Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundeswehrsoldat. stationäre Behandlung. Unfall bei Aufsuchen der Krankenhauskantine. private Verrichtung. keine Ausdehnung des Versorgungsschutzes gegenüber dem Unfallversicherungsschutz
Leitsatz (amtlich)
Ereignet sich "bei" einer Maßnahme der Heilbehandlung ein Unfall, der nach den Umständen grundsätzlich dem privaten Bereich zuzurechnen ist (Kauf eines Getränks), wird Versorgung nur gewährt, wenn ein Zusammenhang mit dem sozialen Bezugsfeld (hier der Heilbehandlung) besteht.
Orientierungssatz
1. Der Einkauf von Lebensmitteln ist während einer stationären Behandlung grundsätzlich den privaten Verrichtungen des täglichen Lebens zuzurechnen.
2. Ereignet sich ein Unfall in einem Bundeswehrkrankenhaus und unterscheiden sich die besonderen Verhältnisse dieses Krankenhauses nicht von denen der allgemeinen Krankenhausbehandlung, gibt es keinen Anlaß, den versorgungsrechtlichen Schutz weiter auszudehnen als denjenigen in der Unfallversicherung.
Normenkette
SVG § 81 Abs 2 Nr 2 Buchst b; RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.05.1988; Aktenzeichen L 10 V 275/87) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.09.1987; Aktenzeichen S 36 V 331/85) |
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Gesundheitsschaden am linken Ringfinger, den sich der Kläger als Bundeswehrsoldat zu Beginn der stationären Behandlung einer Wehrdienstbeschädigung (Sensibilitätsstörungen am Handrücken) im Bundeswehrzentralkrankenhaus K. zugezogen hat, Folge dieser Wehrdienstbeschädigung ist.
Zwischen der Aufnahme im Krankenhaus am späten Vormittag und dem Mittagessen hatte sich der nicht bettlägerige Kläger in der Kantine ein Getränk besorgt und war auf dem Rückweg über seine eigenen Füße gestolpert. Er verletzte sich an den Flaschensplittern. Die durchgetrennte tiefe Beugesehne am linken Ringfinger wurde operativ behandelt. Zurück blieben eine Narbe, eine geringe Bewegungsstörung und eine geringfügige Gefühlsstörung, deren Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung abgelehnt worden ist.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen (Urteile vom 10. September 1987 und 25. Mai 1988). Es hat ausgeführt: Der Anspruch nach § 81 Abs 2 Nr 2 Buchst d iVm Buchst a des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) sei begründet. Der Unfall habe sich "bei" Durchführung einer Maßnahme der Heilbehandlung ereignet. Der Kantinenbesuch habe im weiteren Sinne den Zwecken der Heilbehandlung gedient.
Die Beklagte und der Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Nach ihrer Auffassung fehlt es am wesentlichen ursächlichen Zusammenhang der unfallverursachenden Tätigkeit mit der vorgesehenen Heilbehandlung; der zeitliche und örtliche Zusammenhang genüge nicht. Der Unfall habe sich in der freien Zeit ereignet; die Versorgung mit Getränken sei auch nicht den Zwecken der Heilbehandlung dienlich gewesen, weil das Krankenhaus volle Versorgung mit Speisen und Getränken auf der Station garantiere. Die Tätigkeit müsse daher dem privaten Bereich zugerechnet werden. Es seien auch keine durch den Krankenhausaufenthalt ausgelösten besonderen Gefahrenmomente wirksam geworden, weder ungewohnte äußere Lebensumstände noch betriebsbedingte Gefahren. Allein die Ungeschicklichkeit des Klägers habe den Unfall verursacht.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 1987 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen sind begründet; die Klage ist abzuweisen. Die Schnittverletzung des Klägers ist keine Wehrdienstbeschädigung.
Nach § 81 Abs 2 Nr 2 Buchst b SVG (hier in der Fassung vom 9. Oktober 1980 - BGBl I 1957 -/22. Dezember 1981 - BGBl I 1523 -) ist als Wehrdienstbeschädigung auch die gesundheitliche Schädigung anzuerkennen, die durch einen Unfall herbeigeführt wird, den der Beschädigte bei einer Maßnahme der Heilbehandlung erleidet. Dieser Tatbestand (entsprechend § 1 Abs 2 Buchst f Bundesversorgungsgesetz -BVG- oder § 539 Abs 1 Nr 17 bzw § 595 Reichsversicherungsordnung -RVO-) setzt voraus, daß "bei" der stationären Behandlung Risiken zum Unfall führen, denen der Versicherte gerade durch die Krankenhausbehandlung ausgesetzt ist. Die stationäre Behandlung muß wesentliche Unfallursache sein; neben dem zeitlichen und örtlichen muß vor allem ein Zusammenhang mit dem sozialen Bezugsfeld, hier der Heilbehandlung, gegeben sein (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 61 - auch "innerer Zusammenhang" genannt - SozR 2200 § 539 Nrn 48 und 56; vgl auch BSGE 41, 137, 139 = SozR 2200 § 555 Nr 1 und BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84), wobei die eigentliche ärztliche Behandlung und die hierbei möglicherweise auftretenden Fehler nur insoweit in den Unfallversicherungsschutz einbezogen sind, als es sich um mittelbare Schädigungsfolgen handelt (vgl BSG SozR 3200 § 81 Nr 27; BSGE 46, 283; SozR 2200 § 539 Nrn 47 und 56 unter ausführlicher Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen).
Der Unfall des Klägers kann nicht als mittelbare Schädigungsfolge angesehen werden. Die ursprüngliche Handverletzung mit Sensibilitätsstörungen hat die weitere Schnittverletzung nicht verursacht. Das LSG hat insoweit keinen Ursachenzusammenhang festgestellt, sondern als Unfallursache Stolpern ohne Fremdeinwirkung nach Kauf eines durstlöschenden Getränks bezeichnet. Der Unfall hat sich also bei einer grundsätzlich dem privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtung ereignet.
Aus derartigen Verrichtungen des täglichen Lebens entstehende Unfälle "bei" der Heilbehandlung von Soldaten können aber der Maßnahme funktional so verbunden sein, daß sie versorgungsrechtlich geschützt und somit etwaige Haftpflichtansprüche auf Schadensersatz verdrängt sind:
Zum einen können die Verrichtungen der Heilbehandlung real oder vermeintlich dienlich sein (BSG SozR 3100 § 1 Nr 33; BSGE 59, 291 = SozR 2200 § 539 Nr 115). Dieser Versorgungsschutz stärkt den Willen zur umfassenden Mitarbeit und sichert den Heilerfolg.
Zum anderen können sich bei der Behandlung in einem Bundeswehrkrankenhaus wehrdiensteigentümliche Umstände auswirken, insbesondere durch den Ausschluß der freien Arztwahl (vgl die ausführlichen Nachweise in BSG SozR 7380 § 47 Nr 1). Hier werden durch die Versorgungsansprüche haftungsrechtliche Streitigkeiten innerhalb der Bundeswehrverwaltung vermieden.
Letztlich können sich auch Gefährdungen der konkreten Umgebung auswirken, wenn sie von baulichen Anlagen, dem Gelände, bestimmten zu benutzenden Geräten oder den dort befindlichen Menschen wesentlich mitverursacht sind. Hier wird den Besonderheiten einer fremdbestimmten Unterbringung ebenso Rechnung getragen wie im allgemeinen Unfallversicherungsrecht bei Dienst- und Geschäftsreisen (vgl BSGE 39, 180, 181 = SozR 2200 § 548 Nr 7; SozR 2200 § 539 Nr 72 mwN). Zutreffend hat das LSG erkannt, daß auch insoweit die besonderen Verhältnisse wehrdienstlicher Heilfürsorge zu einer wehrdiensteigentümlichen Unfallursache werden können. Dann müssen insoweit jedoch besondere Verhältnisse festgestellt sein; daran fehlt es.
Sofern sich ein Unfall in einem Bundeswehrkrankenhaus ereignet und die besonderen Verhältnisse dieses Krankenhauses sich nicht von denen der allgemeinen Krankenhausbehandlung unterscheiden, gibt es keinen Anlaß, den versorgungsrechtlichen Schutz weiter auszudehnen als denjenigen in der Unfallversicherung. Dort ist anerkannt, daß bei Stürzen im Klinikbereich kein Unfallversicherungsschutz besteht, wenn keine örtlichen Besonderheiten mitwirken (BSG SozR 2200 § 539 Nrn 56, 71; § 555 Nr 1). Fehlt es an solchen feststellbaren besonderen Umständen in Bundeswehrkrankenhäusern, scheidet auch versorgungsrechtlich die Entschädigung der Unfälle aus (vgl SozR 3200 § 81 Nr 31 sowie die umfänglichen Nachweise bei BSG SozR 3200 § 81 Nrn 19 und 21). Dient die Tätigkeit, die zum Unfall geführt hat, nur persönlichen Bedürfnissen - wie hier das Durstlöschen bei voller Versorgung mit Speisen und Getränken im Rahmen eines Krankenhauses -, sind nur solche Unfälle versorgungsrechtlich geschützt, bei denen besondere Gefahrenmomente der konkreten Umgebung wirksam werden. Unfälle, die sich in derselben Weise an jedem anderen Ort durch reine Unachtsamkeit (oder durch innere Ursache) hätten ereignet haben können, stehen mit dem Wehrdienst in keinem "inneren" Zusammenhang; sie sind nicht dem Dienst zuzurechnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen