Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Aufhebungsbescheid. Ausschlussfrist. letzter Bescheid. Neubescheid im Falle einer Nachuntersuchung zur Änderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
Orientierungssatz
1. § 43 Abs 2 S 2 Halbs 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (juris: KOVVfG), wonach die Frist von fünf Jahren frühestens mit dem 1.1.1957 beginnt, hat nur den Beginn einer bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 27.6.1960 (juris: KOVNOG 1) am 2.7.1960 noch laufenden Ausschlussfrist auf den 1.1.1957 zurückverlegt und betrifft nicht die Fälle, in denen die Frist bereits abgelaufen war (so auch BSG vom 26.5.1964 - 9 RV 218/63 = BSGE 21, 79 = SozR Nr 1 zu § 43 VerwVG).
2. Die in einem Bescheid aufgrund einer Nachuntersuchung getroffene Feststellung, dass eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG nicht eingetreten sei, ist eine die Grundlagen des Versorgungsverhältnisses betreffende, der Anfechtung nach § 42 KOVVfG zugängliche Regelung auch dann, wenn sie inhaltlich nicht zu einer von den früher anerkannten Schädigungsfolgen abweichenden Feststellung geführt hat.
Normenkette
KOVVfG § 43 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, § 42 Abs. 1 Nrn. 3, 9; KOVNOG 1 Art. 2 Nr. 6 Buchst. b; BVG § 30 Abs. 1 S. 1, § 62
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 07.04.1965) |
SG Hamburg (Urteil vom 19.06.1964) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 7. April 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger beantragte im Mai/Juni 1949 Versorgung wegen "Schußbruchs rechts" (Unterschenkel). Er gab an, er habe vom 15. Juli 1942 bis zum 17. Mai 1943 Kriegsdienst bei der Wehrmacht geleistet und sei am 5. März 1943 als Gebirgsjäger in Finnland bei einem Angriff verwundet worden. Am 18. Mai 1943 sei er wegen einer Spionageangelegenheit in das KZ D eingeliefert worden und dort bis März 1945 verblieben. Mit Bescheid vom 28. September 1949 wurden auf Grund der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 als Gesundheitsstörungen "nach Schußbruch des rechten Unterschenkels noch offene Narbe am rechten Unterschenkel, Versteifung des rechten Sprunggelenks in Spitzfußstellung, Beinverkürzung 2 bis 3 cm" als durch unmittelbare Kriegseinwirkungen hervorgerufen anerkannt und mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H. ab 1. Juni 1949 bemessen. Auf den 1951 gestellten Verschlimmerungsantrag wurde auf Grund des Gutachtens des Dr. K vom 7. August 1951 in dem Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 28. November 1951 die Leidensbezeichnung geändert und erweitert. An die Stelle "noch offene Narbe" trat die Bezeichnung "chronisch recidivierende Osteomyelitis" mit dem Zusatz "z. Zt. noch fistelnd"; die MdE wurde ab 1. Mai 1951 auf 50 v. H. erhöht. Am 6. Juli 1954 erstatteten der Vertragsarzt Dr. Sch zu einem Kapitalisierungsantrag des Klägers ein ärztliches Gutachten und am 12. Juni 1956 Dr. G ein chirurgisches Gutachten. Der Auftrag an Dr. G (betreffend "Nachuntersuchung") enthielt die Bitte um Prüfung "wegen des zusätzlich vorgeschlagenen VL 2". Mit diesem Hinweis war ein Harnleiter-Steinleiden gemeint. Dr. G kam zu dem Ergebnis, daß in dem Zustand des rechten Unterschenkels eine Änderung nicht eingetreten sei. Das festgestellte Steinleiden, das zur operativen Entfernung eines Harnleitersteins rechts geführt habe, müsse ursächlich mit der chronischen Eiterung des rechten Unterschenkels in Zusammenhang gebracht werden. Darauf wurden durch Bescheid vom 2. Juli 1956 die seither anerkannten Schädigungsfolgen, nämlich: 1. Chronisch recidivierende Osteomyelitis des re. Unterschenkels nach Schußbruch mit Beinverkürzung u. Versteifung des rechten Sprunggelenks in Spitzfußstellung z. Zt. noch fistelnd ohne Änderung der MdE durch die unter 2) aufgeführte Leidensbezeichnung "Narbe im rechten Unterbauch nach Entfernung eines Harnleitersteines" erweitert.
Im Januar 1961 gingen auf Anfrage Unterlagen der Krankenbuchlager B, M und der deutschen Dienststelle in B ein. In der unter der Bezeichnung wöchentliche Meldung vom 24.1. - 30.1.1944 festgehaltenen Eintragung des Kriegslazaretts 3/677 O/Finnland heißt es: "Unterschenk. ... Tibiasplitterfraktur (Selbstmordversuch)". Nach der Eintragung in dem Lazarettkrankenbuch C/ Teillaz . J hatte sich der Kläger am 13. November 1944 in einem Strafvollzugslager SS u. Pol. M/B, nach der in einer anderen Urkunde festgehaltenen Meldung vom 17. März 1943 bis zum 27. Januar 1944 in dem Kriegslazarett 3/677 (SS-Lazarett) in O befunden; dorthin war er von dem Lazarett K gelangt. Das Versorgungsamt (VersorgA) zog daraufhin von dem Amt für Wiedergutmachung in H die Wg-Akten des Klägers bei. In diesen hatte er am 9. November 1949 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, daß er am 17. Mai 1943 als Mitwisser in der Spionagesache des Obersturmbannführers M zum Tode verurteilt und daß diese Strafe am 7. Mai 1944 in eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren umgewandelt worden sei. Vom 17. Mai 1943 bis zum 25. August 1943 habe er die Strafe in Einzelhaft verbüßt und sei dann in das KZ D gekommen. In einer weiteren in den Wiedergutmachungsakten enthaltenen Erklärung vom 3. Februar 1950 hatte er angegeben, daß er von der Anklage der Mitwisserschaft in der Spionageangelegenheit freigesprochen, aber wegen Selbstverstümmelung am 17. Mai 1943 zum Tode verurteilt worden sei. Er habe sich aber nicht verstümmelt, sondern sei verwundet worden.
Mit Bescheid vom 13. März 1961 hob das VersorgA, gestützt auf § 42 Abs. 1 Nr. 3, 9 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG), die Bescheide vom 28. September 1949, 28. November 1951 und 2. Juli 1956 auf; die Versorgungsleistungen seien gewährt worden, weil der Kläger angegeben habe, sich die Verwundung am rechten Bein bei einem Angriff in Finnland zugezogen zu haben; er habe aber verschwiegen, daß er anschließend durch kriegsgerichtliches Urteil wegen Selbstverstümmelung verurteilt worden sei. Die laufenden Zahlungen wurden mit Ende März 1961 eingestellt und die vom 1. Juni 1949 bis 31. März 1961 gewährten Leistungen in Höhe von 5.837,- DM gemäß § 47 Abs. 3 Nr. 1 VerwVG zurückgefordert. Der Kläger erhob Widerspruch und legte ein Schreiben des SS-Obersturmbannführers Dr. Sch vom 20. Juli 1943 vor, in dem dem Vater des Klägers mitgeteilt wird, daß Dr. Sch aus ärztlichen Gründen eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt habe. Der Kläger gab im Widerspruchsverfahren zu, daß er, wenn auch zu Unrecht, wegen Selbstverstümmelung vor ein Kriegsgericht gestellt worden sei. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid vom 16. März 1962 ist u. a. damit begründet, daß - nach Auskunft des Oberstaatsanwalts bei dem Landgericht Hamburg vom 4. November 1949 - der Kläger am 27. Dezember 1943 von dem Gericht der Dienststelle Feldpost Nr. 05396 - StL 124/43 - wegen Selbstverstümmelung zum Tode verurteilt und die Strafe im Gnadenwege in 15 Jahre Zuchthaus umgewandelt worden sei.
