Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 05.11.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. November 1992 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Bauherrn gem § 729 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf Zahlung rückständiger Beiträge zur Berufsgenossenschaft (BG) in Anspruch, die durch die Tätigkeit der zwischenzeitlich erloschenen DTB-Baubetreuungsgesellschaft mbH & Co KG entstanden sind.
Die DTB-Baubetreuungsgesellschaft mbH & Co KG wurde im Jahre 1972 in das Handelsregister eingetragen. Seit Oktober 1981 befand sie sich in Liquidation; seit dem 22. Oktober 1986 ist die Gesellschaft erloschen. Gegenstand des Unternehmens war die Erstellung und Betreuung von Wohnhäusern und alle damit zusammenhängenden Geschäfte. Das Unternehmen beschäftigte vom 21. Juli 1976 bis 19. Juni 1977 eigene Arbeiter und führte mit diesen selbständig Bauarbeiten durch. Mit diesem Gewerbezweig war die GmbH & Co KG nicht in die Handwerksrolle eingetragen.
Der Beklagte und die Beigeladene schlossen am 5. März 1976 mit der Komplementärgesellschaft der GmbH & Co KG einen Bauträgervertrag, in dem sich die Gesellschaft verpflichtete, auf dem Grundstück des Beklagten und der Beigeladenen zum Preis von 130.000 DM ein Haus schlüsselfertig zu erstellen.
Die Klägerin erließ unter dem 2. Dezember 1977 einen Beitragsbescheid gegenüber der GmbH & Co KG für die Jahre 1976 und 1977 in Höhe von 33.901,74 DM. Bei der Berechnung der Beiträge legte sie den vierfachen Beitragssatz zugrunde, da das Unternehmen nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten ausgeführt habe. Die gegen diesen Beitragsbescheid eingelegten Rechtsmittel (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Bremen vom 29. April 1982) und die Vollstreckung aus dem angegebenen Urteil wegen der Beitragsforderung blieben jedoch erfolglos.
Mit Schreiben vom 13. September 1982 wandte sich die Klägerin erstmals an den Beklagten und kündigte dessen Inanspruchnahme hinsichtlich der rückständigen Beiträge der GmbH & Co KG an. Mit Schreiben vom 24. November 1987 bezifferte die Klägerin den zu zahlenden Beitrag unter Berücksichtigung des vierfachen Beitragssatzes auf 1.799,81 DM.
Die auf Zahlung dieses Betrages zuzüglich Säumniszuschlägen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade mit Urteil vom 29. Oktober 1991 abgewiesen. Der Bestand der Kommanditgesellschaft sei entgegen der Ansicht des LSG Bremen in seinem Urteil vom 29. April 1982 gesichert gewesen, da jederzeit ein Betriebsleiter hätte eingestellt und damit die materiellen Voraussetzungen für die Eintragung der Kommanditgesellschaft in die Handwerksrolle hätten erfüllt werden können. Mit Urteil vom 5. November 1992 hat das LSG Niedersachsen die Berufung zurückgewiesen. Die fehlende Bestandssicherung des Baubetriebes mit der Folge mangelnder Gewerbsmäßigkeit der Bauarbeiten iS des § 729 Abs 2 RVO könne nicht mit der fehlenden Eintragung in der Handwerksrolle begründet werden. Eine GmbH bzw GmbH & Co KG sei bereits dann in die Handwerksrolle einzutragen, wenn ein qualifizierter Betriebsleiter angestellt sei. Ein solcher Betriebsleiter hätte jederzeit eingestellt werden können. Weitere Gründe, die die fehlende Bestandssicherung des Bauunternehmens begründeten, seien nicht feststellbar. Die objektive Beweislast hierfür trage die Klägerin. Ein weiterer Grund könne insbesondere nicht in der Nichterfüllung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten durch den Baubetrieb gesehen werden, denn nach dem Ergebnis des Verfahrens sei offen, warum die Krankenversicherungsbeiträge trotz Anmeldung der Arbeitnehmer bei der Krankenkasse nicht abgeführt worden seien. Hinsichtlich der nicht abgeführten Beiträge zur BG sei zu berücksichtigen, daß das Bauunternehmen seine Beitragspflicht immer nur insoweit bestritten habe, als sie ihrem Umfang nach den einfachen Beitragssatz überstiegen habe.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die fehlende Bestandssicherung des Baubetriebes ergebe sich schon daraus, daß der Betrieb nicht in die Handwerksrolle eingetragen gewesen sei. Das LSG sei unter Verstoß gegen § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu dem Ergebnis gelangt, es sei offen, ob weitere Gründe vorlägen, die gegen die Bestandssicherheit des Baubetriebes sprächen. Solche Gründe seien sehr wohl feststellbar. Ein Grund hierfür sei die Nichterfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den Baubetrieb. Die Sozialversicherungsbeiträge seien nicht gezahlt worden, da das Bauunternehmen zahlungsunfähig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 5. November 1992 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 29. Oktober 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen anteiligen Beitrag in Höhe von 1.799,81 DM zuzüglich Säumniszuschläge in Höhe von 0,6 % pro Monat seit dem 16. Januar 1978 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Vertrag sei mit der DTB-Baubetreuungs GmbH und nicht mit der GmbH & Co KG abgeschlossen worden, so daß die GmbH & Co KG als Zwischenunternehmerin anzusehen sei. Das Bauunternehmen sei auch – wie das LSG zutreffend ausgeführt habe – in seinem Bestand gesichert gewesen. Darüber hinaus beständen grundsätzliche rechtsstaatliche Bedenken gegen die Regelung des § 729 RVO, weil der Bauherr praktisch zweimal zu den gleichen Zahlungen herangezogen werde. Es sei dem Bauherrn auch nicht zumutbar, sich über all die Voraussetzungen zu informieren, die erfüllt sein müßten, damit von gewerbsmäßigen Bauarbeiten auszugehen sei.
Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Es fehlen tatsächliche Feststellungen zur Höhe der geltend gemachten Beitragsforderung.
Nach § 729 Abs 2 RVO haftet bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten der Bauherr für die Beiträge und die übrigen Leistungen zahlungsunfähiger Unternehmer während eines Jahres, nachdem die Verbindlichkeit endgültig festgestellt ist. Zwischenunternehmer haften vor dem Bauherrn.
Mit den grundsätzlichen Bedenken gegen die Regelung des § 729 Abs 2 RVO, die das Berufungsgericht in der angegriffenen Entscheidung äußert, hat sich der Senat in der Vergangenheit bereits in mehreren Urteilen ausführlich auseinandergesetzt und entschieden, daß keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung durchgreifen (BSG Urteil vom 6. Dezember 1989 – 2 RU 27/89 – HV-Info 1990, 656; BSGE 63, 29, 30 ff auch im Hinblick auf die Bedenken des 9. Senats in seiner Entscheidung vom 15. Juni 1983 – SozR 2200 § 729 Nr 2; s auch BSGE 30, 230, 232 ff – jeweils mwN). Mag auch die Regelung des § 729 Abs 2 RVO kompliziert und ihre Anwendung im Einzelfall von der Beantwortung schwieriger Rechtsfragen abhängen, so kann ein Bauherr jedoch jedes Haftungsrisiko ausschließen, indem er sich bei der zuständigen Berufsgenossenschaft für die bei seinem Bauvorhaben tätigen Unternehmen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen läßt (BSG SozR 2200 § 729 Nr 7). Der Senat hält entgegen der Auffassung des LSG den Bauherrn auch nicht für überfordert, wenn er diese Bescheinigung vor Vergabe der Bauarbeiten einholt; denn es ist die von ihm in Betracht gezogene Firma. Der Bauherr kann sich bei Durchführung sämtlicher Bauarbeiten durch einen gewerbsmäßigen Bauunternehmer auch dadurch sichern, daß er eine Beauftragung eines Nachunternehmers ohne seine schriftliche Zustimmung ausschließt (BSGE 67, 199). Die Unkenntnis der Regelung des § 729 Abs 2 RVO steht der Anwendung dieser Vorschrift ebenso wenig entgegen, wie es bei vielen anderen nicht weniger schwierigeren und ebenso wenig bekannten Regelungen in anderen Rechtsgebieten der Fall ist. Letztlich stützt auch das LSG seine Entscheidung nicht auf die gegen die Vorschrift geäußerten Bedenken.
Die Haftung des Beklagten scheitert – wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat – nicht daran, daß ein Zwischenunternehmer vorrangig in Anspruch zu nehmen wäre. Die Regelung des § 729 Abs 2 Satz 2 RVO geht dahin, daß der Bauherr erst dann von der BG in Anspruch genommen werden kann, wenn feststeht, daß nicht nur der die Bauarbeiten ausführende Bauunternehmer, sondern auch der Zwischenunternehmer, also derjenige, mit dem der Bauherr in unmittelbarer vertraglicher Beziehung steht, zahlungsunfähig ist (KassKomm-Ricke, § 729 RVO RdNr 6). Eine derartige Konstellation ist – wie das LSG zutreffend ausführt -im Verhältnis der GmbH & Co KG zur Komplementärgesellschaft nicht gegeben. Dies ergibt sich daraus, daß das wirtschaftliche Ergebnis der GmbH im wirtschaftlichen Ergebnis der GmbH & Co KG aufgeht.
Bei den von der DTB-Baubetreuungsgesellschaft mbH & Co KG für den Beklagten verrichteten Bauarbeiten handelt es sich um nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten iS von § 729 Abs 2 Satz 1 RVO. Für die Abgrenzung der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten iS des § 729 Abs 2 RVO von den gewerbsmäßigen Bauarbeiten ist entscheidend die Bestandssicherung des die Bauarbeiten ausführenden Unternehmens (BSG Urteil vom 6. Dezember 1989, aaO mwN; BSGE 30, 230, 235 f; auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 532). Ein Gewerbebetrieb, der handwerksmäßig betrieben wird, aber nicht in der Handwerksrolle eingetragen ist, ist grundsätzlich in seinem Bestand nicht gesichert (BSG Urteil vom 26. September 1986 – 2 RU 60/85 – HV-Info 1986, 1892). Daß der Gewerbebetrieb vor einem Verbot eingestellt wurde, rechtfertigt entgegen der Auffassung des LSG keine andere Beurteilung. Unentschieden bleiben kann hier die Frage, ob sich die fehlende Bestandssicherung des die Bauarbeiten ausführenden Unternehmens allein aus der unterbliebenden Eintragung in der Handwerksrolle ergibt, da hier jedenfalls weitere Gründe vorliegen, die die mangelnde Bestandssicherung belegen.
Zwar ist es zutreffend, daß ein Einzelhandwerker, der wegen fehlender fachlicher Eignung nicht in die Handwerksrolle eingetragen werden kann, dies nicht ohne weiteres ausgleichen kann, während eine juristische Person oder eine GmbH & Co KG die Eintragsvoraussetzungen jederzeit dadurch erfüllen kann, daß sie einen qualifizierten Betriebsleiter einstellt. Daraus ergibt sich jedoch nicht ohne weiteres, daß keine negativen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Bestandssicherung einer GmbH & Co KG gezogen werden können, wenn die Gesellschaft weder im Zeitpunkt der Durchführung der im Streit stehenden Bauarbeiten noch später die Eintragsvoraussetzungen nach der Handwerksordnung erfüllt. Anderenfalls könnte jedes rechtswidrige Verhalten als rechtlich unbeachtlich angesehen werden, sofern es für die Zukunft jederzeit eingestellt werden kann. Der vorliegende Fall unterscheidet sich insoweit auch von dem Sachverhalt, über den der erkennende Senat mit Urteil vom 12. Juni 1989 (SozR 2200 § 728 Nr 6) zu entscheiden hatte. Dort war die GmbH als Unternehmerin des Baugeschäftes noch bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG in die Handwerksrolle eingetragen worden. Das Unternehmen hatte also in der Vergangenheit trotz der Gefahr der Schließung Bestand gehabt und war für die Zukunft nicht mehr von der Gefahr der behördlichen Schließung bedroht gewesen.
Die handwerksrechtlich umstrittene Frage, ob eine GmbH & Co KG, die ein Handwerk betreibt, selbst in die Handwerksrolle eingetragen wird, oder ob nur die GmbH eingetragen werden kann (in ersterem Sinne: Kübler/Aberle/Schubert, Die Deutsche Handwerksordnung, § 7 Anm 32 mwN; anderer Ansicht: Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, § 7 Anm 21 mwN), braucht hier nicht entschieden zu werden, da vorliegend weder die GmbH & Co KG noch die GmbH in der Handwerksrolle eingetragen waren.
Die fehlende Bestandssicherung des Bauunternehmens, das für den Beklagten die Bauarbeiten verrichtet hat, ergibt sich jedenfalls aus der Nichterfüllung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen hat die DTB-Baubetreuungsgesellschaft mbH & Co KG die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer zwar zur Krankenkasse angemeldet, jedoch weder die von ihr geschuldeten Beiträge zur Krankenkasse noch die Beiträge zur klagenden BG entrichtet. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 6. Dezember 1989 (aaO mwN) entschieden hat, ist die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten, insbesondere die Verletzung der Beitragspflicht gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung eindeutiges Kriterium für die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs 1 Gewerbeordnung wegen Unzuverlässigkeit. Die Weiterführung eines solchen Betriebes kann jederzeit durch behördliche Maßnahmen verhindert werden. Ein derartiges Unternehmen ist nicht in seinem Bestand gesichert. Dabei kann es keine Rolle spielen, aus welchen Gründen der Beitragsverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall vor allem, daß die DTB-Baubetreuungsgesellschaft mbH & Co KG gegenüber der Klägerin zunächst nicht einmal der ihr obliegenden Meldepflicht nachgekommen ist sowie später die Beiträge insgesamt nicht entrichtet hat und nicht etwa nur insoweit, als sie den einfachen Beitragssatz überstiegen. Aus dieser Nichterfüllung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten ergibt sich die fehlende Bestandssicherung des Baubetriebes. Es bedarf somit keiner Beweislastentscheidung, also keiner Entscheidung der Frage, wer das Risiko trägt, wenn sich nicht feststellen läßt, daß die Bauarbeiten nicht gewerbsmäßig durchgeführt wurden. Zu dieser Frage hat der Senat entgegen der Auffassung des LSG auch in seinem Urteil vom 12. Juni 1989 (2 RU 53/88 – BSG SozR 2200 § 728 Nr 6) nicht Stellung genommen.
Aus alledem ergibt sich, daß der Beklagte als Bauherr gegenüber der Klägerin für die Beiträge des nicht gewerbsmäßigen Bauunternehmers haftet. Der Senat vermochte dennoch keine abschließende Entscheidung in der Sache zu treffen, da das LSG – von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht – keine Feststellungen zur Höhe des Anspruchs getroffen hat. Diese für die endgültige Entscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das LSG noch zu treffen. Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen