Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Krankengeld. Verfügbarkeit. Arbeitsunfähigkeit. Leistungsfortzahlung. Urlaubsabgeltung. Krankenversicherungsschutz. Sicherungslücke. Rechtliches Gehör. Beiladung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Anspruch auf Krankengeld wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Versicherte nach dem Ende seines bisherigen Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos meldet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt.
2. Die Fortzahlung von Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitslose bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit einen realisierbaren Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Daran fehlt es, wenn zu diesem Zeitpunkt sein Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen einer Urlaubsabgeltung ruht.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; SGB III § 119 Abs. 1 Nr. 2, § 126 Abs. 1, § 143 Abs. 2; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 2, §§ 10, 19 Abs. 2, §§ 44, 49 Abs. 1 Nr. 5; SGG §§ 62, 75 Abs. 2, 5
Beteiligte
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Juli 2000 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg), hilfsweise Krankengeld (Krg) für den Zeitraum vom 4. August 1999 bis 16. September 1999.
Die im Jahre 1960 geborene Klägerin war seit 1986 als Mitarbeiterin bei der e. GmbH & Co in M. beschäftigt. Vom 12. November 1998 bis 30. Juni 1999 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Sie bezog vom 24. Dezember 1998 bis 30. Juni 1999 Krg. Die Arbeitgeberin kündigte im Januar 1999 das Beschäftigungsverhältnis mit der Klägerin aus personenbedingten Gründen fristgerecht zum 30. Juni 1999. In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1999 gegen Zahlung einer Abfindung von 20.000 DM endete. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses stand der Klägerin noch Urlaub zu, der ausweislich der Arbeitsbescheinigung der Arbeitgeberin am 5. August 1999 geendet hätte. Insoweit erhielt die Klägerin eine Urlaubsabgeltung.
Die Klägerin meldete sich am 30. Juni 1999 (unter Angabe gewisser gesundheitlicher Einschränkungen) bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. In dem Antragsformular gab sie an, dass sie seit 1. Juli 1999 (für leichte/mittelschwere Arbeiten) wieder arbeitsfähig sei. Die Klägerin war ab 1. Juli 1999 bei der AOK im Rahmen der Familienversicherung krankenversichert. Ab dem 4. August 1999 wurde sie bis zur Entlassung aus stationärer Heilbehandlung am 16. September 1999 erneut für arbeitsunfähig befunden. Nach der Entlassung aus der stationären Heilbehandlung meldete sie sich am 17. September 1999 bei der Beklagten wiederum arbeitslos und beantragte Alg, das ihr für die Zeit ab 17. September 1999 bewilligt wurde.
Durch Bescheid vom 9. August 1999 hatte die Beklagte die Bewilligung von Alg ab 1. Juli 1999 abgelehnt. Die Klägerin habe bis einschließlich 5. August 1999 eine Urlaubsabgeltung erhalten, weshalb ihr Anspruch auf Leistungen gemäß § 143 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bis dahin ruhe. Wegen der bereits ab 4. August 1999 bestehenden Arbeitsunfähigkeit werde Leistungsfortzahlung gemäß § 126 SGB III nicht gewährt, weil die Arbeitsunfähigkeit nicht während des Leistungsbezugs eingetreten sei. Die Klägerin hat den Bescheid der Beklagten vom 9. August 1999 nicht angefochten. Am 30. September 1999 stellte sie einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte durch Bescheid vom 4. Oktober 1999 ablehnte. Die Voraussetzungen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch lägen nicht vor, weil der Ablehnungsbescheid vom 9. August 1999 rechtmäßig gewesen sei. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. November 1999; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Januar 2000).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung seines Urteils vom 26. Juli 2000 ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Rücknahme ihres Bescheides vom 9. August 1999 abgelehnt, weil der Klägerin kein Anspruch auf Alg, weder ab 4. August 1999 noch ab 6. August 1999, zugestanden habe. Da die Klägerin zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 30. Juni 1999 noch Anspruch auf 26 Tage Urlaub gehabt habe, der im Wege der Urlaubsabgeltung erfüllt worden sei, habe der Anspruch der Klägerin gemäß § 143 Abs 2 SGB III bis zum 5. August 1999 geruht. Der Ruhenszeitraum beginne mit dem ersten Tag, der auf das Ende des Arbeitsverhältnisses folge (hier mit dem 1. Juli 1999) und laufe kalendermäßig ab, unabhängig davon, ob Alg beantragt sei oder nicht. Ausgehend von der für das beendete Arbeitsverhältnis geltenden Regelung (Fünf-Tage-Woche/Urlaub nach Werktagen) sei der letzte Urlaubstag hier der 5. August 1999 gewesen. Auch die am 4. August 1999 eingetretene Arbeitsunfähigkeit vermöge an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Insbesondere werde durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit das Ruhen des Alg-Anspruchs ab diesem Zeitpunkt nicht beendet, weil der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung durch die Arbeitsunfähigkeit weder insgesamt noch ab diesem Zeitpunkt erloschen sei. Für die Zeit ab 6. August 1999 habe kein Anspruch auf Alg bestanden, weil die Klägerin wegen der Arbeitsunfähigkeit nicht verfügbar gewesen sei. Ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs 1 SGB III scheitere daran, dass die Klägerin nicht während des Bezugs von Alg arbeitsunfähig erkrankt sei. Der Anspruch der Klägerin auf Alg habe am 4. August 1999 geruht, sodass er nicht realisierbar gewesen sei. Der Rechtsansicht der Klägerin, § 126 SGB III schließe die Anwendung des § 143 Abs 2 SGB III generell aus, könne nicht gefolgt werden. In der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (SozR 3-4100 § 117 Nr 4) sei lediglich ausgeführt worden, dass die Ruhensregelung wegen Urlaubsabgeltung nicht das während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit nach § 126 Abs 1 SGB III (früher § 105b Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) gezahlte Alg erfasse. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch um die Frage, ob ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs 1 SGB III überhaupt habe entstehen können. Dies sei zu verneinen, weil zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit Alg nicht bezogen worden sei.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der §§ 126, 143 Abs 2 SGB III, § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie habe in beiden Instanzen geltend gemacht, dass es ihr darauf ankomme, für den streitigen Zeitraum vom 4. August bis 16. September 1999 überhaupt Sozialleistungen zu erhalten, entweder von der Beklagten oder von der zuständigen Krankenkasse. Stehe ihr ein Anspruch auf Alg nicht zu, so komme ein Anspruch auf Krg in Betracht, weshalb die Krankenkasse gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig hätte beigeladen werden müssen. Sie – die Klägerin – gehe aber vorrangig davon aus, dass die Beklagte zur Zahlung von Alg verpflichtet gewesen sei. § 126 SGB III schließe grundsätzlich die Anwendung des § 143 Abs 2 SGB III aus, wobei das Zusammenspiel von arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Normen zu berücksichtigen sei. Auch die neuere Rechtsprechung des 11. Senats des BSG (Hinweis auf das Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 25/00 R –) überzeuge nicht. § 126 SGB III spreche davon, dass der Arbeitslose seinen Anspruch auf Alg nicht „verliert”. Einen Anspruch verlieren könne man aber nur dann, wenn ein derartiger Anspruch bereits bestehe bzw entstanden sei. In § 143 Abs 2 SGB III heiße es, dass der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs „ruht”. Ein Anspruch könne aber nur dann ruhen, wenn er auch entstanden sei. Die Schlussfolgerung des 11. Senats des BSG, ein ruhender Anspruch sei nicht realisierbar, überzeuge nicht. Bei Beendigung ihrer Arbeitstätigkeit am 30. Juni 1999 sei sie arbeitsfähig gewesen, weshalb ab 1. Juli 1999 grundsätzlich die Beklagte für sie – die Klägerin – zuständig gewesen sei. Die Beklagte und nicht die Krankenkasse sei ihre Ansprechpartnerin gewesen und habe auch die Dauer des Ruhenszeitraums im Hinblick auf die Urlaubsabgeltung festgestellt. Wäre sie über die Beendigung des Arbeitsvertrags hinaus erkrankt gewesen, so wäre es hingegen bei der Zuständigkeit der Krankenkasse verblieben. Die Beklagte sei deshalb auch verpflichtet, sie spätestens mit Ablauf der nachgehenden Frist von einem Monat bei der Krankenkasse anzumelden, um eine Absicherung über die Dauer einer sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit hinaus zu erreichen. Es sei kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, weshalb die Zuständigkeit der Beklagten gemäß § 126 SGB III davon abhängen sollte, ob ein Ruhenszeitraum wegen einer Urlaubsabgeltung gegeben gewesen sei oder nicht. Wäre sie erst am 6. August 1999 – mithin einen Tag nach Beendigung des Ruhenszeitraums – erkrankt, so wäre doch wohl unzweifelhaft die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Alg gegeben gewesen. Die Beklagte hätte daher in jedem Falle dafür Sorge tragen müssen, dass ein Arbeitnehmer mit Ablauf des Ruhenszeitraums wegen Urlaubsabgeltung bei der Krankenkasse angemeldet werde. Die Entscheidung des LSG stehe zudem in Widerspruch zu der Entscheidung des BSG vom 26. Juni 1991 (SozR 3-4100 § 117 Nr 4). Insgesamt sei es nicht vertretbar, dass ein Arbeitsloser, der während eines „Urlaubsabgeltungszeitraums” und über diesen hinaus erkranke, für die Dauer nach Beendigung des Urlaubsabgeltungsanspruchs Alg nicht erhalte. Sei die Urlaubsabgeltung aufgebraucht, so müssten ab diesem Zeitpunkt wieder Sozialleistungen erbracht werden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Juli 2000 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Januar 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, erneut über den Antrag der Klägerin vom 30. September 1999 zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das bisherige Verfahren leidet an dem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel, dass das LSG die Krankenkasse, die im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin leistungspflichtig sein könnte, nicht zum Verfahren beigeladen und nicht über den Krg-Anspruch entschieden hat (§ 75 Abs 2 und Abs 5 SGG). Die Klägerin hat die fehlende Beiladung der Krankenkasse durch das LSG innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) gerügt, sodass offen bleiben kann, ob im vorliegenden Fall eine echte oder unechte notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 1. Alternative oder § 75 Abs 2 2. Alternative SGG) zu erfolgen hatte (zur Rügepflicht bei unechter notwendiger Beiladung vgl BSGE 59, 284, 290 = SozR 2200 § 539 Nr 114; BSGE 61, 197, 199 = SozR 7323 § 9 Nr 1). Von der nach § 168 Satz 2 SGG eröffneten Möglichkeit, die zuständige Krankenkasse mit ihrer Zustimmung noch im Revisionsverfahren beizuladen, hat der Senat keinen Gebrauch gemacht, weil es insoweit auch noch an weiteren Feststellungen, ua zum Umfang des abzugeltenden Urlaubs, zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und zu den Voraussetzungen von Alg und Krg fehlt. Der Senat hat zudem in seinem Urteil vom 29. März 2001 (B 7 AL 14/00 R – DBlR Nr 4673a zu § 105b AFG) angedeutet, dass der Anspruch der noch beizuladenden Krankenkasse auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) verletzt werden könnte, wenn in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden bereits abschließend und das LSG bindend (§ 170 Abs 5 SGG) über Teilaspekte des Streitgegenstands zu Lasten der Krankenkasse entschieden würde. Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts (Wahrung des rechtlichen Gehörs der noch beizuladenden Krankenkasse) hält der Senat dennoch die folgenden rechtlichen Hinweise für geboten.
1. Es könnte zunächst ein Anspruch der Klägerin auf Krg gemäß § 44 ff Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gegen die Krankenkasse bereits ab 1. Juli 1999 in Betracht kommen. Insoweit ist das LSG zwar, ohne dies im Einzelnen zu belegen, davon ausgegangen – und die Klägerin hat hiergegen auch keine Einwände erhoben –, dass die Klägerin ab 1. Juli 1999 wieder (mit Einschränkungen) arbeitsfähig und auch verfügbar gemäß § 119 Abs 1 Nr 2 SGB III (idF des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 – BGBl I 2970) gewesen sei. Allerdings war die Klägerin von November 1998 bis 30. Juni 1999 arbeitsunfähig erkrankt und wurde bereits am 4. August 1999 in stationäre Behandlung aufgenommen. Insofern könnte zu überprüfen sein, ob für die Zwischenzeit vom 1. Juli 1999 bis 3. August 1999 tatsächlich Arbeitsfähigkeit der Klägerin vorgelegen hat. Ausweislich des Akteninhalts hat die Krankenkasse die Klägerin aufgefordert, sich mit Ende des Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten arbeitslos zu melden. Zuvor hatte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung auf Grund eines Gutachtens nach Aktenlage die Klägerin mit Ende des Beschäftigungsverhältnisses zum 1. Juli 1999 wieder für arbeitsfähig erachtet. Wäre – was evtl noch aufzuklären sein könnte – die Klägerin über den 30. Juni 1999 hinaus jedoch arbeitsunfähig erkrankt gewesen, so hätte der Krg-Anspruch gegen die Krankenkasse weiter bestanden. Insofern wäre das Bestehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs unschädlich gewesen (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 4 mwN). Wie das BSG bereits entschieden hat (BSGE 85, 271 = SozR 3-2500 § 49 Nr 4), entfällt die Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten nicht allein dadurch, dass er sich nach Beendigung seines bisherigen Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos meldet und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt. Auch wird sich die Krankenkasse angesichts der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung dann wohl nicht auf eine Versäumnis der Meldepflicht gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V durch die Klägerin berufen dürfen (hierzu BSGE 85, 271, 275 = SozR 3-2500 § 49 Nr 4).
2. Ist hingegen, wovon das LSG und auch die Klägerin ausgehen, die Klägerin ab 1. Juli 1999 arbeitsfähig und verfügbar gewesen gemäß § 119 SGB III, so ruhte der Anspruch auf Alg gemäß § 143 Abs 2 SGB III (idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes ≪AFRG≫ vom 24. März 1997, BGBl I 594) für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs. Ausgehend von den Annahmen des LSG zum Umfang des abzugeltenden Urlaubs ist der Ruhenszeitraum bis zum 5. August 1999 richtig berechnet worden. Der Ruhenszeitraum beginnt mit dem ersten Tag, der auf das Ende des Arbeitsverhältnisses folgt und läuft kalendermäßig ab (BSGE 61, 5 = SozR 4100 § 117 Nr 17). Bei 26 Tagen Resturlaub, von denen das LSG ohne weitere Begründung ausgegangen ist, wäre der letzte Urlaubstag bei einer arbeitsvertraglich vereinbarten Fünf-Tage-Woche und einer Urlaubsberechnung nach Werktagen auf den 5. August 1999 gefallen (zur Berechnung des Ruhenszeitraums vgl BSG, Urteil vom 29. März 2001 – B 7 AL 14/00 R – DBlR Nr 4673a zu § 105b AFG und BSG, Urteil vom 29. Juli 1993 – 11 RAr 17/92 – DBlR Nr 4054 zu § 117 AFG). Mithin hätte ein Alg-Anspruch der Klägerin ab 1. Juli 1999 bis 5. August 1999 gemäß § 143 Abs 2 SGB III geruht.
3. Die Klägerin ist, wie die stationäre Krankenhauseinweisung zum 4. August 1999 zeigt, jedenfalls ab diesem Tag, bis zum 16. September 1999 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Zumindest insoweit fehlte es ab 4. August 1999 an der Verfügbarkeit der Klägerin gemäß § 119 SGB III. Ein Anspruch der Klägerin auf Alg ab 4. August 1999 bzw 6. August 1999 dürfte aber auch nicht gemäß § 126 SGB III (idF des AFRG vom 24. März 1997, aaO) gegeben sein. Wird ein Arbeitsloser während des Bezugs von Alg infolge Krankheit arbeitsunfähig, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, verliert er dadurch nicht den Anspruch auf Alg für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung bis zur Dauer von sechs Wochen (Leistungsfortzahlung). Die Anwendbarkeit der Regelung über die Leistungsfortzahlung bei Krankheit setzt nach der bisherigen Rechtsprechung voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs von Alg eintritt. Die Rechtsfolge des § 126 SGB III ist also daran geknüpft, dass der Leistungsempfänger während des Bezugs von Alg arbeitsunfähig erkrankt. Das Merkmal Bezug ist von der Rechtsprechung des BSG bereits mehrfach in der Weise konkretisiert worden, dass zumindest ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung für die Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestanden haben muss (BSG SozR 4100 § 105b Nr 3 und Nr 6). Hieran fehlt es, wenn der Anspruch auf Alg wegen des Ruhens nicht zur Auszahlung kommen kann (zuletzt BSG, Urteil des 11. Senats vom 2. November 2000 – B 11 AL 25/00 R – DBlR Nr 4655a zu § 105b AFG und Urteil des erkennenden Senats vom 29. März 2001 – B 7 AL 14/00 R – DBlR Nr 4673a zu § 105b AFG). Gegen diese Rechtsprechung werden in der Literatur Einwände nicht erhoben.
Die hier vertretene Auslegung des § 126 SGB III entspricht dem Zweck der Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit, die – wie das BSG bereits mehrfach mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien ausgeführt hat – weder eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des erkrankten Arbeitslosen noch eine Entlastung der für die Zahlung des Krg zuständigen Krankenkasse herbeiführen soll, sondern Leistungsberechtigten wie Leistungsverpflichteten bei kurzfristigen Erkrankungen die „Unzuträglichkeit” ersparen will, dass an Stelle der Beklagten eine Krankenkasse Krg in der gleichen Höhe wie die bisher gewährte Leistung wegen Arbeitslosigkeit zu zahlen hat (BT-Drucks 8/4022 S 89 f; BSG SozR 3-4100 § 105b Nr 2 mwN; Urteil des 11. Senats vom 2. November 2000, aaO). Die „Unzuträglichkeit” des Wechsels des Leistungsträgers besteht nicht, wenn es am Vorbezug von Alg fehlt.
Entgegen dem Vortrag der Revisionsklägerin (unter Hinweis auf Stevens-Bartol in Lohre ua, SGB III, 2. Aufl 1999, RdNr 5 zu § 126 SGB III) ergibt sich auch keine andere Beurteilung unter Berücksichtigung der im Urteil des BSG vom 26. Juni 1991 – 10 RAr 9/90 – (SozR 3-4100 § 117 Nr 4) entwickelten Grundsätze. Wie das LSG zutreffend erkannt hat, hat das BSG in dieser Entscheidung ausgesprochen, dass das Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen Urlaubsabgeltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht eintritt, wenn der Arbeitslose während des Leistungsbezuges arbeitsunfähig und ihm deshalb für die Dauer von bis zu sechs Wochen das Alg weitergewährt wird. Zur Begründung hat das BSG entscheidend darauf abgestellt, dass die Ruhensregelung (damals § 117 Abs 1a AFG; jetzt § 143 Abs 2 SGB III) nicht auf das nach § 105b AFG (jetzt § 126 SGB III) gezahlte Alg angewandt werden könne, weil dieses hinsichtlich der Urlaubsabgeltung wie ein Krg-Anspruch zu behandeln sei. Dies setzt aber – wie in jenem Urteil (aaO) auch ausdrücklich klargestellt wird – den vorherigen Bezug von Alg voraus. An einem solchen vorherigen Bezug von Alg hat es jedoch gefehlt, wenn der Alg-Anspruch bis 5. August 1999 geruht hat.
4. Aus der Ruhensregelung des § 126 Abs 1 SGB III folgt, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Alg ab 4. August 1999 nicht zustehen dürfte, weil sie nicht während des Leistungsbezugs arbeitsunfähig erkrankt ist und damit ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung nicht bestand. War die Klägerin ab 1. Juli 1999 – was evtl noch aufgeklärt werden könnte – zunächst arbeitsfähig, so dürfte auch ein Anspruch auf Krg gemäß § 44 SGB V gegen die noch beizuladende Krankenkasse ausscheiden. Die Klägerin war am 4. August 1999 – nach den Annahmen des LSG – lediglich familienversichert gemäß § 10 SGB V, sodass ein Anspruch auf Krg gemäß § 44 Satz 2 SGB V ausschied. Der eigene Krankengeldanspruch der Klägerin aus ihrem früheren Versicherungsverhältnis zur beizuladenden Krankenkasse erlischt gemäß § 19 Abs 2 SGB V einen Monat nach Ende der Mitgliedschaft, sodass am 4. August 1999 kein Anspruch auf Krg bestehen konnte. Der Klägerin würde dann für den Zeitraum bis zum 16. September 1999 weder ein Anspruch auf Krg noch auf Alg zustehen.
Insofern zutreffend macht die Revisionsführerin geltend, dass nach dem hier anzuwendenden Recht eine Sicherungslücke bestand, die einfach- und verfassungsrechtlich nicht unproblematisch war. Bereits der 11. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 2. November 2000 (aaO) auf diese Sicherungslücke hingewiesen und angedeutet, dass eine Lösung des Problems systemgerecht im Krankenversicherungssystem zu suchen wäre. Dies dürfte – entgegen der Rechtsansicht der Revision – zutreffend sein und wird auch durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt (s unten unter 5.). Eine Schließung dieser Sicherungslücke im Rahmen einer Auslegung des § 126 SGB III erscheint allerdings ausgeschlossen. Das entscheidungserhebliche Tatbestandsmerkmal des § 126 SGB III, dass die Arbeitsunfähigkeit „während des Bezugs von Alg” eintreten muss, kann nicht je nach dem unterschiedlich ausgelegt werden, ob dem jeweiligen Kläger während des Ruhenszeitraums ein Anspruch auf Krg zustand oder nicht. Solange ein Leistungsanspruch (wegen Urlaubsabgeltung oder ähnlichem) ruht, liegt kein „Bezug von Arbeitslosengeld” vor. Ein solcher Leistungsbezug während eines Ruhenszeitraums kann auch nicht etwa allein deshalb fingiert oder in § 126 Abs 1 SGB III hineininterpretiert werden, weil während des Ruhenszeitraums der Krankenversicherungsschutz nach § 19 Abs 2 SGB V erloschen ist.
5. Demgegenüber könnte die die Krankenversicherungspflicht betreffende Norm des § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V (idF des AFRG vom 24. März 1997, aaO), die auf den vorliegenden Fall noch anwendbar ist, unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (verfassungs-)rechtlich problematisch gewesen sein. Nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V waren in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung des AFRG versicherungspflichtig „Personen in der Zeit, für die sie Alg … nach dem Dritten Buch beziehen oder nur deshalb nicht beziehen, weil der Anspruch ab Beginn des zweiten Monats bis zur 12. Woche einer Sperrzeit (§ 144 des Dritten Buches) ruht”. Damit sicherte § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V als einzigen Ruhenstatbestand den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 144 SGB III ab Beginn des zweiten Monats krankenversicherungsrechtlich ab (dazu und zur Nichtanwendung der Regelung des § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V auf andere Ruhenstatbestände vgl KassKomm Peters, RdNr 42 zu § 5 SGB V). Dieses Ergebnis erscheint unter Gleichheitsgesichtspunkten (Art 3 Abs 1 GG) problematisch, denn durch § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V aF könnte der Ruhenstatbestand des Eintritts einer Sperrzeit gemäß § 144 SGB III gegenüber anderen Ruhenstatbeständen in unzulässiger Weise privilegiert worden sein. Der Arbeitslose, dessen Alg-Anspruch wegen des Erhalts einer Abfindung (§ 143a SGB III) oder einer Urlaubsabgeltung (§ 143 Abs 2 SGB III) ruhte, erhielt im Ergebnis einen schlechteren sozialversicherungsrechtlichen Schutz als der Arbeitslose, der die Arbeitslosigkeit schuldhaft selbst herbeigeführt hatte (vgl § 144 Abs 1 SGB III). Deshalb wurde § 155 Abs 2 AFG, die Vorgängerregelung zu § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V, in der Literatur als „echter gesetzgeberischer Skandal” bezeichnet (vgl Gagel, RdNr 53 zu § 155 AFG, 9. Ergänzungslieferung, Stand Mai 1994).
Der Gesetzgeber hat mit dem Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) den § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2002 geändert und damit diesen Bedenken Rechnung getragen. Nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V sind nunmehr auch versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der der Anspruch auf Alg, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld „ab Beginn des zweiten Monats wegen einer Urlaubsabgeltung” (§ 143 Abs 2 SGB III) ruht.
Zur Begründung dieser Neufassung hat der Gesetzgeber ausgeführt, das bisher geltende Recht habe dazu geführt, dass in den Fällen, in denen während eines Ruhenszeitraums nach § 143 SGB III eine Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der allgemeinen krankenversicherungsrechtlichen Nachwirkung von einem Monat eingetreten sei, kein Krankenversicherungsschutz kraft Gesetzes und damit auch kein Anspruch auf Krg bestanden habe (BT-Drucks 14/6944, S 52). Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung: „Zur Vermeidung sozialpolitisch unbefriedigender Ergebnisse wird künftig sichergestellt, dass das Ruhen einer Leistung nach dem Dritten Buch wegen einer Urlaubsabgeltung – ebenso wie bei einem Ruhen wegen einer Sperrzeit – ab Beginn des zweiten Monats bis zum Ende des Ruhenszeitraums zur Versicherungspflicht in der Krankenversicherung führt” (BT-Drucks 14/6944, S 52). Folglich hätte der Klägerin nach der ab 1. Januar 2002 geltenden Rechtslage ein Anspruch auf Krg jedenfalls ab 4. August 1999 zustehen können. Das LSG wird zu entscheiden haben, ob die bis zum 31. Dezember 2001 geltende Rechtslage, die für den vorliegenden Fall noch maßgebend ist, verfassungsrechtlich haltbar war, oder ob etwa eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V aF in Erwägung zu ziehen ist (zu den weit gehenden Möglichkeiten einer verfassungskonformen Auslegung zuletzt BVerfG NZS 1998, 426; BVerfGE 97, 186). Diese Frage wird sich allerdings nur stellen, wenn sich nach erfolgter Beiladung der Krankenkasse gemäß § 75 Abs 2 SGG und vollständiger Aufklärung aller Anspruchsvoraussetzungen für beide Sozialleistungen (Alg und Krg, ggf schon ab 1. Juli 1999, vgl oben 1.) ergeben sollte, dass für die Klägerin nach der alten Rechtslage überhaupt eine sozialversicherungsrechtliche Sicherungslücke (aus dem Zusammenspiel von § 5 Abs 1 Nr 2 aF, § 19 Abs 2 und § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V iVm § 126 Abs 1 SGB III) bestand.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 725969 |
SozSi 2002, 322 |