Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.08.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. August 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte nach Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) die dem Kläger für seine Tochter erteilte Bewilligung von kieferorthopädischer Behandlung mit Wirkung für die Zukunft aufheben dürfte.
Die Tochter des Klägers befindet sich seit 8. September 1988 in zahnärztlicher Behandlung. Die kieferorthopädische Behandlung wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 6. Oktober 1988 genehmigt. Die Kosten der Behandlung wurden von der Beklagten im Rahmen der vertraglichen Bestimmungen übernommen. Durch weiteren Bescheid vom 9. März 1989 änderte die Beklagte den früheren Bescheid zum 31. März 1989 dahin, daß der Kläger nach § 29 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zunächst einen Anteil von 20 vH der Kosten selbst zu tragen habe, der im Falle des ordnungsgemäßen Abschlusses der Behandlung anschließend erstattet werde. Widerspruch, Klage und Berufung gegen diesen Bescheid blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) ging davon aus, daß die Beklagte nach § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) den ursprünglichen Bescheid vom 6. Oktober 1988 für die Zukunft aufheben dürfte. Die Änderungen in Verhältnissen liege darin, daß das SGB V (§ 29) die kieferorthopädische Behandlung nicht mehr als Sachleistung gewähre, sondern einen Kostenerstattungsanspruch eingeführt habe. Nach Art 60 GRG erfasse die Neuregelung auch den vorliegenden Fall, weil die Beklagte erst nach dem 27. April 1988 über den Anspruch schriftlich entschieden habe. Diese unechte Rückwirkung sei verfassungsrechtlich unbedenklich.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Er wendet sich gegen die Anwendung des § 48 SGB X mit dem Vorbringen, der Bescheid vom 6. Oktober 1988 sei kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Von Art 60 GRG werde nur seine Tochter angesprochen, die nach altem Recht keinen eigenen Anspruch gehabt habe. Übrigens sei die Neuregelung verfassungswidrig, weil der Kläger auf den Fortbestand der bisherigen Regelung vertraut habe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. August 1990 – L 16 Kr 138/89 –, des Sozialgerichts Duisburg vom 25. September 1989 – S 21 Kr 166/89 – und den Bescheid der Beklagten vom 9. März 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1989 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.
Die Beklagte konnte durch den angefochtenen Bescheid vom 9. März 1989 abweichend von dem alten Bescheid dem Kläger nach § 29 SGB V einen Kostenanteil von 20 vH auferlegen. Durch diese gesetzliche Neuregelung ist gegenüber der früheren Zusage der Beklagten auf Kostenübernahme entsprechend dem Heil- und Kostenplan des behandelnden Zahnarztes der Klägerin eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) insofern eingetreten, als die Neuregelung des § 29 SGB V durch Art 60 GRG auch auf Behandlungen erstreckt wurde, die vor dem 1. Januar 1989 begonnen haben. Diese Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
„Versicherte, deren zahnärztliche Behandlung zur Versorgung mit Zahnersatz oder Zahnkronen oder deren kieferorthopädische Behandlung vor dem 1. Januar 1989 begonnen hat, haben Anspruch nach den am 1. Dezember 1988 geltenden Rechtsvorschriften, wenn die Krankenkasse vor dem 27. April 1988 über den Anspruch bereits schriftlich entschieden hat.”
Mit der Formulierung „begonnen hat” bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß der vor dem 1. Januar 1989 erteilte Bewilligungsbescheid ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sein soll. In die dadurch begründete Rechtsposition des Versicherten greift das Gesetz ab 1. Januar 1989 ein. Dies geschieht dadurch, daß die weitere Anwendung des alten Rechts und damit die Erhaltung eines Besitzstandes nur noch gewährleistet wird, wenn eine Entscheidung der Krankenkasse vor dem 27. April 1988 ergangen ist. Hieraus folgt, daß in allen anderen Fällen das neue Recht (SGB V) gelten soll.
Da der ursprüngliche Bewilligungsbescheid der Beklagten im Falle des Klägers nach dem 27. April 1988 ergangen ist, war die Beklagte durch § 29 SGB V berechtigt, einen Eigenanteil des Klägers zur Behandlung ab 9. März 1989 zu verlangen.
Der Eingriff in die Rechte des Klägers aufgrund Art 60 GRG ist auch nicht verfassungswidrig. Insbesondere ist Art 14 Grundgesetz (Schutz des Eigentums) nicht verletzt. Nach wie vor gehört die kieferorthopädische Behandlung zur zahnärztlichen Versorgung als Versicherungsleistung (§ 27 Nr 2 SGB V). Sie wird nicht mehr als Sachleistung gewährt, sondern im Wege der Kostenerstattung, wobei der Versicherte zunächst einen Eigenanteil von 20 vH zu tragen hat, der nach Abschluß der Behandlung entsprechend dem Behandlungsplan ebenfalls erstattet wird (§ 29 Abs 2 SGB V). Dies bedeutet, daß einem Versicherten für die Inanspruchnahme einer Versicherungsleistung ein Eigenbeitrag abverlangt wird. Dieser allein berührt noch nicht den Wesensgehalt eines Leistungsanspruches, zumal er entfällt, wenn der Versicherte, was von ihm im allgemeinen erwartet werden kann, die Behandlung entsprechend dem Behandlungsplan durchführen läßt. Auch auf einen Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Im Zeitpunkt der Erteilung des (ersten) Bewilligungsbescheides war die bevorstehende Reform der Krankenversicherung durch das SGB V allgemein bekannt. In diesem Zusammenhang mußte jeder Versicherte mit Leistungseinschränkungen rechnen.
Nach allem war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen