Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderzuschuß bei Verpflichtung als Soldat auf Zeit
Leitsatz (amtlich)
Für ein Kind (RVO § 1262 Abs 2), das sich vor Vollendung des 25. Lebensjahres als Soldat auf Zeit verpflichtet hat, besteht jedenfalls dann kein Anspruch auf Kinderzuschuß über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus, wenn die Dauer der Verpflichtung mehr als 3 Jahre beträgt.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 2, 3 S. 3 Fassung: 1964-04-14; WehrPflG § 7
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Kinderzuschusses zu seinem Altersruhegeld (§ 1262 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) über den Monat September 1970 hinaus.
Mit Bescheid vom 22. Juli 1970 hat die Beklagte die Zahlung des Kinderzuschusses an den Kläger für dessen Sohn zum 1. Oktober 1970 eingestellt, weil dieser im September 1970 sein 25. Lebensjahr vollendete und der Wehrdienst des Sohnes, der nicht aufgrund gesetzlicher Pflicht, sondern freiwillig geleistet wurde, außer Betracht zu bleiben habe.
Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts - SG - Detmold vom 15. Dezember 1971), die Berufung ist zurückgewiesen worden (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 1972).
Nach den Feststellungen des LSG diente der Sohn des Klägers in der Zeit vom 1. Oktober 1965 bis zum 30. September 1969 als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Am 16. Februar 1970 begann er an einer Ingenieurschule für Maschinenbau ein Studium mit einer voraussichtlichen Dauer von 3 Jahren.
Das LSG ist der Ansicht, daß die Voraussetzungen des § 1262 RVO für die weitere Gewährung des Kinderzuschusses nicht vorlägen, weil sich die Berufsausbildung des Sohnes nicht durch die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht verzögert habe. Zum gesetzlichen Wehrdienst gehöre nicht der Wehrdienst, den ein Soldat auf Zeit aufgrund freiwilliger Verpflichtung leiste. Wohl habe der Gesetzgeber auf anderen Rechtsgebieten (§§ 33 b Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -, § 18 Abs. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes - BBesG -, § 164 Abs. 2 Satz 2 des Bundesbeamtengesetzes - BBG -) für vergleichbare Fallgestaltungen Regelungen getroffen, nach denen bei einer Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Wehrdienst, den ein Soldat auf Zeit aufgrund freiwilliger Verpflichtung für eine Dienstzeit von nicht mehr als drei Jahren geleistet habe, eine Anrechnung dieses Wehrdienstes unter näher bestimmten Voraussetzungen möglich sei. Für das Gebiet der Rentenversicherung fehlten jedoch entsprechende Vorschriften. Sie könnten auch nicht durch eine erweiternde Auslegung anderer Vorschriften ersetzt werden. - Es sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich, daß im Recht der Kriegsopferversorgung (KOV) sowie im Beamtenrecht die Altersgrenze, bis zu der während einer Schul- oder Berufsausbildung Kinderzuschläge zu gewähren seien, vom 25. auf das 27. Lebensjahr heraufgesetzt worden, in der Rentenversicherung dagegen eine vergleichbare Änderung gesetzlicher Vorschriften nicht vorgenommen worden sei. Anders als im Beamten- und Kriegsopferrecht würden in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Grundsätzen des Versicherungsprinzips die Mittel für Kinderzuschüsse aus einem Fond gezahlt, der - jedenfalls auch - durch Beiträge der Berechtigten gespeist werde. Dieser Unterschied rechtfertige eine unterschiedliche Regelung.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Er meint, im Rahmen des § 1262 RVO müsse der freiwillig geleistete dem gesetzlichen Wehrdienst gleichgestellt werden, weil sonst die Zeitsoldaten ungerechtfertigte Nachteile erleiden würden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des dem Verfahren zugrunde liegenden Bescheides zu verurteilen, ihm den Kinderzuschuß über den 30. September 1970 hinaus bis Ende März 1972 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung liegt der Vergünstigung des § 1262 Abs. 3 Satz 3 RVO der Gedanke zugrunde, dem Wehrpflichtigen eine Entschädigung dafür zu bewilligen, daß seine Ausbildung durch die Erfüllung einer Staatsbürgerpflicht unterbrochen oder verzögert worden sei. Personen, die ihre Ausbildung aus eigenem Entschluß abbrächen, um sich freiwillig für vier Jahre zum Wehrdienst zu verpflichten, würden von dieser Regelung nicht erfaßt.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Nach § 1262 Abs. 3 Satz 3 RVO wird ein Kinderzuschuß zur Rente für ein Kind über dessen 25. Lebensjahr hinaus dann gewährt, wenn seine Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung des gesetzlichen Wehrdienstes unterbrochen oder verzögert worden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor, die Berufsausbildung des Sohnes des Klägers ist nicht durch die Erfüllung des gesetzlichen Wehrdienstes verzögert worden. Dieses Ergebnis läßt sich allerdings - entgegen der Ansicht des LSG - nicht bereits mit der Überlegung begründen, der Sohn habe als Soldat auf Zeit keinen gesetzlichen Wehrdienst geleistet. Zwar umfaßt der aufgrund der Wehrpflicht zu leistende Wehrdienst nach § 4 des Wehrpflichtgesetzes - WPflG - nur den Grundwehrdienst, Wehrübungen einschließlich des Wehrdienstes während der Verfügungsbereitschaft sowie den unbefristeten Wehrdienst. Wollte man jedoch für die Auslegung des § 1262 RVO allein diese, aus der Systematik des Wehrpflichtgesetzes erklärliche Aufgliederung des Wehrdienstes als maßgeblich ansehen und freiwillig geleisteten Wehrdienst im Rahmen des § 1262 Abs. 3 Satz 3 RVO ganz allgemein unberücksichtigt lassen, so würde man dem Zweck dieser Regelung nicht gerecht werden. Auch der freiwillig geleistete Wehrdienst kann ebenso wie die Erfüllung des gesetzlichen Wehrdienstes im Interesse der Allgemeinheit - darauf stellt § 1262 Abs. 3 Satz 3 RVO ab - liegen.
Es muß deshalb für die Anwendung der Vorschrift nicht notwendigerweise einen Unterschied machen, ob das Interesse des Staates an der Erbringung von Wehrdienstleistungen durch eine gesetzlich begründete Verpflichtung (Grundwehrdienst) oder auf der Grundlage einer freiwilligen Entschließung des Einzelnen (Soldat auf Zeit) verwirklicht wird. Etwas anderes könnte nur angenommen werden, wenn zwischen Grundwehrdienst und dem Wehrdienst aufgrund freiwilliger Verpflichtung ein qualitativ beachtlicher Unterschied bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nach § 7 WPflG ist der aufgrund freiwilliger Verpflichtung in der Bundeswehr geleistete Wehrdienst auf den Grundwehrdienst anzurechnen.
Daraus läßt sich allerdings noch nicht beurteilen, ob freiwillig geleisteter Wehrdienst in jedem Fall als Verzögerungs- oder Unterbrechungstatbestand im Sinne des § 1262 RVO zu berücksichtigen ist. Voraussetzung ist vielmehr weiterhin, daß die Schul- oder Berufsausbildung gerade durch die Ableistung des Wehrdienstes unterbrochen oder verzögert wurde. Zweifel können insoweit bei einer freiwilligen Verpflichtung zur Leistung von Wehrdienst deshalb entstehen, weil hier als Ursache für die Verzögerung oder Unterbrechung der freie Entschluß des Wehrdienstleistenden ebensowohl in Betracht zu ziehen ist wie die gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung des Grundwehrdienstes. Es wäre indes verfehlt, bei Fällen der vorliegenden Art von vornherein die gesetzliche Pflicht zur Ableistung von Wehrdienst gegenüber der freiwilligen Verpflichtung lediglich als hypothetische Ursache für die Verzögerung oder Unterbrechung anzusehen. Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bereits in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat, kann davon ausgegangen werden, daß in aller Regel ein kurzfristiges Wehrdienstverhältnis auf Zeit nur eingegangen wird, weil andernfalls die Wehrpflicht nach dem WPflG zum Zuge käme (vgl. BVerwG Urt. vom 22. Juli 1969 - Az. VI C 62/67 - RiA 1970, 52 = Buchholz 235 § 18 BBesG Nr. 14). Die gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung von Wehrdienst ist daher möglicherweise für die freiwillig eingegangene Verpflichtung zur Ableistung von Wehrdienst nicht nur als für die rechtliche Würdigung unerheblicher Beweggrund anzusehen. Sie kann die Eigeninitiative nicht nur motivieren, sondern so bedeutungslos machen, daß sie nicht mehr als der eigentliche Grund für die Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- bzw. Berufsausbildung zu werten ist (BVerwG aaO). Aus diesen Überlegungen ergibt sich umgekehrt, daß ein freiwilliges Wehrdienstverhältnis vor dem Hintergrund der gesetzlichen Pflicht zur Leistung von Wehrdienst um so weniger als nur unbedeutende Eigeninitiative gewertet werden kann, je weiter es sich von der zeitlichen Begrenzung des Grundwehrdienstes entfernt.
Für die Beantwortung der Frage, wo die zeitliche Grenze zu ziehen ist, jenseits derer die freiwillige Verpflichtung zur Ableistung von Wehrdienst gegenüber der gesetzlichen Wehrdienstpflicht den Charakter einer eigenständigen Ursache für die Unterbrechung oder Verzögerung einer Schul- oder Berufsausbildung gewinnt, gibt die gesetzliche Regelung des § 1262 RVO keinen Anhaltspunkt. Wohl aber hat der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen Regelungen getroffen, die einen Aufschluß über die Beantwortung dieser Frage zu geben vermögen. Nach § 33 b BVG sowie nach § 18 BBesG werden Kinderzuschläge unter näher bestimmten Voraussetzungen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt. Ähnlich wie in § 1262 Abs. 3 Satz 3 RVO ist in § 33 b Abs. 4 Satz 4 BVG ausgesprochen, daß im Falle der Unterbrechung der Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht der Kinderzuschlag für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 27. Lebensjahr hinaus gewährt wird (in § 18 Abs. 4 Satz 1 BBesG ist allgemeiner auf eine Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung aus einem nicht in der Person des Beamten oder Kindes liegenden Grund abgestellt). § 33 b Abs. 4 Satz 5 BVG sowie § 18 Abs. 4 Satz 2 BBesG stellen dazu ausdrücklich klar, daß auch ein freiwilliges Wehrdienstverhältnis auf Zeit als Verzögerungs- bzw. Unterbrechungstatbestand anzuerkennen sei, jedoch nur für den Fall, daß der Wehrdienst aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung für eine Dienstzeit von nicht mehr als drei Jahren geleistet wird. Entsprechende Regelungen finden sich für die Gewährung von Waisengeld in § 164 Abs. 2 Satz 2 des BBG sowie für die Waisenrente im Versorgungsrecht in § 45 Abs. 3 Satz 4 BVG. Zu der zuletzt genannten Vorschrift hat das Bundessozialgericht - BSG - (BSG 35, 55 = SozR Nr. 14 zu § 45 BVG) ausgeführt, sie erscheine dadurch gerechtfertigt, daß mit zunehmender Länge der Dienstverpflichtung des Element der Freiwilligkeit gegenüber der Erfüllung einer allgemeinen Staatsbürgerpflicht in den Vordergrund rücke und auch die materiellen Vorteile, die einem Soldaten auf Zeit geboten würden, erheblich mehr ins Gewicht fielen, so daß die Weitergewährung von Waisenrente nicht mehr so zwingend geboten sei wie bei denjenigen Wehrpflichtigen, deren Ausbildung ohne ihr Zutun allein durch die Ableistung des Grundwehrdienstes verzögert werde.
Dieser vom BSG zur Erläuterung der Regelung des § 45 BVG genannte Gesichtspunkt trifft auch für die übrigen gesetzlichen Vorschriften zu. Es geht darum, einen Ausgleich dafür zu finden, daß der Einzelne im Interesse der Allgemeinheit eine staatsbürgerliche Pflicht (die Leistung von Wehrdienst) erfüllt, die ohne diesen Ausgleich zu einer Verkürzung zeitlich begrenzter Ansprüche führen könnte. Dabei ist der Gesetzgeber, unabhängig von den unterschiedlichen Strukturprinzipien, die dem Kriegsopferrecht sowie dem Beamten- bzw. Besoldungsrecht zugrunde liegen, von einer einheitlichen Bewertung des freiwillig geleisteten Wehrdienstes auf Zeit ausgegangen. Es wäre kein Grund dafür zu finden, warum in den genannten Rechtsbereichen die Bewertung des freiwillig geleisteten Wehrdienstes unterschiedlich hätte ausfallen sollen, denn die Interessenlage stellt sich für den Einzelnen, der verpflichtet ist, Grundwehrdienst zu leisten und dem deshalb Nachteile drohen, jeweils gleich dar.
Es liegt nahe, die gesetzgeberische Bewertung freiwillig geleisteten Wehrdienstes in den §§ 33 b, 45 BVG, 164 BBG, 18 BBesG auch für das Recht der Rentenversicherung (§§ 1262, 1267 RVO) zu übernehmen. Auch hier geht es um den Ausgleich des gleichen Interessenwiderstreits (vgl. zu allen diesen Fragen auch BSG, Urteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 77/72 -). Zu erwägen ist allerdings, ob nicht im Hinblick auf die neuerdings erfolgte Verkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes von 18 auf 15 Monate auch eine entsprechende Einschränkung des Bewertungsmaßstabes vorgenommen werden muß, und zwar in der Weise, daß nicht mehr ein freiwillig geleisteter Wehrdienst von drei Jahren - die doppelte Zeit des früheren gesetzlichen Grundwehrdienstes - als Verzögerungs- bzw. Unterbrechungstatbestand anzuerkennen ist, sondern nur noch ein freiwillig geleisteter Wehrdienst von zweieinhalb Jahren, nämlich die doppelte Zeit des heutigen gesetzlichen Grundwehrdienstes. Auf diese Frage braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht näher eingegangen zu werden. Es erscheint jedenfalls nicht vertretbar, in § 1262 RVO hinsichtlich der Bewertung freiwillig geleisteten Wehrdienstes großzügiger zu verfahren als es im Rahmen des BVG, BBG und BBesG geschehen ist. Ein freiwillig geleisteter Grundwehrdienst von vier Jahren kann nicht als Unterbrechungs- oder Verzögerungstatbestand i.S. des § 1262 Abs. 3 Satz 3 RVO berücksichtigt werden.
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Kinderzuschlag nach § 33 b BVG bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, der Kinderzuschuß nach § 1262 RVO im Regelfall dagegen nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gezahlt wird. Etwas anderes könnte angenommen werden, wenn der von § 1262 RVO erfaßte Personenkreis ohne sachlich vertretbaren Grund schlechter gestellt wäre als der des § 33 b BVG. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das BSG (Urt. vom 28. November 1973 - Az. 4 RJ 45/73 -) hat bereits in vergleichbarem Zusammenhang auf wesentliche Unterschiede zwischen dem Recht der Kriegsopferversorgung, das vornehmlich auf dem Gedanken des Ausgleichs für ein Opfer, das der Allgemeinheit gebracht worden sei, beruhe, und dem der Rentenversicherung hingewiesen. Die beiden Rechtsbereiche sind durch ihre Besonderheiten gekennzeichnet. Dazu können voneinander abweichende Normgestaltungen gehören. Dies ist auch bei der Beurteilung des Norminhalts der §§ 33 b BVG, 1262 RVO zu beachten und rechtfertigt die Anordnung einer unterschiedlichen Rechtsfolge in beiden Vorschriften. Ebensowenig wie gegen § 1267 RVO lassen sich auch gegen die Regelung des § 1262 RVO von der Erfahrung und der praktischen Vernunft her Bedenken dagegen erheben, daß der Anspruch auf Kinderzuschuß mit der Vollendung des 25. Lebensjahres wegfällt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen