Leitsatz (amtlich)
Blutchemische Untersuchungen, die von einem Vertragsarzt bei einem Laborinstitut in Auftrag gegeben und von diesem selbständig in eigener Verantwortung erbracht werden, sind keine "Hilfeleistungen" iS des E-Adgo § 2 Abs 1 S 2 und deshalb nicht Teil der vertragsärztlichen Behandlung. Der behandelnde Vertragsarzt kann sie daher nicht als ärztliche Sachleistungen iS der E-Adgo Nr 771, 772 abrechnen.
Kosten solcher Laboruntersuchungen sind auch keine "besonderen Unkosten" iS des E-Adgo § 12 Buchst b.
Normenkette
E-GO § 2 Abs. 1 S. 2; E-GO Nr. 771; E-GO §§ 772, 12 Buchst. b
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juli 1974 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, ein an der Ersatzkassenpraxis beteiligter praktischer Arzt, von der Firma M (Firma M.) durchgeführte Laboruntersuchungen gegenüber der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) abrechnen darf.
Die Bezirksstelle M und Land der KÄV Bayerns strich mit Bescheid vom 16. Mai 1973 diese unter den Nummern 771 und 772 der für die Ersatzkassenpraxis vereinbarten Gebührenordnung (E-Adgo) berechneten Laborleistungen ersatzlos aus der Ersatzkassenabrechnung des Klägers für das I. Quartal 1973. Den Widerspruch des Klägers wies der Vorstand der Beklagten mit der Begründung zurück, die in Rechnung gestellten Leistungen habe er weder persönlich erbracht noch seien sie ihm als in seiner Praxis ausgeführte Hilfeleistungen zuzurechnen. Da die Laborleistungen seitens der Firma M. durch autoanalytische Bearbeitung des vom Kläger übersandten Blutes des Patienten in selbständiger Tätigkeit durchgeführt worden seien, handele es sich dabei um Leistungen, die der Kläger bei einem Außenstehenden "eingekauft" habe und die er nicht berechnen könne (Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1973).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Aufhebung der Bescheide, hilfsweise auf Erstattung der an die Firma M. vom Kläger gezahlten DM 50,- abgewiesen (Urteil vom 2. Oktober 1973). Das Landessozialgericht (LSG) hat die zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 10. Juli 1974): Die in Rechnung gestellten Laborleistungen lägen außerhalb der ärztlichen Behandlung des Klägers und seien daher nicht abrechnungsfähig. Aufgrund der eigenverantwortlichen Durchführung der Laboruntersuchungen seitens der Firma M. scheide sowohl eine Leistung des Klägers selbst als auch die seiner Hilfspersonen und damit eine Anwendung des § 122 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus, der eine ständige Kontrolle des Arztes über die hilfeleistenden Personen voraussetze. Dieser Beurteilung stehe das - nicht rechtskräftige - Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 20. Dezember 1973 - U (K) 2492/73 - (teilweise veröffentlicht in Der Betriebsberater, 1974, 384), durch das der Beklagten auf Antrag der Firma M. verboten worden ist, ihre Mitglieder vor der Inanspruchnahme dieser Firma zu warnen, nicht entgegen. Auch der Hilfsantrag sei unbegründet, da in der für die Beteiligten bindenden E-Adgo eine Kostenerstattung, wie sie der Kläger begehre, nicht vorgesehen sei.
Der Kläger rügt mit der zugelassenen Revision die Verletzung der §§ 122, 368 f Abs. 1 RVO. Zu Unrecht habe die Beklagte die Abrechnungsfähigkeit der Leistungen nach den Nummern 771 und 772 E-Adgo verneint. Wenn er auch die Untersuchungen nicht selbst durchgeführt habe, so habe er die Laborergebnisse doch angeordnet und selbst ausgewertet. Aufgrund des in dem Rechtsstreit betreffend die einstweilige Anordnung zwischen der Firma M. und der Beklagten ergangenen Urteils des OLG München vom 25. Januar 1973 (teilweise veröffentlicht in Münchener Ärztl. Mitteilungen 1973, Heft 10 S. 4, und Der Betriebsberater, 1973, 579) habe er der berechtigten Annahme sein können, zur Inanspruchnahme der Leistungen der Firma M. befugt zu sein und sie auch abrechnen zu können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 10. Juli 1974 und das Urteil des SG München vom 2. Oktober 1973 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 1973 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1973 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte zur Zahlung von DM 50,- zu verurteilen, die als Kostenerstattung an die Firma M. geleistet worden sind.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Abrechnungsfähigkeit der vom Kläger "fremd eingekauften" Leistungen sei zu verneinen. Anderenfalls könne sich der Arzt seiner Verpflichtung, ärztliche Sachleistungen nur dann auszuführen, wenn er über die dafür geeigneten Einrichtungen sowie eine entsprechende Vorbildung verfüge, dadurch entziehen, daß er die Leistungen bei einem seiner Einflußnahme nicht unterstehenden Dritten erbringen lasse. Es bestünde damit die Möglichkeit, den Grundsatz der Honorarunfähigkeit fachfremder Leistungen zu umgehen. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Firma M. stelle sich als ein von der Rechtsordnung nicht gebilligter Überweisungsfall nach § 10 Bundesmantelvertrag/Ärzte (BMV-Ä-) dar, denn die Firma M. sei zur Teilnahme an der Ersatzkassenpraxis weder allgemein noch im Einzelfall ermächtigt. Eine Einbeziehung der Leistungen der Firma M. in die vertragsärztliche Versorgung könne allenfalls über den Weg der Ermächtigung erfolgen.
Die Beigeladene nimmt zur Begründung ihres Antrags auf die Entscheidungsgründe des LSG Bezug.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der Kläger für die von ihm bei der Firma M. in Auftrag gegebenen Laborleistungen von der beklagten KÄV kein Honorar verlangen kann, weil er diese Leistungen nicht persönlich im Sinne des für ihn verbindlichen Vertragsrechts erbracht hat, und daß auch keine Anspruchsgrundlage für den Ersatz der ihm entstandenen Kosten dieser Leistungen besteht.
Nach § 9 Ziff. 1 des Vertrages zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einerseits und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen sowie dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen andererseits - Arzt/ErsKVertrag - (EKV-Ä- 1963) vom 20. Juli 1963, Stand: 10. Oktober 1972, wird die ambulante vertragsärztliche Tätigkeit nach Einzelleistungen nach Maßgabe der für die Ersatzkassenpraxis vereinbarten Gebührenordnung - E-Adgo - in der jeweiligen Fassung - hier: Stand 1. Januar 1973 - vergütet. § 2 Abs. 1 Satz 1 der allgemeinen Bestimmungen der E-Adgo definiert die Vertragsleistungen als die in dieser Gebührenordnung verzeichneten Leistungen, die ein Vertragsarzt im Rahmen der durch die Vertragsbestimmungen geregelten ärztlichen Behandlung vollbringt. Dazu gehören nach Satz 2 dieser Vorschrift in bestimmtem Umfang auch Hilfeleistungen durch ärztliches oder nichtärztliches Personal. Der an der Ersatzkassenpraxis beteiligte Vertragsarzt kann danach grundsätzlich lediglich solche Leistungen als ärztliche Leistungen in Rechnung stellen, die er selbst ausführt oder die ihm als Hilfeleistung persönlich zugerechnet werden. Damit korrespondiert seine in § 5 Ziff. 7 EKV-Ä 1963 ausdrücklich normierte Pflicht zur persönlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit sowie auch seine in § 12 Ziff. 2 EKV-Ä 1963 festgelegte Verpflichtung, im Abrechnungsverkehr zu bestätigen, daß er die abgerechneten Leistungen persönlich erbracht hat.
Die Tatsache, daß der Kläger die Laboruntersuchungen angeordnet und die Ergebnisse bei der Diagnose verwertet hat, machen die Laboruntersuchungen nicht zu persönlichen Leistungen des Arztes. Anordnung und Auswertung, die als solche nicht gesondert honoriert werden, sind zwar sicher wesentliche ärztliche Leistungen. Diese Leistungen sind aber in den Ziffern 771 und 772 E-Adgo gerade nicht als Vertragsleistungen beschrieben. Hier sind vielmehr nur labortechnische Vorgänge - Analysen - als honorarfähige ärztliche Leistungen aufgeführt.
Dem Kläger können die von der Firma M. durchgeführten Untersuchungen auch nicht als Hilfeleistungen im Sinne des für die Ersatzkassenpraxis geltenden § 2 Abs. 1 Satz 2 E-Adgo zugerechnet werden. Hiernach gehören zur ärztlichen Behandlung und damit zu den honorarfähigen Vertragsleistungen auch Hilfeleistungen durch nichtärztliches Personal, wenn dessen Mitwirkung die Bedeutung der Handreichungen für den Arzt nicht überschreitet und der Arzt diese im Einzelfall anordnet und überwacht. Diese Vorschrift legt im wesentlichen die Anforderungen fest, die das Bundessozialgericht (BSG) auch in Anwendung des § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO als Voraussetzung für Honoraransprüche des Arztes bzw. Versicherungsansprüche des Patienten formuliert hat (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 122 RVO - Heißluftbäder, Massagen -; BSG 23, 176 - Orthopädische Werkstätte -; BSG 29, 27 - Chiropraktiker -). Hiernach kann eine die ärztliche Behandlung unterstützende Hilfeleistung nur dann zur "ärztlichen Behandlung" gerechnet werden, wenn der Arzt verantwortlich an dieser Hilfeleistung durch eine je nach Lage des Falles mehr oder weniger intensive persönliche Anleitung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson mitgewirkt hat. Das gilt auch für die die Diagnose als einen Kernbereich der ärztlichen Behandlung vorbereitenden Hilfeleistungen wie Laboruntersuchungen (BSG 38, 73, 75). Diese von der Rechtsprechung bei § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO lediglich durch Auslegung gewonnene Erkenntnis über die Voraussetzungen einer der "ärztlichen Behandlung" zurechenbaren Hilfeleistung findet in dem hier maßgeblichen § 2 E-Adgo auch im Wortlaut der Regelung eine Stütze, wenn in Abs. 1 Satz 2 vom "Personal" die Rede ist und in Abs. 2 die allgemeine Aufsichtspflicht eines leitenden Arztes als nicht ausreichend zur Charakterisierung einer von seinem Personal ausgeführten Leistung als "Vertragsleistung" erklärt wird. Ob hiernach - über § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO hinaus - im vertragsärztlichen Bereich für die Zurechenbarkeit einer Hilfeleistung zur ärztlichen Behandlung ein Beschäftigungsverhältnis der Hilfsperson zu dem behandelnden Arzt vorausgesetzt wird (so Brück-Guillemet, Kommentar zur E-Adgo, Stand 1. Januar 1975, Band 1 A § 2 Anm. 9), braucht hier nicht entschieden zu werden. Die zwischen dem Kläger und der Firma M. bestehenden Geschäftsbeziehungen reichen jedenfalls nicht aus, um die nach § 2 Abs. 1 E-Adgo erforderliche Überwachungsmöglichkeit sicherzustellen. Dazu gehört, wie das BSG in den oben angegebenen Entscheidungen klargestellt hat, jedenfalls die Möglichkeit der verantwortlichen Beaufsichtigung, Lenkung und Anleitung der Hilfskräfte auch im Einzelfall. Der Kläger konnte zwar die Laborleistungen im Einzelfall anordnen, die Art und Weise der Ausführung aber nicht - notfalls korrigierend - beaufsichtigen. Der Kläger räumt in seiner Revisionsbegründung auch ausdrücklich ein, daß er keinerlei Überwachungsmöglichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 E-Adgo hatte.
Entgegen der Auffassung des Klägers und des Bayerischen OLG vom 20.12.1973 aaO ist die Frage, ob die von der Firma M. hergestellten Laborleistungen zur ärztlichen Behandlung des auftraggebenden Arztes gehören, unabhängig davon zu entscheiden, ob diese Firma bzw. das von ihr vertriebene Gerät zuverlässig arbeitet oder womöglich sogar treffsichere Ergebnisse liefert als die unter ärztlicher Überwachung mit herkömmlichen Methoden durchgeführten Analysen. Diese Frage - die Qualität der erbrachten Laborleistungen - kann zwar dafür von Bedeutung sein, ob ein mit autoanalytischen Methoden arbeitendes Laborinstitut kraft Ermächtigung in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen werden kann (vgl. für den kassenärztlichen Bereich BSG 38, 73, 76 mit dem Hinweis darauf, daß auch Nichtärzte im Bedarfsfall kraft Ermächtigung in die kassenärztliche Versorgung eingegliedert werden können unter der Voraussetzung, daß ihnen diese Tätigkeit nach allgemeinem Berufsrecht erlaubt ist). Sie ist aber unerheblich für die Beurteilung, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Laborleistung einem Vertragsarzt als dessen "ärztliche Behandlung" i. S. des § 2 E-Adgo zugerechnet werden kann. Nur solche zurechenbaren Laborleistungen sind als Leistungen des behandelnden Arztes nach den hier in Rede stehenden Nrn. 771 und 772 E-Adgo abrechnungsfähig.
Es besteht auch keine andere Anspruchsgrundlage, nach der die Beklagte verpflichtet sein könnte, für die fraglichen Laboruntersuchungen Zahlungen zu leisten. Insbesondere ist § 12 Buchst. b E-Adgo ausgeschlossen, wonach die Beklagte dem Arzt Unkosten besonderer Art zu erstatten hat. Die dem Kläger für den Erwerb der Laborergebnisse entstandenen Kosten - die er mit seinem Hilfsantrag geltend macht - sind nämlich nicht solche Unkosten. Nach § 12 Buchst. b Satz 1 und 2 E-Adgo können neben den für die Einzelleistung festgesetzten Gebühren nur die "besonderen Unkosten" wie z. B. die Kosten für Medikamente, Verbandsmittel, Impfstoffe und Materialien, sofern diese nicht nach der Regelung über die Verordnung von Sprechstundenbedarf zu Lasten der Vertragskasse bezogen werden können, ferner Kosten für Instrumente, Gegenstände und Substanzen, die der Kranke zur weiteren Verwendung zurückbehält oder die mit ihrer einmaligen Anwendung verbraucht sind, in Rechnung gestellt werden, sofern die Gebührenordnung keine andere Regelung vorsieht. Wie diese beispielhafte Aufzählung zeigt, handelt es sich bei den besonders abrechnungsfähigen "besonderen Unkosten" um Aufwendungen des behandelnden Arztes für einen technischen Bedarf, der im Rahmen eines umfassenden ärztlichen Leistungsvorganges benötigt wird. Laboruntersuchungen gehören ihrer Art nach nicht zu solchen Sachbeschaffungen, so daß schon deshalb diese Regelung hier nicht anwendbar ist. Diese Bestimmung scheidet für Laboruntersuchungen aber auch wegen des Vorbehalts aus, daß die Gebührenordnung keine andere Regelung vorsieht, d. h. daß die E-Adgo diese fragliche Leistung nicht unter einer besonderen Gebührenposition als abrechnungsfähig ausweist. Das ist aber bei Laboruntersuchungen der Fall. Sie haben den Rang einer "ärztlichen Sachleistung" und damit einen eigenen gebührenrechtlichen Stellenwert (hier: Nrn. 771, 772 E-Adgo). Nur auf dieser Grundlage können sie vom behandelnden Arzt abgerechnet werden, sofern die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind.
Die somit unbegründete Revision war zurückzuweisen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 193 SGG).
Fundstellen