Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragszuschuß an Bezieher einer deutschen Rente, die in Argentinien leben
Leitsatz (amtlich)
Sieht eine ausländische Pflichtversicherung eine Beteiligung des Versicherten an den Kosten für Medikamente in Höhe von 30 vH vor, so liegt darin eine mehr als geringfügige Abweichung von der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung; die Zugehörigkeit zu der ausländischen Pflichtversicherung kann daher in diesem Falle den Anspruch auf Beitragszuschuß nicht ausschließen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ausschlußcharakter der argentinischen Pflichtkrankenversicherung für Empfänger einer argentinischen Rente aus der Nationalversicherung, deren Träger das Instituto Nacional de Servicios Sociales para Jubilados y Pensionados - PAMI - ist.
2. Eine bei der PAMI bestehende Pflichtkrankenversicherung schließt die Gewährung eines Beitragszuschusses zu einer daneben (zusätzlich) bestehenden privaten Krankenversicherung nicht aus.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 4 Fassung: 1970-12-21, § 1304e Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
Tatbestand
Der in Argentinien lebende Kläger erhält ab 1. Juli 1969 von der Beklagten Altersruhegeld und eine Rente aus der Argentinischen Nationalversicherung. Die für alle Empfänger einer argentinischen Rente bestehende Pflichtkrankenversicherung umfaßt die ambulante und stationäre Behandlung sowie die Versorgung mit Medikamenten, letztere mit einem Eigenanteil von 30 %. Daneben ist der Kläger bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen, dem S M N S d l M gegen Krankheit versichert. Die Versicherung umfaßt die ambulante und stationäre Heilbehandlung, die Erstattung von Krankenhaus- und Operationskosten und sieht die Versorgung mit Medikamenten bei stationärer Heilbehandlung vor.
Die Beklagte lehnte die Gewährung eines Beitragszuschusses ab (Bescheid vom 21. Februar 1977). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 12. März 1977; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 12. Juli 1979). Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, daß der Kläger in ein Krankenversicherungssystem eingebunden sei, das wenigstens annähernd mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sei. Daß sich der Pflichtversicherte in Argentinien mit 30 % an den Aufwendungen für Medikamente selbst zu beteiligen habe, erlaube ebensowenig eine andere Beurteilung wie der Vortrag des Klägers, daß nunmehr zusätzlich Selbstbeteiligungen bei der Erstattung von Operations- und Krankenhauskosten verlangt würden. Es genüge, daß Leistungen gewährt würden, die ihrer Art nach denen der gesetzlichen deutschen Krankenversicherung entsprächen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
die Entscheidungen der Vorinstanzen und den
angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte
zur Zahlung des Beitragszuschusses für die Zeit ab 1. Dezember
1976 zu verurteilen.
Sie macht geltend, das LSG habe zu Unrecht das Berufungsvorbringen als unerheblich angesehen, daß die staatliche argentinische Gesundheitsvorsorge bei stationärer Krankenhausbehandlung Selbstkosten vorsehe.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des Klägers war die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Kläger begehrt mit der Revision den Beitragszuschuß nur noch für die Zeit ab 1. Dezember 1976. Insoweit war der Klage aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen stattzugeben.
Der Anspruch auf Beitragszuschuß richtet sich für die Zeit bis zum 30. Juni 1977 nach § 381 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis dahin geltenden Fassung (aF). Für die danach liegende Zeit bestimmt sich der Anspruch nach § 1304e idF des Gesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040). Nach den Feststellungen des LSG bestand für den Kläger bei einem privaten Versicherungsunternehmen eine sogenannte Vollversicherung iS des § 381 Abs 4 RVO aF (vgl hierzu BSGE 35, 15, 19 und SozR 2200 § 381 Nr 33 letzter Absatz) und damit für die Zeit ab 1. Juli 1977 jedenfalls auch "eine Krankenversicherung von nennenswerter Bedeutung" (vgl Urteil des Senats vom 20. März 1980 - 11 RJz 7/79 -). Die weiteren nach § 381 Abs 4 RVO aF und § 1304e RVO in gleicher Weise geltenden Anspruchsvoraussetzungen, daß der Berechtigte eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und nicht in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert ist, sind ebenfalls erfüllt. Dem Anspruch auf Beitragszuschuß steht ferner nicht entgegen, daß sich der Kläger im Ausland aufhält (vgl BSGE 31, 288 = SozR Nr 24 zu § 381 RVO). Das ist im Revisionsverfahren nicht umstritten.
Umstritten ist vielmehr allein, ob die für alle Empfänger einer argentinischen Rente bestehende Pflichtkrankenversicherung, der der Kläger aufgrund seiner argentinischen Rente aus der Nationalversicherung angehört, den Anspruch auf Beitragszuschuß ausschließt. Insoweit gilt für § 381 Abs 3 RVO aF und für § 1304e RVO in gleicher Weise, daß der Gleichheitssatz des Art 3 Grundgesetz (GG) einen Ausschluß des nach dem Gesetzeswortlaut an sich gegebenen Anspruchs dort gebieten kann, wo der Rentner von einem ausländischen gesetzlichen Krankenschutzsystem als Pflichtmitglied erfaßt wird (vgl SozR 2200 § 381 Nr 30). Als ein solches - den Anspruch ausschließendes - Krankenschutzsystem hat die Rechtsprechung früher jedes System angesehen, das der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung annähernd vergleichbar ist (SozR 2200 § 381 Nrn 22 und 30). Nach Erlaß des Berufungsurteils hat der erkennende Senat jedoch in seinen Urteilen vom 2. August und vom 15. November 1979 (SozR 2200 § 381 Nrn 33 und 34) sowie im Urteil vom 20. März 1980 - 11 RJz 7/79 - unter teilweiser Abweichung von dieser, von ihm zunächst fortgeführten Rechtsprechung die Zugehörigkeit zu einem ausländischen gesetzlichen Krankenschutzsystem nur dann als schädlich angesehen, wenn das ausländische System im Leistungsumfang - selbst wenn es nur Kosten ersetzt - der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung im wesentlichen gleicht (im Ergebnis gleichkommt), also von ihr nur unwesentlich oder geringfügig abweicht.
Es kommt somit nicht darauf an, ob die argentinische Pflichtversicherung im Hinblick auf die Eigenbeteiligung an der Versorgung mit Medikamenten bei ambulanter und stationärer Behandlung in Höhe von 30 vH und etwaige sonstige Kostenbeteiligungen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung noch "annähernd vergleichbar ist", wie das LSG auf der Grundlage der älteren Rechtsprechung angenommen hat. Entscheidend ist vielmehr, daß schon die vom LSG festgestellte Beteiligung an den Medikamenten - zur Kostenbeteiligung bei stationärer Behandlung und Operation fehlen Feststellungen des LSG - nicht mehr als eine nur unwesentliche oder geringfügige Abweichung angesehen werden kann. Dabei ist von demjenigen Versicherungsschutz auszugehen, der dem berechtigten Rentner als Pflichtmitglied der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung in der streitigen Zeit zuteil geworden wäre. Hierzu bestimmte § 182 RVO in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung des Gesetzes vom 27. Juli 1969 (BGBl I, 946) in seinem Abs 1 Satz 1, daß bei Abnahme von Arznei-, Verband- und Heilmitteln der Versicherte 20 vH der Kosten, höchstens jedoch 2,50 Deutsche Mark je Verordnungsblatt, an die abgebende Stelle zu zahlen habe. Von dieser Abgabe waren indessen gem Abs 2 Nr 1 vorgenannter Vorschrift die Rentner befreit. Für die Zeit ab 1. Juli 1977 bestimmt § 182a RVO idF des Gesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl I, 1069), daß bei der Abnahme von Arznei-, Verband- und Heilmitteln der Versicherte eine Deutsche Mark für jedes verordnete Mittel an die abgebende Stelle zu zahlen habe; die Krankenkasse könne in besonderen Härtefällen, vor allem wenn laufend Arznei-, Verband- und Heilmittel benötigt werden, von dieser Zahlung befreien. Das ist insgesamt sowohl für die Zeit vor als auch für die Zeit nach dem 1. Juli 1977 eine für die Rentner wesentlich günstigere Regelung, so daß die Regelung in Argentinien hiernach schon wegen des Medikamentenanteils mehr als geringfügig von den Leistungsbedingungen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung abweicht.
Dem Kläger steht damit der geltend gemachte Anspruch auf Krankengeldzuschuß dem Grunde nach zu. Die Beklagte wird dessen Höhe festzustellen und dabei auch die Übergangsregelung des § 28a Abs 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz zu beachten haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen