Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Entscheidung iS des KOV-VfG § 43 Abs 2 S 2 liegt jedenfalls dann vor, wenn das Versorgungsverhältnis in seinen wesentlichen Grundlagen ganz oder teilweise geändert bzw neu festgestellt wird.

2. Als Entscheidung iS des KOV-VfG § 43 Abs 2 S 2 gilt der letzte Bescheid, mit dem das Versorgungsverhältnis geregelt wurde; dabei ist es unerheblich, ob es sich bei der letzten Entscheidung um die erstmalige Feststellung oder um eine Neufeststellung gehandelt hat.

Eine Entscheidung iS des KOV-VfG § 43 Abs 2 S 2 liegt jedenfalls dann vor, wenn das Versorgungsverhältnis in seinen wesentlichen Grundlagen ganz oder teilweise geändert bzw neu festgestellt wird; hierzu gehören sowohl die Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen (Leidensbezeichnung) und der dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit als auch eine Neubeurteilung der Art der anerkannten Schädigungsfolgen und ihrer Auswirkung auf den gesamten Gesundheitszustand des Beschädigten, sofern dies für Art und Maß der zu gewährenden Versorgungsleistung von Bedeutung ist.

 

Normenkette

KOVVfG § 43 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Februar 1965 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. Februar 1962 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Bei der Klägerin wurde zunächst mit Bescheid vom 12. September 1950 Trigeminusneuralgie beiderseits als Schädigungsfolge im Sinne der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 - ohne Rente - anerkannt. Mit zwei Bescheiden vom 3. August 1951 erhielt sie nach der SVD Nr. 27 und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines Parkinson'schen Symptomkomplexes nach Gehirnentzündung, eines winzigen Metallsplitters und einer Narbe am rechten Daumen ab 1. Juli 1949 Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. sowie Pflegezulage. Mit Bescheid vom 24. August 1954 wurde die Pflegezulage entzogen. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1957 wurde die Rente auf eine solche nach einer MdE um 40 v. H. herabgesetzt. Mit Verfügung vom 29. Oktober 1957 wurde ein Berichtigungsverfahren eingeleitet, jedoch am 31. Januar 1958 wieder eingestellt; am 25. Februar 1958 wurde der Bescheid vom 7. Oktober 1957, soweit er die Beschädigtenrente herabgesetzt hatte, zurückgenommen, gleichzeitig wurden weitere Ermittlungen angeordnet. Nachdem die Klägerin am 18. Februar 1959 zugegeben hatte, falsche Angaben gemacht zu haben, wurden die Versorgungsbezüge am 19. Februar 1959 einstweilen eingestellt. Da die Klägerin diese Angaben später widerrief, stellte der Beklagte abermals Ermittlungen an und hob mit Teilberichtigungsbescheid vom 3. Juni 1959 frühere Bescheide auf, soweit Trigeminusneuralgie beiderseits, Parkinson'scher Symptomkomplex nach Gehirnentzündung anerkannt und hierfür Rente gewährt worden war. Die Rente wurde entzogen, weil der Metallsplitter und die Narbe am rechten Daumen keine MdE bedingten. Dieser Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung, sondern nur die Angabe, daß er Gegenstand des anhängigen Vorverfahrens werde. Der Beklagte erließ am 10. Juni 1959 einen Widerspruchsbescheid, mit dem der Widerspruch gegen die Bescheide vom 7. Oktober 1957 und 3. Juni 1959 zurückgewiesen wurde, weil die bisherige Anerkennung zu Unrecht erfolgt sei (§ 41 Verwaltungsverfahrensgesetz - VerwVG -). Nach Klageerhebung hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1962 den Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1959 auf. Er sah die Klage als Widerspruch gegen den Teilberichtigungsbescheid vom 3. Juni 1959 an. Der Widerspruch wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Berichtigungsbescheid auch auf § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG gestützt wurde. Nachdem die Klägerin auch gegen diesen Bescheid vorsorglich Klage erhoben hatte, wies das Sozialgericht (SG) die Klage mit Urteil vom 7. Februar 1962 ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 25. Februar 1965 das SG-Urteil und die Bescheide vom 3. Juni 1959 und 26. Januar 1962 auf und ließ die Revision zu. Da der Bescheid vom 3. Juni 1959 zu Unrecht angenommen habe, daß er Gegenstand eines - nicht anhängigen - Vorverfahrens sei, sei die Widerspruchsfrist erst am 8. Juni 1960 abgelaufen. Die am 14. Juli 1959 erhobene Klage sei daher rechtzeitig. Sie sei als Widerspruch zu werten gewesen, da dem - später zurückgenommenen - Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1959 kein Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 3. Juni 1959 vorausgegangen sei. Die Voraussetzungen des § 41 VerwVG lägen nicht vor. Da der Bescheid vom 3. Juni 1959 auch Umstände angeführt habe, die die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG erfüllen könnten, müsse trotz der alleinigen Anführung des § 41 VerwVG auch geprüft werden, ob der Bescheid auf § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG zu stützen sei. Dies sei bezüglich des Parkinson'schen Symptomkomplexes zu bejahen. Die Klägerin habe Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, insbesondere Angaben über Zeitdauer und Art der Dienstleistung, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen. Der Beklagte habe das Verfahren nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG aber nicht innerhalb der 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF eingeleitet. Als letzte bindend gewordene Entscheidung kämen nur die Bescheide vom 3. August 1951 in Betracht. Der Bescheid vom 7. Oktober 1957 sei am 25. Februar 1958 aufgehoben worden, der Bescheid vom 3. März 1958 sei nur ein Ausführungsbescheid. Bis zum Ablauf von fünf Jahren nach den Bescheiden vom 3. August 1951 - also bis zum 4. August 1956 - seien dem Beklagten Tatsachen im Sinne der Nr. 3 des § 42 VerwVG nicht bekannt geworden. Auch der Erlaß des Niedersächsischen Sozialministers vom 27. Januar 1956, der Verdachtsmomente nur hinsichtlich der Art des Einsatzes enthalte, könne nicht als Einleitungsverfügung im Sinne des § 43 Abs. 2 VerwVG angesehen werden. Dasselbe gelte für den Prüfungsvermerk des Dr. ... vom 4. Juni 1956. Die Neufassung des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG nach dem 1. Neuordnungsgesetz ändere an dem Fristablauf nichts, da am 1. Juni 1960 die 5-Jahresfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Es komme angesichts der Sonderregelung in den §§ 41, 42, 43 VerwVG auch keine Rücknahme des Verwaltungsakts aus überwiegendem öffentlichen Interesse oder eine Vollstreckungsabwehr nach dem Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung in Frage.

Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 43 Abs. 2 VerwVG und des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Anders als bei § 586 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei es im Falle des § 43 Abs. 2 VerwVG nicht erforderlich, daß in dem dort genannten Zeitpunkt alle Voraussetzungen der Statthaftigkeit der Klage vorgetragen werden könnten. Bei § 43 VerwVG bedeute Kenntnis nicht sicheres Wissen. Am 18. Juni 1953 habe der Anfechtungsgrund mit ganzer Bestimmtheit noch nicht festgestanden, aber bereits Gestalt gewonnen. Mit dem Bescheid vom 24. August 1954 sei der Versorgungsanspruch nach Art und Umfang neu festgesetzt worden, das Versorgungsverhältnis habe eine neue Grundlage erhalten. Von diesem Zeitpunkt ab müsse die 5-Jahresfrist berechnet werden, was das LSG unter Verstoß gegen § 128 SGG nicht berücksichtigt habe. Innerhalb dieser Frist sei der Teilberichtigungsbescheid vom 3. Juni 1959 ergangen und zugestellt worden. Da in langer Arbeit im Rahmen fortdauernder Prüfung (seit 18. Juni 1953; Weisung des Landesversorgungsamts vom 6. Oktober 1955, Weisung des Sozialministers vom 27. Januar 1956) die zur Begründung der Berichtigung erforderlichen Tatsachen erforscht worden seien, sei die Einleitung der Prüfung mit der Kenntnis von dem Anfechtungsgrund zusammengefallen. Die Ausnutzung der ergangenen Entscheidung wäre überdies sittenwidrig. Da der Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung - wie der des Grundsatzes von Treu und Glauben - den Regelungen des VerwVG übergeordnet sei, habe das LSG insoweit ebenfalls § 128 SGG verletzt.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die §§ 41, 42 VerwVG enthielten eine erschöpfende Regelung. Der Bescheid vom 24. August 1954 habe sich nicht mit den Grundlagen des Versorgungsverhältnisses befaßt, sondern nur die Pflegezulage entzogen und die Eigenschaft als Hirnverletzter verneint. Daß die Bescheide vom 3. August 1951 maßgebend seien, ergebe sich auch daraus, daß der Bescheid vom 3. Juni 1959 diese aufhebe. Das Versorgungsamt (VersorgA) habe im Bescheid vom 3. März 1958 den Parkinson'schen Symptomkomplex nach Gehirnentzündung genannt und damit die Feststellung im Bescheid vom 3. August 1951 bestätigt. Außerdem sei nicht erwiesen, daß die Klägerin die in § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG genannten Voraussetzungen erfülle; insoweit werde auf den Schriftsatz vom 7. Dezember 1964 an das LSG verwiesen. Es hätte geklärt werden müssen, ob die Klägerin bezüglich ihrer Angaben angesichts ihrer Erkrankung ein Verschulden trifft. Es sei nicht ausgeschlossen, daß die Klägerin einen Teil ihrer Umzüge während ihres Kriegsdienstes gemacht habe. Entgegen ihrer Angabe vom 18. Februar 1959 meine die Klägerin heute, ihre Einberufung sei erhebliche Zeit vor Januar 1945 erfolgt. Das LSG habe sich mit den subjektiven Vorstellungen der Klägerin nicht auseinandergesetzt, woraus sich entnehmen ließe, inwieweit ihr die Unwahrheit von Tatsachen bekannt gewesen sei und was sie hätte veranlassen müssen, den wirklichen Sachverhalt anders darzulegen.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch sachlich begründet.

Zwar greifen die vom Beklagten erhobenen Verfahrensrügen nicht durch. Hinsichtlich des Bescheides vom 24. August 1954 liegt schon deshalb kein Verstoß gegen § 128 SGG vor, weil das LSG diesen Bescheid nicht übersehen, sondern im Tatbestand wiedergegeben hat. Es hat ihn allerdings rechtsirrtümlich nicht als letzte Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 VerwVG angesehen. Insoweit liegt ein Mangel in der Urteilsfindung, aber kein Verfahrensmangel vor (vgl. BSG 2, 236). Das LSG hat auch nicht dadurch gegen § 128 SGG verstoßen, daß es die Rückforderung nicht wenigstens unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung für zulässig erachtet hat. Auch ein dahingehender Mangel beträfe nicht den Gang des Verfahrens, sondern einen Mangel in der Urteilsfindung. Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG von der Revision sonach nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen sind, ist von diesen auszugehen (§ 163 SGG).

Das LSG hat sich in seinem Urteil nur hinsichtlich der Parkinson'schen Erkrankung nach Hirnentzündung mit der Frage befaßt, ob die Angaben der Klägerin für die Anerkennung dieser Erkrankung von entscheidender Bedeutung waren. Auf die weiterhin aufgehobene Anerkennung der Trigeminusneuralgie beiderseits ist es nicht eingegangen. Insoweit besteht jedoch offensichtlich kein Streit zwischen den Beteiligten. Der Senat hat deshalb keine Veranlassung gesehen, sich mit diesem Punkt näher zu befassen, zumal er der Auffassung ist, daß es einer förmlichen Aufhebung dieser Anerkennung nicht bedurfte, da dieses Leiden schon im Umanerkennungsbescheid vom 3. August 1951, ebenso im Bescheid gleichen Datums, nach der SVD Nr. 27 nicht mehr aufgeführt worden war, und zwar offenbar deshalb, weil das Gutachten der Prof. Dr. D/Dr. D vom 8. Juni 1951 die Trigeminusneuralgie als Symptom der Parkinson'schen Erkrankung gewertet und der Prüfarzt dem im Ergebnis zugestimmt hat.

Zutreffend rügt der Beklagte, daß das LSG bei der Berechnung der 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 VerwVG von dem Bescheid vom 24. August 1954 hätte ausgehen und hiernach zum Ergebnis kommen müssen, daß diese Frist jedenfalls bei Erlaß des Teilberichtigungsbescheides vom 3. Juni 1959 noch gewahrt war.

Das LSG hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß der Bescheid vom 3. Juni 1959, obwohl er sich auf § 41 VerwVG stützte, auch dann rechtmäßig ist, wenn die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 VerwVG vorliegen und die Fristen des § 43 VerwVG eingehalten sind (BSG 13, 232); jedenfalls gilt dies dann, wenn in dem Bescheid - wie hier - bereits Umstände im Sinne des § 42 Abs. 1 VerwVG angeführt worden sind.

Als Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG in der Fassung vom 2. Mai 1955 (BGBl I 202) - insoweit haben die Neufassungen vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) und 21. Februar 1964 (BGBl I 85) keine wesentliche Änderung gebracht - gilt der letzte Bescheid, mit dem das Versorgungsverhältnis geregelt wurde (vgl. BSG in SozR Nr. 4 zu § 42 VerwVG; BSG 21, 79, 81). Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei der letzten Entscheidung um die erstmalige Feststellung oder um eine Neufeststellung gehandelt hat. Ob insoweit jede etwa nur durch eine Einkommensänderung oder gesetzliche Leistungserhöhung notwendig gewordene Neufeststellung oder die bloße Aufrechterhaltung einer früheren Regelung genügt, konnte der Senat unerörtert lassen. Denn eine Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG liegt jedenfalls dann vor, wenn das Versorgungsverhältnis in seinen wesentlichen Grundlagen ganz oder teilweise geändert bezw. neu festgestellt wird. Hierzu gehören sowohl die Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen (Leidensbezeichnung) und der dadurch bedingten MdE als auch eine Neubeurteilung der Art der anerkannten Schädigungsfolgen und ihrer Auswirkung auf den gesamten Gesundheitszustand des Beschädigten, sofern dies für Art und Maß der zu gewährenden Versorgungsleistung von Bedeutung ist. Im Bescheid vom 24. August 1954 wurde festgestellt, daß nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme eine Hilflosigkeit durch die Schädigungsfolgen nicht bedingt werde, auch sei eine Anerkennung der Klägerin als Hirnverletzte nicht vertretbar, es handele sich lediglich um die Folgen einer Gehirnentzündung, mithin nicht einer äußeren Gewalteinwirkung auf das Gehirn. Diese neue Beurteilung brachte zum Ausdruck, daß die Auswirkungen der anerkannten Schädigungsfolgen auf den Gesundheitszustand der Kläger geringer seien, als seither angenommen wurde, und daß aus diesem Grunde sowie deshalb, weil auch keine Hirnverletzung vorliege, die Pflegezulage wegfalle. Die seitherigen Versorgungsbezüge wurden demgemäß von 263,- DM auf 203,- DM gekürzt. Bei diesem Bescheid hat es sich sonach auch ohne Berücksichtigung des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1955, der Ausführungen zum ursächlichen Zusammenhang des chronischen Nervenleidens enthält und dartut, weshalb die Klägerin nicht Hirnverletzte sei, um eine Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG gehandelt, von der bei der Berechnung der 5-Jahresfrist auszugehen ist. Da der Berichtigungsbescheid vom 3. Juni 1959 noch innerhalb der 5-Jahresfrist erlassen wurde, war die Berichtigung nach § 42 VerwVG zu diesem Zeitpunkt noch zulässig. Daß es an der weiteren Voraussetzung des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 VerwVG, wonach die Einleitung der erneuten Prüfung innerhalb einer Frist von drei Monaten seit Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen muß, fehle, ist nicht ersichtlich. Das VersorgA hat noch im gleichen Monat, nachdem die Klägerin am 18. Februar 1959 zugegeben hatte, unrichtige Angaben gemacht zu haben, die Rente eingestellt und weitere Erhebungen veranlaßt.

Sonach stand der Neufeststellung mit Teilberichtigungsbescheid vom 3. Juni 1959 ein Fristablauf nicht entgegen. Bei dieser Sachlage erübrigte sich ein Eingehen auf die Frage der unzulässigen Rechtsausübung und den Gesichtspunkt des überwiegenden öffentlichen Interesses.

Wenn die Klägerin in der Revisionserwiderung geltend macht, der (Vorläufige) Bescheid vom 3. März 1958 habe mit der Bezeichnung: Parkinson'scher Symptomkomplex nach Gehirnentzündung die Feststellung vom 3. August 1951 bestätigt, so ist damit kein Argument vorgetragen, das für einen Fristablauf spricht. Dieser Hinweis könnte allenfalls zu der Erwägung Anlaß geben, ob nicht dieser spätere Bescheid oder der Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1958, die beide vor dem Eingeständnis der Klägerin vom 18. Februar 1959 erlassen wurden, als letzte Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG anzusehen sind. In diesem Falle wäre die 5-Jahresfrist erst recht nicht abgelaufen.

Nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG hat die Versorgungsbehörde erneut zu entscheiden, wenn Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen worden sind. Diese Voraussetzungen sind nach den bindenden Feststellungen des LSG erfüllt. Die Klägerin hat hiernach ihre Angaben über die Dauer der Dienstleistung und die Art ihres Einsatzes, insbesondere in Holland und Rußland, die von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der Zusammenhangsfrage waren, bewußt frei erfunden, um zu erreichen, daß die bei ihr bestehende Krankheit als Folge schwerer dienstlicher Belastungen beurteilt wird. Nun hat allerdings die Klägerin in der Revisionserwiderung - ohne selbst Revision oder Anschlußrevision eingelegt zu haben - diese Feststellungen des LSG angegriffen. Da die Klägerin im Berufungsverfahren aus einem anderen Gesichtspunkt obgesiegt hatte, war hierauf näher einzugehen. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Mai 1966 - 1 RA 281/64 - darf das Revisionsgericht tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich im Berufungsverfahren für den damals obsiegenden Revisionsbeklagten nicht nachteilig ausgewirkt hatten, auf die es aber nach der Auffassung des Revisionsgerichts entscheidend ankommt, seiner Entscheidung nicht zugrundelegen, wenn sie der Revisionsbeklagte vor dem Schluß der Revisionsverhandlung mit Verfahrensrügen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG) angegriffen hat (Anschluß an das Urteil des BAG vom 14. Juli 1965 - 1 AZR 343/64 - in NJW 1965, 2268). Ob dieser Gesichtspunkt auch dann gilt, wenn das LSG, wie im vorliegenden Fall, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG geprüft hat, obwohl es diese Frage nach seiner Rechtsauffassung hätte dahingestellt sein lassen können, brauchte der Senat hier nicht zu entscheiden. Es konnte auch dahingestellt bleiben, ob der Revisionsbeklagte mit solchen Rügen in jedem Fall bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zuwarten kann oder ob er sie nicht regelmäßig innerhalb eines Monats nach Zugang der Revisionsbegründung vorbringen muß. Denn die erhobenen Verfahrensrügen greifen, jedenfalls soweit sie überhaupt hinreichend substantiiert worden sind, nicht durch (vgl. BSG in SozR Nr. 28 zu § 164 SGG und Nr. 14 zu § 103 SGG). Insbesondere genügt der Hinweis der Klägerin auf einen Schriftsatz an das LSG nicht dem Formerfordernis des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG (vgl. BSG in SozR Nr. 33 zu § 164 SGG). Wenn die Klägerin im Revisionsverfahren vortragen ließ, heute anderer Meinung zu sein, als sie am 18. Februar 1959 ausgesagt und unterschriftlich anerkannt hat, so ist damit, abgesehen davon, daß das LSG dieses Vorbringen nicht berücksichtigen konnte, ein Verfahrensmangel nicht substantiiert dargetan. Auch mit dem Vorbringen, die Bescheinigungen des Einwohnermeldeamts Duisburg vom 29. Oktober 1958 schlössen keineswegs aus, daß die Klägerin einen Teil ihrer Umzüge während ihres Kriegsdienstes gemacht habe, ist ein Verfahrensmangel nicht ausreichend gerügt, zumal das LSG insoweit nicht nur auf die Mitteilungen über den Aufenthaltsort, sondern auch auf die Tätigkeiten der Klägerin bis Ende 1944 abgestellt hat. Die wesentliche Feststellung des LSG, daß die Auskünfte und Unterlagen einen nahezu lückenlosen und sicheren Beweis dafür ergeben, daß die Klägerin in jedem Fall bis Ende 1944 nicht der Luftwaffe als Nachrichtenhelferin oder Waffenwartin angehört hat, ist sonach von der Revision nicht mit Erfolg angegriffen. Das LSG mußte unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens auch nicht annehmen, daß die Klägerin durch ihre Erkrankung nicht habe erkennen können, daß sie Tatsachen falsch angegeben oder verschwiegen hatte. Die Klägerin hatte selbst erklärt, sie habe durch die vielen unrichtigen Angaben über ihre Wehrmachtszugehörigkeit und die einzelnen Krankheiten bis einschließlich 1944 verhindern wollen, daß die ganzen Jahre von 1940 bis 1945 herauskämen; ihr Mann habe dies nicht wissen sollen; sie sei im Krankenhaus Neuenburg nicht mit einer Gehirnentzündung gewesen; ihre vorherigen Angaben seien unzutreffend; auch diesmal habe sie geschwindelt, alles wegen ihres Mannes. Sie sei lediglich in Flensburg wegen ihres Daumens gewesen; sie habe von sich aus den ganzen Schwindel in die Welt gesetzt; ihr Mann habe sie nicht dazu veranlaßt. Das LSG mußte sich unter diesen Umständen auch nicht zu Erörterungen darüber gedrängt fühlen, ob sich die Klägerin der Unwahrheit ihrer früheren Angaben bewußt gewesen war.

Nach alledem war von den nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG auszugehen. Die Versorgungsbehörde war demnach zu einer neuen Entscheidung berechtigt. Das LSG hat insoweit festgestellt, daß die Sachverständigen Prof. Dr. D/Dr. D den ursächlichen Zusammenhang nur deshalb als wahrscheinlich angesehen haben, weil sie von einer Dienstleistung der Klägerin in der Zeit zwischen 1940 und 1945 ausgegangen sind. Auch sie hätten die Zusammenhangsfrage anders beurteilt, wenn die Klägerin ihnen den wahren Sachverhalt, nämlich ihre Dienstleistung nur in den ersten drei Monaten des Jahres 1945, wahrheitsgemäß angegeben hätte. Damit ist festgestellt, daß sich nach erneuter Prüfung keine Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang der Parkinson'schen Erkrankung mit schädigenden Einwirkungen ergibt. Der Beklagte war somit, da ein Fristablauf nach § 43 VerwVG - wie oben dargetan wurde - nicht festzustellen ist, zu einer Teilberichtigung gemäß § 42 VerwVG in dem hier strittigen Umfang berechtigt. Demgemäß mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347540

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