Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsplatz, Pflichtplatz, Schwerbehinderter. Feststellungsbescheid, Bindungswirkung, öffentliche Urkunde. Stichtag. Ausgleichsabgabe
Leitsatz (amtlich)
- Die Hauptfürsorgestelle ist bei der Festsetzung der Ausgleichsabgabe an Feststellungsbescheide der Bundesanstalt für Arbeit nach § 13 Abs 2 S 2 SchwbG nicht gebunden.
- Zum Begriff des Arbeitsplatzes iS der §§ 7, 8 SchwbG.
- Wird als Ersatz für ein während des Monats beendetes Beschäftigungsverhältnis ein neues Beschäftigungsverhältnis (Ersatzbeschäftigungsverhältnis) begründet, so handelt es sich nicht um einen weiteren Arbeitsplatz iS des § 7 Abs 1 SchwbG.
- Zur materiellen Beweislast bei Ersatzbeschäftigungsverhältnissen.
Normenkette
SchwbG § 5 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 11 Abs. 1-2, § 13 Abs. 2 Fassung: 26.8.1986
Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 14.05.1993; Aktenzeichen L 10 Ar 45/92) |
SG Berlin (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen S 50 Ar 2646/91) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Mai 1993 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Rechtmäßigkeit von Bescheiden der Beklagten gemäß § 13 Abs 2 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) über die Anzahl der bei der Klägerin vorhandenen Arbeitsplätze und beschäftigten Schwerbehinderten in den Jahren 1986 bis 1988.
Die Klägerin stellte in dieser Zeit in Form der Arbeitnehmerüberlassung anderen Unternehmen Büro- sowie gewerbliches Personal zur Verfügung und unterhielt einen Hostessendienst. Da sie anzeigte, zu keinem Zeitpunkt über 16 oder mehr Arbeitsplätze iS des SchwbG verfügt zu haben, die Beklagte diese Angabe jedoch für unrichtig hielt, erließ die Beklagte Bescheide ua für die Jahre 1986 bis 1988 (Bescheide vom 29. Januar 1990 und 4. Mai 1990; Widerspruchsbescheid vom 26. November 1991), in denen für das Jahr 1986 in jedem Monat 50 Arbeitsplätze und drei Pflichtplätze für Schwerbehinderte bzw für die Jahre 1987 und 1988 eine unterschiedliche monatliche Anzahl von Arbeitsplätzen und Pflichtplätzen für Schwerbehinderte errechnet wurden. Für die Jahre 1987 und 1988 geschah dies, indem durch Bescheid vom 4. Mai 1990 die maßgeblichen Zahlen des Bescheides vom 29. Januar 1990 erhöht wurden.
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen hatte (Urteil vom 21. Mai 1992), hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil sowie “die Bescheide der Beklagten vom 29. Januar 1990 (betreffend das Jahr 1986) und vom 4. Mai 1990 (betreffend die Jahre 1987 und 1988)” aufgehoben (Urteil vom 14. Mai 1993). Die Entscheidung ist damit begründet, daß den Voraussetzungen des § 13 Abs 2 SchwbG nicht Rechnung getragen worden sei. Unterschiedlos seien alle im jeweiligen Monat existierenden Beschäftigungsverhältnisse zugrunde gelegt worden, ohne zu beachten, daß eine innerhalb eines Monats sukzessive durch eine oder mehrere andere Personen besetzte Planstelle nur als ein Beschäftigungsverhältnis und Arbeitsplatz gezählt werden dürfe.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 7 Abs 1, 13 Abs 2 Sätze 1 und 2 SchwbG. Entgegen der Ansicht des LSG sei bei der Ermittlung der Arbeitsplätze von der Anzahl aller Beschäftigungsverhältnisse im jeweiligen Monat auszugehen. Insbesondere sei nicht die Situation an einem bestimmten Stichtag maßgebend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzubeben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Beklagte hätte nicht alle Beschäftigungsverhältnisse der jeweiligen Monate erfassen dürfen, sondern auf einen bestimmten Stichtag abstellen müssen. Sonst komme es zu widersprüchlichen Ergebnissen, wenn ein Arbeitnehmer im laufenden Monat aus dem Betrieb ausscheide und im selben Monat als Ersatz hierfür ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet werde.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist iS der Zurückverweisung an das LSG begründet, weil ausreichende Feststellungen für eine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage und die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide fehlen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Da das LSG nur über die Jahre 1986 bis 1988 entschieden hat, hat der Senat auf die Revision der Beklagten mangels eigener Revision der Klägerin nur über diesen Zeitraum zu befinden. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind damit lediglich die Bescheide der Beklagten vom 29. Januar 1990 und 4. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1991, soweit darin Feststellungen für diesen Zeitraum enthalten sind. Gegen die Bescheide wehrt sich die Klägerin mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl BSG, Urteil vom 29. Juli 1993 – 11 RAr 41/92 –, unveröffentlicht). Der Erhebung einer zusätzlichen Verpflichtungsklage bedarf es unabhängig davon nicht, ob für die Beklagte nach § 13 Abs 2 SchwbG in jedem Falle die Verpflichtung bestünde, die erforderlichen Feststellungen bei fehlender, unrichtiger oder unvollständiger Anzeige des Arbeitgebers zu treffen. Selbst wenn man dies annimmt, wofür vieles spricht, ist hier dem Anliegen der Klägerin schon mit der Aufhebung der in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Feststellungen entsprochen, ohne daß die Beklagte zum Erlaß neuer Bescheide verurteilt werden müßte.
Die Anfechtungsklage richtet sich indes inhaltlich nur gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1990, soweit darin Feststellungen für das Jahr 1986 enthalten sind, und gegen den Bescheid vom 4. Mai 1990, soweit darin für die Jahre 1987 und 1988 neue, im Vergleich zum Bescheid vom 29. Januar 1990 ungünstigere Zahlen festgestellt worden sind. Im Bescheid vom 4. Mai 1990 hat nämlich die Beklagte gleichzeitig die Aufhebung des Bescheides vom 29. Januar 1990 für die Jahre 1987 und 1988 verfügt. Insoweit ist dieser Bescheid nicht mehr wirksam (§ 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫).
Hieran hat nichts die Entscheidung des Berufungsgerichts geändert, “die Bescheide der Beklagten vom 29. Januar 1990 (betreffend das Jahr 1986) und vom 4. Mai 1990 (betreffend die Jahre 1987 und 1988)” aufzubeben. Mit diesem Tenor wollte das LSG, wie sich den Entscheidungsgründen des Urteils entnehmen läßt, die bezeichneten Bescheide nur aufheben, soweit in ihnen Feststellungen nach § 13 Abs 2 Satz 2 SchwbG enthalten sind. Es sollte nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß der Bescheid vom 4. Mai 1990 auch deshalb rechtswidrig sei, weil mit ihm der Bescheid vom 29. Januar 1990 für die Jahre 1987 und 1988 aufgehoben worden ist; sonst würde dieser Bescheid in vollem Umfang wiederaufleben.
Ob Verfahrensmängel vorliegen, die bei zulässiger Revision von Amts wegen zu berücksichtigen sind, läßt sich nicht abschließend entscheiden.
Die Beiladung der Hauptfürsorgestelle (bzw der nach § 70 SGG beteiligtenfähigen Behörde) war und ist allerdings nicht notwendig iS des § 75 Abs 2 SGG; § 168 Satz 2 SGG idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) greift somit nicht ein. Notwendig könnte die Beiladung allenfalls sein, wenn die Hauptfürsorgestelle bei Erlaß ihres Bescheides über rückständige Ausgleichsabgaben (§ 11 Abs 2 SchwbG) an Feststellungsbescheide der Beklagten nach § 13 Abs 2 Satz 2 SchwbG gebunden wäre (vgl zu dieser Überlegung BSGE 54, 117, 118 = SozR 3870 § 10 Nr 1). Schon dies ist nach Inhalt und Funktion der §§ 5, 11, 13 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I 1421) zu verneinen. Nach § 5 Abs 1 SchwbG haben private Arbeitgeber und Arbeitgeber der öffentlichen Hand (Arbeitgeber), die über mindestens 16 Arbeitsplätze iS des § 7 Abs 1 verfügen, auf wenigstens 6 vH der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen. Für jeden unbesetzten Pflichtplatz ist eine monatliche Ausgleichsabgabe zu entrichten (§ 11 Abs 1 Satz 1 SchwbG), die vom Arbeitgeber jährlich zugleich mit der Anzeige nach § 13 Abs 2 an die für seinen Sitz zuständige Hauptfürsorgestelle abzuführen ist (§ 11 Abs 2 Satz 2 SchwbG). Diese erläßt einen Feststellungsbescheid über rückständige Beträge und betreibt die Einziehung, falls der Arbeitgeber mehr als drei Monate mit der Zahlung der Ausgleichsabgabe im Rückstand ist (§ 11 Abs 2 Satz 3 SchwbG). § 13 Abs 2 Satz 1 SchwbG normiert ergänzend zu Lasten des Arbeitgebers eine Anzeigepflicht, der dieser gegenüber dem für seinen Sitz zuständigen Arbeitsamt (ArbA) unter Beifügung einer Durchschrift für die Hauptfürsorgestelle einmal jährlich bis spätestens 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr nachkommen muß. Aufgegliedert nach Monaten ist nach Satz 1 Nrn 1 bis 3 nachstehendes anzuzeigen:
- die Zahl der Arbeitsplätze nach § 7 Abs 1 unter Angabe bestimmter nicht als Arbeitsplätze geltender Stellen (§ 7 Abs 2 und 3, 8 Satz 1),
- die Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten (§ 9 Abs 1 und 2 SchwbG), Gleichgestellten (§ 2 SchwbG) und sonstigen anrechnungsfähigen Personen (vgl § 9 Abs 3 und 4 SchwbG), darunter die Anzahl der zur Ausbildung und sonstigen beruflichen Bildung eingestellten Schwerbehinderten und Gleichgestellten, gesondert nach Zugehörigkeit zu einer der genannten Gruppen, sowie
- die Anzahl der gesetzlich oder vom ArbA zugelassenen Mehrfachanrechnungen beschäftigter Schwerbehinderter (auf zwei oder drei Pflichtplätze – § 10 SchwbG).
Nach Satz 1 Nr 4 ist darüber hinaus der Gesamtbetrag der geschuldeten Ausgleichsabgabe für jeden unbesetzten Pflichtplatz (§ 11 Abs 1 Satz 1 SchwbG) anzugeben.
Die gesetzliche Regelung macht deutlich, daß der Arbeitgeber seine Ausgleichsabgabe vollinhaltlich selbst berechnet; der Hauptfürsorgestelle steht allerdings eine Prüfungspflicht und ein Prüfungsrecht anhand der von der Arbeitsverwaltung übermittelten Anzeigen zu (Wiegand, Komm zum SchwbG, Stand Juni 1993, RdNr 9 zu § 11; Cramer, SchwbG, 4. Aufl, RdNr 14 zu § 11; vgl zum früheren Recht BSGE 54, 117, 120 = SozR 3870 § 10 Nr 1). § 13 Abs 3 und 4 SchwbG bestätigt dies; danach hat der Arbeitgeber nicht nur der Bundesanstalt für Arbeit (BA), sondern auch der Hauptfürsorgestelle Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung des Gesetzes notwendig sind, und Einblicke in den Betrieb und die Dienststelle zu gewähren, soweit es im Interesse der Schwerbehinderten erforderlich ist und Betriebs- oder Dienstgeheimnisse nicht gefährdet werden. Die Anzeige des Arbeitgebers iS des § 13 Abs 2 Satz 1 SchwbG bindet die Hauptfürsorgestelle bei ihrer Entscheidung über die darin enthaltenen Angaben in keiner Weise; sie ist vielmehr nur ein Beweismittel im Rahmen eines auf Freiwilligkeit und Selbstberechnung beruhenden Systems (vgl BSG aaO).
Hat ein Arbeitgeber indes die vorgeschriebene Anzeige bis 30. Juni nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erstattet, erläßt das ArbA einen Feststellungsbescheid über die anzuzeigenden Verhältnisse – mit Ausnahme der Höhe der geschuldeten Ausgleichsabgabe – (§ 13 Abs 2 Satz 2 SchwbG iVm § 13 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SchwbG). Der vom Gesetzgeber vorgeschriebene Feststellungsbescheid (vgl BT-Drucks 10/3138 S 20 zu Art 1 Nr 11; Wiegand, aaO, RdNrn 5 und 15 zu § 13; Weber, SchwbG, Stand September 1993, Anm 6 zu § 13; Großmann ua, Gemeinschaftskomm zum SchwbG, 1992, RdNr 15 zu § 13; Cramer, aaO, RdNr 16 zu § 13) ersetzt folglich die fehlende Anzeige des Arbeitgebers oder korrigiert sie. Sein Regelungscharakter (§ 31 Satz 1 SGB X) erschöpft sich darin, daß die Verfügung des ArbA an die Stelle der Anzeige des Arbeitgebers tritt und deren Funktion als Beweismittel, nunmehr allerdings in Form einer öffentlichen Urkunde (§ 418 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫), übernimmt. Gleichzeitig wird der Bescheid zum Druckmittel gegen den Arbeitgeber, nachträglich seiner Verpflichtung nachzukommen (vgl hierzu das Formular der Beklagten in Anl 10 des Dienstblatt-Runderlasses 2/89 für das Anzeigeverfahren nach § 13 Abs 2 – Kalenderjahr 1988) und kann darüber hinaus – wie die Anzeige selbst – statistischen Zwecken dienen (vgl Weber, aaO, Anm 8 zu § 13). Eine rechtliche Bindung der Fürsorgestelle an die im Feststellungsbescheid enthaltenen Zahlen läßt sich hieraus nicht ableiten (aA Cramer, aaO).
Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 10/3138 S 20) kann keinesfalls entnommen werden, daß der Hauptfürsorgestelle durch die Ermächtigung des ArbA zum Erlaß von Feststellungsbescheiden Kompetenzen entzogen werden sollten. Dies hätte einer eindeutigen Formulierung vornehmlich deshalb bedurft, weil die Gesetzesänderung eine Reaktion auf ein Urteil des Senats (BSGE 54, 117 ff = SozR 3870 § 10 Nr 1) aus dem Jahre 1982 war (Dörner, SchwbG, Stand September 1993, Anm III zu § 13). Darin hat der Senat entschieden, daß die BA bei der Durchführung des Anzeigeverfahrens nach altem Recht nicht befugt war, eine Regelung durch Verwaltungsakt zu treffen, weil es an einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung bzw Legitimation dazu fehlte. Die formale Ermächtigung ist mit § 13 Abs 2 Satz 2 SchwbG geschaffen worden; gleichwohl kann nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber darüber hinaus entgegen weiteren Ausführungen im bezeichneten Urteil des Senats eine zwangsläufige Verdoppelung des Verfahrens- und Rechtswegs durch Anordnung einer rechtlichen Bindungswirkung der Feststellungsbescheide gegenüber der Hauptfürsorgestelle gewollt hat. In der zitierten Entscheidung hat der Senat nämlich entschieden, daß es der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gebiete, den einzelnen von unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu verschonen (BSGE 54, 117, 120 = SozR 3870 § 10 Nr 1). Das Gegenteil wäre der Fall, wenn die Hauptfürsorgestelle an Entscheidungen des ArbA im Rahmen des § 13 Abs 2 Satz 2 SchwbG gebunden wäre. Dann träfen zwei Verwaltungsbehörden Regelungen, die zwangsläufig gesondert angefochten werden müßten: die Entscheidung des ArbA durch Klage bei den Sozialgerichten, die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle durch Klage bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten. Daß hiermit eine Verkomplizierung des Rechtswegs verbunden ist, bedarf keiner Begründung. Schwierigkeiten würde auch der Umstand bereiten, daß die Annahme einer Bindungswirkung notwendigerweise mit einer ausschließlichen Feststellungskompetenz des ArbA verbunden wäre, die bei nachträglicher Berichtigung der Feststellungsbescheide erhebliche Abstimmungsprobleme bereiten würde.
Zwar verhindert die Verneinung einer ausschließlichen Feststellungskompetenz des ArbA und einer Bindungswirkung der Bescheide für die Hauptfürsorgestelle nicht, daß es sowohl bei den Sozialgerichten als auch den allgemeinen Verwaltungsgerichten zu Prozessen kommt; allerdings wird die sich ergebende Belastung des Arbeitgebers zumindest verringert. Der Arbeitgeber kann gegen den Feststellungsbescheid der BA vorgehen, er muß es aber nicht, wenn er die Unrichtigkeit der Feststellungen rügen will. Sieht man einmal von der Gefahr ab, daß der Inhalt des ArbA-Bescheides gem § 418 ZPO als bewiesen angesehen wird (vgl zur Wirkung des § 418 ZPO in anderem Zusammenhang BSG, Urteil vom 9. Februar 1994 – 11 RAr 49/93 –, unveröffentlicht), kann der Arbeitgeber noch bei einem Rechtsbehelf gegen den Bescheid der Hauptfürsorgestelle die Unrichtigkeit der Feststellungen im Bescheid des ArbA geltend machen.
Selbst wenn man entgegen der dargelegten Gründe eine Bindungswirkung annehmen wollte, wäre es zweifelhaft, ob die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit aus Rechtsgründen nur einheitlich ergehen kann, wie dies § 75 Abs 2 SGG voraussetzt. Durch eine Sachentscheidung würden nämlich möglicherweise nicht gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte der Hauptfürsorgestelle gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben (vgl zu dieser Voraussetzung nur BSG SozR 1500 § 75 Nr 71). Die §§ 11, 13 SchwbG gingen dann vielmehr von einer Kompetenzteilung zwischen Hauptfürsorgestelle und ArbA aus; das Urteil über die Rechtmäßigkeit der Feststellungsbescheide der Beklagten wäre dann uU nur Vorfrage für einen möglichen Bescheid über die Ausgleichsabgabe durch die Hauptfürsorgestelle. Dies würde den Anforderungen des § 75 Abs 2 SGG nicht genügen.
Der Senat kann allerdings nicht entscheiden, ob die Klage, der das LSG auf die zulässige Berufung der Klägerin stattgegeben hat, zulässig war. Die Verwaltungsakte der Beklagten enthält nämlich Anhaltspunkte dafür, daß bereits vor Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1991 eine Klage beim SG gegen den Feststellungsbescheid vom 29. Januar 1990 anhängig war. Dieser Bescheid hätte dann möglicherweise nicht mehr mit einer weiteren Klage angefochten werden können, da der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegengestanden hätte (§ 94 SGG). Gegenstand dieses Klageverfahrens wäre dann möglicherweise auch der Bescheid vom 4. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1991 geworden (§ 96 SGG). Eine nähere Prüfung durch den Senat ist nicht tunlich, da selbst bei Zulässigkeit der Klage eine abschließende Entscheidung aus materiell-rechtlichen Gründen nicht möglich ist.
In der Sache lassen die vom LSG festgestellten Fakten keine Beurteilung zu, ob die Voraussetzungen des § 13 Abs 2 Satz 2 SchwbG zum Erlaß eines Feststellungsbescheides durch die BA bei fehlender, unrichtiger oder unvollständiger Anzeige eines anzeigepflichtigen Arbeitgebers erfüllt sind. Zwar ist die Klägerin als Personengesamtheit (vgl BSG SozR 3-3870 § 9 Nr 2) und Verleiherin Arbeitgeber iS der Vorschrift (vgl Wiegand, aaO, RdNr 9 zu § 7; Weber, aaO, Anm 2 zu § 11 unter Hinweis auf den unveröffentlichten Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 1985 – 5 B 155.83; Gröninger, SchwbG, Stand Mai 1993, RdNr 4 zu § 7; Dörner, aaO, Anm II 1 zu § 7; Großmann ua, aaO, RdNrn 53 f zu § 7). Der Senat kann jedoch nicht darüber befinden, ob die Klägerin überhaupt eine Anzeige abgeben mußte. Nach § 5 Abs 1 SchwbG müßte sie über mindestens 16 Arbeitsplätze iS der §§ 7, 8 SchwbG verfügt haben, wie sich aus § 13 Abs 2 Satz 5 SchwbG ergibt. Danach wäre die Klägerin andererseits, falls sie Schwerbehinderte nicht beschäftigen mußte, nur nach Aufforderung durch die Beklagte im Rahmen einer repräsentativen Teilerhebung zur Abgabe einer Anzeige verpflichtet gewesen, die mit dem Ziel der Erfassung der in Satz 1 Nr 2 genannten Personengruppen, aufgegliedert nach Landesarbeitsamtsbezirken, alle fünf Jahre durchgeführt wird.
Zur Annahme der bei der Klägerin vorhandenen Arbeitsplätze hat sich das LSG mit dem Hinweis begnügt, die von der Beklagten bei der Ermittlung der maßgeblichen Zahlen angewandte Methode sei rechtswidrig gewesen, ohne die inhaltliche Richtigkeit der in den angefochtenen Bescheiden genannten Zahlen eigenständig zu überprüfen. Ein solches Vorgehen wäre allenfalls zulässig, wenn die Beklagte in den Bescheiden rechtmäßigerweise zu verschiedenen Ergebnissen, also zu anderen Feststellungen, hätte kommen können (§ 42 SGB X) – etwa im Falle einer statthaften Schätzung der nach § 13 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SchwbG maßgeblichen Zahlen. Grundsätzlich ist sie indes, damit auch das Gericht, verpflichtet, die Verhältnisse im Betrieb selbst von Amts wegen umfassend zu ermitteln; regelmäßig ist mithin nur der Bescheid rechtmäßig, der die richtigen Zahlen enthält.
Zu deren Ermittlung müssen alle verfügbaren und zumutbaren Beweismittel herangezogen werden, und zwar, soweit es die Beweiserhebung durch die Beklagte selbst betrifft, unter Anwendung der §§ 21 und 22 SGB X iVm § 13 Abs 3 und 4 SchwbG, und, soweit es die Beweiserhebung durch das Gericht betrifft, unter Anwendung der §§ 106 Abs 3, 118 SGG. Vorliegend kann auf Unterlagen der Krankenkassen und auf Erkenntnisse im Rahmen des Bußgeldverfahrens zurückgegriffen werden. Die im Bescheid vom 4. Mai 1990 gegebene Begründung “gemäß Auswertung der Unterlagen durch LAA Berlin IIIb 31 (v 11.1.90)” läßt darauf schließen, daß die Beklagte dies für die Jahre 1987 und 1988 getan hat; eine eigene Überprüfung durch das Gericht wird hierdurch jedoch nicht überflüssig. Ob und wann eine (weitere) Beweiserhebung unzumutbar ist und eine Schätzung der festzustellenden Zahlen (uU unter Anwendung eines in § 28 f Abs 2 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedankens) in Ausnahmefällen als Ultima ratio möglich ist, bedarf bei der gegenwärtigen Sachlage keiner Entscheidung. Denn das LSG hat ohnedies bereits keine Feststellungen dazu getroffen, daß die Beklagte überhaupt Schätzungen vorgenommen und wie sich die Beweislage für die Beklagte gestaltet hat. Immerhin spricht einiges dafür, daß der Bescheid vom 29. Januar 1990 für das Jahr 1986 auf Schätzungen beruht, weil durchgehend in jedem Monat die Anzahl der Arbeitsplätze mit 50 angegeben ist, obwohl in den Folgejahren unterschiedliche Zahlen errechnet wurden. Sollten die weiteren Ermittlungen des LSG ergeben, daß diese Vermutung richtig ist, müßte die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens möglicherweise erst dann beurteilt werden, wenn der Bescheid nicht bereits wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht (§ 35 SGB X) aufzuheben wäre. An keiner Stelle – auch nicht im Widerspruchsbescheid – ist nur ansatzweise erwähnt, auf welchen tatsächlichen Grundlagen eine Schätzung beruhen würde.
Ansonsten wird das LSG zunächst die Anzahl der bei der Klägerin vorhandenen Arbeitsplätze genau zu ermitteln haben. Nach § 7 Abs 1 SchwbG sind Arbeitsplätze iS des Gesetzes alle Stellen, auf denen Arbeiter, Angestellte, Beamte, Richter sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. §§ 7 Abs 2 und 3, 8 Satz 1 SchwbG ordnen hiervon insoweit Ausnahmen an, als bestimmte Stellen nicht als Arbeitsplätze gelten, insbesondere gemäß § 7 Abs 3 die Stellen, die nach der Natur der Arbeit oder nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen nur auf die Dauer von höchstens acht Wochen besetzt sind oder auf denen Arbeitnehmer nur kurzzeitig iS des § 102 Arbeitsförderungsgesetz beschäftigt werden.
Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber, wie die monatlichen Arbeitsplatzzahlen zu ermitteln sind, existiert nicht. Wenn aber maßgeblicher Zeitraum für die Ausgleichsabgabe der gesamte Monat ist (§ 11 Abs 2 SchwbG), dann bietet entgegen der Ansicht der Klägerin und den Andeutungen des LSG der Gesetzeswortlaut keinerlei Anhaltspunkte für eine stichtagsbezogene Ermittlung der Arbeitsplätze. Mag sie verwaltungstechnisch einfach und praktikabel sein, so rückt sie doch vornehmlich dann vom Wirklichkeitsmaßstab zu einem mehr oder weniger unscharfen Wahrscheinlichkeitsmaßstab ab, wenn die Fluktuation der Beschäftigten im laufenden Monat groß ist. Die stichtagsbezogene Ermittlung ist darüber hinaus bei kleineren Unternehmen besonders ungeeignet, da selbst geringe Veränderungen stärker zu Buche schlagen können. Letztlich müssen somit alle gesetzlich nicht ausgeschlossenen Arbeitsplätze berücksichtigt werden, die an mindestens einem Tag im jeweiligen Monat existierten.
Was Arbeitsplatz iS des § 7 Abs 1 SchwbG ist, bestimmt sich dabei rein rechnerisch (Großmann ua, aaO, RdNrn 23 und 27 ff zu § 7; Cramer, aaO, RdNr 3 zu § 7; Neumann/Pahlen, SchwbG, 8. Aufl, RdNr 10 zu § 7), nicht etwa in einem gegenständlich-räumlichen Sinne als Beschäftigungsort bzw in einem funktionalen Sinne als Inhalt dessen, was arbeitsvertraglich von einem Beschäftigten verlangt wird. Da die Feststellung der vorhandenen Arbeitsplätze dazu dient, den Umfang der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers iS des § 5 SchwbG zu ermitteln, muß die Zahl der Arbeitsplätze identisch sein mit der Zahl der im jeweiligen Monat existierenden Beschäftigungsverhältnisse, soweit nicht Gesetzesausschlüsse wie in §§ 7 Abs 2 und 3, 8 SchwbG eingreifen (Großmann ua, aaO; Cramer, aaO; Neumann/Pahlen, aaO). Nur dieses Verständnis wird der gesetzlichen Aufgabe gerecht, Schwerbehinderten den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis zu erleichtern bzw zu erhalten.
Dieser Zielsetzung widerspricht es nicht, nur einen Arbeitsplatz anzunehmen, wenn eine aufgrund unternehmerischer Entscheidung vorgesehene Planstelle im Laufe des Monats wegen des Ausscheidens eines Arbeitnehmers durch einen anderen Arbeitnehmer neu besetzt werden muß, wenn also feststeht, daß der Arbeitgeber auf einem vorgesehenen Dauerarbeitsplatz nacheinander – nicht im Schichtsystem – mehrere Arbeitnehmer wegen Ausscheidens des Vorgängers während des Monats beschäftigen muß und somit ein neues Beschäftigungsverhältnis als Ersatz für ein beendetes (Ersatzbeschäftigungsverhältnis) eingegangen wird. Zwar wirft die Überprüfung derartiger Konstellationen in der Praxis wegen des daraus resultierenden Ermittlungsaufwandes Probleme auf; die Auslegung des Begriffs “Arbeitsplatz” im bezeichneten Sinne wird aber dem allgemeinen sprachlichen Gehalt des Wortes besser gerecht. Zudem steht Ermittlungsschwierigkeiten als rechtliches Korrektiv die materielle Beweislast zur Verfügung. Die Annahme nur eines Arbeitsplatzes bei Begründung von Ersatzbeschäftigungsverhältnissen stellt sich nämlich bei näherer Betrachtung als Ausnahme von der Regel dar, auf die nur selten ohne die Mitwirkung des Arbeitgebers von der Beklagten erkannt werden kann. Hieraus erwachsen dem Arbeitgeber naturgemäß besondere Obliegenheiten. Das hat zur Folge, daß die ausnahmsweise Annahme eines Arbeitsplatzes bei Vorliegen eines Ersatzbeschäftigungsverhältnisses wegen des erforderlichen Rückgriffs auf nicht jederzeit verfügbare Betriebsinterna nachweisbar sein muß. Eine materielle Nichterweislichkeit nach Beweiserhebung ginge zu Lasten des Arbeitgebers. Ggf könnte sich sogar die Beweiserhebungspflicht bei fehlender Mitwirkung verkürzen. Dies könnte von Bedeutung sein, weil sich die Klägerin bisher weder während des Verwaltungs- noch während des Gerichtsverfahrens näher dazu eingelassen hat, in welchem Umfang es zu den von ihr behaupteten Wechseln von Beschäftigungsverhältnissen im vorbezeichneten Sinne gekommen ist.
Soweit es die Jahre 1987 und 1988 betrifft, wird das LSG außerdem zu beachten haben, daß mit dem Bescheid vom 4. Mai 1990 die Zahlen des früheren Bescheides vom 29. Januar 1990 zu Ungunsten der Klägerin abgeändert wurden; die Berechtigung hierzu würde sich bei rechtswidrig zu niedrig angesetzten Zahlen im Bescheid vom 29. Januar 1990 an § 45 SGB X messen lassen müssen (vgl in anderem Zusammenhang BSGE 70, 117, 120 = SozR 3-1300 § 45 Nr 11). Ob die Ersetzung des Bescheides vom 29. Januar 1990 als teilweise oder gänzliche Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zu verstehen ist, bedarf der Auslegung.
Schließlich wird das LSG zu prüfen haben, ob die Beklagte nicht zu Unrecht über § 13 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SchwbG hinaus Feststellungen getroffen hat, die außerhalb ihrer Kompetenz liegen. Dies gilt etwa für die Spalten 5 und 15 der Bescheide (Pflichtplätze; unbesetzte Pflichtplätze). Die Bescheide enthalten sogar möglicherweise bereits eine Regelung der zu zahlenden Ausgleichsabgaben; jedenfalls wurde den in der Verwaltungsakte befindlichen Abschriften bzw Kopien der Feststellungsbescheide über Spalte 15 handschriftlich die Höhe der Ausgleichsabgabe für jeden unbesetzten Arbeitsplatz hinzugefügt. Eine Entscheidung des Senats über die Rechtmäßigkeit iS eines Teilurteils wäre jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zweckmäßig (§ 202 SGG iVm § 301 Abs 2 ZPO).
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG schließlich über eventuelle Bescheide für die Jahre nach 1988, falls sie gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind, und über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 913336 |
BSGE, 176 |