Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsrechtlich geschützter Weg. Wegeunfall. Familienheimfahrt. üblicher Weg zum Dienstort
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob ein Kraftfahrer, der es bewußt grobfahrlässig unterläßt, den Sicherheitsgurt anzulegen, bei einem Unfall auf dem Wege von und zu der Dienststelle den Schutz der Soldatenversorgung verliert.
Leitsatz (redaktionell)
1. Steht der Weg zur Dienststelle in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Wehrdienst und dient er nicht wesentlichen privaten Zwecken, so ist auch ein nicht von der Familienwohnung aus angetretener Weg nach § 81 Abs 3 Nr 4 SVG aF versorgungsrechtlich geschützt.
2. Das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes auf dem versorgungsrechtlich geschützten Weg zur Dienststelle schließt den Versorgungsschutz jedenfalls dann nicht aus, wenn sich zu diesem Zeitpunkt (1977) noch nicht ein allgemeines Bewußtsein über die Tragweite dieses pflichtwidrigen Unterlassens gebildet hatte.
Orientierungssatz
1. Die Frage, ob sich der Beschädigte zur Unfallzeit auf einem versorgungsrechtlich geschützten Weg befunden hat, ist nach den Grundsätzen zu beurteilen, welche die Rechtsprechung für den Weg von und nach der Arbeitsstelle im Unfallrecht entwickelt hat.
2. Zum Versorgungsschutz eines Soldaten, dem es gestattet ist, sich vom Dienstende bis zum Wecken außerhalb des Kasernenbereichs aufzuhalten und der den Rückgang zur Kaserne nicht wie üblicherweise von der elterlichen Wohnung aus, sondern von der Wohnung einer vom Elternhaus ca 300 m entfernt wohnenden Bekannten angetreten hat.
Normenkette
SVG § 81 Abs. 1, 4 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1976-08-24, S. 3 Fassung: 1976-08-24, Abs. 3 Nr. 4 Fassung: 1971-08-10; StVO § 21a Abs. 1 Fassung: 1975-11-27; RVO § 550
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 31.08.1981; Aktenzeichen L 2 V 68/81) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 27.02.1981; Aktenzeichen S 9 V 8/79) |
Tatbestand
Die Kläger begehrt Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wegen der durch einen Wegeunfall verursachten Unfallfolgen.
Der ledige Kläger leistete von August 1977 an Grundwehrdienst bei der Bundeswehr. Er war ua in Bad Segeberg (S.) stationiert. Seine Eltern wohnten in Lübeck (L.). Zu ihnen fuhr er wöchentlich fünfmal und übernachtete auch dort. Er war zwar von der Verpflichtung zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft nicht befreit, hatte aber eine Dauerausgangskarte für die Zeit vom Dienstschluß bis zum Wecken.
Am 30. November 1977 fuhr er nach Dienstende zu seinen Eltern und nahm den ebenfalls in L. ansässigen Bundeswehrangehörigen H. mit. Gegen 20.00 Uhr verließ er die elterliche Wohnung, um eine Bekannte aufzusuchen. Sie wohnte etwa 300 m von der elterlichen Wohnung entfernt. Dort übernachtete er. Am folgenden Tag gegen 5.00 Uhr trat er den Rückweg zur Kaserne in S. an. Er holte, ohne zu seinen Eltern zurückzukehren, zunächst H. ab und benutzte sodann mit Ausnahme der ersten 180 m die übliche Fahrtroute. Kurz vor der Ortseinfahrt von S. ereignete sich ein Verkehrsunfall. Der Kläger erlitt dabei ua eine Schädelfraktur. Zur Unfallzeit hatte er den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Wegen dauernder Dienstunfähigkeit wurde er mit Ablauf des 30. Juni 1978 aus dem Bundeswehrdienst entlassen. Die Versorgungsverwaltung lehnte eine Versorgung ab (Bescheid vom 8. September 1978; Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1978).
Die Klage ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des Sozialgerichts (SG) aufgehoben und den Beklagten dem Grunde nach verpflichtet, die Versorgungsleistungen zu gewähren. Es hat seine Entscheidung ua wie folgt begründet: Der Kläger habe sich am Unfalltag nicht auf einer Familienheimfahrt befunden. Dennoch sei der Weg zur Kaserne nach § 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG versorgungsrechtlich geschützt. Es habe sich um einen mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weg zur Dienststelle gehandelt. Rechtsunerheblich sei, daß der Kläger den Weg nicht von der Familienwohnung aus angetreten habe. Der Weg von der Bekannten sei nicht länger gewesen als derjenige von der elterlichen Wohnung zur Kaserne. Das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes habe die haftungsbegründende Kausalität nicht entfallen lassen. In dieser Beziehung sei das Verhalten des Klägers nicht in hohem Maße unvernünftig gewesen.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 81 Abs 3 Nr 4 SVG aF). Der Kläger sei - so der Beklagte - grundsätzlich zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet gewesen. Es habe sich demgemäß nicht um einen mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weg gehandelt. Vielmehr komme hier eine sogenannte Familienheimfahrt in Betracht. Sie setze den tatsächlichen Aufenthalt bei der Familie voraus. Außerdem stehe nur die direkte Wegeverbindung zwischen Familienwohnung und Kaserne unter Versorgungsschutz. Der Kläger habe bei einer Bekannten übernachtet und von dort aus die Rückfahrt zum Dienstort angetreten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben
und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des LSG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Versorgung zu.
Rechtsgrundlage für den strittigen Anspruch ist § 80 SVG idF vom 18. Februar 1977 (BGBl I S 337). Nach dieser Vorschrift erhalten Soldaten, die eine Wehrdienstbeschädigung (WDB) erlitten haben, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dabei versteht man unter WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die im Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Zum Wehrdienst gehört auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle (§ 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG); das gilt auch für den Weg von und nach der ständigen Familienwohnung, "wenn der Soldat wegen deren Entfernung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat" (§ 81 Abs 3 Nr 4 in der zur Unfallzeit geltenden Fassung: BSGE 28, 190, 192 = SozR Nr 6 zu § 4 BVG; nunmehr § 81 Abs 4 letzter Satz SVG idF vom 9. Oktober 1980 BGBl I S 1954). Der Ansicht des LSG, der Kläger habe sich zur Unfallzeit auf einem versorgungsrechtlich geschützten Weg befunden, ist zutreffend.
Insoweit orientiert sich die rechtliche Beurteilung dieses Falles an den Grundsätzen, welche die Rechtsprechung für den Weg von und nach der Arbeitsstelle im Unfallrecht entwickelt hat (BSGE 50, 80, 82 = SozR 3200 § 81 Nr 13 mwN). Danach ist nicht nur die Wahl des Verkehrsmittels, sondern auch die Wahl des Weges grundsätzlich frei (BSG SozR Nr 21 zu § 143 Reichsversicherungsordnung -RVO- aF; BSGE 33, 239, 242). Ebenso ist es im allgemeinen rechtsunerheblich, ob der Hinweg von der Wohnung aus angetreten wird oder der Rückweg in der Wohnung endet. Das wird aus der Wortfassung des Gesetzes abgeleitet. Nach § 550 Abs 1 RVO, der dem § 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG entspricht, ist allein der Ort der Tätigkeit als Ende des Hinweges und als Ausgangspunkt des Rückweges festgelegt. Auf dem Weg, der von einer anderen Stelle als der Wohnung aus begonnen wird, besteht zwar nicht schon deshalb Versicherungsschutz, weil der Weg zur Arbeitsstelle hinführt (BSGE 8, 53, 55; BSG in BG 1969, 195). Vielmehr wird gefordert, daß dieser Weg in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Betrieb steht und er nicht wesentlich privaten Zwecken dient (BSG SozR Nr 32, 46, 54 zu § 543 RVO aF). Ein solcher zweckbezogener Zusammenhang zum Wehrdienst, den § 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG in gleicher Weise fordert (Urteil des erkennenden Senats in Breithaupt 1977, 732, 735), war hier gegeben.
Dagegen läßt sich der Sachverhalt nicht dem Weg von der Familienwohnung unterordnen. Das ist wichtig, weil der Unfall sich auf einem Weg ereignete, den der Kläger nicht von seiner Familienwohnung aus angetreten hatte. Allerdings hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt seine Familienwohnung, dh den räumlichen Mittelpunkt des privaten Lebens, bei seinen Eltern in L. (zum Begriff der Familienwohnung vergleiche Urteil des erkennenden Senats in SozR 3200 § 81 Abs 12 mwN). Dorthin fuhr er fünfmal in der Woche. Er übernachtete regelmäßig bei seinen Eltern und kehrte jeweils am Morgen des folgenden Tages in die Kaserne zurück. An diesen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 SGG). Dem Kläger war dies erlaubt; als Inhaber einer Dauerausgangskarte war es ihm gestattet, den Dienstort nach Beendigung des Dienstes bis zum Wecken zu verlassen. Gleichwohl läßt sich im Streitfall das Geschehen nicht mit dem Begriff "Familienheimfahrt" in Verbindung bringen. § 81 Abs 3 Nr 4 SVG aF (ebenso wie nunmehr § 81 Abs 4 letzter Satz SVG) bezweckt eine Erweiterung des Versorgungsschutzes auf dem Weg zwischen Dienstort und Familienwohnung. Nach dem Gesetzeswortlaut soll die Vergünstigung denjenigen zugute kommen, die wegen der Entfernung der Familienwohnung zum Dienstort oder wegen der Kasernierungspflicht am Dienstort oder in der Nähe eine Unterkunft besitzen (zur Entstehungsgeschichte im Unfallrecht BSGE 2, 78, 81; 23, 159, 161). Nach den Motiven des Gesetzgebers findet damit der Umstand Beachtung, daß der Soldat den Wehrdienst in einiger Entfernung vom Ort der Familienwohnung ableistet. Diese räumliche Trennung ist dem Wehrdienst eigentümlich. Infolgedessen wird der Weg zwischen Dienstort und Familienwohnung dem Dienst gleichgestellt. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl ua BVBl 1973, 6; SozR 3200 § 81 Nr 12), ist der Hin- wie auch der Rückweg von vornherein sowohl nach seinem Beginn als auch nach seinem Ende vorherbestimmt. Darauf beruft sich der Beklagte, jedoch zu Unrecht. Mit der Familienheimfahrt soll allein die Notwendigkeit, am Dienstort eine Unterkunft benutzen zu müssen, entsprechende Berücksichtigung finden. Nur dann ist es überhaupt sinnvoll, den Versorgungsschutz auf Wege auszudehnen, die Dienstort und Familienwohnung verbinden. So lagen die Verhältnisse beim Kläger aber gerade nicht. Er war zwar von der Kasernierungspflicht nicht befreit. Andererseits war er aber nicht verpflichtet, in der Kaserne seine Freizeit zu verbringen und dort zu übernachten. Vielmehr war es ihm gestattet, sich vom Dienstende an bis zum Wecken außerhalb des Kasernenbereichs aufzuhalten. Angesichts dieser bemerkenswert großzügigen Erlaubnis, deren sich der Kläger regelmäßig bediente, war das Erfordernis, am Dienstort wohnen zu müssen, wenn nicht aufgehoben, so doch ganz wesentlich außer Kraft gesetzt. Aufgrund dessen sind die Fahrten des Klägers zur elterlichen Wohnung wie auch die Rückfahrt zur Kaserne als "Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle" (§ 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG) zu qualifizieren.
Dies gilt auch für den Rückweg am Unfalltag. Ihn hatte der Kläger jedoch von der Wohnung der Bekannten und nicht von der elterlichen Wohnung aus begonnen. Das ist indessen nicht relevant, da auch dieser Weg mit dem Dienst bei der Bundeswehr in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stand (BSGE 7, 243, 245 f; für das Unfallrecht: BSGE 32, 38, 41; BSGE in SozSich 1970 S 54). Zwar wird man im allgemeinen davon ausgehen können, daß Endpunkt des versorgungsrechtlich geschützten Weges die Wohnung ist, in der der Soldat seine ständige Unterkunft besitzt. Denn nur zwischen Wohnung und Dienststelle besteht in aller Regel die dienstliche Notwendigkeit, Hin- und Heimweg zurückzulegen. Eine unerläßliche Voraussetzung ist dies aber nicht. Das Gesetz beschränkt den Versorgungsschutz nicht auf die Wege zwischen Wohnung und Dienstort, sondern fordert - wie ausgeführt - lediglich, daß die Dienststelle Ziel oder Ausgangspunkt des Weges ist. Eine Ausnahme hiervon besteht nach der Judikatur nur dann, wenn der Hinweg eigenwirtschaftlichen Interessen dient. In diesem Falle ist auch der Rückweg dem privaten Bereich zuzurechnen. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Wegeunfall auf derselben Wegstrecke ereignet, die der Unfallgeschädigte auch ohne Verfolgung eigenwirtschaftlicher Interessen hätte zurücklegen müssen (BSG SozR 2200 § 550 Nr 14). Ein solcher Sachverhalt ist nicht festgestellt und auch vom Beklagten nicht behauptet. Der Weg von der Wohnung der Bekannten zur Dienststelle ist in seiner Zielrichtung und Zweckbestimmung nicht teilbar. Er war in seiner gesamten Ausdehnung ein Weg zur Dienststelle, der beim Fehlen anderer mit dem Wehrdienst nicht zusammenhängenden Gründe rechtlich so wesentlich mit dem Dienst verbunden war, daß Versorgungsschutz nicht verneint werden kann.
Einem solchen Weg würde es jedoch an der wehrdienstlichen Notwendigkeit fehlen, wenn er nach der Verkehrsanschauung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg nach und von dem Dienstort stünde. So ist es, wenn der Weg sich wegen seiner Länge und Dauer von dem üblichen Weg nach dem Ort der dienstlichen Tätigkeit so erheblich unterscheidet, daß er nicht vom Vorhaben des Soldaten, sich zum Dienst zu begeben, geprägt ist (für das Unfallrecht: Urteil des BSG vom 30. Juli 1975 - 2 RU 73/74 -, abgedruckt in Aktuelle Fachberichte 1/76 Bl 3; Urteil vom 2. Juni 1978 - 2 RU 1/77 -). Hieran scheitert im konkreten Fall der Versorgungsschutz nicht. Der nicht von der elterlichen Wohnung aus angetretene Rückweg war nach den Feststellungen des LSG mit Ausnahme der ersten 180 m mit demjenigen identisch, den der Kläger bei Fahrten von der elterlichen Wohnung üblicherweise zurücklegte. Im übrigen war der Weg zwischen der elterlichen Wohnung und dem Dienstort den Umständen nach nicht ungewöhnlich lang. Somit lag keine wesentliche Gefahrenerhöhung nach Zeit, Wegstrecke und Unfallrisiko vor, die einen Versorgungsausschluß gegebenenfalls hätte bewirken können.
Das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes schließt den Versorgungsschutz jedenfalls in dem hier streitigen Fall und zur Zeit des Geschehens nicht aus. Ob hingegen anders zu entscheiden ist, wenn sich ein Unfall in späterer Zeit, nämlich nach 1977 ereignet, kann dahinstehen.
Indes vermag der Senat der allgemein gehaltenen Aussage des LSG, ein solches Unterlassen habe die haftungsbegründende Kausalität nicht beseitigt, nicht zu folgen. Es geht hier nicht um die haftungsbegründende Kausalität, also die Frage des inneren Zusammenhangs zwischen der versorgungsrechtlich geschützten Tätigkeit und dem Unfallereignis. Vielmehr ist hier bedeutsam, inwieweit das Unfallereignis die Gesundheitsschädigung bzw deren Ausmaß verursachte (haftungsausfüllende Kausalität). Hier ist wichtig, ob dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes eine im Sinne einer sogenannten "selbstgeschaffenen Gefahr" überragende Bedeutung für Art und Ausmaß der Unfallfolgen zukommt. Dieses haftungsausschließende Rechtsinstitut gilt auch im Versorgungsrecht (BSGE 1, 72, 76; zum Soldatenversorgungsgesetz: BSG SozR 3200 § 81 Nr 7, 8 und 14). Ein Beschädigter ist einer solchen, von ihm selbst herbeigeführten Gefahr dann erlegen, wenn er sich in hohem Maße vernunftswidrig verhält und nach seinen Fähigkeiten höchstwahrscheinlich mit der Gefahr rechnen mußte, sie aber in gröblich leichtfertiger Weise nicht abwendet. Dieser Vorwurf der bewußt groben Fahrlässigkeit richtet sich nach der Persönlichkeitsstruktur, der Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen und dem Verhalten des einzelnen sowie nach den besonderen Umständen des Falles (BSGE 28, 14, 16 = SozR Nr 10 zu § 548 RVO).
Die Pflicht zur Verwendung des Sicherheitsgurtes ist durch die Verordnung über Maßnahmen im Straßenverkehr vom 27. November 1975 (BGBl I 2967) in § 21a Abs 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) mit Wirkung vom 1. Januar 1976 eingefügt worden. Diese Regelung ist das Ergebnis zahlreicher medizinischer und technischer Untersuchungen. Danach überwiegt der Nutzen moderner Sicherheitsgurte derart gegenüber denkbaren Nachteilen, daß ein einsichtiger und verantwortungsbewußter Kraftfahrer nur dann verkehrsgerecht handelt, wenn er sich anschnallt (BGHZ 74, 25, 30 ff; NJW 79, 1363). Indessen schließt die Nichtbenutzung des Sicherheitsgurtes als verbotswidriges Verhalten die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht aus (§ 548 Abs 3 RVO). Gleiches gilt im Grundsatz auch für das Versorgungsrecht.
Unabhängig davon kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob das Verhalten des Klägers höchst unvernünftig und gefährlich war, daß er höchstwahrscheinlich mit einer erhöhten Unfallgefährdung rechnen mußte (BSG SozR 3200 § 81 Nr 7). Dann hätte er seine ihm auferlegte soldatische Pflicht, sich gesund zu erhalten, in gröblicher Weise verletzt (vgl § 17 Abs 4 S 2 Soldatengesetz idF der Bekanntmachung vom 19. August 1975 - BGBl I 2273 -; zur Gesunderhaltungspflicht eines Soldaten vgl BDHE 5, 231). Eine derartige Vorstellung von der aus seiner Handlungsweise unmittelbar drohenden Gefahr (BSGE 43, 15) ist dem Kläger nach dem hier anzulegenden Rechtsmaßstab einer bewußt groben Fahrlässigkeit - jedenfalls zum Unfallzeitpunkt am 1. Dezember 1977 - nicht anzulasten. Zwar konnte man beim Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 1976 davon ausgehen, daß einem Kraftfahrer der Nutzen des Gurtes bekannt war (BGH, NJW 1980, 2125). Von dieser Kenntnis her ist aber noch nicht ohne weiteres auf ein grob fahrlässiges Unterlassen zu schließen. Einer solchen Annahme steht das Alter des Klägers - zur Zeit des Unfalles von erst 18 1/2 Jahren - entgegen. Dem jugendlichen Kläger mußte nicht deutlich vor Augen stehen, daß beim Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes Leben und Gesundheit gröblichst aufs Spiel gesetzt wurden. Immerhin hatte sich seinerzeit noch nicht ein allgemeines Bewußtsein über die Tragweite des pflichtwidrigen Unterlassens gebildet. Die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung hatte erst 1979 und später ein Mitverschulden beim Nichtanlegen von Sicherheitsgurten für die Zeit nach der Gurtanlegungspflicht (1. Januar 1976) bejaht (ua BGHZ 74, 25 bis 38; NJW 1980, 2125 bis 2126), für Fälle vor diesem fraglichen Zeitpunkt sogar verneint (BGH NJW 1979, 1366 bis 1367). Zudem waren zumindest in den Anfängen der verkehrsrechtlichen Neuregelung noch Stimmen laut geworden - die überdies bis heute nicht gänzlich verstummt sind -, die den Wert der Sicherheitsgurte in Frage stellten, sogar deren Nachteile hervorhoben. Infolgedessen ist allein schon daraus ein im oben genannten Sinne höchst vorwerfbares Verhalten nicht gegeben.
Aufgrund dessen kann dahingestellt bleiben, ob etwa im Hinblick auf die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder den Verlautbarungen in der Tagespresse über die nahezu ungeteilten Vorteile der Sicherheitsgurte und der dadurch bewirkten erheblichen Minderung des Unfallrisikos, nach 1977 ein Bewußtseinswandel eingetreten ist. Denkbar wäre auch, daß die beiden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 7. Oktober 1981 - 5 AZR 1113/79 und 5 AZR 475/80 -), die in der Öffentlichkeit große Beachtung gefunden hatten, hierzu beigetragen haben. In diesen Urteilen ist ausgesprochen, daß ein Arbeitnehmer, der sich nicht angurtet, Leben und Gesundheit besonders leichtfertig, also grob fahrlässig, aufs Spiel setzt. Deshalb kann ein Anspruch auf Lohnfortzahlung entfallen.
Im übrigen darf bei der Frage der selbstgeschaffenen Gefahr nicht außer Betracht bleiben, daß die Umstände des Einzelfalles mit entscheidend sind. Ferner muß sich das höchst schuldhafte Versäumnis auf den Schaden und sein Ausmaß ursächlich wesentlich ausgewirkt haben. Es können infolge eines Verkehrsunfalles auch Schäden eintreten, die unabhängig von dem Pflichtverstoß in der gleichen Weise und in gleichem Umfange eingetreten wären (BGH NJW 1980, 2125). Zudem ist der dienstliche Bezug nicht außer acht zu lassen (BSGE 6, 164, 169; SozR Nr 53 zu § 542 RVO aF; BSG Urteil vom 31. März 1976 - 2 RU 149/75 -).
Nach alledem kann die Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 173 |
Breith. 1982, 982 |