Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienheimfahrt. Unterbrechung. Umweg bei Rückfahrt. Beweggründe für Umweg

 

Orientierungssatz

1. Verläßt ein Soldat nach einer Familienheimfahrt die elterliche Wohnung, um vor der Rückfahrt in die Kaserne zunächst einen Freund aufzusuchen, so ist diese Fahrt dem ausschließlich privaten Lebensbereich zuzuordnen und steht nicht unter Versorgungsschutz.

2. Diese rechtliche Beurteilung gilt ohne Rücksicht darauf, welche Beweggründe den Soldat veranlaßt haben könnten, sich mit seinem Freund zu treffen. Die Besprechung gesellschaftspolitischer Fragen im Rahmen der Jugendarbeit, wie etwa solche der allgemeinen Wehrpflicht, die dazu dienen sollten, eine positive Einstellung der Jugend zum demokratischen Rechtsstaat und seinen Institutionen zu erreichen, kann ihrem Wesen und der Zweckbestimmung nicht als Wehrdienstverrichtung iS der ersten Alternative des § 81 Abs 1 SVG verstanden werden.

3. Die vom Bundessozialgericht zum Wegeunfall (RVO § 550) entwickelte Rechtsprechung ist nicht ohne weiteres auf das Versorgungsrecht übertragbar, wenn der Schutzbereich an die Familienwohnung anknüpft.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 4 S. 3 Fassung: 1980-10-09, Abs. 3 Nr. 4 Fassung: 1971-09-01; RVO § 550 Abs. 1; SVG § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 05.05.1981; Aktenzeichen L 2 V 34/79)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 16.02.1979; Aktenzeichen S 20 V 124/75)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt einen Ausgleich nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Verkehrsunfall sich beim Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges von der Familienwohnung zur Dienststelle ereignete und damit die Unfallfolgen als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen sind.

Der damals ledige Kläger leistete von April 1973 an Dienst bei der Bundeswehr. Er war in B/N stationiert. Seine Eltern wohnten in E (E.). Dort verbrachte er im Oktober 1974 den Wochenendurlaub. Am Vorabend des angesetzten Dienstbeginns wollte er mit dem Pkw zur Dienststelle zurückfahren. Entsprechende schriftliche Nachricht hatte seinen Eltern, die ortsabwesend waren, hinterlassen. Die Fahrtroute führte üblicherweise über Sch - (Sch.), S und L. Er verließ die elterliche Wohnung, um zunächst einen Freund in E. aufzusuchen. Mit ihm wollte er in Zusammenhang mit der Bundeswehr stehende Fragen der Jugendarbeit in einem Jugendzentrum besprechen. Da er ihn in E. nicht antraf und in Schw.-E (Schw.-E.) vermutete, fuhr er dorthin. Er hielt sich kurz in einer Diskothek und anschließend in einer Gastwirtschaft auf. Auf dem Rückweg nach Schw. und etwa 200 m vor Erreichen der Straße in Schw., die von der Familienwohnung aus zur Kaserne hinführt, ereignete sich ein Verkehrsunfall. Der Kläger erlitt dabei ua eine Querschnittslähmung. Die Bundeswehrverwaltung hat einen Ausgleich abgelehnt (Bescheid vom 13. Mai 1975; Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1975).

Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt, die Fahrt nach Schw.-E. und der Rückweg nach Schw. seien allein der Privatsphäre des Klägers zuzurechnen. Der Umweg habe nicht in einem rechtlich erheblichen inneren Zusammenhang mit dem Wehrdienst gestanden. Das beabsichtigte Aufsuchen eines Freundes - so meint das LSG weiter -, um mit ihm Probleme der Wehrpflicht zu diskutieren, sei nicht geeignet, eine Verbindung mit dem Dienst in der Bundeswehr herzustellen.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 81 Abs 3 Nr 4 SVG) sowie formellen Rechts (mangelnde Sachaufklärung nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Nach der Rechtsprechung sei - so führt der Kläger ua aus - die Wahl des Weges grundsätzlich frei. Entscheidend komme es darauf an, daß auf dem eingeschlagenen "längeren" Weg zum Dienstort die Zielrichtung beibehalten werde. Dies sei der Fall gewesen. Überdies habe das Zurücklegen des Weges den Belangen der Bundeswehr gedient. Der Kläger habe gesellschaftspolitische Fragen der Jugendarbeit, die den Dienst in der Bundeswehr betreffen sollten, besprochen. Insoweit hätte sich bei entsprechender Sachaufklärung des LSG ergeben, daß zum Unfallzeitpunkt Versorgungsschutz bestanden habe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Urteile des LSG sowie des SG und der

zugrundeliegenden Verwaltungsentscheide zu verurteilen, Folgen nach

HWK 6. Fraktur mit kompletter Tetraplegie und Blasen-Mastdarmlähmung

als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und gemäß § 85 SVG einen

Ausgleich nach einer Gesamt-MdE um 100 vH zu gewähren;

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten

Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Urteil des LSG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht während der Wehrdienstzeit kein Ausgleich in Höhe der Grundrente nach § 85 Abs 1 SVG in der hier anzuwendenden Fassung (BSGE 28, 190, 192 = SozR Nr 6 zu § 4 Bundesversorgungsgesetz -BVG-) zu; denn der Kläger hat keine Wehrdienstbeschädigung erlitten.

Nach § 85 Abs 1 SVG idF der Bekanntmachung der Neufassung des SVG vom 1. September 1971 (BGBl I 1481) erhalten Soldaten wegen der Folgen e einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) während ihres Dienstes ua einen Ausgleich in Höhe der Grundrente nach § 30 Abs 1 VG. Dabei versteht man unter WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die den Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Zum Wehrdienst gehört auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle; das gilt auch für den Weg von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn der Soldat wegen deren Entfernung vom Dienstort an diesen oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat (§ 81 Abs 3 Nr 4 SVG in der zur Unfallzeit geltenden Fassung; nunmehr § 81 Abs 4 letzter Satz SVG idF vom 9. Oktober 1980 - BGB I 1957 -). Der Ansicht des LSG, der Kläger habe sich zur Unfallzeit auf einem ungeschützten Umweg befunden, vermag der Senat allerdings nicht zu teilen. Der Unfall ereignete sich vielmehr während der Freizeit.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, orientiert sich die rechtliche Beurteilung des versorgungsrechtlich geschützten Weges in der Regel an den Grundsätzen, welche die Rechtsprechung für den Weg von und nach der Arbeitsstelle im Unfallrecht herausgearbeitet hat (BSG SozR 3200 § 81 Nr 13 mwN). Danach ist nicht nur die Wahl des Verkehrsmittels, sondern auch die Wahl des Weges grundsätzlich frei (BSG SozR Nr 21 zu § 543 RVO aF; BSGE 33, 239, 246). Dem Verkehrsteilnehmer soll es nicht zum Nachteil gereichen, wenn er aus verkehrstechnischen Gründen einen anderen, längeren Weg (Umweg) wählt, sofern der erforderliche Ursachenzusammenhang mit dem Wehrdienst gegeben ist (vgl BSG SozR Nr 42 zu § 543 RVO aF). Davon ist auszugehen, wenn die Zielrichtung zum Dienstort beibehalten wird und für die Wahl des längeren Weges von der Familienwohnung keine Gründe maßgebend gewesen sind, die allein oder überwiegend dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind (BSGE 33, 239, 243). Eine solche rechtliche Einordnung setzt aber voraus, daß der Kläger nach dem Verlassen der elterlichen Wohnung tatsächlich schon die Rückfahrt zur Kaserne angetreten hatte. Nur dann ist ein Umweg oder etwa eine Unterbrechung des geschützten Weges überhaupt begrifflich  denkbar. So war es gerade nicht.

Der Kläger hatte zwar nach den Feststellungen des LSG in der seinen Eltern hinterlassenen schriftlichen Nachricht die Rückreise zum Dienstort angekündigt. Indes hat er diese Absicht - jedenfalls zunächst - nicht verwirklicht. Wie das LSG festgestellt hat, waren für die Zielrichtung des Weges von der elterlichen Wohnung private Gründe, nämlich der Besuch des Freundes, leitend. Er traf ihn in E. nicht an und fuhr, da er ihn in Schw.-E. vermutete, dorthin weiter. Somit ist diese Fahrt von Beginn an wie das anschließende Aufsuchen der Diskothek sowie der Gaststätte in Schw.-E. dem ausschließlich privaten Bereich zuzurechnen; sie stehen nicht unter Versorgungsschutz.

Diese rechtliche Beurteilung gilt ohne Rücksicht darauf, welche Beweggründe den Kläger veranlaßt haben könnten, sich mit seinem Freund zu treffen. Die Besprechung gesellschaftspolitischer Fragen im Rahmen der Jugendarbeit, wie etwa solche der allgemeinen Wehrpflicht, die dazu dienen sollten, eine positive Einstellung der Jugend zum demokratischen Rechtsstaat und seinen Institutionen zu erreichen, kann ihrem Wesen und der Zweckbestimmung nach entgegen der Revision nicht als Wehrdienstverrichtung im Sinne der ersten Alternative des § 81 Abs 1 SVG verstanden werden. Richtig ist, daß eine Dienstverrichtung nicht grundsätzlich dadurch ausgeschlossen ist, daß eine dienstliche Handlung außerhalb der Dienstzeit vorgenommen wird (BSG KOV 1969, 76). Jedoch rechnen hierzu nur solche Handlungen eines Soldaten, die er zur Verrichtung des Wehrdienstes aufgrund besonderer Befehle oder allgemeiner Dienstvorschriften oder ungeschriebener soldatischer Pflichten und Grundsätze ausführt (BSG SozR 3200 § 81 Nr 8 mwN). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen behauptet der Kläger selbst nicht und ist nicht vom LSG festgestellt. Ein Soldat ist aber, wie offenbar die Revision meint, nicht deswegen schutzwürdiger, weil er sich über den wehrspezifischen Bereich hinaus allgemein staatspolitischen Aufgaben widmet. Dann gebietet es der Grundsatz der Gleichbehandlung (Art 3 Grundgesetz), ihn wie einen Staatsbürger ohne Sonderstatus zu behandeln. Bei diesem ist das Motiv seines Handeln für die Frage des Versorgungsschutzes ohne Belang. Insoweit bietet auch § 5 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB 1) keine Rechtsgrundlage. Danach wird ein Versorgungsanspruch zugestanden, sofern jemand einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht. Diese Regelung bestimmt nicht selbst, in welchem Falle die Voraussetzung hierfür gegeben ist. Vielmehr begründen die dem einzelnen zustehenden sozialen Rechte Ansprüche nur insoweit, als sie im besonderen Teil des Sozialgesetzbuchs normiert sind (§ 2 Abs 1 Satz 2 SGB 1). Als ein solcher im genannten Sinne besonderer Teil rechnet das BVG, auch soweit § 80 SVG die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften des BVG vorsieht (Art 2 § 1 Nr 11 a SGB 1).

Gleichwohl schließt die vorangegangene eigenwirtschaftliche Betätigung einen Versorgungsschutz nicht grundsätzlich aus. Immerhin hatte der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG die Fahrt von Schw.-E. aus in der Absicht angetreten, in die Kaserne zu gelangen. Daß er zum Unfallzeitpunkt noch nicht den direkten Weg von der Familienwohnung zum Dienstort erreicht hatte, der durch Schw. führt, könnte für die Annahme eines Unfalles während der Ausübung des Wehrdienstes (§ 81 Abs 1 SVG) unschädlich sein, wenn es im besonderen auf die Zielrichtung, nicht aber auch auf den Ausgangspunkt des Weges ankäme. Im Unfallrecht ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß der Rückweg von einer wie hier privaten Tätigkeit ebenso wie der Hinweg grundsätzlich gleich zu werten sind (BSG SozR § 550 RVO Nr 6). Dies gilt regelmäßig dann, wenn die Rückfahrt zum Ausgangsort hinführt. Davon ist hier aber nicht auszugehen; der Kläger wollte zur Kaserne gelangen und nicht zur Wohnung zurückkehren. Andererseits ist es nach der Unfallrechtsprechung grundsätzlich rechtsunerheblich, ob der Hinweg von der Wohnung aus angetreten wird oder der Rückweg in der Wohnung endet. Dies wird aus der Wortfassung des Gesetzes abgeleitet. Nach § 550 Abs 1 RVO (entspricht § 81 Abs 4 Ziffer 2 SVG) ist allein der Ort der Tätigkeit als Ende des Hinweges und als Beginn des Rückweges festgelegt. Jedoch wird zur Annahme des Versicherungsschutzes gefordert, daß dieser Weg in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Betrieb steht und er nicht wesentlich privaten Zwecken dient (BSG SozR Nr 32, 46 und 54 zu § 543 RVO aF).

Diese zum Wegeunfall entwickelte Rechtsprechung ist nicht ohne weiteres übertragbar, wenn der Schutzbereich an die Familienwohnung anknüpft. Im Gegensatz zu § 550 Abs 1 RVO bzw § 81 Abs 4 Ziffer 2 SVG sind bei der sogenannten Familienheimfahrt (zum Begriff vgl BSG in Breithaupt 1977, 732, 733 mwN) drei Punkte rechtlich bedeutsam: Der Dienstort, die Unterkunft und die Familienwohnung. Damit soll erkennbar der Schutz nicht auf alle Wege erstreckt werden, die von der Dienststelle wegführen oder dorthin zurückgehen. Falls eine solche Beschränkung nicht gewollt wäre, hätte es der ergänzenden Vorschrift über den Weg zur Familienwohnung, die vom Dienstort entfernt liegt, nicht bedurft (BSG, Breithaupt 1977, 732, 735). Nach dem Motiv des Gesetzgebers wird dem Umstand Rechnung getragen, daß der Soldat den Wehrdienst in einiger Entfernung vom Ort der Familienwohnung ableistet. Diese räumliche Trennung ist dem Wehrdienst eigentümlich. Infolgedessen wird der Weg zwischen Dienstort und Familienwohnung dem Wehrdienst gleichgestellt. Dies verdeutlicht die Wortfassung des Gesetzes, wenn es darin heißt "Zum Wehrdienst gehören auch ..." bzw wie in § 81 Abs 4 "als Wehrdienst gilt auch ...". Infolgedessen ist, wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl ua BVBl 1973, 6; BSG SozR 3200 § 81 SVG Nr 12), sowohl die Hin- wie auch die Rückfahrt von vornherein nach Beginn und Ende vorherbestimmt. Auf einem solchen direkten Weg von der Familienwohnung zur Dienststelle befand sich der Kläger nach den Feststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), zur Zeit des Unfalles nicht. Die erlittenen Unfallfolgen sind somit nicht als WDB anzuerkennen.

Aus diesen Gründen ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655064

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