Leitsatz (amtlich)
Zum Anspruch auf Altersruhegeld aus der Höherversicherung, wenn der Antrag auf Versichertenrente wegen Nichterfüllung der Wartezeit aus vor 1924 entrichteten Beiträgen abgelehnt wurde, der 1896 geborene Versicherte hierauf 1971 - vor Änderung des RVO § 1295 durch das Rentenreformgesetz - einen freiwilligen Beitrag und einen Beitrag zur Höherversicherung entrichtet und das Altersruhegeld aus dem einen Höherversicherungsbeitrag begehrt.
Leitsatz (redaktionell)
Für eine wirksame Beitragsentrichtung zur Höherversicherung genügt es, daß der Grundbeitrag, zu dem der Höherversicherungsbeitrag entrichtet wurde, wirksam ist.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 1234 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1248 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23, § 1295 S. 1 Fassung: 1972-10-16
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juli 1973 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist, ob der Kläger aus einem Beitrag zur Höherversicherung (HöV) Leistungen beanspruchen kann.
Die Beklagte lehnte im Jahre 1967 mit bindend gewordenem Bescheid eine Rentengewährung für den 1896 geborenen Kläger ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei; Versicherungszeiten vor dem 1. Januar 1924 könnten nicht angerechnet werden.
Am 19. Juli 1971 ließ sich der Kläger eine Versicherungskarte ausstellen und entrichtete einen freiwilligen Beitrag von 17,- DM und einen Beitrag zur HöV ebenfalls von 17,- DM. Am selben Tag beantragte er das Altersruhegeld. Die Beklagte teilte ihm mit Schreiben vom 30. August 1971 u. a. mit, nachdem er Mitglied der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) geworden sei, glaube sie, davon ausgehen zu dürfen, daß er mehr an der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) interessiert sei als an dem Altersruhegeld, das monatlich 0,20 DM voraussichtlich nicht übersteigen werde; dieses Altersruhegeld aus der HöV sei aber keine Rente in dem Sinne, daß damit die KVdR verbunden sein würde; sie würde deshalb also an die AOK keine Beiträge entrichten können. Die Beklagte bat den Kläger, in dem Schreiben zu überprüfen, ob er trotzdem dieses Verfahren durchführen wolle; falls er die Entrichtung des Grundbeitrags von 17,- DM und des HöV-Beitrags von ebenfalls 17,- DM danach unter falschen Voraussetzungen vorgenommen habe, sei sie bereit, die Beträge zurückzuzahlen.
Der Kläger bestand in seinem Antwortschreiben an die Beklagte vom 10. September 1971 auf der Durchführung des Verfahrens. Die Beklagte sah das Antwortschreiben als Klage an und legte es dem Sozialgericht (SG) vor.
Während des Klageverfahrens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 1971 den Antrag vom 19. Juli 1971 auf Gewährung eines Altersruhegeldes aus der HöV ab: Nach § 1234 der Reichsversicherungsordnung (RVO) könnten neben Beiträgen, die aufgrund der Versicherungspflicht oder der Berechtigung zur Weiterversicherung entrichtet seien, zusätzlich Beiträge "zum Zwecke der HöV" entrichtet werden; begriffsnotwendig setze die HöV eine bestehende Versicherung voraus, die dem im Gesetz vorgesehenen Zweck diene; die zum Zwecke der HöV entrichteten Beiträge sollten diese Renten noch erhöhen; vom Kläger sei eine solche Erhöhung niemals beabsichtigt worden.
Das SG Aurich hat die Beklagte zur Gewährung des Altersruhegeldes ab 1. August 1971 verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 26. Juli 1973). Das LSG hat als Streitgegenstand nur den Anspruch auf Altersruhegeld aus der HöV und nicht auch den Anspruch auf Beiträge zur KVdR angesehen. Es hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die Beklagte beanstande nicht den Grundbeitrag. Der Kläger sei zur HöV berechtigt gewesen. Die HöV sei zwar eine reine Zusatzversicherung neben und zu einer Pflicht- oder freiwilligen Versicherung. Die Wirksamkeit des Versicherungsbeitrages könne aber nicht von der subjektiven Vorstellung des Versicherten abhängig gemacht werden. Wenn der Kläger von der durch das Gesetz eröffneten Möglichkeit Gebrauch mache, liege keine mißbräuchliche Ausnutzung einer möglichen Gesetzeslücke vor. Da für die Gewährung einer Rente aus der HöV die Erfüllung der Wartezeit nicht erforderlich sei (§ 1248 Abs. 5, jetzt Abs. 7 Satz 3 RVO), komme es auf die Zahl der entrichteten Beiträge nicht an. Bei der Neufassung des § 1295 RVO durch das Rentenreformgesetz (RRG), wonach künftig Renten aus HöV-Beiträgen nur zusammen mit Versicherten- oder Hinterbliebenenrenten aus Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen zu zahlen seien, handele es sich, wie die Begründung des Entwurfs des RRG (BT-Drucks. VI/2916 S. 42) erkennen lasse, nicht um die Kodifizierung von Grundsätzen, die die Rechtsprechung herausgestellt hätte, sondern um eine echte Änderung des gesetzlichen Zustandes.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte rügt, das LSG habe nicht berücksichtigt, daß zwei Bescheide erlassen worden seien. Die Klage sei gegen den Bescheid vom 30. August 1971 erhoben worden, mit dem die Mitgliedschaft bei der KVdR abgelehnt worden sei. Das SG habe sie lediglich zur Zahlung des Altersruhegeldes verurteilt und das LSG ihre Berufung zurückgewiesen. Die Absicht des Klägers habe nicht im Bezug des Altersruhegeldes gelegen, sondern in der Mitgliedschaft bei der KVdR. Danach seien nicht nur das Altersruhegeld, sondern auch die Mitgliedschaft in der KVdR im Streit. Sie sei zur Leistung des Altersruhegeldes ab 1. August 1971 verurteilt worden, obwohl der Kläger in seinem Rentenantrag vom 19. Juli 1971 die Heranziehung eines späteren Zeitpunktes für die Erfüllung der Voraussetzungen als die Vollendung des 65. Lebensjahres abgelehnt habe. Zur Zeit der Vollendung des 65. Lebensjahres im Januar 1961 habe der Kläger unstreitig keinen Rentenanspruch gehabt. Zudem handele es sich bei der Rente aus HöV-Beiträgen nicht um Rente "im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung" (§ 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Personen, die allein aus der HöV einen Leistungsanspruch hätten, erfüllten nicht die Voraussetzungen für den Bezug einer "Rente aus der Arbeiterrentenversicherung", sondern nur für den Bezug einer Rente aus der HöV. Der Kläger ist nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist infolge Zulassung statthaft. Sie ist nicht begründet.
Das LSG hat ohne Gesetzesverletzung nur über einen Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld aus der HöV entschieden. Nur dieser Anspruch war Streitgegenstand in diesem Verfahren.
Der Streitgegenstand wird durch das Begehren des Klägers in Verbindung mit dem angefochtenen Bescheid bestimmt (§§ 123, 141 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; SozR Nr. 5 zu § 123 SGG). Der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens wird dementsprechend durch den Antrag des Berufungsklägers in Verbindung mit dem angefochtenen Urteil des SG umrissen. Die Beklagte hat ihr Schreiben vom 30. August 1971 als Bescheid aufgefaßt. Dem konnte der Senat nicht folgen. Dieses Schreiben stellt nach Inhalt und Form keinen Verwaltungsakt dar; es enthält keine Maßnahme der Beklagten, von der schon unmittelbar Rechtswirkungen ausgingen. Die Beklagte hat darin dem Kläger ihre Rechtsauffassung dargelegt. Dazu konnte sie sich veranlaßt sehen, weil der Kläger mit dem begehrten Altersruhegeld aus dem einen HöV-Beitrag