Das Sozialgericht (SG) hörte eingehend den Kläger, holte zahlreiche Auskünfte ein und ließ Dr. Sch vernehmen. Dieser hat im wesentlichen bekundet, daß er bei dem Kläger keinen Pulversmoke an der Einschußstelle habe feststellen können und nicht davon überzeugt gewesen sei, daß es sich bei der Verletzung um eine Selbstverstümmelung gehandelt habe. Er könne allerdings heute nicht mehr sagen, ob der Kläger gleich nach seiner Verletzung oder erst nach vorheriger Behandlung durch einen anderen Arzt zu ihm ins Lazarett (O) gekommen sei. Er selbst habe ein Wiederaufnahmeverfahren nicht beantragt, aber dem Divisionskommandeur gegenüber, den er recht gut gekannt habe, eine entsprechende Anregung gegeben. Nach seiner, des Zeugen Meinung, sei eine Selbstverstümmelung durch einen Karabinerschuß in dieser Form unmöglich. Außerdem wurde Dr. B K gehört, der nach seinen Aufgaben ab März 1943 Chefarzt des Kriegslazaretts 2/521 in O war. Er hat bekundet, daß er sich des Falles H B noch sehr gut erinnere, da B lange Zeit auf der chirurgischen Abteilung dieses Lazaretts gelegen habe und er sich über den Fall mehrere Male mit Dr. Sch ausgesprochen habe. Er habe nicht den Eindruck gehabt, daß der damals noch sehr junge und recht kindlich wirkende Mann sich die Schußverletzung absichtlich zugefügt habe.
Das SG hat mit Urteil vom 19. Juni 1964 die Bescheide vom 13. März 1961 und 16. März 1962 aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 7. April 1965 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 21, 79) sei davon auszugehen, daß durch die Vorschrift des § 43 Abs. 2 VerwVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) eine am 2. Juli 1960 bereits abgelaufene Ausschlußfrist nicht verlängert oder neu in Kraft gesetzt worden sei. Die Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 VerwVG sei im Falle des Klägers bei dem Inkrafttreten des 1. NOG abgelaufen gewesen, wenn nicht der Bescheid vom 2. Juli 1956 als der für die Fristberechnung maßgebende Bescheid zugrunde gelegt werden könne. Mit diesem Bescheid habe die Versorgungsverwaltung darüber entscheiden müssen, ob ein Zusammenhang zwischen dem Steinleiden und dem seither anerkannten Versorgungsleiden bestehe. Tatsächlich habe also der gesamte Versorgungstatbestand neu geprüft und über ihn entschieden werden müssen. Der Bescheid enthalte eine Neuregelung des Versorgungstatbestandes nach Prüfung der Zusammenhangsfrage, der MdE und der Anerkennung eines weiteren Versorgungsleidens; er sei als die letzte Entscheidung im Sinne des § 43 VerwVG anzusehen, ohne daß bei dem Inkrafttreten des 1. NOG die Fünfjahresfrist abgelaufen gewesen sei. Der Bescheid vom 13. März 1961 sei auch zutreffend auf § 42 Abs. 1 Nr. 3 und 9 VerwVG gestützt worden. Der Kläger habe im Jahre 1949 in seinem Versorgungsantrag angegeben, er habe im März 1943 bei einem Angriff eine Verwundung (Schußbruch) erlitten. Ob diese Angabe tatsächlich falsch sei, lasse sich nicht (mehr) feststellen. Er habe aber wesentliche Tatsachen in dem Bewußtsein nicht mitgeteilt, etwas zu verheimlichen, was zu offenbaren seine Pflicht gewesen sei. Er habe gewußt, daß ein Kriegsgerichtsverfahren, möglicherweise sogar ein Wiederaufnahmeverfahren, stattgefunden habe und sei verpflichtet gewesen, diese Tatsache der Versorgungsverwaltung mitzuteilen, da sie in jedem Falle von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung des geltend gemachten Versorgungsanspruchs gewesen sei. Die Vorgänge im Jahre 1943 (Todesstrafe) seien so einprägsam gewesen, daß der Kläger sie unmöglich habe vergessen können. Ihm sei auch bekannt gewesen, daß es einen wesentlichen Unterschied hätte machen müssen, ob er bei einem Feindangriff oder durch Selbstverstümmelung zu Schaden gekommen sei. Dies werde dadurch bestätigt, daß er sowohl im Versorgungsverfahren als auch im Wiedergutmachungsverfahren fälschlich angegeben habe, er sei im Mai 1943 in einer Spionageangelegenheit als Mitwisser eines Sturmbannführers M zum Tode verurteilt worden und habe sich anschließend im KZ Dachau befunden. Sowohl das Schreiben des Reichsführers SS vom 8. Juni 1944 wie auch der Strafregisterauszug enthielten keinen Hinweis auf eine Spionagetätigkeit des Klägers. Dieser habe vor dem SG auch selbst zugegeben, daß er nicht im Zusammenhang mit der Sache M verurteilt worden sei. Entgegen seinen Angaben sei er auch niemals im KZ D gewesen, sondern habe sich in Straflagern der SS und Polizei, zunächst in D und dann in D, befunden. Auf konkreten Hinweis habe er zugegeben, daß er aus dem Straflager alle vier Wochen habe schreiben dürfen und daß als Briefkopf "SS Straflager D" angegeben gewesen sei. Auch die zeitlichen Angaben des Klägers seien falsch. Er sei nicht im Mai oder August 1943 in Dachau eingetroffen, sondern habe sich bis zum 27. Januar 1944 im Lazarett O/Finnland befunden. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Lazarettmeldungen. Im Jahre 1949, als er seinen Versorgungsantrag und seinen Wiedergutmachungsantrag gestellt habe, hätten die entscheidenden Ereignisse nur wenige Jahre zurückgelegen. Das dürfe nicht übersehen werden, wenn der Kläger erkläre, daß er sich heute nicht mehr an die genauen Daten erinnern könne. Durch unwahre Angaben und bewußt verschwiegene wesentliche Vorgänge habe er Versorgungs- und Entschädigungsleistungen erschleichen wollen.
Die Beklagte sei im Sinne des § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG nachträglich in die Lage versetzt worden, zur Zeit der früheren Entscheidung bereits vorhanden gewesene Urkunden zu verwerten, die eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Die Lazarettunterlagen und die Karteikarte über eingegangene Lazarettmeldungen seien Urkunden, die in den Jahren 1951 und 1956 nicht bekannt gewesen seien. Dasselbe gelte für die Wiedergutmachungsakten, die erst im Zusammenwirken mit den Lazarettunterlagen den Schluß zuließen, daß der Kläger in zeitlicher Hinsicht und bezüglich seines KZ-Aufenthalts falsche Angaben gemacht habe. Der Auszug aus den Krankenpapieren des Lazaretts O/Finnland, der den entscheidenden Vermerk "Unterschenk. ... Tibiasplitterfraktur (Selbstmordversuch)" enthalte, würde mit den anderen Lazarettunterlagen unmittelbar und für sich allein zu einer anderen Entscheidung, nämlich der Ablehnung des Versorgungsanspruchs, geführt haben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Kläger am 17. Mai 1943 (Schreiben des Reichsführers SS vom 8. Juni 1944) oder am 27. Dezember 1943 (Strafregisterauszug) verurteilt worden sei oder ob ein Wiederaufnahmeverfahren stattgefunden und mit einer erneuten Verurteilung am 27. Dezember 1943 geendet habe. Ebensowenig sei entscheidend, ob der behandelnde Arzt Dr. Sch nach der Art der Verletzung eine beabsichtigte Selbstverstümmelung habe ausschließen wollen, denn er habe bekundet, daß er als einziges objektives Merkmal für seine Annahme nur den fehlenden Pulversmoke an der Einschußstelle angeben könne. Aus den Krankenpapieren ergebe sich jedoch, daß der Kläger zunächst im Lazarett K behandelt und von dort in das Lazarett O (Dr. Sch) verlegt worden sei. Eine vorläufige Wundversorgung mit Reinigung der Einschußstelle im Lazarett K sei als durchaus wahrscheinlich anzusehen. Dr. Sch habe aber angegeben, seine Annahme gelte mit der Einschränkung, daß der Kläger unmittelbar nach seiner Verwundung in seine Behandlung gekommen sei. Rein technisch erscheine es durchaus möglich, daß sich der Kläger mit einem Karabiner oder mit einer Pistole oder Maschinenpistole ins Bein habe schießen können. Eine endgültige Klärung der damaligen Vorgänge sei heute nicht mehr möglich. Im Hinblick auf die Vielzahl der Widersprüche und Ungenauigkeiten sei aber mit Sicherheit anzunehmen, daß, wenn die erwähnten Unterlagen im Jahre 1949 bekannt gewesen wären, die Beklagte zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Die Versorgungsverwaltung könne einen Bescheid nach § 42 VerwVG nur für die Zeit nach dem 1. April 1955 zurücknehmen. Nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts sei die Beklagte aber auch berechtigt, früher ergangene Bescheide, die der Begünstigte durch unwahre Angaben erschlichen habe, zurückzunehmen und neu darüber zu entscheiden. Da der Kläger zum Teil unzutreffende Angaben gemacht, jedenfalls aber wesentliche Tatsachen bewußt verschwiegen habe und allein durch sein schuldhaftes Verhalten die Unrichtigkeit der ursprünglichen Bescheide verursacht worden sei, müsse ein Erschleichen der begünstigenden Verwaltungsakte angenommen werden. Damit seien auch die Voraussetzungen für die Rückforderung der gewährten Leistungen gemäß § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG gegeben gewesen.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG idF vom 2. Mai 1955. Bei der Einleitung der erneuten Prüfung durch die Versorgungsverwaltung sei die Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG bereits abgelaufen gewesen. Der Lauf der Frist habe mit der Aushändigung des Bescheides vom 28. November 1951 am 7. Dezember 1951 begonnen und sei am 7. Dezember 1956 beendet gewesen; sie sei nicht erneut mit dem Inkrafttreten des 1. NOG am 2. Juli 1960 in Lauf gesetzt worden. Mit dem Bescheid vom 2. Juli 1956, mit dem das Steinleiden als weitere Schädigungsfolge anerkannt worden sei, sei nicht der gesamte Versorgungstatbestand neu geprüft und nicht über diesen entschieden worden, wie das LSG gemeint habe. Er habe keine neue Entscheidung darüber enthalten, ob das Ereignis, das zur Verletzung des rechten Unterschenkels geführt habe, dem Tatbestand des § 1 BVG entspreche. Er wiederhole nur die Bezeichnung der seither anerkannten Schädigungsfolgen und ergänze lediglich dieses Anerkenntnis. Dieser Ergänzung habe - im Gegensatz zur Auffassung des LSG - allein eine Beurteilung des medizinischen Kausalzusammenhangs zwischen den bereits anerkannten Schädigungsfolgen und dem Auftreten eines Harnleitersteins zugrunde gelegen. Damit sei aber keine Änderung in der Feststellung des Versorgungsanspruchs verbunden gewesen, denn es habe sich weder die Höhe der MdE geändert, noch sei davon auszugehen gewesen, daß die Narbe eine Heilbehandlung erforderlich machen würde. Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 19. Juni 1964 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sachlich ist sie nicht begründet.
Die Revision macht geltend, die Versorgungsverwaltung habe bei Erlaß des Anfechtungsbescheides vom 13. März 1961 für die Berechnung der Ausschlußfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG - diese Vorschrift ist idF des Art. II § 1 Nr. 6 b des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) anzuwenden - nicht den Bescheid vom 2. Juli 1956 zugrunde legen dürfen, sondern von dem Umanerkennungsbescheid vom 28. November 1951 ausgehen müssen. Diese Rüge ist nicht begründet.
Voraussetzung für den Erlaß eines Anfechtungsbescheides nach § 42 VerwVG ist, daß der auf Grund erneuter Prüfung erlassene Bescheid innerhalb von fünf Jahren vom Tage der früheren Entscheidung ergeht und die Prüfung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes eingeleitet worden ist (§ 43 Abs. 1, 2 VerwVG). Diese Vorschriften sind durch das Zweite Neuordnungsgesetz (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) und das Dritte Neuordnungsgesetz (3. NOG) vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) nicht geändert worden. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des BSG in BSG 21, 79 ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß die durch das 1. NOG eingefügte Vorschrift des § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 VerwVG, wonach die Frist von fünf Jahren frühestens mit dem 1. Januar 1957 beginnt, nur den Beginn einer bei dem Inkrafttreten des 1. NOG am 2. Juli 1960 noch laufenden Ausschlußfrist auf den 1. Januar 1957 zurückverlegt hat und deshalb nicht die Fälle betrifft, in denen diese Frist bereits abgelaufen war (vgl. BSG 21, 82). Letzteres wäre aber der Fall, wenn als letzte Entscheidung vor dem Anfechtungsbescheid nicht der Bescheid vom 2. Juli 1956, sondern der Umanerkennungsbescheid vom 28. November 1951 angesehen werden müßte. Der letzte Bescheid, der Gegenstand der Überprüfung nach § 42 VerwVG ist (vgl. BSG in SozR Nr. 4 zu § 42 VerwVG), muß eine Regelung enthalten, die bei Kenntnis der Anfechtungsgründe des § 42 VerwVG anders ausgefallen wäre. Wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 6. Dezember 1966 - 9 RV 356/65 - (BVBl 1967, 104) ausgesprochen hat, liegt eine Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG dann vor, wenn das Versorgungsverhältnis in seinen wesentlichen Grundlagen ganz oder teilweise geändert oder neu festgestellt worden ist. Der Senat hat in diesem Urteil ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob dabei jede etwa nur durch eine Einkommensänderung oder gesetzliche Leistungserhöhung notwendige Neufeststellung oder die bloße Aufrechterhaltung einer früheren Regelung genügt. Zu der jedenfalls ausreichenden Änderung oder Neufeststellung des Versorgungsverhältnisses in seinen wesentlichen Grundlagen gehört aber sowohl die Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen (Leidensbezeichnung) und der dadurch bedingten MdE als auch eine Neubeurteilung der Art der anerkannten Schädigungsfolgen und ihrer Auswirkung auf den gesamten Gesundheitszustand des Beschädigten, sofern dies für Art und Maß der zu gewährenden Versorgungsleistung von Bedeutung sei. In dem dort entschiedenen Fall war der Anfechtungsbescheid am 3. Juni 1959 erlassen worden; die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG wurden als erfüllt angesehen, weil in dem vorangegangenen, am 24. August 1954 erlassenen Bescheid eine Anerkennung der Klägerin als Hirnverletzter abgelehnt worden war, da es sich lediglich um die Folgen einer Gehirnentzündung handele. Auch seien - nach diesem Bescheid - die Auswirkungen der anerkannten Schädigungsfolgen auf den Gesundheitszustand der Klägerin geringer als seither angenommen worden sei. Deshalb und weil keine Hirnverletzung vorliege, falle auch die Pflegezulage fort.
Der hier zu entscheidende Fall gibt nunmehr Anlaß zu einer Prüfung, welche Anforderungen an eine Entscheidung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG bei unverändert gebliebener MdE und nur unwesentlich geänderten bzw. ergänzten Schädigungsfolgen zu stellen sind. Auf Grund der Nachuntersuchung vom 12. Juni 1956 wurden durch Bescheid vom 2. Juli 1956 unter 1.) die seither anerkannten Schädigungsfolgen wieder aufgeführt und unter 2.) als weitere Gesundheitsstörung eine Narbe im rechten Unterbauch nach Entfernung eines Harnleitersteins ohne Änderung der MdE anerkannt. Der Zweck jeder Nachuntersuchung ist die Überprüfung der wesentlichen Grundlagen des Versorgungsverhältnisses in medizinischer und anschließend auch in rechtlicher Hinsicht, somit die Feststellung, ob eine Änderung in den anerkannten Schädigungsfolgen eingetreten ist, ob diese weggefallen sind oder sich verschlimmert haben und ob - gegebenenfalls - neue Gesundheitsstörungen aufgetreten sind, die unmittelbar oder mittelbar auf den militärischen Dienst zurückzuführen sind. Für die Frage, ob die Entscheidung der Versorgungsverwaltung bei Kenntnis von Anfechtungsgründen im Sinne des § 42 VerwVG zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, darf deshalb nicht lediglich darauf abgestellt werden, ob sich bei der Nachuntersuchung Änderungen gegenüber der früheren Beurteilung der anerkannten Schädigungsfolgen ergeben haben. Wesentlich ist nur, daß die Schädigungsfolgen neu überprüft worden sind und der auf die Nachuntersuchung ergehende Bescheid zu einer rechtlich erheblichen Feststellung geführt hat, die bei damaliger Kenntnis des Anfechtungsgrundes nicht getroffen worden wäre. Das ist auch dann anzunehmen, wenn die Nachuntersuchung war nicht ausschließlich, aber doch vornehmlich der Feststellung dient, ob eine neu aufgetretene Gesundheitsstörung anerkannt werden muß. So ist auch der im Jahre 1956 dem Gutachter Dr. G erteilte Auftrag zur Erstattung eines Gutachtens zu verstehen. Da der Kläger in den Jahren 1951 und 1954 nachuntersucht worden war und 1954 eine Besserung seines Gesundheitszustandes nicht festgestellt werden konnte, sondern Dr. Sch in dem Gutachten vom 6. Juli 1954 bemerkt hatte, eine voraussichtliche Besserung sei noch nicht abzusehen, ist 1956 eine Nachuntersuchung angeordnet worden. Dr. G hat den ihm erteilten Auftrag richtig verstanden und nicht nur das neu aufgetretene Steinleiden und seinen Zusammenhang mit der chronischen Eiterung des rechten Unterschenkels beurteilt, sondern auch geprüft, ob eine wesentliche Änderung in den anerkannten Schädigungsfolgen eingetreten sei. Er hat dies zwar im Ergebnis verneint, aber gerade dadurch zum Ausdruck gebracht, daß Gegenstand seiner Prüfung auch die seither anerkannten Schädigungsfolgen gewesen sind. Schon deshalb betrifft die auf Grund der Nachuntersuchung in dem Bescheid vom 2. Juli 1956 getroffene Regelung trotz unveränderter MdE auch die schon vorher anerkannten Schädigungsfolgen; er stellt ausdrücklich fest, daß "die Nachprüfung sowie die chirurg . fachärztliche Untersuchung und Begutachtung vom 12. Juni 1956 ergeben haben, daß die Bezeichnung der Schädigungsfolgen nunmehr wie folgt lautet": .... Durch den Bescheid vom 2. Juli 1956 wurden auch Art und Umfang der seither anerkannten Schädigungsfolgen auf eine für spätere Neufeststellungen maßgebende neue Grundlage gestellt, die allerdings zu 1.) mit der zuletzt getroffenen Regelung übereinstimmt und diese inhaltlich bestätigt. Die unter Nr. 2 zusätzlich im Sinne der Verschlimmerung anerkannte Gesundheitsstörung, nämlich Narbe im rechten Unterbauch nach Entfernung eines Harnleitersteines, steht auch, worauf es aber nicht entscheidend ankommen kann, in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Feststellung der unter Nr. 1 genannten, vorher schon anerkannten Schädigungsfolgen; denn Dr. G hat in seinem Gutachten hervorgehoben, daß das Steinleiden, das zu einer Entfernung eines Harnleitersteins rechts geführt habe, mit der chronischen Eiterung des rechten Unterschenkels in Zusammenhang gebracht werden müsse. Wenn die Anerkennung dieses - zweiten - Leidens schließlich auch nicht zu einer höheren Bewertung der MdE geführt hat, so würde in Kenntnis der später bekannt gewordenen Anfechtungsgründe der Bescheid vom 2. Juli 1956 doch in dieser Form jedenfalls nicht erlassen worden sein; weder wäre als Ergebnis der Nachuntersuchung die seither anerkannte Schädigungsfolge unverändert in den Bescheid übernommen noch die Narbe zusätzlich anerkannt worden. Die Auffassung der Revision, der Bescheid vom 2. Juli 1956 enthalte nur eine Entscheidung über die Anerkennung der Narbe auf Grund einer Prüfung des medizinischen Zusammenhangs zwischen den schon anerkannten Schädigungsfolgen und dem Auftreten eines Harnleitersteins und somit keine "neue" Entscheidung über die anerkannten Schädigungsfolgen, mißt dem Bescheid vom 2. Juli 1956 eine nicht zutreffende Bedeutung bei. Auch die in einem Bescheid auf Grund einer Nachuntersuchung getroffene Feststellung, daß eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG nicht eingetreten sei, ist eine die Grundlagen des Versorgungsverhältnisses betreffende, der Anfechtung zugängliche Regelung auch dann, wenn sie inhaltlich nicht zu einer von den früher anerkannten Schädigungsfolgen abweichenden Feststellung geführt hat.
Das LSG ist somit bei der Berechnung der Ausschlußfrist des § 43 Abs. 2 VerwVG im Ergebnis zutreffend von dem Bescheid vom 2. Juli 1956 ausgegangen; es hat ebenso zutreffend festgestellt, daß auch die in § 43 Abs. 1 Satz 2 VerwVG bestimmte Frist von sechs Monaten zur Einleitung der erneuten Prüfung eingehalten worden ist. Auf Grund der von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen hat es ohne Rechtsirrtum auch zu der Überzeugung kommen dürfen, daß der Kläger im Jahre 1949 bei Stellung des Versorgungsantrages Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren (§ 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG), wissentlich falsch angegeben und auch verschwiegen hat, insbesondere dadurch, daß er seine Verurteilung wegen Selbstverstümmelung, die er ohne Rücksicht darauf, ob diese Beschuldigung zu Recht erhoben worden war, hätte angeben müssen, verschwiegen und überdies den Eindruck erweckt hat, als sei er nur in einer Spionageangelegenheit als Mittäter oder Mitwisser eines Sturmbannführers M zum Tode verurteilt worden. Das LSG hat aus den im einzelnen erwähnten Urkunden, insbesondere auch auf Grund der Angaben des Klägers im Wiedergutmachungsverfahren, ohne Rechtsirrtum gefolgert, ihm sei bekannt gewesen, daß es einen wesentlichen Unterschied bedeutet habe, ob er bei einem Feindangriff oder durch Selbstverstümmelung zu Schaden gekommen sei, und daß die Mitteilung des Kriegsgerichtsverfahrens von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung des Versorgungsanspruchs sei, daß er somit wesentliche Tatsachen in dem Bewußtsein nicht mitgeteilt habe, etwas zu verheimlichen, was zu offenbaren seine Pflicht gewesen wäre (BSG Urteil vom 24. Juli 1964 - 10 RV 47/62 - in BVBl 1965, 44 Nr. 10). Das LSG hat auch zutreffend die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Nr. 9 als erfüllt ansehen und feststellen dürfen, daß die Beklagte nachträglich in die Lage versetzt worden ist, zur Zeit der Entscheidungen in den Jahren 1951 und 1956 schon vorhandene und ihr damals unbekannte Urkunden zu verwerten, die allein eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würden, und daß die Kenntnis der Krankenunterlagen auch schon im Jahre 1949 zu einer Ablehnung des Versorgungsanspruchs geführt hätte; im Hinblick auf die Vielzahl der Widersprüche und Ungenauigkeiten sei dies sogar mit Sicherheit anzunehmen. Es hat auf Grund dieser Feststellungen auch einen Anspruch der Beklagten auf Rückforderung der für die Zeit ab 1. April 1955 gewährten Versorgungsbezüge gemäß § 47 Abs. 3 Buchst. a VerwVG bejahen und für die Zeit vor dem 1. April 1955 ohne Rechtsirrtum die Verpflichtung des Klägers zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen auf die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts stützen dürfen. Es hat sich insoweit zutreffend auf die in dieser Frage übereinstimmende Rechtsprechung der Kriegsopfersenate des BSG bezogen (BSG Urteil vom 20. Februar 1964 - 8 RV 397/62 - in BVBl 1964, 133 Nr. 23; Urteil vom 10. März 1964 - 9 RV 506/63 - in BVBl 1964, 133 Nr. 22; Urteil vom 6. Oktober 1965 - 10 RV 215/63 - in BVBl 1966, 65).
Da nach alledem der Bescheid vom 13. März 1961, durch den die Bescheide vom 28. September 1949, 28. November 1951 und 2. Juli 1956 aufgehoben und die vom 1. Juni 1949 bis zum 31. März 1961 gezahlten Versorgungsbezüge zurückgefordert worden sind, rechtmäßig ist, hat das LSG mit Recht das Urteil des SG vom 19. Juni 1964 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Deshalb war auch die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen