Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigung in polnischem Büro für bergmännische Planungsarbeiten. versicherungsrechtliche Zuordnung
Leitsatz (amtlich)
"Beitrags- oder Beschäftigungszeiten in einem knappschaftlichen Betrieb" iS des § 20 Abs 4 S 1 FRG umfassen alle technischen, wirtschaftlichen und kaufmännischen Arbeiten, die im Bundesgebiet in einem knappschaftlichen Betrieb iS des § 2 Abs 1 und 2 RKG zurückgelegt worden wären.
Orientierungssatz
Ist ein Betrieb in Polen nur deshalb anders als in der Bundesrepublik organisiert, weil die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung dort eine andere ist, so müssen bei der Frage der Zuordnung polnischer Beschäftigungszeiten zur knappschaftlichen Rentenversicherung die Verhältnisse der Bundesrepublik zugrunde gelegt werden.
Normenkette
FRG § 20 Abs 4 S 1 Fassung: 1960-02-25; RKG § 2 Abs 1; RKG § 2 Abs 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die vom Kläger in der Zeit von Oktober 1969 bis Juni 1978 in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland der Rentenversicherung der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen sind.
Der 1941 in Oberschlesien geborene Kläger studierte nach Schul- und Fachschulausbildung das Bergfach an der Hochschule in G.. 1967 wurde er Diplom-Bergbauingenieur. Sodann arbeitete er bis 1969 als Schichtsteiger und Abteilungssteiger auf einer Zeche bei G.. Ab Oktober 1969 war der Kläger im Hauptbüro für bergmännische Studien und Projekte in K. beschäftigt. Dieses Büro unterstand dem Bergbauministerium. Es führte im Auftrag der Zechen technische Planungsaufgaben für größere Untertagearbeiten durch, zB Einrichten von Füllorten, Entwässerung, Streckenvortrieb, Neueinrichtung von Schachtanlagen. Die Zechen bezahlten die Planungsaufträge an das Büro. Das Büro bezahlte die Gehälter für seine Mitarbeiter selbst. Auch der Kläger wurde von dem Büro bezahlt. Die Durchführung der Planung hatte der Kläger zu überwachen. Im Rahmen der Überwachung war er auch zeitweilig unter Tage tätig. Während der Beschäftigungszeit in dem Planungsbüro wurden für den Kläger keine Beiträge zu einer der knappschaftlichen Rentenversicherung entsprechenden Berufsversicherung entrichtet. Eine solche besondere Versicherung gab es zu dieser Zeit insbesondere für Angestellte nach polnischem Recht nicht.
Seit 1978 ist der Kläger im Bundesgebiet als technischer Angestellter unter Tage tätig. Er hat den Flüchtlingsausweis A. 1980 erlitt er einen Arbeitsunfall. Nach einem erfolglosen Rentenantrag erteilte ihm die Beklagte am 14. Juni 1982 einen Bescheid über seinen Versicherungsverlauf. Darin ordnete sie die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis 11. Juni 1978 der Rentenversicherung der Angestellten zu. Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. November 1982). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis zum 11. Juni 1978 der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen (Urteil vom 25. Oktober 1984). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Auszugehen sei von den tatsächlichen Verhältnissen im Ausland. Sei der Versicherte nach den dortigen tatsächlichen Verhältnissen aber bei Zugrundelegung deutscher rechtlicher Maßstäbe in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt gewesen, so sei die Versicherungszeit der Knappschaft zuzuordnen. Nicht ausreichend sei dagegen, daß die konkrete Beschäftigung im Ausland, wäre sie unter den Verhältnissen im Bundesgebiet ausgeübt worden, der knappschaftlichen Versicherung unterlegen hätte. Der Betrieb eines Planungsbüros sei aber kein knappschaftlicher Betrieb. Denn in ihm würden keine Mineralien oder ähnliche Stoffe iS des § 2 Abs 1 Satz 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) bergmännisch gewonnen. Auch sei es kein knappschaftlicher Nebenbetrieb iS des § 2 Abs 2 RKG. Es hänge nämlich nicht betrieblich, auch nicht räumlich mit einer Zeche zusammen. Das Planungsbüro, in dem der Kläger tätig gewesen sei, sei aber für alle Zechen des Kohlenreviers zuständig gewesen. Die Arbeit des Klägers gelte auch nicht in Anwendung der Verordnung über knappschaftliche Arbeiten des Reichsarbeitsministeriums vom 11. Februar 1933 als knappschaftliche Arbeit. Denn Planungsarbeiten seien in dieser Verordnung nicht aufgeführt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. Oktober 1984 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus. Aufgrund der vom LSG festgestellten Umstände läßt sich nicht entscheiden, ob die Beschäftigungszeit des Klägers von Oktober 1969 bis Juni 1978 der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen ist.
Nach Art 2 des Gesetzes vom 12. März 1976 zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 (BGBl II 1976, 393) sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, gemäß Art 4 Abs 2 des Abkommens in demselben zeitlichen Umfang in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in entsprechender Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnt. Entsprechend Art 4 Abs 2 des Abkommens vom 9. Oktober 1975 (BGBl II 1976, 396 ff) berücksichtigt der Träger der Rentenversicherung in dem Land, in dem der Berechtigte wohnt, bei Feststellung der Rente nach den für ihn geltenden Vorschriften Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten im anderen Staat so, als ob sie im Gebiet des Staates zurückgelegt worden wären, in dem der Berechtigte wohnt. Die Beschäftigungszeiten des Klägers in Polen sind damit (versicherten) Beschäftigungszeiten in der Bundesrepublik gleichgestellt.
welcher Versicherungsart sie zuzuordnen sind, ergibt sich aus § 20 Fremdrentengesetz (FRG). Sind Beitrags- oder Beschäftigungszeiten in einem knappschaftlichen Betrieb iS des § 2 Abs 1 und 2 des RKG zurückgelegt, ohne daß Beiträge zu einer der knappschaftlichen Rentenversicherung entsprechenden Berufsversicherung entrichtet sind, so werden sie der knappschaftlichen Rentenversicherung zugeordnet, wenn die Beschäftigung, wäre sie im Bundesgebiet verrichtet worden, der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte (§ 20 Abs 4 Satz 1 FRG). Aus der Fassung dieser Vorschrift ergibt sich, daß die Beschäftigung entsprechend dem Recht der Bundesrepublik danach zu beurteilen ist, ob sie knappschaftlich versicherungspflichtig gewesen wäre, wenn die Beschäftigung sich in der Bundesrepublik vollzogen hätte. Es ist deshalb - wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 12. März 1986 (5b RKn 9/85) entschieden hat - bei der Zuordnung der Zeiten darauf abzustellen, innerhalb welcher rechtlichen Beziehungen der in Polen beschäftigte Versicherte im Bundesgebiet gearbeitet hätte.
Der Gesetzgeber bedient sich in § 20 Abs 4 Satz 1 FRG der Möglichkeitsform ("wäre"), weil ein Geschehen, das sich außerhalb der Bundesrepublik vollzogen hat, nicht deutschem Recht unterliegt. Soweit die gesetzliche Bestimmung aber voraussetzt, daß die Berechtigten in einem "knappschaftlichen Betrieb iS des § 2 Abs 1 und 2 RKG" tätig waren, spricht es in der Wirklichkeitsform "sind ... Beschäftigungszeiten ...zurückgelegt"), obwohl auch die Beurteilung eines im Ausland liegenden Betriebes nach deutschem Recht nur fiktiv sein kann. Geprüft wird also nicht, ob der Betrieb im Ausland - hier in Polen - ein knappschaftlicher Betrieb "ist", sondern ob er es wäre, wenn er in der Bundesrepublik Deutschland läge. Das hat das LSG nicht verkannt. Das LSG hat aber die durch das Gesetz angeordnete Fiktion allein darauf beschränken wollen. Nach Auffassung des LSG dürfen also bloß die Beschäftigung des Berechtigten und der Betrieb gedanklich in die Bundesrepublik verlegt werden. Doch müsse der Betrieb - auch gedanklich - so bleiben, wie er im Ausland ausgestaltet ist. Das ist sicher im allgemeinen richtig. Soweit aber ein Betrieb nur deshalb nicht knappschaftlich geprägt ist, weil er nach den spezifischen Vorschriften des ausländischen Rechtes - hier wegen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung Polens aufgrund des dortigen sozialistischen Systems - anders organisiert ist, als er es in der Bundesrepublik wäre, muß er den Verhältnissen der Bundesrepublik entsprechend gedacht werden. Soweit geht noch die Anordnung des Gesetzes, nicht die wirklichen, sondern fiktive Umstände der Prüfung zugrunde zu legen. Der Wortlaut des § 20 Abs 4 Satz 1 FRG steht dem nicht entgegen. Denn wie dargelegt, ordnet der Gesetzgeber auch in dem Teil der Voraussetzungen eine Prüfung aufgrund gedachter (fiktiver) Umstände an, in welchem er im Indikativ spricht. Eine einschränkende, lediglich aus der Satzform und aus der Bezugnahme auf § 2 Abs 1 und 2 RKG hergeleitete Auslegung der Vorschrift würde dem Sinn und Zweck des FRG widersprechen, das die Eingliederung des Versicherten in die in der Bundesrepublik bestehende Ordnung beinhaltet.
Die "Beitrags- oder Beschäftigungszeiten in einem knappschaftlichen Betrieb" iS des § 20 Abs 4 Satz 1 FRG umfassen daher alle technischen, wirtschaftlichen und kaufmännischen Arbeiten, die im Bundesgebiet in einem knappschaftlichen Betrieb iS des § 2 Abs 1 und 2 RKG zurückgelegt worden wären und damit der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätten (vgl hierzu auch Jantz-Zweng-Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Auflage, Anm 16 zu § 20 FRG, S 76) Hat der Kläger demnach in einem Betrieb gearbeitet, der in der Bundesrepublik typischerweise zum Bergbau gehört hätte, werden also zB Planungsarbeiten, wie sie der Kläger gemacht hatte, in der Bundesrepublik typischerweise von den Zechen selbst ausgeführt oder von den Bergbauunternehmen in einer Weise, daß sie knappschaftlich versichert sind, so ist der Kläger so zu behandeln, als hätte er bereits in Polen in einem Betrieb gearbeitet, der nach deutschem Recht als knappschaftlicher Betrieb angesehen wird. Die besonderen Organisationsformen des Bergbaus in Polen, die von denen der Bundesrepublik Deutschland abweichen, bleiben insoweit außer Betracht.
Da das LSG aufgrund seiner abweichenden rechtlichen Auffassung insoweit keine Tatsachen festgestellt hat, ist die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreites zu befinden haben.
Fundstellen