Leitsatz (redaktionell)

1. Hat der Kläger einen bestimmten Versorgungsanspruch lediglich aus Unkenntnis während der Geltungsdauer des KOVNOG 1 nicht geltend gemacht, steht ihm dieser Anspruch (Berufsschadensausgleich) nicht schon ab 1964-01-01, sondern erst ab Antragstellung - 1964-10-01 - zu.

2. Zur Frage des "neuen Anspruchs" iS des KOVNOG 2 Art 6 § 1 Abs 2.

 

Normenkette

KOVNOG 2 Art. 6 § 1 Abs. 2 Fassung: 1964-02-21

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. August 1966 und des Sozialgerichts Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 28. Februar 1966 aufgehoben.

Die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Versorgungsamts vom 22. Juni 1965 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sämtlicher Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger, der wegen verschiedener Schädigungsfolgen Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. bezieht, beantragte im Oktober 1964 Berufsschadensausgleich, der mit Bescheid des Versorgungsamts vom 22. Juni 1965 ab 1. Oktober 1964 in Höhe von 139,- DM bzw. 136,- DM bewilligt wurde. Der Kläger wandte hiergegen ein, der Anspruch auf Berufsschadensausgleich stehe ihm bereits ab 1. Januar 1964 zu, weil er von der Möglichkeit, schon nach dem Ersten Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) - 1. NOG - einen Berufsschadensausgleich zu beantragen, keine Kenntnis gehabt habe und er auch vom Versorgungsamt hierauf nicht hingewiesen worden sei. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten mit Urteil vom 28. Februar 1966 verurteilt, dem Kläger den Berufsschadensausgleich bereits ab 1. Januar 1964 zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die zugelassene Berufung des Beklagten mit Urteil vom 15. August 1966 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1964 stehe dem Kläger zu, wenn sein im Oktober 1964 gestellter Antrag einen "neuen Anspruch" im Sinne des Art. VI § 1 Abs. 2 des Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) - 2. NOG - betreffe und er deshalb nach dieser Vorschrift auf den 1. Januar 1964 zurückwirke. Das sei der Fall. Denn unter "neuen Ansprüchen" seien auch solche Ansprüche zu verstehen, die zwar bereits auf das vor Inkrafttreten des 2. NOG geltende Versorgungsrecht hätten gestützt werden können, die jedoch durch Stellung eines entsprechenden Antrags erst aufgrund des 2. NOG innerhalb der in dessen Art. VI § 1 Abs. 2 Satz 2 oder 3 eröffneten Jahresfristen geltend gemacht worden seien. Der Versorgungsantrag habe nicht nur für den Gang des Verwaltungsverfahrens, sondern auch sachlich-rechtliche Bedeutung. Zu den willensunabhängigen Tatbestandsmerkmalen müsse der Antrag des Berechtigten als weiterer rechtsbegründender Faktor hinzukommen. Wenn sonach der Versorgungsanspruch erst durch Stellung des Versorgungsantrags entstehe, so könne für die diesen Stammanspruch ergänzenden Ansprüche und damit auch für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich nichts anderes gelten. Denn es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dem Versorgungsantrag für die Entstehung des Stammanspruchs eine andere - weitergehende - Bedeutung beizumessen als für die Entstehung ergänzender Ansprüche. Deshalb könne auch nicht darauf abgestellt werden, ob etwa der Stammanspruch und der ergänzende Anspruch in einem einheitlichen oder in getrennten Anträgen geltend gemacht würden; vielmehr müsse einheitlich für alle Versorgungsanträge - auch für die Anträge auf Ergänzungsleistungen - von der durch BSG 2, 290 (293 ff) näher erläuterten sachlich-rechtlichen Bedeutung des Antrages ausgegangen werden. Danach gehöre der erstmals durch den Antrag des Klägers vom Oktober 1964 geltend gemachte Anspruch auf Berufsschadensausgleich zu den "neuen Ansprüchen" im Sinne der strittigen Vorschrift, "die sich aus diesem Gesetz ergeben". Deshalb wirke er auf den 1. Januar 1964 zurück. Der Kläger habe die Gewährung des Berufsschadensausgleichs erst verlangen können, nachdem er neben den von seinem Willen unabhängigen sachlich-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen auch die gleichwertige sachlich-rechtliche Voraussetzung des Antrags (BSG 2, 293) erfüllt gehabt habe. Da dies unter der Geltung des 2. NOG geschehen sei, habe sich der Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich nur "aus diesem Gesetz ergeben" können. Die Bestimmungen des 1. NOG seien im Zeitpunkt der Antragstellung bereits durch diejenigen des 2. NOG ersetzt und für die hier allein streitige Zeit ab 1. Januar 1964 außer Kraft getreten gewesen. Somit bedürfe es keiner Prüfung mehr, ob der Kläger die von seinem Willen unabhängigen sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich nach dem 1. NOG erfüllt habe und ob deshalb der hier streitige Anspruch nicht zu den neuen Ansprüchen im Sinne des Art. VI § 1 Abs. 2 Satz 1 des 2. NOG gehöre. Denn selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt gewesen wären, hätte der Kläger doch ohne einen Antrag auf Berufsschadensausgleich keinen Anspruch auf den ihm möglicherweise schon nach dem 1. NOG zustehenden Berufsschadensausgleich gehabt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar in mehreren Entscheidungen zu § 88 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und ebenso in je einer Entscheidung zu Art. II des 6. Änderungsgesetzes und zu Art. IV des 1. NOG einen "neuen Versorgungsanspruch" bzw. eine "neue Leistung" nur angenommen, wenn deren rechtliche Voraussetzungen - abgesehen vom Antragserfordernis (BSG 2, 290) - nach dem jeweils vorangegangenen Recht nicht erfüllt gewesen seien. Dieser Auffassung könne das LSG jedoch für die Auslegung des Art. VI § 1 Abs. 2 Satz 1 des 2. NOG nicht folgen. Das BSG habe nämlich im Urteil vom 23. März 1966 (9 RV 1012/63) erklärt, die von der Durchführungsverordnung zu § 13 BVG vom 6. Juni 1961 geschaffene Möglichkeit, für ein Motorfahrzeug einen Zuschuß bis zu 2.000,- DM - statt früher 1.000,- DM - zu gewähren, stelle einen "neuen" Anspruch im Sinne des Art IV § 1 Abs. 2 Satz 1 des 1. NOG dar. Deshalb sei zumindest zweifelhaft, ob die erwähnte Rechtsprechung des BSG zum Begriff des neuen Anspruchs auch auf die genannte Übergangsvorschrift des 1. NOG und auf die gleichlautende hier strittige Vorschrift des 2. NOG ausgedehnt werden könne. Der Auffassung des Senats liege auch die Erwägung zugrunde, daß die Regelung des Berufsschadensausgleichs nach dem 1. NOG durch das 2. NOG wesentliche Änderungen erfahren habe. Denn letzteres habe den Kreis der Berechtigten über die vom 1. NOG bezeichnete Gruppe der Erwerbsunfähigen hinaus auf alle Schwerbeschädigten ausgedehnt, den Grenzwert des rechtserheblichen Einkommensverlustes von 100,- DM auf 75,- DM gesenkt und den Berufsschadensausgleich von drei Zehnteln des Einkommensverlustes (höchstens 300,- DM) auf vier Zehntel des Einkommensverlustes (höchstens 400,- DM) erhöht. Bringe aber die Rechtsänderung den zusätzlich erfaßten Gruppen der Beschädigten mit einer MdE von 50 bis 80 v.H. und der Beschädigten mit einem Einkommensverlust von 75,- DM bis 100,- DM monatlich einen neuen Anspruch, so könne jedenfalls hinsichtlich des sich daraus ergebenden Mehrbetrages des Berufsschadensausgleichs nichts anderes gelten. Da sich durch das 2. NOG in Höhe des vierten Zehntels des Einkommensverlustes ein neuer Anspruch ergeben habe, wäre bei anderer Auffassung für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zum Beginn des Antragsmonats nur ein Zehntel des Einkommensverlustes, für die spätere Zeit aber der volle Berufsschadensausgleich von vier Zehnteln des Einkommensverlustes - bis zu 400,- DM - zu gewähren. Dies zeige, daß sich unbefriedigende Lösungen ergäben, wenn in die Beurteilung der Frage, ob es sich um einen neuen Anspruch handele, die sachlich-rechtliche Bedeutung des Versorgungsantrages nicht einbezogen werde. Für die Auffassung des Senats sei aber auch die Erwägung mitbestimmend, daß es dem Geist des Versorgungsrechts nicht entspreche, die erwerbsunfähigen Schwerbeschädigten im Vergleich zu den noch erwerbsfähigen Schwerbeschädigten wegen ihrer Unkenntnis der maßgebenden Bestimmungen und wegen ihrer darauf beruhenden Zurückhaltung in der Ausübung des schon nach dem 1. NOG bestehenden Antragsrechts rechtlich zu benachteiligen. Gerade denjenigen Erwerbsunfähigen, die die Versorgungsverwaltung nicht mit ihnen zweifelhaft erscheinenden Anträgen auf Berufsschadensausgleich belasten wollten, würde nach der vom Beklagten vertretenen Auffassung die Rechtswohltat des Art. VI § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 des 2. NOG verweigert. Dadurch würden sie förmlich dazu gezwungen, bei jeder Änderung des Versorgungsrechts vorsorglich den generellen Antrag auf "alle ihnen zustehenden neuen Ansprüche" zu stellen. Es entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers, den Versorgungsberechtigten eine solche Haltung anzuerziehen und der Versorgungsverwaltung die damit zwangsläufig verbundene Mehrbelastung aufzubürden. Der Senat befinde sich im Ergebnis auch in Übereinstimmung mit den grundsätzlichen Ausführungen des Großen Senats des BSG im Beschluß vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 246, 249 f); dieser habe zur Ausschlußfrist des § 58 Abs. 1 BVG entschieden, diese Frist gelte nicht, wenn die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben seien, weil es nicht Zweck der Fristvorschriften sei, die Verfolgung sachlich berechtigter Ansprüche zu erschweren. Entsprechendes müsse auch bei Anwendung des Art. VI § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 des 2. NOG namentlich deshalb gelten, weil diese Bestimmungen gerade darauf abzielten, berechtigte Ansprüche auch für einen schon vergangenen Zeitraum zu wahren und weil ihnen deshalb nicht die Absicht des Gesetzgebers entnommen werden könne, berechtigte Ansprüche dann nicht ab 1. Januar 1964, sondern erst ab Antragstellung zuzulassen, wenn sie auch schon vor dem 1. Januar 1964 hätten erhoben werden können.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte Verletzung des Art. VI § 1 Abs. 2 des 2. NOG. Die strittige Vorschrift stelle lediglich eine Schutzvorschrift für diejenigen Rentenberechtigten dar, die das Gesetz neu in den Kreis der Versorgungsberechtigten einbeziehe. Der Begriff des "neuen Anspruchs" in den Übergangsvorschriften der bisherigen Novellen zum BVG bzw. des 1. und 2. NOG zum BVG könne keine andere Deutung erfahren als der ähnlich lautende Begriff in § 88 BVG idF vom 20. Dezember 1950. Um einen "neuen Versorgungsanspruch" im Sinne dieser Vorschrift handele es sich nur dann, wenn der Anspruch nach den vor dem BVG maßgebend gewesenen versorgungsrechtlichen Vorschriften nicht bestanden und erst im BVG seine Grundlage gefunden habe. Habe der Anspruch schon nach den vorher geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften angemeldet werden können, so handele es sich nicht um einen neuen Anspruch, gleichgültig, ob und aus welchen Gründen die Anmeldung unterblieben sei. Entsprechendes gelte, wenn der Anspruch verspätet angemeldet worden sei. In diesem Sinne habe sich auch das Bundessozialgericht (vgl. z.B. Urteil vom 14. Mai 1958 - Az.: 11/9 RV 1042/55) ausgesprochen und dargetan, daß es sich nicht um einen neuen Anspruch im Sinne des § 88 BVG handele, wenn schon nach bisherigem Recht die Möglichkeit bestanden habe, Rente zu beantragen, ein Antrag aber nicht gestellt worden sei. Der Kläger habe nicht erst durch das 2. NOG, sondern schon nach den Vorschriften des 1. NOG einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt, wobei es gleichgültig sei, aus welchen Gründen die Antragstellung unterblieben sei. Die Auffassung des LSG, es sei nicht zu prüfen, ob der Kläger schon nach dem 1. NOG einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt habe, begegne auch mit Rücksicht auf § 194 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches Bedenken. Die Entscheidung des Großen Senats (BSG 14, 246, 249) betreffe die Funktion der Fristvorschrift des § 58 BVG, aber nicht das Antragserfordernis als materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung von Versorgungsansprüchen.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. August 1966 und des Sozialgerichts Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 28. Februar 1966 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts M vom 22. Juni 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1965 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Dem LSG-Urteil sei zuzustimmen, zumal danach Härten vermieden würden.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch sachlich begründet.

Im vorliegenden Fall besteht weder Streit über die Höhe des dem Kläger ab 1. Oktober 1964 bewilligten Berufsschadensausgleichs noch darüber, daß dem Kläger bereits nach den Bestimmungen des 1. NOG ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich zugestanden haben würde, wenn er vor dem Inkrafttreten des 2. NOG einen solchen Antrag gestellt hätte; aus den Versorgungsakten ergibt sich denn auch, daß der Kläger in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum Juni 1964 kein Arbeitseinkommen bezogen hat und ausschließlich auf seine Angestelltenrente und die Versorgungsbezüge angewiesen war. Da nur der Beklagte Revision eingelegt hat, war lediglich zu prüfen, ob dem Kläger bereits vom 1. Januar 1964 an (anstatt ab 1. Oktober 1964) ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich zusteht. Dies war zu verneinen.

Nach Art. VI § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des 2. NOG werden "neue Ansprüche", die sich aus diesem Gesetz ergeben, nur auf Antrag festgestellt. Wird der Antrag binnen eines Jahres nach Verkündung des Gesetzes (am 27. Februar 1964) gestellt, so beginnt die Zahlung mit dem 1. Januar 1964, frühestens mit dem Monat, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind. Da der Kläger den Antrag auf Berufsschadensausgleich innerhalb dieser bis Februar 1965 laufenden Jahresfrist, nämlich im Oktober 1964, gestellt hat, wäre der ihm bewilligte Berufsschadensausgleich bereits ab 1. Januar 1964 zu zahlen, sofern es sich dabei um einen "neuen Anspruch" im Sinne des Art. VI § 1 Abs. 2 des 2. NOG handelte. Das ist jedoch nicht der Fall. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich einerseits, daß sich der "neue Anspruch" aus "diesem Gesetz", d.h. aus dem 2. NOG ergeben muß; andererseits muß aber auch angenommen werden, daß es nicht genügt, wenn durch das 2. NOG im konkreten Fall nur ein "höherer Anspruch" eingeräumt worden ist. Die durch das 2. NOG eingetretenen Leistungsverbesserungen könnten nur dann einen "neuen Anspruch" im Sinne der strittigen Vorschrift begründen, wenn der Kläger wegen der Höhe seiner MdE oder seines sonstigen Einkommens nach dem 1. NOG noch keinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt hätte. Das ist jedoch unstreitig nicht der Fall. Schon deshalb kann der Hinweis des LSG, auf die durch das 2. NOG eingeführten Verbesserungen und auf einen hieraus sich etwa ergebenden "Mehrbetrag des Berufsschadensausgleichs" seine gegenteilige Auffassung nicht rechtfertigen. Auch die Erwägung des LSG, es würden sich "unbefriedigende Lösungen" ergeben, wenn bei anderer Auffassung für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zum Beginn des Antragsmonats nur ein Zehntel des Einkommensverlustes, für die spätere Zeit aber der volle Berufsschadensausgleich von vier Zehnteln des Einkommensverlustes - bis zu 400,- DM - zu gewähren sei, dürfte keine praktische Bedeutung besitzen, da bei einem bereits nach den Vorschriften des 1. NOG bewilligten Berufsschadensausgleich die Umstellung der laufenden Versorgungsbezüge gemäß Art. VI § 1 Abs. 1 des 2. NOG von Amts wegen erfolgt. Da der Kläger als "Erwerbsunfähiger" schon nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG unstreitig einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich hatte. den er lediglich aus Unkenntnis während der Geltungsdauer des 1. NOG nicht geltend gemacht hat, fehlt es sonach an der Voraussetzung eines "neuen Anspruchs".

Wenn der Kläger auch insoweit einen Rechtsverlust erlitten hat, so ist es doch nicht der Sinn des Art. VI § 1 Abs. 2 des 2. NOG, solche Nachteile auszugleichen. Diese Vorschrift will nur diejenigen Versorgungsberechtigten begünstigen und schützen, die durch das 2. NOG entweder neu in den Kreis der Rentenberechtigten einbezogen worden sind oder denen durch das 2. NOG erstmalig ein Anspruch auf eine bestimmte zusätzliche Leistung erwachsen ist. Der Gesetzgeber hat dabei in Betracht gezogen, daß bei der Einführung neuer Leistungen erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit vergeht, bis die neuen Bestimmungen zur Kenntnis der Versorgungsberechtigten gelangen. Deshalb wird denjenigen Personen, die nach früherem Recht keine Leistung dieser Art zu beanspruchen hatten, eine gewisse Frist eingeräumt, bis sie unter normalen Umständen Kenntnis davon erhalten können, daß ihnen nunmehr - im Gegensatz zu früher - eine solche Versorgungsleistung zusteht (vgl. BSG 17, 109). Demgemäß hat das BSG im Urteil vom 29. Mai 1962 - 10 RV 979/59 zu der rechtsähnlichen Bestimmung des Art. II des 6. Änderungsgesetzes zum BVG vom 1. Juli 1957 - BGBl I 661 - bereits entschieden, daß als "neue Leistungen" im Sinne dieser Übergangsvorschrift nur solche Leistungen angesehen werden können, die "ihrer Art nach" auf Grund des früheren Rechts - bei rechtzeitiger Antragstellung - nicht gewährt werden konnten (vgl. BSG 17, 105). In diesem wie auch im vorliegenden Fall gilt grundsätzlich das gleiche, was der 11. Senat des BSG im Urteil vom 14. Mai 1958 - 11/9 RV 1042/55 - (= BSG 7, 187 ff) zu den in § 88 BVG idF vor dem 1. NOG (aF) genannten "neuen Versorgungsansprüchen" entschieden hat. Dort wurde unter Hinweis auf Gesetzesmaterialien, Rechtsprechung und Schrifttum betont, daß § 88 eine "Schutzvorschrift für diejenigen künftigen Rentenberechtigten" sei, die das Gesetz "neu in den Kreis der Rentenberechtigten einbeziehe ..." und ausgesprochen, daß es sich nicht um einen "neuen Versorgungsanspruch" im Sinne des § 88 BVG handelt, wenn schon nach bisherigem Versorgungsrecht "die Möglichkeit" bestanden hat, Rente zu beantragen, ein Antrag aber nicht gestellt worden ist (BSG in SozR Nr. 3 zu § 88 BVG = BSG 7, 187). Da letzteres auch hier der Fall ist, betraf der vom Kläger im Oktober 1964 gestellte Antrag auf Berufsschadensausgleich keinen "neuen Anspruch" im Sinne des Art. VI § 1 Abs. 2 des 2. NOG.

Die Hinweise des LSG auf das Urteil des erkennenden Senats vom 23. März 1966 - 9 RV 1012/63 - (in SozR Nr. 1 zu § 2 der DVO zu § 13 BVG vom 6. Juni 1961) und auf den Beschluß des Großen Senats in BSG 14, 246 können keine andere Entscheidung rechtfertigen. In der Entscheidung vom 23. März 1966 wurde zwar in der Erhöhung des Zuschusses für ein Motorfahrzeug von 1000,- DM auf 2000,- DM ein neuer Anspruch im Sinne des Art. IV § 1 Abs. 2 Satz 1 des 1. NOG erblickt. Dort handelte es sich aber - anders als im vorliegenden Fall - um eine einmalige Leistung, und es wurde betont, daß Abs. 1 dieser Vorschrift, der die Neufeststellung von Amts wegen regelt, nur "laufende" Versorgungsbezüge betrifft. Diese Entscheidung betraf im übrigen insofern einen Sonderfall, als es sich um eine Leistung handelte, die frühestens nach 5 bzw. 8 Jahren erneut bewilligt werden konnte; bei solchen Zeitabschnittsnormen, die einander ablösen, konnte sich die Übergangsregelung des 1. NOG ohnedies nicht zugunsten des Antragstellers - wie es der Kläger im vorliegenden Fall erstrebt - auswirken, weil es dort an einer sachlich-rechtlichen Rückwirkung der Erhöhung der Leistung fehlte und die frühere Bewilligung eines niedrigeren Zuschusses den Antrag bereits erledigt hatte.

Auch die Entscheidung des Großen Senats in BSG 14, 246 betrifft einen anderen Fall. Sie erging zu der Vorschrift des § 58 Abs. 1 BVG idF vor dem 1. NOG (aF), die bestimmte, daß der Versorgungsanspruch der Hinterbliebenen "zur Vermeidung des Ausschlusses" binnen 2 Jahren nach dem Tode des Beschädigten anzumelden ist. Dabei handelte es sich also um eine materielle Ausschlußfrist. Wenn in der Entscheidung des Großen Senats ausgesprochen worden ist, daß die Fristvorschrift nicht für diejenigen Fälle gelte, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind, so bedeutete dies nur, daß in diesen Fällen ein Anspruch nicht schlechthin, d.h. für alle Zukunft abgelehnt werden darf. Nur insoweit sind der Rechtsvorschrift des § 58 Abs. 1 BVG (aF) - ebenso der des § 56 Abs. 1 BVG (aF) für die Beschädigtenversorgung - durch ihre rechtsethische und soziale Funktion Grenzen gesetzt (vgl. BSG 14, 249); denn diese Entscheidung hat die Vorschrift des § 61 Abs. 2 BVG (aF), wonach die Hinterbliebenenrente, wenn sie erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Tode geltend gemacht wird, "frühestens mit dem Monat, in dem der Anspruch angemeldet worden ist", beginnt, (ähnliches gilt für die Beschädigtenversorgung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG aF) unberührt gelassen. Dem Kläger ist aber ab Antragsmonat, d.h. vom 1. Oktober 1964 an, Berufsschadensausgleich bewilligt worden. Deshalb vermag auch der mit BSG 14, 246, 249 ff in Zusammenhang gebrachte Hinweis des LSG auf eine Unkenntnis der erwerbsunfähigen Schwerbeschädigten über die maßgebenden Versorgungsbestimmungen ebensowenig zu überzeugen, wie die Erwägung des Revisionsbeklagten, daß bei der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung "zweifellos Härten" vermieden würden. Denn der gesetzgeberische Zweck der Ausnahmebestimmung des Art. VI § 1 Abs. 2 Satz 2 des 2. NOG geht, wie oben dargelegt worden ist, dahin, bei der Einführung neuer Leistungen denjenigen Versorgungsberechtigten, denen nunmehr eine Versorgungsleistung zusteht, eine begrenzte Übergangszeit zuzubilligen, während derer sie sich mit den neuen Vorschriften vertraut machen und ohne Rechtsverlust einen Antrag stellen können. Dagegen ist es nicht Aufgabe dieser Vorschrift, ganz allgemein solche Nachteile auszugleichen, die aus Unachtsamkeit oder ähnlichen im eigenen Verantwortungsbereich des Versorgungsberechtigten liegenden Gründen entstanden sind. Hat der Versorgungsberechtigte - wie hier - die Möglichkeit gehabt, während der Geltungsdauer des 1. NOG einen solchen Antrag zu stellen (vgl. BSG 7, 190), so entfällt die Annahme eines "neuen Anspruchs", wobei es unerheblich ist, aus welchen Gründen diese Möglichkeit im Einzelfall nicht genutzt worden ist. - Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger über 4 Jahre lang (von Mitte 1960 bis Oktober 1964) nicht darum gekümmert, daß er als Erwerbsunfähiger einen Berufsschadensausgleich erhalten kann. Deshalb muß er sich damit abfinden, daß er die Leistungen wegen dieses seines Verhaltens erst vom Antragsmonat an erhält.

Schließlich vermögen auch die Ausführungen des LSG zur sachlich-rechtlichen Bedeutung des Versorgungsantrags zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Wenn der Kläger, wie das LSG festgestellt hat, mit der Antragstellung im Oktober 1964 im zeitlichen Geltungsbereich des 2. NOG "die sachlich-rechtliche Voraussetzung des Antrags" für die Entstehung des Versorgungsanspruchs (vgl. BSG 2, 290, 293) erfüllt hatte, so bewirkte dies, da es an der Voraussetzung eines "neuen Anspruchs" fehlte, lediglich, daß gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BVG idF des 2. NOG die Gewährung der Leistung oder der höheren (Gesamt-) Leistung "frühestens mit dem Antragsmonat" begann. Der angefochtene Bescheid war daher insoweit nicht zu beanstanden. Da das LSG dies verkannt und zu Unrecht der Berufung des Beklagten nicht stattgegeben hat, waren die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284919

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