offensichtlich nur eine Voraussetzung für seine Mitgliedschaft in der KVdR mit Beitragspflicht der Beklagten schaffen wollte (§ 165 Abs. 1 Nr. 3, § 381 Abs. 2, § 1235 Nr. 5 RVO). Aus der Formulierung des Satzes in dem Schreiben vom 30. August 1971 "Wir würden deshalb ... an die AOK ... keine Beiträge entrichten können" kann noch nicht die endgültige Ablehnung der Beitragszahlung der. Beklagten zur KVdR entnommen werden. Zu der Wortfassung "wir würden" gehört die gedankliche Ergänzung "wenn Rente aus der HöV gewährt und die Beklagte von der AOK als Beitragsschuldner in Anspruch genommen wird". Damit wird auf künftige, noch ungewisse Umstände hingewiesen. Auch der Satz "Wir bitten Sie zu prüfen, ob Sie trotzdem dieses Vorfahren durchführen wollen" spricht nicht für eine abschließende Entscheidung der Beklagten über ihre Beitragspflicht gegenüber der AOK. Er bedeutet vielmehr, der Kläger solle sich nach Darlegung der Rechtsauffassung der Beklagten überlegen, ob er seinen Rentenantrag zurücknimmt. Darauf weist insbesondere das Anerbieten der Beklagten hin, den freiwilligen Beitrag und den HöV-Beitrag zurückzuzahlen. Die nach dem Schreiben vom 30. August 1971 zu erwartende Antwort des Klägers mußte dahin lauten, daß er seinen Rentenantrag zurücknimmt oder daß er die "Durchführung des Verfahrens" verlangt. Mit der "Durchführung des Verfahrens" kann nur das Verwaltungsverfahren gemeint sein, das durch den Rentenantrag eingeleitet wurde und mit der Erteilung eines Bescheides über die Gewährung oder Ablehnung des Altersruhegeldes enden sollte. Insgesamt wollte die Beklagte den Kläger durch ihre Rechtsausführungen in dem Schreiben vom 30. August 1971 von der Aussichtslosigkeit seines Antrages auf Gewährung eines Altersruhegeldes aus dem einen HöV-Beitrag wegen des von ihm letzten Endes allein verfolgten Zweckes - Mitgliedschaft in der KVdR und Beitragszahlung der Beklagten - überzeugen.
Gegen die Auslegung des Schreibens der Beklagten vom 30. August 1971 als Bescheid über die Ablehnung einer Beitragsleistung zur KVdR spricht auch der Umstand, daß die Beklagte die AOK nicht beteiligt hat. Denn bei der KVdR sind nicht nur der Kläger als sachlich Berechtigter und die Beklagte als Beitragsschuldnerin, sondern auch die AOK als die zu Leistungen Verpflichtete und Beitragsgläubigerin betroffen. Würde der Rentenversicherungsträger allein gegenüber dem Rentenbewerber seine Beitragspflicht zu dessen KVdR mit Verwaltungsakt ablehnen, so würde dieser Verwaltungsakt der mitbetroffenen AOK gegenüber nicht bindend, solange er ihr nicht bekanntgegeben ist (vgl. auch BSG 15, 118, 122 ff; 25, 34; 34, 289, 291). Die Beklagte hat ihr Schreiben vom 30. August 1971 nur an den Kläger gerichtet. Eine Entscheidung über ihre Beitragspflicht wäre deshalb gegenüber der AOK nicht bindend geworden.
Der Bescheid, der bei der "Durchführung des Verfahrens", wie im Schreiben der Beklagten vom 30. August 1971 angeführt, zu ergehen hatte, ist der am 24. November 1971 erlassene Bescheid. Darin hat die Beklagte nur über den Antrag vom 19. Juli 1971 auf Gewährung des Altersruhegeldes aus der HöV entschieden. Dieser Bescheid ist angefochten und Streitgegenstand.
Das LSG hat ohne Rechtsirrtum einen Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld aus dem einen Beitrag zur HöV bejaht.
Der Kläger hat zwar die Frage Nr. 42 im Antragsvordruck "Soll das Altersruhegeld - vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - später beginnen als mit dem Ablauf des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet worden ist?" verneint. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß ein Anspruch deshalb nicht bestehe, weil im Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres - Januar 1961 - der freiwillige Beitrag und der HöV-Beitrag noch nicht entrichtet waren. Aus dem Verhalten, wie Beitragsentrichtung am 19. Juli 1971 und Antragstellung am gleichen Tag, ergibt sich, daß der Kläger den Willen hatte, ein Altersruhegeld jetzt zu erhalten, nachdem er durch die Entrichtung des HöV-Beitrags die Voraussetzung dafür geschaffen hatte.
Der Rentenantrag ist auch nicht deshalb unbegründet, weil der Kläger mit der Entrichtung des HöV-Beitrags nicht die Erhöhung einer zu gewährenden, auf freiwilligen oder Pflichtbeiträgen beruhenden Rente erreichen konnte. Nach § 1234 RVO kann der Versicherte neben Beiträgen, die aufgrund der Versicherungspflicht oder der Berechtigung zur Weiterversicherung entrichtet sind, zusätzlich Beiträge zum Zweck der HöV entrichten. Der Begriff "zum Zweck" ist zwar im Gesetzeswortlaut enthalten. Doch sind diese Worte nicht in dem Sinne zu verstehen, wie es die Beklagte dargelegt hat. Mit den Worten "zum Zweck" wird nicht eine besondere Absicht oder Vorstellung als weitere Voraussetzung für die wirksame Entrichtung von HöV-Beiträgen verlangt, die auf Seiten des Versicherten subjektiv bei der Beitragsentrichtung gegeben sein müßte. Mit den Worten "zum Zweck" werden nur der Sinn und die Bedeutung solcher zusätzlicher Beiträge aufgezeigt, nämlich dem Versicherten eine höhere Versorgung als allein aus den Pflicht- und freiwilligen Beiträgen zu ermöglichen. Das Gesetz stellt es bei der HöV, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, nur auf objektive Tatbestände ab, wie Vorhandensein von Grundbeiträgen bei der Entrichtung von HöV-Beiträgen und Eintritt eines Versicherungsfalles für die Leistung. Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der HöV.
Nach § 1389 RVO aF war lediglich die Versicherung in einer höheren Klasse erlaubt. Von einem besonderen "Zweck" der Entrichtung höherer Beiträge als gesetzlich vorgeschrieben, war im Gesetz nichts erwähnt. Mit dem Gesetz über die HöV in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten vom 14. März 1951 (BGBl I 188) wurde die HöV neu und anders geregelt. § 2 dieses Gesetzes bestimmte: "Zu jedem Beitrag für die Pflichtversicherung, Selbstversicherung oder Weiterversicherung kann ein Beitrag der Klassen ... für die HöV entrichtet werden. Die Beitragsklasse kann frei gewählt werden". In dem Entwurf der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze (RVNG) der Bundesregierung - BT-Drucks. II/2437 - wird die Gesetz gewordene Fassung des § 1234 RVO n. F. begründet:
"Die Vorschrift tritt an die Stelle des HöVG. Die Versicherten sollen wie bisher die Möglichkeit haben, im Rahmen der eigens für sie geschaffenen Rentenversicherung zusätzliche Vorsorge für sich und ihre Hinterbliebenen zu treffen."
Der Ausschuß für Sozialpolitik hat hierzu nichts Weiteres ausgeführt (BT-Drucks. II/3080). Hiernach ist mit dem Gebrauch der Worte "zum Zweck der HöV" gegenüber den Worten "für die HöV" in § 2 HöVG nicht eine sachliche Änderung der Voraussetzungen einer Beitragsentrichtung zur HöV beabsichtigt gewesen.
Da der Grundbeitrag und der HöV-Beitrag wirksam entrichtet sind, die Erfüllung der Wartezeit nicht erforderlich ist (§ 1248 Abs. 5 RVO idF vom 23.2.1957) und § 1295 RVO idF des RRG erst Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1972 erfaßt, hat der Kläger die Voraussetzungen für das Altersruhegeld aus einem Beitrag zur HöV erfüllt.
Die Frage, ob die Rente allein aus HöV-Beiträgen eine "Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter" ist (§ 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO), stellt sich erst, wenn es um die Beitragspflicht der Beklagten zur KVdR des Klägers geht. Diese ist aber, wie ausgeführt, nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Aus dem gleichen Grund ist in diesem Verfahren auch nicht zu entscheiden, ob der Kläger rechtsmißbräuchlich handelt, wenn er aufgrund des Altersruhegeldes aus dem einzigen Beitrag zur HöV die Rentnerkrankenversicherung mit Beitragspflicht der Beklagten beanspruchen will, obwohl er bei Entrichtung des HöV-Beitrages wußte, daß er eine Rente aus seinen Pflicht- und freiwilligen Beiträgen nicht erhalten konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1646508 |
BSGE, 124 |