Leitsatz (redaktionell)
Ist im ersten Rechtszug bereits auf Antrag nach SGG § 109 ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört worden, so braucht das Berufungsgericht auf einen erneuten Antrag nach SGG § 109 einen zweiten Arzt zu derselben Beweisfrage nur dann gutachtlich zu hören, wenn besondere Umstände das Verlangen des Antragstellers rechtfertigen.
Dies kann insbesonders dann der Fall sein, wenn sich aus späteren Gutachten oder aus der Verhandlung vor dem LSG neue Tatsachen und Gesichtspunkte ergeben haben, die in dem ersten auf Antrag des Berechtigten eingeholten Gutachten nicht gewürdigt sind.
Aus der Mitteilung des Gerichts, es werde jedenfalls vor einem bestimmten Zeitpunkt keine mündliche Verhandlung stattfinden, kann der Kläger entnehmen, daß er bis zu diesem Zeitpunkt prüfen kann, ob er einen Antrag nach SGG § 109 stellen will.
Findet die mündliche Verhandlung erst später statt, dann darf das LSG die Ablehnung des Antrags nach SGG § 109 nicht auf Abs 2 dieser Vorschrift stützen.
Normenkette
SGG § 109 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 16. August 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Bei dem am 5. August 1888 geborenen Kläger wurden nach Einholung eines versorgungsärztlichen Gutachtens vom 16. April 1951 (Dr. Z) durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) D vom 5. Juli 1951 als Leistungsgrund nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) "Narben auf dem Rücken, Restfolge eines Eiweißmangelschadens mit Leberschädigung, Restfolge einer Nervenentzündung und Lähmung nach Diphtherie" anerkannt und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. vom 1. August 1950 an gewährt. Mit Umanerkennungsbescheid vom gleichen Tage wurde wegen derselben Gesundheitsstörungen Rente in gleicher Höhe nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bewilligt.
Das VersorgA holte ein innerfachärztliches Gutachten von den Krankenanstalten der Stadt D vom 7. Dezember 1955 ein, das von Oberarzt Dr. M und Assistenzarzt Dr. D erstattet wurde. Die Sachverständigen dieser Krankenanstalt kamen zu dem Ergebnis, daß für einen Eiweißmangelschaden mit Leberschädigung nennenswerte Befunde nicht mehr erhoben werden konnten. Die erhöhten systolischen Blutdruckwerte seien Ausdruck eines Altershochdrucks und stünden in keinem Zusammenhang mit einem Versorgungsleiden. Auch könne von Restfolgen einer Nervenentzündung und Lähmung nach Diphtherie ohnehin keine Rede sein; es bleibe lediglich die Frage offen, ob die mit einer Akrocyanose (Blausucht an Gliedmaßenenden) verbundenen Parästhesien in den Händen und den Füßen als Diphtheriefolgen gelten könnten. Obwohl die Akrocyanose konstitutionell bedingt sei, seien die Parästhesien als Schädigungsfolgen anerkannt, so daß man es dabei belassen müsse. Eine nennenswerte MdE werde hierdurch jedenfalls nicht bedingt. Dagegen sei eine wenige Monate nach der Entlassung des Klägers aus dem Konzentrationslager aufgetretene Pleuritis als Schädigungsfolge aufzufassen, so daß die verbliebenen pleuritischen Residuen als Schädigungsfolge anzuerkennen seien. Sie beeinträchtigten jedoch in keiner Weise die Atemfunktion und verursachten somit keine meßbare MdE. Gestützt auf dieses Gutachten erkannte das VersorgA Darmstadt durch Bescheid vom 20. April 1956 nur noch "Narben auf dem Rücken, Pleuraverwachsungen links und geringe Gefühlsstörungen nach einer Nervenentzündung nach Diphtherie" als Schädigungsfolgen an und entzog die Rente mit Wirkung vom 1. Juni 1956 an. Der Widerspruch hatte nach Einholung eines ohrenfachärztlichen Gutachtens des Dr. B vom 24. Juli 1956 keinen Erfolg (Bescheid des LVersorgA Hessen vom 27.9.1956).
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) holte das Sozialgericht (SG) Darmstadt ein nervenfachärztliches Gutachten des Medizinalrats Dr. S vom 25. Februar 1957 ein. Nach Ansicht dieses Sachverständigen sind bei einer MdE um 50 v. H. als Schädigungsfolgen nach § 1 BVG anzusehen:
1. Narben auf dem Rücken infolge Furunkulose und Dermatitiden während der Inhaftierung, Arthrose der Kniegelenke;
2. Pleuraverwachsungen links als Folge einer wahrscheinlich während der Inhaftierung durchgemachten Lungentuberkulose;
3. Akrocyanose und Parästhesien der Finger und Zehen als Folge der Infektion an Diphtherie während der Inhaftierung;
4. Blutdruckerhöhung und Durchblutungsstörungen infolge einer Dystrophie;
5. psychische Störungen durch Schädigungen des Gehirns infolge der Dystrophie und seelischer Schädigungen durch Mißhandlungen während der Inhaftierung;
6. geringe Druckempfindlichkeit der Lebergegend (Leberschädigung nach Eiweißmangelschaden fast ganz behoben).
Durch Urteil vom 23. Mai 1957 hat das SG Darmstadt als weitere Schädigungsfolge "psychische Störungen durch Gehirnschädigung" anerkannt und den Beklagten verurteilt, vom 1. Juni 1956 an weiterhin eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte Berufung eingelegt. Auf Anregung des Beklagten, der eine weitere Begutachtung mit Pneumoencephalographie für erforderlich hielt, hat das Landessozialgericht (LSG) von Amts wegen ein Gutachten der Nervenabteilung der Medizinischen Universitätsklinik H vom 20. Januar 1961 (Prof. Dr. J und Dr. C) eingeholt. Die Sachverständigen der Universitätsklinik sind zu der Auffassung gelangt, daß in den für den Umanerkennungsbescheid vom 5. Juli 1951 maßgeblichen Verhältnissen insofern eine wesentliche Änderung eingetreten sei, als weder Restfolgen des Eiweißmangelschadens mit Leberschädigung noch wesentliche Folgen der postdiphtherischen Polyneuritis festzustellen seien. Die psychischen Störungen seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Spätfolgen der Eiweißmangelerkrankung, sondern Ausdruck einer beginnenden cerebralen Arteriosklerose. Eine schädigungsbedingte MdE bestehe von neurologischer Seite aus nicht mehr und habe wohl auch im April 1956 nicht mehr vorgelegen. Das Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik ist den Parteien am 9. Februar 1961 mit dem Anheimgeben einer Äußerung bis zum 1. März 1961 übersandt worden. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 1961 hat der Kläger um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis 1. Mai 1961 gebeten. Die Äußerungsfrist hat das LSG jedoch nur bis zum 20. März 1961 verlängert. Auf die erneute Bitte des Klägers um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme (Schriftsatz vom 12.3.1961) hat das LSG dem Kläger lediglich mitgeteilt, daß "vor dem 1.5.61 in Ihrer Sache jedenfalls kein Termin stattfinden wird". Nachdem der Kläger das Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik H dem von ihm im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 109 SGG benannten Medizinalrat Dr. S vorgelegt und dieser eine Stellungnahme in einem das Gutachten der H Universitätsklinik ablehnenden Sinne abgegeben hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Mai 1961 die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG von Prof. Dr. P beantragt.
Durch Urteil vom 16. August 1961 hat das Hessische LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Darmstadt vom 23. Mai 1957 zurückgewiesen sowie dieses Urteil auf die Berufung des Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Es hat sich den weitgehend übereinstimmenden Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik H vom 20. Januar 1961 und der Krankenanstalten der Stadt D vom 7. Dezember 1955 angeschlossen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG von Prof. Dr. P hat es mit der Begründung abgelehnt, daß besondere Gründe für eine weitere Begutachtung nach dieser Vorschrift nicht vorlägen, zumal der Neurologe Dr. S selbst eingeräumt habe, daß die von ihm früher erhobenen Befunde im wesentlichen mit dem von der Medizinischen Universitätsklinik H erhobenen Befund übereinstimmten. Der Kläger habe ferner seinen wiederholten Antrag nach § 109 SGG schon wesentlich früher als erst drei Monate nach Kenntnis von dem Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik H vom 20. Januar 1961 stellen können. Er sei mehrfach unter Fristsetzung zu einer Stellungnahme zu diesem Gutachten aufgefordert worden, so daß eine grobe Nachlässigkeit i. S. des § 109 Abs. 2 SGG vorliege.
Gegen das am 11. September 1961 zugestellte Urteil des Hessischen LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. Oktober 1961, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 6. Oktober 1961, Revision eingelegt; er beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 11. Dezember 1961 hat der Kläger die Revision mit den Schriftsätzen vom 4. November und 4. Dezember 1961 begründet. Er rügt in erster Linie eine Verletzung des § 109 SGG, weil das Berufungsgericht seinen Antrag, Prof. Dr. P zu hören, abgelehnt habe. Er wendet sich ferner gegen das Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik H vom 20. Januar 1961, das er für einseitig und nicht ausreichend für die Urteilsbildung des Berufungsgerichts hält. Im übrigen wird auf die Ausführungen des Klägers in der Revisionsbegründung Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen LSG vom 16. August 1961 als unzulässig zu verwerfen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die von dem Kläger gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.
Der Senat hat bei dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren, H N vom VdK, Landesverband Hessen, der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 16. August 1961 anwesend war, angefragt, ob er in dieser Verhandlung beanstandet hat, daß das vom Kläger nach § 109 SGG beantragte Gutachten nicht eingeholt worden ist. Der damalige Prozeßbevollmächtigte hat in einer Äußerung vom 12. März 1962, die er unter Versicherung der Richtigkeit an Eides Staat abgegeben hat, mitgeteilt, daß er den Antrag, Prof. Dr. P nach § 109 SGG zu hören, in der mündlichen Verhandlung wiederholt und dabei Ausführungen dazu gemacht habe, aus welchen Gründen nochmals ein Antrag nach dieser Vorschrift gestellt worden sei. Abschrift dieser Äußerung ist den Parteien am 14. März 1962 übersandt worden.
Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Sie findet - da nicht zugelassen - nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 10. Mai 1961 Antrag auf Anhörung des Prof. Dr. P in Bonn nach § 109 SGG gestellt. Diesen Antrag hat das LSG in dem angefochtenen Urteil mit doppelter Begründung abgelehnt: Besondere Gründe für die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG lägen nicht vor, nachdem bereits in der ersten Instanz ein Gutachten nach dieser Vorschrift eingeholt worden sei und es sich bei dem erneuten Antrag um dasselbe Beweisthema handele. Ferner sei dem Kläger zuzumuten gewesen, seinen wiederholten Antrag schon wesentlich früher als erst drei Monate nach Kenntnis von dem Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg vom 20. Januar 1961 zu stellen. Die Ablehnung der Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. P sei daher auch nach § 109 Abs. 2 SGG gerechtfertigt.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 109 SGG durch das Berufungsgericht. Eine Verletzung dieser Vorschrift kann allerdings nicht mehr gerügt werden, wenn der Kläger einen solchen Verfahrensmangel bis zum Schluß der ersten mündlichen Verhandlung, in der über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt wurde, nicht gerügt hat, obgleich er ihn rügen konnte. Dies ergibt sich aus § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (vgl. BSG in SozR ZPO § 295 Bl. Da 1 Nr. 2 und 3). Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 16. August 1961 ergibt sich zwar nicht, daß der Kläger die Nichteinholung des von ihm nach § 109 SGG beantragten Gutachtens von Prof. Dr. P gerügt hat. Durch die eidesstattliche Versicherung seines Prozeßbevollmächtigten im Berufungsverfahren, Herbert N vom VdK, Landesverband Hessen, vom 12. März 1962 ist aber zur Überzeugung des Senats dargetan, daß der Antrag, Prof. Dr. P nach § 109 SGG zu hören, wiederholt und von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers erörtert worden ist, warum nochmals ein Antrag nach dieser Vorschrift gestellt worden ist. § 295 ZPO steht daher der Rüge einer Verletzung des § 109 SGG nicht entgegen.
Nach dieser Vorschrift muß auf Antrag des Versorgungsberechtigten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Im vorliegenden Falle ist auf Antrag des Klägers bereits vom SG das Gutachten des Medizinalrats Dr. S vom 25. Februar 1957 nach § 109 SGG eingeholt worden; es handelt sich somit bei dem von dem Kläger mit Schriftsatz vom 10. Mai 1961 gestellten Antrag, noch Prof. Dr. P zu hören, um einen zweiten Antrag nach dieser Vorschrift in der Berufungsinstanz. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG muß einem solchen Antrag nicht ohne weiteres stattgegeben werden; vielmehr fordert die Rücksicht auf alle Beteiligten und auf die Kostenfreiheit des gerichtlichen Verfahrens, daß dem Berechtigten das Antragsrecht mehrmals nur dann zugebilligt wird, wenn sein neuer Antrag sich in den Grenzen zweckentsprechender Rechtsverfolgung hält. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich aus späteren Gutachten oder aus der Verhandlung vor dem LSG neue Tatsachen und Gesichtspunkte ergeben haben, die in dem ersten auf Antrag des Berechtigten eingeholten Gutachten nicht gewürdigt sind (vgl. BSG in SozR SGG § 109 Bl. Da 3 Nr. 6 und Bl. Da 8 Nr. 14). Ist im ersten Rechtszug bereits auf Antrag des Berechtigten nach § 109 SGG ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört worden, so braucht das Berufungsgericht auf einen erneuten Antrag einen zweiten Arzt zu derselben Beweisfrage nur dann gutachtlich zu hören, wenn besondere Umstände das Verlangen des Antragstellers rechtfertigen (BSG in SozR SGG § 109 Bl. Da 11 Nr. 18).
Das Berufungsgericht hat das Vorliegen solcher besonderen Umstände verneint und schon aus diesem Grunde die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. P abgelehnt. Dieser Auffassung des LSG kann jedoch nicht zugestimmt werden. Dr. S hat sein Gutachten vom 25. Februar 1957, das zur Bewilligung einer Rente durch das SG geführt hat, ohne Einholung eines Elektro-Encephalogramms (EEG) erstattet. Auf Anregung des Beklagten hat das LSG von Amts wegen ein weiteres Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg vom 20. Januar 1961 eingeholt, in dem ein erst jetzt erhobenes EEG verwertet worden ist. Die Universitätsklinik ist zu einer für den Kläger ungünstigen Beurteilung gelangt und hat hierbei das Ergebnis des EEG ebenfalls in negativem Sinne für den Anspruch des Klägers gewürdigt. Die Einholung des EEG hat hiernach für den Kläger eine neue Tatsachenlage geschaffen, die einen besonderen Grund für die Stellung eines neuen Antrags nach § 109 SGG darstellt. Das LSG hätte daher die Einholung eines Gutachtens nach dieser Vorschrift von Prof. Dr. P nicht mit der von ihm gegebenen Begründung ablehnen dürfen, daß besondere Umstände für die Einholung dieses Gutachtens nicht vorlägen.
Das Berufungsgericht hat ferner die Ablehnung des mit Schriftsatz vom 10. Mai 1961 gestellten Antrags darauf gestützt, daß es dem Kläger zuzumuten gewesen sei, seinen wiederholten Antrag schon wesentlich früher als erst drei Monate nach Kenntnis von dem Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik H vom 20. Januar 1961 zu stellen. In der Ablehnung des Antrags, Prof. Dr. P zu hören, ist nach § 109 Abs. 2 SGG nur dann ein Mangel des Verfahrens zu erblicken, wenn die Zulassung des Antrags die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert hätte oder wenn das Gericht mit seiner Annahme, der Antrag sei aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt worden, die Grenzen seines Rechts, hierüber nach freier Überzeugung zu entscheiden, überschritten hat (BSG in SozR SGG § 109 Bl. Da 2 Nr. 4). Ob das Berufungsgericht bei der Ablehnung eines Antrags nach § 109 Abs. 2 SGG sein freies Ermessen überschritten hat, unterliegt der Nachprüfung durch das BSG (BSG 2, 258).
Im vorliegenden Falle kann der Auffassung des LSG, der Kläger hätte seinen wiederholten Antrag nach § 109 SGG schon wesentlich früher stellen können, nicht beigepflichtet werden. Das Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik H vom 20. Januar 1961, das 15 Seiten lang ist, hat der Kläger am 10. Februar 1961 erhalten. Mit Schreiben vom 19. Februar 1961 hat er gebeten, die bis zum 1. März 1961 gestellte Frist zur Stellungnahme zu verlängern. Das LSG hat dieser Bitte unter Stellung einer neuen Frist bis zum 20. März 1961 entsprochen. Mit einem weiteren Schreiben vom 12. März 1961 hat der Kläger nochmals um Fristverlängerung bis zum 1. Mai 1961 gebeten, da er eine hinreichend begründete Stellungnahme zu dem umfangreichen Gutachten der H Universitätsklinik vorher nicht abgeben könne. Das LSG hat daraufhin dem Kläger lediglich mitgeteilt, daß jedenfalls vor dem 1. Mai 1961 kein Termin stattfinden werde. Alsdann hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Mai 1961 den Antrag gestellt, Prof. Dr. P nach § 109 SGG zu hören. Die mündliche Verhandlung hat erst drei Monate später am 16. August 1961 stattgefunden. Bei diesem Sachverhalt kann dem Kläger nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe den Antrag aus Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht. Aus der Mitteilung des Gerichts, es werde jedenfalls vor dem 1. Mai 1961 keine mündliche Verhandlung stattfinden, konnte der Kläger entnehmen, daß er bis zu diesem Zeitpunkt prüfen konnte, ob er einen Antrag nach § 109 SGG stellen wollte. Er hat sich auch bis zu diesem Zeitpunkt bemüht, sich über die medizinischen, in Zusammenhang mit dem Gutachten der H Universitätsklinik stehenden Fragen Klarheit zu verschaffen, was ein Schreiben des Dr. S vom 1. Mai 1961, der im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 109 SGG gehört worden ist, an den Kläger beweist. Nach Erhalt dieses Schreibens des Dr. S hat er unverzüglich mit Schriftsatz vom 10. Mai 1961 den Antrag gestellt, noch Prof. Dr. P im Hinblick auf die sich aus dem Gutachten der Heidelberger Universitätsklinik ergebenden neuen Gesichtspunkte zu hören. Da die mündliche Verhandlung erst drei Monate später stattgefunden hat, durfte das LSG die Ablehnung des Antrags nach § 109 SGG nicht auf Abs. 2 dieser Vorschrift stützen. Die Rüge einer Verletzung des § 109 SGG greift somit durch, so daß die nicht zugelassene Revision des Klägers statthaft ist.
Die Revision ist auch begründet, weil die Möglichkeit besteht, daß das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es dem Antrag des Klägers, Prof. Dr. P nach § 109 SGG zu hören, stattgegeben hätte (vgl. BSG 2, 197). Da der Senat nicht selbst entscheiden kann, weil noch die Anhörung eines Sachverständigen nach § 109 SGG zu erfolgen hat, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen