 RA 87/55 -). Die Widerklage sei erst im Berufungsverfahren erhoben worden, der Berichtigungsbescheid hätte aber schon im Beschwerdeverfahren erteilt werden können. Durch die Widerklage verliere der Kläger alle vorausgegangenen Instanzen.

Die Beklagte hat beantragt,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als der Bescheid der Beklagten vom 22. November 1952, der Beschluß des Beschwerdeausschusses vom 8. Juni 1953 und das Urteil des SG. Hamburg vom 10. Dezember 1954 aufgehoben und die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger über den 31. Dezember 1952 hinaus Beschädigtenrente nach einer MdE. um 50 v. H. zu gewähren. Sie beantragt ferner, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt Verletzung des § 84 Abs. 3 BVG und der Ziff. 26 der SVA Nr. 11. Ziff. 26 der SVA Nr. 11 habe auf Grund des § 84 Abs. 3 BVG über den 31. Dezember 1952 hinaus weitergegolten bis zum Inkrafttreten des VerwVG (1.4.1955), so daß der am 16. Januar 1953 zugestellte Bescheid die gesetzliche Grundlage gehabt habe. Die Beklagte rügt ferner, daß LSG. habe die §§ 41 und 52 VerwVG verletzt. § 41 VerwVG habe rückwirkende Kraft und ergreife nach § 52 VerwVG die am 1. April 1955 noch anhängigen Fälle. Dies ergebe sich aus den Berichtigungsbescheiden, so daß deshalb die Beklagte nicht zur Leistung von Versorgungsbezügen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1952 hätte verurteilt werden dürfen.

Die Revision des Klägers und der Beklagten ist durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft; beide haben die Revision auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Revision des Klägers und der Beklagten ist teilweise begründet. Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen für das Klage- und Berufungsverfahren vorliegen (BSG. 2 S. 225; BSG. 4 S. 70 und S. 272). Nach § 100 SGG kann ein Beteiligter bei dem Gericht der Klage eine Widerklage erheben, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch zusammenhängt. Die Widerklage kann vorsorglich erhoben werden (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. 1960 § 61 IV 3 c S. 285 f. und § 92 II 3 a, BGHZ 21, S. 13). Der Kläger rügt insoweit nur, zur Widerklage habe das Rechtsschutzbedürfnis und damit eine Zulässigkeitsvoraussetzung gefehlt (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. 1960 § 85 II 2 b S. 402); die Beklagte hätte durch Verwaltungsakt feststellen können, daß ein Versorgungsanspruch nicht besteht. Diese Rüge greift durch. Nach Rechtslehre und Rechtsprechung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Widerklage, falls die Verwaltung den durch die Widerklage geltend gemachten Anspruch durch Verwaltungsakt verfolgen kann (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 242 o; Peters-Sautter-Wolff, SGG § 100 Anm. 2; Rohwer-Kahlmann, SGG § 100 Anm. 9; Mellwitz, SGG § 100 Anm. 8; BSG. 3 S. 135 (140) und 6 S. 97 (99)). Darauf, daß der Kläger für einen Teil des Prozeßstoffes eine Instanz verliert, kommt es im sozialgerichtlichen Verfahren ebenso wenig an wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (BSG. 2 S. 245 (253)). Der Gegenstand der Widerklage ist ein selbständiger prozessualer Anspruch, der von dem Klageanspruch verschieden und sich nicht gegenüber der Leistungsklage in einer negativen Feststellungsklage erschöpft. Er ist umfassender als der Klageantrag, weil die Feststellung des Nichtbestehens eines Versorgungsanspruchs jeden der aus dem Versorgungsverhältnis hergeleiteten Anspruch auf Heilbehandlung für bestimmte Leiden, auf Versorgungsleistungen und auf die Höhe der MdE. die Rechtsgrundlage entzieht und insoweit zur Abweisung jeder Klage aus dem behaupteten Versorgungsverhältnis führt. Wie indes das LSG. mit Recht festgestellt hat, hätte die Beklagte gemäß § 41 VerwVG über den Gegenstand der Feststellungswiderklage auch durch einen Verwaltungsakt (Rücknahmebescheid) befinden können, der nach § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden wäre. Damit mußte das Rechtsschutzbedürfnis für die Widerklage verneint werden (BSG. 3 S. 140 und 6 S. 98). Dem LSG. ist zwar zuzugeben, daß sich die Rechtshängigkeit auch auf den Inhalt des neuen nach § 96 SGG in das Verfahren einbezogenen Verwaltungsakts bezogen hätte, ohne daß es eines Vorverfahrens bedurft hätte. Diese einheitliche Wirkung von Verwaltungsakt und Widerklage erbringt jedoch nicht das für die Widerklage erforderliche Rechtsschutzinteresse.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist positive Voraussetzung der Zulässigkeit der Widerklage (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. 1960 § 85 2 IIb S. 402). Da die Widerklage unzulässig ist, muß das Feststellungsurteil aufgehoben werden.

Die Revision der Beklagten richtet sich gegen das angefochtene Urteil zunächst insoweit, als es den Berichtigungsbescheid vom 22. November 1952 (zugestellt am 16.1.1953 und bestätigt durch Beschluß des Beschwerdeausschusses vom 8.6.1953) und das Urteil des SG. Hamburg vom 10. Dezember 1954 aufgehoben hat. Insoweit hat das LSG. zu Unrecht entschieden, der mit der Zustellung am 16. Januar 1953 wirksam gewordene Rücknahmebescheid entbehre der gesetzlichen Grundlage.

Für die Frage, ob der Rücknahmebescheid vom 22. November 1952 rechtmäßig ist oder nicht, ist von dem Recht auszugehen, das z. Zt. der Zustellung am 16. Januar 1953, spätestens der letzten Entscheidung der Verwaltung am 8. Juni 1953, gegolten hat. Der Bescheid ist nicht schon deshalb fehlerhaft, weil die Rechtsgrundlage für die Rücknahme nicht angegeben ist. Da die SVA Nr. 11 erst mit dem 31. Dezember 1952 außer Kraft getreten ist, hatte der Bescheid bis zu diesem Zeitpunkt noch auf Ziff. 26 der SVA Nr. 11 gestützt werden können. Diese Vorschrift hat zunächst auf Grund des § 84 Abs. 3 BVG weitergegolten; denn nach dieser Bestimmung verblieb es hinsichtlich des Verwaltungs- und Spruchverfahrens bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung bei den bisherigen Vorschriften. § 84 Abs. 3 BVG hat aber die über den 30. September 1950 weiter geltende Verfahrensvorschrift der SVA Nr. 11 in ihrem Inhalt nicht verändert und damit auch die Geltungsdauer nicht angetastet, die die Vorschrift selbst bis zum 31. Dezember 1952 begrenzte.

Die Rücknahme rechtswidriger Bescheide in der Kriegsopferversorgung ist indes in der ehemals britischen Zone nach dem 31. Dezember 1952 bis zum Inkrafttreten des VerwVG am 1. April 1955 nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte zu beurteilen. Danach ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse an der gleichmäßigen Gewährleistung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes das Interesse des Begünstigten an dem Schutz seines Vertrauens auf den Bestand behördlicher Verfügungen überwiegt. Im Falle der Bewilligung einer Rente überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse jedenfalls insoweit, als es dahin geht, Bezüge ohne Rechtsgrundlage für die Zukunft zu verhindern (BSG. 10 S. 72 (74-76)). Der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 22. November 1953 ist danach dann rechtmäßig, wenn der Bescheid (die Benachrichtigung) des VersorgA. Hamburg vom 19. Februar 1952 rechtswidrig ist und das öffentliche Interesse an der Beseitigung dieses Bescheides das Einzelinteresse des Klägers am Bestand des Bescheides überwiegt.

Im vorliegenden Falle hat das LSG. festgestellt, daß die Unrichtigkeit der bisherigen Anerkennung "doppelseitiger tuberkulöser Lungenspitzen-Prozeß" außer Zweifel steht und die Versorgungsbehörde irrigerweise von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Auch eine etwaige vorübergehende Verschlimmerung der Wabenlunge war auf jeden Fall mit Beendigung der Lazarettbehandlung (1946) abgeklungen. Diese Feststellungen des LSG. hat der Kläger nicht angegriffen. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Unzulässigkeit des Feststellungsurteils des LSG. darzutun. Die Feststellung der tatsächlichen Unrichtigkeit des bei Erteilung der Bescheide vom 7. August 1947 und 19. Februar 1952 vorausgesetzten Sachverhalts ist daher für das Bundessozialgericht (BSG.) bindend (§ 163 SGG). Der Bescheid vom 19. Februar 1952 war wegen Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung rechtswidrig, weil das Leiden nicht zutreffend anerkannt worden ist. Die Beklagte ist bei Erlaß dieses wie der vorhergehenden Bescheide von einer unrichtigen tatsächlichen Voraussetzung ausgegangen, indem sie annahm, daß der Kläger an Tbc. (statt an einer angeborenen Wabenlunge) leide. Dadurch hat die Beklagte § 1 Abs. 1 BVG unzutreffend angewandt, da sie das Leiden des Klägers als wehrdienstbedingte Schädigungsfolge entgegen der objektiven Sach- und Rechtslage festgestellt hat (ebenso BSG. 10 S. 75). Der Irrtum betraf nicht die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Gesundheitsstörung und schädigenden Vorgängen (erzwungener Aufenthalt im kalten Wasser), sondern die Erkennung des bestehenden Leidens (falsche Diagnose). § 85 Satz 1 BVG steht daher der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. November 1932 nicht entgegen (vgl. auch Schwankhart in KOV 1953 S. 82; BSG. 4 S. 21; SozR. BVG § 85 Bl. Ca 6 Nr. 8 und Nr. 10). Das öffentliche Interesse an der Beseitigung des unrichtigen Bescheides überwiegt hier auch das individuelle Interesse des Klägers am Bestand des Bescheides (so mit Recht Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl. S. 240). Die Leistung öffentlicher Mittel an Personen, die keinen Anspruch darauf haben, beeinträchtigt das öffentliche Interesse mehr als das private Interesse am Bezug einer objektiv nicht zustehenden Rente. Das Vertrauen auf den Fortbestand eines Bescheides hat um der Gerechtigkeit willen zurückzustehen gegenüber einer objektiv zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Mittel. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob die rechtswidrige Bewilligung der Rente in den Verantwortungsbereich des Klägers oder der Beklagten fällt (vgl. BSG. 10 S. 77), weil der Rücknahmebescheid die Rente nur für die Zukunft entzieht. Ein Ausnahmefall, in dem der Verwaltung die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides auch für die Zukunft verwehrt wäre, liegt mithin nicht vor (vgl. BSG. 10 S. 76 mit weiteren Hinweisen). Der Fortbestand des Bescheides, der Benachrichtigung vom 19. Februar 1952, würde vielmehr einen Zustand aufrecht erhalten, der auf Grund formaler Rechtsstellung einem Einzelnen Leistungen aus öffentlichen Mitteln beläßt, die sachlich nicht gerechtfertigt sind (BSG. 9 S. 204; BVerfG. 7 S. 129). Die Rücknahme des Bescheids genügt mithin den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts. Der Senat brauchte daher nicht darauf einzugehen, ob der Bescheid vom 22. November 1952 auch auf § 41 VerwVG hätte gestützt werden können.

Ist aber der Berichtigungsbescheid der Beklagten vom 22. November 1952 rechtmäßig, so ist auch der Entzug der bisherigen Versorgungsrente gerechtfertigt. Der Kläger verliert aber wegen seines geschützten Vertrauens auf den Bestand des Bescheids seine durch den unrichtigen Bescheid erlangte formelle Rechtsstellung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts nur für die Zukunft (ex nunc), also für die Zeit nach Zustellung des Berichtigungsbescheides (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Allg. Teil, 7. Aufl. 1958 S. 248, BSG. 10 S. 76). Hieraus folgt, daß der Kläger für die Zukunft, d. i. vom Beginn des Monats an, welcher dem Monat folgt, in dem die Verwaltung dem Kläger den Berichtigungsbescheid zugestellt hat, keinen Anspruch auf Versorgung hat. Die Einstellung der Zahlungen mit dem 1. Januar 1953 war daher um einen Monat zu früh. Die Beklagte ist daher noch verpflichtet, dem Kläger für den Monat Januar 1953 Beschädigtenrente nach einer MdE. um 50 v. H. zu gewähren. Der weitergehende Klageanspruch ist indes unbegründet, weil für spätere Leistungen ein Rechtsgrund fehlt.

Bei dieser Rechtslage war auf die begründete Revision des Klägers und der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben. Auf Grund der Feststellungen des LSG. konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Aus der Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides vom 22. November 1952 (bestätigt durch den Beschluß des Beschwerdeausschusses vom 8.6.1953) folgt, daß das SG. im Ergebnis mit Recht die Klage auf Aufhebung des Berichtigungsbescheides abgewiesen hat. Die Klage auf Zusprechung von Leistungen über den 31. Dezember 1952 hinaus war nur bis zum 31. Januar 1953 begründet, im übrigen aber hat sie das SG. mit Recht abgewiesen. Entsprechend den Anträgen des Klägers war die Widerklage der Beklagten als unzulässig abzuweisen und auf die Revision der Beklagten die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen, soweit das Klagebegehren über eine Beschädigtenrente bis zum 31. Januar 1953 hinausgeht. Die Beklagte hat zwar die Widerklage nur hilfsweise (vorsorglich) erhoben; da aber der Kläger mit seinem Leistungsbegehren teilweise obsiegt hat und die Beklagte für diesen Fall Widerklage erhoben hat, mußte der Senat über die Zulässigkeit der Widerklage entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324598

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