Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein landwirtschaftlicher Unternehmer während der gesamten Dauer der letzten 5 Jahre vor der Abgabe seines Unternehmens nicht nur das landwirtschaftliche Unternehmen bewirtschaftet, sondern daneben auch eine selbständige Tätigkeit als Gewerbetreibender ausgeübt, von der gleichartig Tätige ihren Lebensunterhalt üblicherweise allein bestreiten, so hat er das wirtschaftliche Unternehmen nicht überwiegend im Hauptberuf bewirtschaftet (GAL § 41 Abs 1 Buchst d Fassung: 1969-07-29) und ist er nicht hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer iS des GAL § 41 Abs 1 Buchst d (Fassung: 1972-07-26) gewesen.
2. An die von den Gemeindebehörden zum Nachweis der Voraussetzungen des GAL § 41 Abs 1 Buchst d aufgrund des GAL § 41 Abs 5 (Fassung: 1969-07-29) erteilten Bescheinigungen sind weder die landwirtschaftlichen Alterskassen noch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gebunden.
Normenkette
GAL § 41 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1969-07-29, Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1972-07-26, Abs. 5 Fassung: 1969-07-29
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. August 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1911 geborene Kläger ist Eigentümer von 5 ha Land. Seit 1957 betreibt er zusammen mit seinem Schwiegersohn in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Großhandel mit Obst und Gemüse; der Kläger ist alleiniger Geschäftsführer und Vertreter. Das Geschäft erbrachte in den Jahren 1964 bis 1968 bei einem Jahresumsatz von rd. 360.000,- DM bis 468.000,- DM jährlich einen Reingewinn von rd. 28.000,- DM bis 50.000,- DM. Beide Gesellschafter sind am Gewinn oder Verlust je zur Hälfte beteiligt. Vom 1. November 1964 bis 1. September 1971 (Abgabe) war der Kläger als landwirtschaftlicher Unternehmer nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) beitragspflichtig. Am 19. August 1971 beantragte er die Gewährung von Landabgaberente; dabei gab er an, er habe von seinem Land 4,198 ha für die Zeit vom 1. September 1971 bis 11. November 1985 verpachtet. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 23. November 1971 mit der Begründung ab, daß der Kläger in den letzten fünf Jahren vor der Abgabe sein landwirtschaftliches Unternehmen nicht überwiegend im Hauptberuf bewirtschaftet habe weil die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb diejenigen aus der Landwirtschaft wesentlich überstiegen hätten. Demgegenüber meint der Kläger, darauf sei nicht abzustellen; maßgebend sei allein, daß er jedenfalls seit 1964 im Hauptberuf Landwirt gewesen sei; seine Mitarbeit im Handelsgeschäft habe sich seitdem auf anfallende Telefonate beschränkt.
Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) besteht schon deshalb kein Rentenanspruch des Klägers, weil sich nicht feststellen lasse, daß er gemäß § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL während der fünf Jahre vor der Abgabe überwiegend hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen sei. Wie er selbst einräume, habe in dem maßgeblichen Zeitraum sein Gewinn aus dem Gewerbebetrieb den Ertrag aus seiner Landwirtschaft überstiegen. Da bei einem Selbständigen der berufliche - körperliche wie geistige - Arbeitsaufwand äußerlich nur schwer erkennbar sei, lasse sich nicht ermitteln, in welchem Unternehmen der Arbeitsaufwand größer gewesen sei; die Mitarbeit im Gewerbebetrieb habe sich keineswegs auf die Vereinnahmung des Gewinns beschränkt; es sei denkbar, daß der Kläger Landwirtschaft und Großhandel einen gleichwertigen Arbeitsaufwand gewidmet habe.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. September 1971 Landabgaberente zu gewähren.
Er rügt die Verletzung des § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL; er sei bis zur Abgabe im Hauptberuf landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet; er hat keinen Anspruch auf Landabgaberente.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Rentenanspruch des Klägers schon daran scheitert, daß die Voraussetzung des § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL nicht erfüllt ist. Nach der ursprünglichen Fassung der Vorschrift vom 29. Juli 1969 (GAL 1969) hing die Gewährung von Landabgaberente davon ab, daß der landwirtschaftliche Unternehmer seine landwirtschaftlichen Unternehmen während der fünf Jahre, die der Abgabe vorausgegangen sind, "überwiegend im Hauptberuf bewirtschaftet hat". Die Fassung vom 26. Juli 1972 (GAL 1972) hat das mit Wirkung vom 1. Oktober 1972 dahin geändert, daß er in dieser Zeit "überwiegend hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen ist".
Bei der Verneinung der genannten Voraussetzung(en) sind weder die Beklagte noch die Vorinstanzen auf § 41 Abs. 5 GAL eingegangen, wonach "der Nachweis zu Abs. 1 Buchst. d durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde geführt" wird. In dem vom Kläger benutzten Antragsformular - in dem er unter B 1 e die Frage, ob er oder sein Ehegatte in den letzten fünf Jahren vor der Abgabe des Unternehmens anderweitige Einkünfte gehabt habe, verneint hatte - hatte die Gemeinde (auf S. 4) für den dort vorgesehenen Fall, daß das Unternehmen bei Antragstellung noch nicht abgegeben war, am 19. August 1971 entsprechend dem Vordruck bescheinigt, "daß der Antragsteller bzw. sein Ehegatte während der fünf Jahre, die der Antragstellung vorausgegangen sind, sein landwirtschaftliches Unternehmen im Hauptberuf bewirtschaftet hat". Damit stand die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung des § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL indessen noch nicht fest.
Das GAL kennt seit der Fassung von 1969 in zunehmendem Maße den Nachweis gesetzlicher Tatbestandsmerkmale durch Bescheinigungen anderer Behörden und Stellen als der Alterskasse (§ 41 Abs. 3 Satz 2 GAL 1969; § 42 Abs. 3 Satz 2 GAL 1971 = § 2 a GAL 1972; § 41 Abs. 1 Buchst. e Satz 2 GAL 1974; § 42 Abs. 6 S. 1 GAL 1974; § 42 Abs. 6 Satz 2 GAL 1974; vgl. auch Art. 2 § 52 a Abs. 3 ArVNG und Art. 2 § 50 a Abs. 3 AnVNG idF des GAL 1971 und 1974). Es handelt sich dabei um Bescheinigungen über Nicht-Vermittlungsfähigkeit, über Erstaufforstung, über Nicht-Erreichbarkeit eines Vergleichseinkommens, über Einbeziehung in Förderungsmaßnahmen, über Flächenerwerb zu bestimmten Bedingungen, über Verwendung aufgenommener Flächen und über Unternehmensabgabe. Damit wird eine schon in anderen Sachgebieten geübte Praxis aufgegriffen. So hatte z. B. § 7 c des Einkommenssteuergesetzes idF vom 29. April 1950 (BGBl I S. 95) bestimmt, der für Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben bedeutsame "Nachweis", daß Wohnungen den Bestimmungen einer Rechtsverordnung entsprechen, werde "durch eine Bescheinigung der für das Wohnungswesen zuständigen Verwaltungsbehörde erbracht". Ähnlich hieß es in § 10 Abs. 4 Satz 1 des Häftlingshilfegesetzes (HHG) idF vom 25. Juli 1960 (BGBl I S. 579), der für die Gewährung von Leistungen bedeutsame "Nachweis" über das Vorliegen bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen und das Nichteingreifen von Ausschließungsgründen sei "durch eine Bescheinigung (der für die Ausstellung zuständigen Behörde) zu erbringen". Sowohl Bundesfinanzhof (BStBl 1954 III S. 189 und 303) als auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 15, 332; 21, 33) haben dabei eine Bindung der über das Begehren entscheidenden Behörde an die von der anderen Behörde erteilte Bescheinigung verneint und das damit begründet, eine solche Bindung bestehe weder allgemein noch sei sie in der konkreten Vorschrift gesetzlich angeordnet worden. Die Bescheinigungen seien damit freilich nicht wertlos; die Sachkunde der erteilenden Behörde böte in der Regel eine ausreichende Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit; in der Regel könne sich daher die entscheidende Behörde mit der Bescheinigung begnügen; nur bei (tatsächlichen oder rechtlichen) Zweifeln sei sie zu eigener Prüfung veranlaßt.
Dem tritt der Senat jedenfalls für die nach § 41 Abs. 5 GAL von den Gemeinden erteilten Bescheinigungen bei. Eine Bindung an sie ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck dieser Regelung zu entnehmen. Der Wortlaut ähnelt dem in den angeführten Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und HHG ("Nachweis" - "wird geführt" - "wird erbracht" - "ist zu erbringen"). Sinn und Zweck war offenbar die örtliche Anschauung entscheiden zu lassen, in der Annahme, die Mitbürger hätten hier ein klar erkennbares Urteil (vgl. Noell-Rüller, GAL 1969 S. 64 und Noell GAL 1971 S. 79). Ob dieses Vertrauen gerechtfertigt war, mag dahinstehen; jedenfalls betrifft der "Nachweis" auch in diesem Zusammenhang nicht nur die Feststellung von Tatsachen (vgl. BSG 20, 255), sondern außerdem ihre rechtliche Würdigung. Daß der Gesetzgeber aber eine so weitreichende Entscheidung ausschließlich den Gemeinden überlassen wollte, läßt sich nicht annehmen (vgl. die im Ausschuß für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages geäußerten Zweifel, ob die Gemeinden nicht überfordert seien, Kurzprotokoll der 105. Sitzung vom 4. Juni 1969 S. 26 und 27). Für Alterskasse und Gerichte können deshalb die von den Gemeinden erteilten Bescheinigungen nicht bindend sein.
Bei der sonach vom Senat vorzunehmenden sachlichen Prüfung ist zunächst klarzustellen, daß der Gesetzgeber mit der Neuformulierung des § 41 Abs. 1 Buchst. d im GAL 1972 diese Vorschrift inhaltlich nicht verändern wollte; er beabsichtigte nur, die in der Praxis gefundene Auslegung zu bestätigen, daß die landwirtschaftliche Unternehmereigenschaft in den fünf Jahren vor der Unternehmensabgabe nicht durchgehend vorgelegen haben müsse. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß der Gesetzgeber sich nunmehr einer Formulierung bedient, die er schon im GAL vom 27. Juli 1957 (GAL 1957) benutzt hat. "Hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer" waren gemäß der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 GAL 1957 alle "diejenigen, deren landwirtschaftliches Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet"; nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. BSG 16, 279 ff) war nicht zu prüfen, ob die Landwirtschaft als Haupt- oder Nebenberuf betrieben wurde und ob sie die Haupteinnahmequelle gewesen ist. Es bedarf keiner ausführlichen Darlegung, daß § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL in seiner Fassung im GAL 1972, aber auch in GAL 1969 so nicht verstanden werden kann. Das bestätigen die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Vorschrift. Im Regierungsentwurf des GAL 1969 war gefordert, daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer "seinen Lebensunterhalt während der fünf Jahre, die der Abgabe vorausgegangen sind, überwiegend aus den abgegebenen Unternehmen bestritten hat" (BT-Drucks. V/3970); dies wurde auf Empfehlung des Ernährungsausschusses im Sinne des Gesetz gewordenen Wortlauts des GAL 1969 geändert; dabei ging es immer darum, "diejenigen Landwirte, die ihre Unternehmen nicht hauptberuflich bewirtschafteten, d. h. in der Mehrzahl Nebenerwerbslandwirte, von dem Bezug einer Landabgaberente auszuschließen" (Kurzprotokoll des BT-Ausschusses für Sozialpolitik aaO). Die Begriffe "Hauptberuf" in § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL und "hauptberuflich" im GAL 1972 sind deshalb nicht auf das Vorhandensein einer landwirtschaftlichen Existenzgrundlage im Sinne des § 1 Abs. 4 GAL nF zu beziehen; für ihre Auslegung ist vielmehr maßgebend, ob und in welchem Umfang der landwirtschaftliche Unternehmer noch andere Berufe ausgeübt hat.
Solche anderen Berufe können eine unselbständige Beschäftigung oder eine (weitere) selbständige Tätigkeit gewesen sein. Wie die dem Senat derzeit vorliegenden Fälle zeigen, werden dabei als Kriterien für die Feststellung des Hauptberufes der Zeitaufwand oder die Einkünfte oder beide Merkmale herangezogen (vgl. auch §§ 168 Abs. 1 Nr. 1, 1228 Abs. 1 Nr. 4 und 5 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). In dem hier zu entscheidenden Fall ist die Auffassung des LSG nicht klar erkennbar. Für die Entscheidung dieses Falles bedarf es aber auch insoweit keiner eingehenden Stellungnahme.
Hier ist vielmehr auf folgendes abzustellen: Hat ein landwirtschaftlicher Unternehmer neben der Bewirtschaftung seiner Landwirtschaft noch eine andere selbständige Tätigkeit ausgeübt, von der gleichartig Tätige üblicherweise ihren Lebensunterhalt allein bestreiten, so ist er nicht überwiegend im Hauptberuf landwirtschaftlicher Unternehmer bzw. hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL 1969 bzw. 1972 gewesen. Ein zweiter Beruf von derartigem Umfang läßt die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer nicht als Hauptberuf erscheinen. Dabei ist es ohne Bedeutung, durch welche Tätigkeit ein höheres Einkommen erzielt wurde und wie hoch der jeweilige Zeitaufwand gewesen ist. Wie die Hinweise auf die örtliche Anschauung und die Einschaltung der Gemeinden in die Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals zeigen, liegt dem Gesetzgeber eine Betrachtung fern, die die einzelnen Tätigkeiten genau nach Gewinn und Zeitaufwand abwägt. Dazu kommt, daß bei selbständigen Tätigkeiten der Zeitaufwand oft nur schwer meßbar ist. Zu berücksichtigen ist außerdem, daß neben den vielen strukturpolitisch orientierten Voraussetzungen der Landabgaberente § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL in erster Linie sozialpolitisch bedingt ist; die Vorschrift soll sicherstellen, daß die Landabgaberente nur landwirtschaftlichen Unternehmern zugute kommt, die in den fünf Jahren vor der Abgabe ihren Lebensunterhalt überwiegend aus der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Unternehmens bestritten haben. Das war beim Kläger nicht der Fall. Er hat während der Gesamtdauer der letzten fünf Jahre vor der Abgabe neben der Bewirtschaftung seiner Landwirtschaft zugleich eine andere Tätigkeit als Selbständiger, nämlich als Mitgesellschafter im Großhandelsgeschäft seines Schwiegersohnes ausgeübt; diese Tätigkeit war für sich allein betrachtet durchaus geeignet, seinen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Es würde dem Sinn und Zweck und dem vorwiegend sozialen Charakter des § 41 Abs. 1 Buchst. d GAL widersprechen, die Landabgaberente auch Landwirten zugute kommen zu lassen, die während des gesamten Fünfjahreszeitraumes noch mindestens gleichwertig eine andere selbständige Tätigkeit ausgeübt haben, um so mehr dann, wenn - wie hier - der aus einer anderen Tätigkeit erzielte Gewinn sogar noch höher gewesen ist als die Einkünfte aus der Landwirtschaft.
Die Revision des Klägers ist somit unbegründet und muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen