Leitsatz (amtlich)
Bei der Zusammenzählung der Hundertsätze der durch die einzelnen Arbeitsunfälle (Entschädigungsfälle nach dem BVG) verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit nach RVO § 581 Abs 3 ist nicht der Hundertsatz, der früheren Entscheidungen zugrunde liegt, sondern der zur Zeit des Beginns der Unfallrente noch bestehende Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen (RVA Grundsatzentscheidung Nr 5286 vom 1939-04-05 - AN 1939, 190 - Grundsätze Nr 3 und 8).
Normenkette
RVO § 581 Abs. 3 Fassung: 1963-04-30, § 559a Fassung: 1939-02-17
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 3. März 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wurde am 19. März 1956 von einem Arbeitsunfall betroffen; er zog sich einen Trümmerbruch der linken Speiche zu. Hierfür erhielt er von der Beklagten eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H.. Aufgrund eines Gutachtens des Chirurgen Prof. Dr. S vom 3. April 1958 verfügte die Beklagte durch Bescheid vom 18. April 1958, daß die Rente nicht mehr gewährt werde, und stellte - negativ - die erste Dauerrente fest, weil nach diesem Gutachten die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Folgen des Unfalls nur noch um 10 v.H. gemindert sei. Dieser Bescheid wurde bindend.
Am 7. Februar 1962 zog sich der Kläger durch einen weiteren Arbeitsunfall eine Radiusstückfraktur rechts zu. Hierfür gewährte ihm die Beklagte von April 1962 an eine Teilrente nach einer MdE von 20 v.H.. Im November 1962 hatte die Beklagte den Kläger durch Prof. Dr. Schaefer darüber begutachten lassen, ob am 7. Februar 1962 noch Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 in meßbarem Grade (mindestens 10 v.H.) vorhanden gewesen seien. Der Sachverständige verneinte dies. Hinsichtlich des Unfalls vom 7. Februar 1962 äußerte er sich im Januar 1963 gutachtlich dahin, daß die MdE infolge dieses Unfalls noch 10 v.H. betrage. Die Beklagte stellte daraufhin durch Bescheid vom 8. Februar 1963 die Zahlung der Rente von 20 v.H. ein und lehnte gleichzeitig die Gewährung einer Dauerrente ab. Mit der auf die Weitergewährung der Rente gerichteten Klage begehrte der Kläger hilfsweise, unter Berücksichtigung des Bescheides der Beklagten vom 18. April 1958, die Rente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Bremen hob den Bescheid vom 8. Februar 1963 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger unter Berücksichtigung des Bescheides vom 18. April 1958 mit Wirkung vom 1. April 1963 an die Unfallrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente zu gewähren. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein.
Während des Berufungsverfahrens erließ die Beklagte am 26. März 1964 einen Bescheid, durch den sie Entschädigungsansprüche aus Anlaß des Arbeitsunfalls des Klägers vom 19. März 1956 mit der Begründung ablehnte, nach den Gutachten der Chirurgen Prof. Dr. Schaefer vom 14. November 1962 und Dr. Benndorf vom 3. Juli 1963 lägen meßbare Folgen dieses Unfalls nicht vor und hätten auch beim Eintritt des Unfalls vom 7. Februar 1962 nicht bestanden.
Diesen Bescheid hat der Kläger mit der Klage angefochten. Das Landessozialgericht (LSG) hat daraufhin das Berufungsverfahren, in dem der Kläger seine Ansprüche aus dem Arbeitsunfall vom 7. Februar 1962 verfolgt (Az.: L U 13/64), ausgesetzt.
Das SG hat durch Urteil vom 7. September 1965 den Bescheid vom 26. März 1964 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 7. Februar 1962 an wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 19. März 1956 Rente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente zu gewähren. Das SG ist der Ansicht, durch den Bescheid vom 18. April 1958 sei bindend festgestellt, daß durch die Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 die Erwerbsfähigkeit des Klägers um 10 v.H. gemindert sei; diese Feststellung bleibe wirksam, solange der Bescheid nicht geändert werde; deshalb sei die Beklagte gemäß § 581 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verpflichtet, unter Berücksichtigung der Folgen des späteren Unfalls vom 7. Februar 1962 dem Kläger die Rente nach der MdE von 10 v.H. zu gewähren.
Das LSG hat durch Urteil vom 3. März 1966 unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung vom 7. September 1965 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO seien nicht gegeben.
Der Kläger sei durch Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 seit dem 7. Februar 1962 nicht um noch 10 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. Schaefer vom 14. November 1962; der Speichenbruch links sei in idealer Stellung fest verheilt und die Beweglichkeit des linken Handgelenks nicht nennenswert eingeschränkt. Der Chirurg Dr. B sei in seinem Gutachten vom 3. Juli 1963 zu einem im wesentlichen gleichen Ergebnis gelangt. Etwaige glaubhafte Beschwerden des Klägers, die noch als Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 bestehen könnten, seien nicht so erheblich, daß sie die Erwerbsfähigkeit noch um wenigstens 10 v.H. beeinträchtigten. Die Frage, ob dem Kläger nach § 581 Abs. 3 RVO Verletztenrente etwa deshalb zu gewähren sei, weil nach dem bindend gewordenen Bescheid vom 18. April 1958 über die - negative - Feststellung der ersten Dauerrente unter "Nichtmehrgewährung" der bisherigen vorläufigen Rente von 30 v.H. der Vollrente zum Ausdruck gebracht sei, daß der Kläger noch um 10 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert sei, müsse verneint werden. Nach dem auch heute noch anzuwendenden Grundsatz Nr. 3 der Entscheidung des Reichsversicherungsamtes (RVA) vom 5. April 1939 - AN 1939 S. 190 - zum "Recht der kleinen Renten" sei der zur Zeit des Eintritts des späteren Unfalls als Folge des früheren Unfalls tatsächlich noch bestehende Grad der MdE und nicht die früher einmal bei der förmlichen Entscheidung festgestellte MdE zu berücksichtigen, wobei Sätze unter 10 v.H. nicht zusammengezählt werden dürften. Im übrigen wäre der Bescheid vom 18. April 1958 hinsichtlich des angeführten Grades der von dem Unfall vom 19. März 1956 noch herrührenden MdE von 10 v.H. nicht in Bindungswirkung erwachsen. Nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) könne allein der Verfügungssatz des Bescheides bindend werden. Dazu gehöre nicht die Erklärung, daß nach ärztlichem Gutachten die Erwerbsfähigkeit des Verletzten durch Folgen des Unfalls nur noch um 10 v.H. gemindert sei. Daß die Beklagte in dem Bescheid nicht das Wort "entzogen", sondern die Worte "nicht mehr gewährt" gewählt habe, beruhe zwar offenbar darauf, daß der Grad der MdE von 10 v.H. möglicherweise einmal im Sinne des Grundsatzes Nr. 3 hätte Bedeutung erlangen können. Nach der geltenden Rechtslage sei dies aber unerheblich; denn die im " Nichtmehrgewährungs "-Bescheid lediglich als Begründung für den Bescheidausspruch festgestellte MdE habe keine Bindungswirkung erlangt. Es müsse daher jeweils festgestellt werden, welche MdE im Zeitpunkt des "anderen Unfalls" tatsächlich vorliege. Am 7. Februar 1962 habe beim Kläger keine MdE von mindestens 10 v.H. vorgelegen, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundsätze des § 581 Abs. 2 RVO. Der Bezug einer Rente von 10 v.H. der Vollrente aus Anlaß des Unfalls vom 19. März 1956 sei somit nicht gerechtfertigt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 18. April 1966 zugestellte Urteil am 25. April 1966 Revision eingelegt und diese am 29. April 1966 wie folgt begründet: Die Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO seien im vorliegenden Streitfall gegeben. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers beim Eintritt des zweiten Unfalls durch Folgen des ersten Unfalls nicht mehr in meßbarem Grad gemindert gewesen. Gleichwohl sei aber eine von diesem Unfall herrührende und im Sinne des § 581 Abs. 3 RVO verwertbare MdE von 10 v.H. noch vorhanden, da in dem Bescheid der Beklagten vom 18. April 1958 bisher unverändert bindend festgestellt sei, daß die von dem früheren Unfall herrührende MdE des Klägers 10 v.H. betrage. Dem stehe nicht entgegen, daß die Beklagte diese Feststellung nur zur Begründung der "Nichtmehrgewährung" der Rente getroffen habe. Der Verfügungssatz eines Bescheides dürfe nicht zu eng begrenzt werden. Jedenfalls müßten die Gründe eines Bescheides, soweit dessen Verfügungssatz nur unter deren Zuhilfenahme verstanden werden könnte, auch an der Bindungswirkung des Bescheides teilnehmen. Dies sei bei dem Bescheid vom 18. April 1958 der Fall. Freilich habe dies zur Folge, daß der Versicherungsträger Nachuntersuchungen des Verletzten veranlassen müsse, um das Fortbestehen der MdE zu prüfen. Solange aber der frühere Bescheid nicht aufgehoben sei, bleibe seine Bestandskraft unberührt und sei auch in den Anwendungsfällen des § 581 Abs. 3 RVO zu berücksichtigen. Eine solche Änderung habe der Bescheid vom 26. März 1964 nicht zum Inhalt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Bremen vom 7. September 1965 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei und widerspricht der Ansicht der Revision, im vorliegenden Streitfall sei bindend festgestellt, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 noch um 10 v.H. gemindert sei.
II
Die Revision ist zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Das LSG hat mit zutreffender Begründung entschieden, daß dem Kläger eine Rente von 10 v.H. der Vollrente aus Anlaß seines Arbeitsunfalls vom 19. März 1956 nicht zusteht. Es hat mit Recht verneint, daß die Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO im vorliegenden Fall gegeben seien. Hierbei konnte unerörtert bleiben, ob, wie das LSG aufgrund des Art. 4 § 2 Abs. 1 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 angenommen hat, für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits § 581 Abs. 3 RVO heranzuziehen ist oder ob hier noch § 559a RVO in der bis zum Inkrafttreten des UVNG am 1. Juli 1963 geltenden Fassung (aF) hätte angewandt werden müssen, weil sich auch der zweite Arbeitsunfall vom 7. Februar 1962 vor dem Inkrafttreten des UVNG ereignet hat (vgl. BSG 23, 139 ff). Denn die neue Regelung weicht jedenfalls hinsichtlich des für den vorliegenden Rechtsstreit erheblichen Fragenkreises nicht von den Grundsätzen ab, die in der Rechtsprechung zu § 559a Abs. 3 RVO entwickelt worden sind (BSG 12, 58).
Nach § 581 Abs. 3 RVO ist für die Folgen eines Arbeitsunfalls, welche die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 10 v.H. mindern, Rente zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert ist und die Hundertsätze der hierdurch verursachten MdE zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen, wobei den zur Stützung zu berücksichtigenden Arbeitsunfällen andere Entschädigungsfälle, vor allem nach dem Bundesversorgungsgesetz, gleichstehen. Durch diese Fassung des Gesetzes ist nunmehr klargestellt, daß es für die Gewährung einer Verletztenrente von weniger als 20 v.H. der Vollrente - einer sog. kleinen Rente - auf die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Arbeitsunfälle nicht ankommt (BSG 12, 63, 64). Dem Klagebegehren steht es sonach nicht entgegen, daß der Entschädigungsanspruch - gestützt durch den Unfall vom 7. Februar 1962 - wegen des früheren Arbeitsunfalls vom 19. März 1956 geltend gemacht wird.
Dieser Anspruch ist jedoch, wie in dem angefochtenen Berufungsurteil zutreffend ausgeführt ist, nicht begründet, weil in dem für den Beginn der beanspruchten kleinen Rente maßgebenden Zeitpunkt, dem 7. Februar 1962, von dem früheren Unfall her keine Folgen mehr vorhanden waren, welche die Annahme einer MdE von mindestens 10 v.H. rechtfertigen könnten. Die Revision wendet sich hiergegen zu Unrecht mit dem Vorbringen, das LSG habe verkannt, daß in dem Bescheid der Beklagten vom 18. April 1958 mit einer für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO bindenden - mangels Änderung des Bescheides fortdauernden - Wirkung festgestellt sei, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei durch Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 um 10 v.H. gemindert.
Der Umstand, daß der Kläger seinen Anspruch auf die Rente aus dem früheren Unfall nicht ohne weiteres aufgrund der durch den Eintritt des zweiten Arbeitsunfalls vom 7. Februar 1962 geschaffenen Rechtslage (Recht der kleinen Renten) verfolgt, sondern mit der Klage gegen den Bescheid vom 26. März 1964 vorgeht, bietet in prozessualer Hinsicht zu Bedenken keinen Anlaß. Bei diesem Bescheid, der aus Anlaß und während des Verfahrens über den Anspruch des Klägers auf diese Rente wegen der Folgen des späteren Unfalls vom 7. Februar 1962 erlassen worden war, handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der den Kläger beschwert (§ 54 Abs. 1 SGG). Ziel der Beklagten war es, durch ihn unter Berufung auf die vorliegenden ärztlichen Gutachten jeden Zweifel darüber zu beseitigen, daß der Arbeitsunfall vom 19. März 1956 im Zeitpunkt des Eintritts des Unfalls vom 7. Februar 1962 keine meßbare MdE mehr zur Folge gehabt habe, und damit festzustellen, daß der Kläger unter den Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO keinen Anspruch auf Rente nach einer MdE von 10 v.H. aus dem früheren Unfall habe. Gründe, welche die Zulässigkeit der Klage gegen einen solchen auf die Ablehnung der Leistung gerichteten Bescheid in Frage stellen, sind nicht ersichtlich. Auch sonst fehlt es nicht an einer der von Amts wegen zu berücksichtigenden Sachurteilsvoraussetzungen.
In der Sache hat das LSG den Bescheid vom 26. März 1964 zu Recht bestätigt. Die Beklagte ist beim Erlaß dieses Bescheides offensichtlich von dem Grundsatz Nr. 3 der vom RVA in der Entscheidung Nr. 5286 vom 5. April 1939 (AN 1939, 190 = EuM 44, 257) aufgestellten "Grundsätze zum Recht der kleinen Renten" (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 2.Aufl., S. 107 Anm. 10 zu § 559a RVO aF) ausgegangen. Danach ist bei der Zusammenzählung der Hundertsätze der durch die einzelnen Arbeitsunfälle verursachten MdE für den anderen Unfall nicht der früher einmal - bei der förmlichen Entscheidung - festgestellte, sondern der zur Zeit noch bestehende Grad der MdE zu berücksichtigen. Die Anwendung dieses Grundsatzes auf den vorliegenden Fall begegnet nach der Auffassung des erkennenden Senats keinen Bedenken, wie es überhaupt geboten ist, zur Auslegung des § 581 Abs. 3 RVO auf die Grundsätze der angeführten Entscheidung des RVA zurückzugreifen, es sei denn, die Rechtsgrundlage ist für sie durch die neue Regelung entfallen (z.B. für die Institution der Gesamtrente). Das gilt, wie in der Entscheidung des erkennenden Senats vom 7. März 1969 - 2 RU 53/67 - ausgeführt ist, in gleicher Weise auch für den Grundsatz Nr. 8 aaO. Die Ansicht der Revision, der Grundsatz Nr. 3 sei überholt, weil inzwischen den im Feststellungsverfahren der Versicherungsträger ergehenden Bescheiden als Verwaltungsakten aufgrund des § 77 SGG eine besondere Bindungswirkung zukomme, überzeugt nicht; die Regelung des Rechts der kleinen Renten beruht auf materiellem Recht, das sich, soweit der Wirkungsbereich der angeführten Grundsätze in Betracht kommt, nicht geändert hat. Daß die Bescheide nicht mehr wie unter der Herrschaft der Verfahrensvorschriften der RVO die Wirkung erstinstanzlicher Entscheidungen haben, vermag ihre Anwendbarkeit nicht auszuschließen. Das LSG hat hieraus für den vorliegenden Streitfall jedenfalls zu Recht gefolgert, daß es bei der Ablehnung des Rentenanspruchs durch den Bescheid vom 26. März 1964 darauf ankomme, welcher Grad der MdE noch von den Folgen des Unfalls vom 19. März 1956 verblieben war, als der spätere Unfall eintrat, nicht hingegen auf diejenige MdE, von welcher die Beklagte bei ihrem Bescheid vom 18. April 1958 ausgegangen war (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6. Aufl., Bd. II S. 576c; Urteil des BSG vom 30. Juli 1968 - 2 RU 79/67 -). Diese Rechtsauffassung entspricht, wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt ist, dem Wortlaut und dem Sinn des § 581 Abs. 3 RVO. Das LSG hat insbesondere mit Recht darauf hingewiesen, daß, falls die gegenteilige Meinung der Revision zuträfe, laufende Überprüfungen der Unfallfolgen notwendig würden und hiermit Maßnahmen verbunden wären, welche sich weder aus der Betreuungspflicht des Versicherungsträgers für die Verletzten ergäben, noch in deren wohlverstandenem Interesse lägen.
Im übrigen konnte die in dem Bescheid vom 18. April 1958 enthaltene Erklärung, die Erwerbsfähigkeit des Verletzten durch Folgen des Unfalls sei nur noch um 10 v.H. gemindert, schon deshalb nicht bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO berücksichtigt werden, weil sie entgegen der Ansicht der Revision nicht der Bindungswirkung nach § 77 SGG zugänglich war. Bindenden Verwaltungsakten kommt, wie auch die Revision nicht verkennt, eine Bestandskraft zu, welche der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen wesensverwandt ist (vgl. BSG 18, 84, 89). Daraus folgt, daß die Gründe eines Verwaltungsaktes an dessen Bindungswirkung grundsätzlich ebensowenig teilnehmen wie die Entscheidungsgründe eines Urteils an der Rechtskraft; dem steht nicht entgegen, daß die Gründe einer Entscheidung ausnahmsweise mit in Rechtskraft bzw. Bindungswirkung erwachsen können, wenn und soweit sie zur Auslegung des Urteilstenors bzw. des Verfügungssatzes eines Verwaltungsaktes heranzuziehen sind (vgl. RVA, Großer Senat, GE Nr. 3133 in AN 1923, 190 f; BSG 9, 197; 14, 154, 159; Urteil des BSG vom 13. August 1965 - 11/1 RA 366/62 - in "Die Angestelltenversicherung", 1965, 298; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6. Aufl., Bd. I S. 256c bis f) mit den dort angeführten Nachweisen; siehe auch BGHZ 13, 265, 277f; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9.Aufl., S. 751 § 150 II). Ein Fall, in dem die Gründe des Bescheides an der Bindungswirkung teilnehmen können, ist bei dem Bescheid der Beklagten vom 18. April 1958 nicht gegeben. Nach dem Inhalt dieses Bescheides war der Rentenanspruch erloschen, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr um wenigstens ein Fünftel gemindert war. Aus der diese Begründung konkretisierenden Erklärung, daß "die Erwerbsfähigkeit des Verletzten durch Folgen des Unfalls nur noch um 10 v.H. gemindert" sei, ist bei sinngemäßer Auslegung des Bescheidinhaltes nicht der Wille der Beklagten zu entnehmen, es habe für die Zukunft eine bindende Feststellung getroffen werden sollen.
Hiernach ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente nach einer MdE von 10 v.H. nicht begründet, da der Arbeitsunfall vom 19. März 1956 in dem für die Anwendung des § 581 Abs. 3 RVO maßgebenden Zeitpunkt keine Gesundheitsstörungen mehr hinterlassen hatte, welche den Voraussetzungen dieser Vorschrift entsprechen könnten.
Die Revision mußte daher zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen