Leitsatz (amtlich)
Der zur Wahrung des Besitzstandes nach dem Wechsel des Wohnsitzes zu zahlende Zuschlag zu einer von einem Mitgliedsstaat der EG gewährten Waisenrente ist ausschließlich aus den deutschen Versicherungszeiten zu berechnen, sofern diese allein den Rentenanspruch begründen (Anschluß an EuGH 1980-07-09 807/79 = SozR 6050 Art 78 Nr 2).
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 78 Fassung: 1971-06-14; RVO § 1267
Verfahrensgang
SG Augsburg (Entscheidung vom 25.02.1981; Aktenzeichen S 11 Ar-It 597/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Höhe des von der Beklagten zu den italienischen Waisenrenten der Kläger ab 1. Juni 1974 zu gewährenden Zuschlages aus der Versicherung des am 6. Juli 1973 verstorbenen Versicherten F. G..
Der Versicherte hat in der Zeit von 1951 bis 1961 insgesamt 42 Beitragsmonate in der italienischen Rentenversicherung und danach bis zu seinem Tode 141 Pflichtbeitragsmonate in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt. Die LVA B. gewährte den Klägern nach dem Tode des Versicherten Halbwaisenrenten allein aus den deutschen Versicherungszeiten.
Im Mai 1974 verlegte die Witwe des Versicherten mit den Klägern ihren Wohnsitz nach Italien. Hierauf stellte die Beklagte die Witwenrente durch Bescheid vom 29. Dezember 1977 neu fest. In diesem Bescheid wies sie darauf hin, daß für die Gewährung der Waisenrente der Versicherungsträger des Staates zuständig sei, in dem die Waise wohne. Der gegen diese Feststellung erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1978).
Mit ihrer Klage haben die Kläger zunächst die Weitergewährung der Halbwaisenrente auch nach ihrer Wohnsitzverlegung begehrt. Während des Klageverfahrens hat der italienische Versicherungsträger mitgeteilt, daß er ab 1. August 1973 Hinterbliebenenrenten gewähre.
Auf den Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Augsburg (SG) zu der Frage, welche Auswirkungen die Wohnsitzverlegung der Kläger auf den Waisenrentenanspruch habe, hat der Europäische Gerichtshof am 9. Juli 1980 (Az.: 807/79) entschieden: "Artikel 78 Abs 2 Buchst b Ziffer i der Verordnung Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 ist dahingehend auszulegen, daß der Anspruch auf Leistungen zu Lasten des Staates, in dessen Gebiet die Waise wohnt, der die Leistungen gewährt werden, den allein nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats bestehenden Anspruch auf höhere Leistungen nicht zum Erlöschen bringt. Ist der tatsächliche Betrag der Leistungen in dem Wohnsitz-Mitgliedstaat niedriger als der allein nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats vorgesehene Betrag der Leistungen, so hat die Waise zu Lasten des zuständigen Trägers dieses Staates einen Anspruch auf einen Zuschlag zu den Leistungen in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen". Hierauf hat die Beklagte ua den Anspruch der Kläger auf Gewährung eines Zuschlages zur italienischen Vertragsrente in Höhe des Unterschiedsbetrages zur innerstaatlichen deutschen Halbwaisenrente ab 1. Juni 1974 anerkannt. Die Kläger haben das Anerkenntnis angenommen und gefordert, über dieses Anerkenntnis hinaus die Beklagte zu verpflichten, den Unterschiedsbetrag nicht nur von einem Rentenbetrag nach innerstaatlichen deutschen Vorschriften, sondern von der deutschen Vertragsrente des Versicherten, also unter Einbeziehung der italienischen Versicherungszeit aus zu berechnen.
Durch Urteil vom 25. Februar 1981 hat das SG Augsburg die Klage abgewiesen mit der Begründung, für die Gewährung einer Vertragsrente, dh unter Einbeziehung aller innerhalb der EG zurückgelegten Versicherungszeiten, komme nach Art 78 EG-VO Nr 1408/71 nur der Wohnsitzstaat der Waisen, hier Italien, in Betracht. Die Beklagte sei lediglich verpflichtet, die Waisenrente allein aus den deutschen Versicherungszeiten zu berechnen und den Differenzbetrag zur italienischen Waisenrente als Zuschlag zu zahlen. Mehr ergebe sich aus dem in dieser Sache ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht.
Mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision wenden sich die Kläger gegen die Rechtsauffassung des SG. Sie tragen vor, es gebe keinen Grund für den vom SG vorgenommenen Unterschied zwischen einer Vertragsrente und einer rein innerstaatlichen Rente. Auch das Recht der EG gehöre zum innerstaatlichen Recht und sei bei der Rentenberechnung wie dieses anzuwenden. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Weiter hänge der Anspruch auf Waisenrente nicht allein vom Wohnsitz ab. Nach Art 78 der EG-VO Nr 1408/71 sei die Waisenrente ein für allemal von dem Staat festzustellen, in dem die Waise im Zeitpunkt des Todes des Versicherten ihren Wohnsitz habe. Dies sei hier die Bundesrepublik Deutschland. Eine spätere Wohnsitzverlegung könne diesen Waisenrentenanspruch nicht zum Nachteil verändern. Auch insoweit entspreche das angefochtene Urteil nicht der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Deswegen sei es geboten, den Europäischen Gerichtshof erneut anzurufen.
Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Februar 1981 aufzuheben und den Klägern einen höheren Zuschlag zur Waisenrente zu gewähren, hilfsweise die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
Mit Recht hat die Beklagte den Zuschlag zu den italienischen Waisenrenten der Kläger ausschließlich nach der Waisenrente berechnet, die allein unter Anwendung von Bundesrecht zu gewähren wäre. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Einbeziehung italienischer Versicherungszeiten in die Berechnung des Zuschlages. Dies ergibt sich weder aus den Vorschriften der EG-VO Nr 1408/71 noch aus dem in dieser Sache ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 9. Juli 1980 (807/79 = SozR 6050 Art 78 Nr 2).
Die Gewährung von Waisenrenten richtet sich nach den Art 78 f der EG-VO Nr 1408/71. Hiernach werden diese Renten nicht von mehreren Staaten anteilig gewährt. Vielmehr verweist das EG-Recht den Rentenberechtigten ausschließlich auf einen nationalen Leistungsträger, der nach innerstaatlichem, ggf durch EG-Recht ergänzten Vorschriften die Waisenrente zu gewähren hat, hier den Wohnsitzstaat der Waisen, sofern dort ein Anspruch besteht (Art 78 Abs 2 Buchstabe b Ziff i EG-VO 1408/71). Dies kann sich für die Waise nachteilig auswirken, wenn die Waisenrenten des Wohnsitzstaates niedriger liegen als die des Mitgliedsstaates, in dem der Versicherte ebenfalls versichert war. Zugunsten der Weise wirkt sich die Regelung aus, wenn der leistungspflichtige Staat höhere Waisenrenten gewährt oder Renten auch in den Fällen vorsieht, in denen andere Mitgliedsstaaten der EG keine Waisenrenten gewähren. Im vorliegenden Fall hatten für den verstorbenen Versicherten die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedsstaaten gegolten und es besteht für die Kläger ein Anspruch auf Waisenrente nach den Rechtsvorschriften Italiens, dort wohnen auch die Kläger. Hieraus ergibt sich die (alleinige) Leistungspflicht des italienischen Rentenversicherungsträgers zur Gewährung der Waisenrente.
Im Gegensatz zu den Versicherten- und Witwenrenten kann bei den Waisenrenten der Wohnsitzwechsel nicht nur einen Wechsel der Zuständigkeit des Sozialleistungsträgers bewirken, sondern auch einen Wechsel des für die Berechnung der Rente anzuwendenden Rechts. Der Wortlaut des Art 78 ff EG-VO Nr 1408/71 läßt nicht den Schluß zu, daß eine einmal festgestellte Waisenrente nach den bisherigen Rechtsvorschriften und in bisheriger Höhe auch dann weiterzugewähren ist, wenn die Waise ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Auch der EuGH geht von dieser Rechtsauffassung aus, weil er andernfalls in seinem in dieser Sache ergangenen Urteil nicht den "Zuschlag", sondern die Weitergewährung der Waisenrente, ggf unter Anrechnung der italienischen Rente, angeordnet hätte. Die nach den Artikeln 78 ff EG-VO 1408/71 begründete ausschließliche Zuständigkeit des italienischen Sozialversicherungsträgers hätte an sich zur Folge, daß ein Anspruch gegen die Beklagte schlechthin nicht mehr besteht. Demgegenüber hält der EuGH in seinem in dieser Sache ergangenen Urteil vom 9. Juli 1980 -RS 807/79- die Beklagte für verpflichtet, einen Zuschlag zu den Leistungen des italienischen Versicherungsträgers zu zahlen. Hierzu hat sie allerdings ausschließlich die innerstaatlichen Vorschriften für die Berechnung heranzuziehen. Der Gerichtshof verpflichtet im Urteilstenor die Beklagte, den "allein" nach ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften "vorgesehenen" Betrag - nicht den als Vertragsrente tatsächlich gezahlten Betrag - mit dem des italienischen Versicherungsträgers zu vergleichen. In der Begründung seiner Entscheidung (Ziff 8) bringt der EuGH allerdings zum Ausdruck, daß der Zahlbetrag in Betracht zu ziehen sei, der beim Verbleiben der Kläger in Deutschland angefallen wäre. Diese Ausführungen bringen jedoch nicht das zum Ausdruck, was die Kläger daraus folgern. Dieser Satz der Begründung ist nur zu verstehen in Verbindung mit dem vorangehenden Satz. Dort hatte aber der Gerichtshof davon gesprochen, daß durch die Wohnsitzverlegung die Waise eine Einbuße erleide gegenüber der Leistung, "die sie vorher allein nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates erworben hatte". Diese rein innerstaatliche und nicht eine durch Vertragsbestimmungen beeinflußte Rente wird im nächsten Satz in Bezug genommen und als Vergleichsmaßstab angesehen. Ersichtlich ging es dem EuGH nur darum, die allein nach deutschem Recht erworbenen Ansprüche zu gewährleisten und die Kläger durch die Anwendung des EG-Rechts nicht schlechter zu stellen, als wenn der Versicherte ausschließlich eine deutsche Versicherungszeit zurückgelegt hätte. Der Gerichtshof wollte erreichen, daß Berechtigte bei solchen Renten, die schon ohne Anwendung des Gemeinschaftsrechts begründet sind, durch die Anwendung des Gemeinschaftsrechts keine Einbuße erleiden. Demgemäß läßt sich als Vergleichsmaßstab für den vom EuGH ohne normative Grundlage angeordneten Rentenzuschlag nur die Rente heranziehen, die ausschließlich nach innerstaatlichen Normen berechnet ist. Nur diese Rente wurde auch tatsächlich gezahlt, weil die italienischen Versicherungszeiten der Beklagten noch nicht bekannt waren. Das Urteil des EuGH läßt in seiner - maßgebenden - Entscheidungsformel nicht den Schluß zu, daß es ihm auf einen Zuschußbetrag bis zur Höhe der in Deutschland gezahlten Vertragswaisenrente angekommen wäre. Da nach der Auffassung des erkennenden Senats die Entscheidungsformel des Urteils des EuGH eindeutig ist und darin wegen der Höhe des "Zuschlages" allein auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland abgestellt wird, bedarf es auch keiner erneuten Vorlage mehr an den EuGH.
Nach all dem erweist sich die Revision der Kläger als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen