Leitsatz (amtlich)
1. In einer Personenhandelsgesellschaft übt selbständige Erwerbstätigkeit iS von AnVNG Art 2 § 9a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 9a Abs 2) der Gesellschafter aus, der kraft seiner Stellung in der Gesellschaft die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Handlungen vornimmt.
2. Die auf Prokura beruhende Möglichkeit eines Gesellschafters (hier: eines Kommanditisten) zur Vornahme gewöhnlicher Geschäftshandlungen reicht zur Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit allein nicht aus (Abgrenzung zu BSG 1977-12-15 11 RA 6/77 = BSGE 45, 238, 239).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 9a Abs. 2 Fassung: 1978-07-25; ArVNG Art. 2 § 9a Abs. 2 Fassung: 1978-07-25; AnVNG Art. 2 § 13a Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 13a Fassung: 1972-10-16; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 11 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 Fassung: 1972-10-16; AVG § 24 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1247 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.02.1979; Aktenzeichen L 4 An 5/78) |
SG Itzehoe (Entscheidung vom 17.11.1977; Aktenzeichen S 2 An 131/76) |
Tatbestand
Streitig ist die Aufgabe einer selbständigen Erwerbstätigkeit.
Der 1911 geborene Kläger, seit 1940 Alleininhaber einer Großhandelsfirma, teile 1974 das Unternehmen in zwei Firmen auf, die mit Wirkung von Januar 1976 in Kommanditgesellschaften umgewandelt wurden. Je einer seiner Söhne wurde Komplementär in einer Gesellschaft, er selbst, seine Ehefrau und jeweils der andere Sohn wurden in beiden Gesellschaften Kommanditist. Nach den Gesellschaftsverträgen obliegt die Führung der Geschäfte jeder Kommanditgesellschaft (KG) dem Komplementär. Dem Kläger ist Einzelprokura eingeräumt mit dem Recht, Grundstücke zu veräußern und zu belasten. Zu allen Rechtsgeschäften, die über den normalen Rahmen des Geschäftsbetriebes hinausgehen, bedarf der Komplementär der Einwilligung der Kommanditisten.
Ab Februar 1976 gewährt die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld, nachdem sie 1973 seine Versicherungspflicht gemäß § 2 Abs 1 Nr 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) festgestellt und der Kläger nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge nachentrichtet hatte. Sie rechnete dem Kläger jedoch keine Ersatzzeiten (von 1941 bis 1948) und keine Ausfallzeiten (von 1927 bis 1934) gemäß Art 2 §§ 9a Abs 2, 13a AnVNG an, weil er die selbständige Erwerbstätigkeit nicht bis zum Eintritt des Versicherungsfalles aufgegeben habe; er nehme in den Gesellschaften noch eine beherrschende Stellung ein (Bescheid vom 4. März 1976, Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1976).
Der hiergegen erhobenen Klage haben die Vorinstanzen stattgegeben. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts -LSG- (Urteil vom 7. Februar 1979) übt der Kläger seit Januar 1976 keine selbständige Erwerbstätigkeit mehr aus. Selbständig sei nur der im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Tätige; er müsse eigenverantwortlich und persönlich unabhängig entscheiden und über die Betriebseinrichtungen und -mittel verfügen können; das wirtschaftliche Ergebnis seiner Tätigkeit müsse ihm unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichen. Der Kläger sei jedoch nur Kommanditist ohne Geschäftsführungsbefugnisse, allein die über den normalen Rahmen des Geschäftsbetriebes hinausgehenden Geschäfte bedürften seiner Einwilligung. Aus seiner Bestellung zum Prokuristen könne keine selbständige Erwerbstätigkeit abgeleitet werden; ein Prokurist könne nicht zugleich der selbständige Unternehmer sein. Wenn sich der Kläger unregelmäßig kürzere Zeiten in den Geschäftsräumen aufhalte, um sich zu informieren und den Komplementären zu raten, so nehme er dabei nur ihm als Kommanditist zustehende Rechte wahr. Die für die Unternehmen erforderlichen Entscheidungen träfen die persönlich haftenden Gesellschafter; der Kläger könne aufgrund seiner beherrschenden Stellung in der Gesellschafterversammlung lediglich in vertraglich geregelten Fällen Entscheidungen verhindern.
Mit der Revision beantragt die Beklagte,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung von Art 2 §§ 9a Abs 2, 13a AnVNG. Ein Kommanditist sei selbständig erwerbstätig, wenn er maßgebenden Einfluß auf die Gesellschaft besitze. Dies treffe für den Kläger zu. Er müsse nach dem Inhalt der Verträge vielen Rechtsgeschäften bzw -handlungen zustimmen, die zum normalen Geschäftsbetrieb gehörten. Aufgrund der ihm eingeräumten Position liege eine direktive Tätigkeit auch in der Informations- und Beratungstätigkeit.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß dem Kläger für das Altersruhegeld Ersatz- und Ausfallzeiten gemäß Art 2 §§ 9a Abs 2, 13a AnVNG (idF des 21. Rentenanpassungsgesetzes vom 25. Juli 1978) nach Maßgabe dieser Vorschriften anzurechnen sind; die streitige Frage, ob er iS von Art 2 § 9a Abs 2 Halbs 1 AnVNG seine selbständige Erwerbstätigkeit bis zum Eintritt des - am 17. Januar 1976 eingetretenen - Versicherungsfalles (des Alters) aufgegeben hat, ist zu bejahen. Mit dem noch zuvor vorgenommenen Wechsel vom Alleininhaber zweier Einzelunternehmen zum Kommanditisten zweier Kommanditgesellschaften ist die Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit erfolgt; seither übt der Kläger keine solche Tätigkeit mehr aus.
Was unter "selbständiger Erwerbstätigkeit" iS der Vorschrift zu verstehen ist, sagt das Gesetz nicht; auch andere Vorschriften der Rentenversicherung (wie etwa die §§ 2 Abs 1 Nr 11, 24 Abs 2 Satz 2 AVG) enthalten keine Definition. Das LSG hat unter Berufung auf die in BSGE 39, 152 und 45, 238 entwickelten Kriterien eine im eigenen Namen und auf eigene Rechnung verrichtete Erwerbstätigkeit verlangt. Diese Entscheidungen betrafen Fälle, in denen es um die Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen bei der Mithilfe im elterlichen Betrieb (BSG 39 aaO) oder um die Frage der selbständigen Erwerbstätigkeit bei einem Einzelunternehmer (BSGE 45 aaO) ging. Demgegenüber handelt es sich hier um den Gesellschafter einer KG. Für Gesellschafter von Handelsgesellschaften passen jedoch nicht ohne weiteres die auf Einzelunternehmer ausgerichteten Kriterien (Handeln im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, Verfügungsrecht über den Betrieb, Selbsttragen des Risikos). Im übrigen ist die "Selbständigkeit" des Klägers bei seinen Handlungen hier nicht zweifelhaft.
Der Vergleich mit dem Einzelunternehmer zeigt jedoch den richtigen Weg für die Abgrenzung der selbständig erwerbstätigen Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft von den anderen. Zum fragen ist, welche Gesellschafter in ihrer Tätigkeit dem Einzelunternehmer nahekommen. Das sind die Gesellschafter, die die laufenden unternehmerischen Entscheidungen treffen und dafür (wenn auch nur anteilsmäßig) mit das Risiko tragen. Bei ihnen darf die selbständige Erwerbstätigkeit nicht deshalb verneint werden, weil sie im Namen der Gesellschaft handeln und auch sonst nicht in vollem Umfange (zB Verfügungsrecht) dem Einzelunternehmer gleichstehen.
Hiernach übt eine selbständige Erwerbstätigkeit der Gesellschafter aus, der kraft seiner Stellung in der Personengesellschaft die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Handlungen vornimmt. Stellt man allein auf das Handelsgesetzbuch (HGB) ab, so ist das bei einer KG der Komplementär, nicht dagegen der Kommanditist; denn nach dem HGB ist nur der Komplementär zu den Handlungen befugt, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt (§ 164 Abs 1 iVm § 116 Abs 1 HGB). Die Höhe der Anteile und die Mitwirkung bei außergewöhnlichen Handlungen sind insoweit unerheblich.
Das HGB läßt allerdings für von ihm abweichende Vertragsgestaltungen - bis zur nahezu völligen Umkehr der Gesellschafterrollen - Raum. Es ist darum möglich und zulässig, daß die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Handlungen im Gesellschaftsvertrag einem Kommanditisten - allein oder im Zusammenwirken mit anderen - übertragen werden (vgl BGH, LM § 66 BEG, Nr 17). Die Beklagte meint zwar, das sei bei den in § 9 der Gesellschaftsverträge beschriebenen, der Zustimmung des Klägers bedürftigen Geschäften geschehen, so daß der Kläger zumindestens nicht jedwede selbständige Erwerbstätigkeit aufgegeben habe. Die Auffassung des LSG, daß es sich auch dabei um nicht zum normalen Geschäftsbetrieb gehörende Maßnahmen handelt, hält jedoch der Nachprüfung stand, zumal nach dem Wortlaut des § 9 "insbesondere" die dort angeführten Geschäfte zu denjenigen "zählen", die "über den normalen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen".
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann die Abgrenzung der gewöhnlichen von den außergewöhnlichen Geschäftshandlungen nicht nach allgemeinen und abstrakten Maßstäben erfolgen. Nach ständiger Rechtsprechung (RGZ 158, 302, 308; BGH, LM, § 116 HGB Nr 1) ist sie immer nur nach der Lage des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Gegenstandes des Handelsgewerbes, seines herkömmlichen Zuschnitts und der besonderen Verhältnisse der Gesellschaft möglich. Daß das LSG den § 9 der Gesellschaftsverträge von einer anderen Rechtsauffassung aus beurteilt hätte, wird von der Beklagten nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Soweit der Würdigung der dort bezeichneten Geschäfte als außergewöhnliche im weiteren tatsächliche Feststellungen des LSG zugrunde liegen, hat die Beklagte diese nicht mit Verfahrensrügen angegriffen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Im Ergebnis ebensowenig zu beanstanden ist die Äußerung des LSG, daß der Kläger ferner nicht aufgrund seiner Bestellung zum Prokuristen noch selbständig erwerbstätig ist. In einer Personenhandelsgesellschaft kann zwar ein - an sich von der Geschäftsführung ausgeschlossener - Gesellschafter mit Prokura ausgestattet werden, um mittels dieser Vollmacht die Geschäftsführung der Gesellschaft zu übernehmen. Indessen ergibt sich aus den Feststellungen des LSG nichts dafür, daß ein solcher Fall vorliegt, dh daß dem Kläger die Prokura zu dem Zwecke erteilt ist, damit er die laufenden Geschäfte der Gesellschaften führt (und nicht, wie er behauptet, davon nur in bestimmten Ausnahmefällen Gebrauch machen soll). Die vertragliche Möglichkeit allein, als Prokurist die normalen Geschäfte einer Handelsgesellschaft führen zu können, reicht aber für die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit in ihr nicht aus; hierzu bedarf es vielmehr der tatsächlichen Wahrnehmung (vgl hierzu BGH, LM, § 164 HGB Nr 2).
Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seinen Ausführungen in BSGE 45, 238, 239, wo er hat genügen lassen, daß der dortige Kläger kraft seiner Unternehmerstellung die nötigen Handlungen vorzunehmen vermochte; denn dort ging es um den Alleininhaber einer Einzelfirma, in der laufend Geschäftshandlungen erfolgten, für die niemand sonst verantwortlich sein konnte als der damalige Kläger, der sie zumindest stillschweigend billigte. So wie in jenem Falle liegen die Dinge bei einer Handelsgesellschaft jedoch nicht. Bei ihr besteht kein Bedürfnis, eine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Geschäftsführung mit der tatsächlichen Ausübung der Geschäftsführung gleichzusetzen, wenn die Geschäftsführung tatsächlich von dazu befugten anderen Personen ausgeübt wird. Auch ein mit Prokura ausgestatteter Gesellschafter übt daher nur dann eine selbständige Erwerbstätigkeit aus, wenn er auf den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gerichtete Handlungen tatsächlich vornimmt.
Einzuräumen ist freilich, daß immer eine Gesamtschau aller Rechte und Handlungen des Gesellschafters geboten ist. An dem gefundenen Ergebnis ändert sich schließlich aber nichts mehr durch die Feststellungen des LSG, daß der Kläger immer wieder einmal die Geschäftsräume aufsucht, um sich zu informieren und die Komplementäre gegebenenfalls zu beraten und daß er kraft seiner hohen Gesellschaftsanteile in den Gesellschafterversammlungen die Stimmenmehrheit besitzt. Auch aus diesen Umständen hat das LSG nicht schließen müssen, daß der Kläger im täglichen Geschäftsbetrieb "direktiv" tätig wird.
Nach alledem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen