Entscheidungsstichwort (Thema)

Mangelberuf. Sondererzieher

 

Orientierungssatz

1. Eine Stelle ist im Hinblick auf den Begriff "Mangelberuf" dann nicht offen, wenn der Arbeitgeber die Einstellung eines Höherqualifizierten nicht anstrebt und die Stelle auf dem Arbeitsmarkt nicht anbietet. Schon das fehlende Angebot offener Stellen eines bestimmten Berufes (hier: Sondererzieher) auf dem Arbeitsmarkt schließt es aus, diesen als Mangelberuf zu bezeichnen.

2. Dem Begriff des Mangelberufes ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß es auf die Ursache eines fehlenden Stellenangebots ankommen könnte.

3. Unter welchen Umständen eine Stelle als "offen" im Hinblick auf den Begriff "Mangelberuf" anzusehen ist, wenn der Stelleninhaber keine ausreichende Qualifikation hat und der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer mit einer höheren Qualifikation einstellen möchte, bleibt offen.

 

Normenkette

AFG § 44 Abs 2 S 2 Nr 4 Fassung: 1981-12-22; AFuU § 10 Abs 2 Fassung: 1982-03-16

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.02.1986; Aktenzeichen L 5 Ar 1566/84)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 05.04.1984; Aktenzeichen S 6 Ar 1060/83)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt anstelle des als Darlehen gewährten Unterhaltsgeldes (Uhg) ein höheres Uhg als Zuschuß.

Die Klägerin war nach ihrer Berufsausbildung mit dem Abschluß "staatlich anerkannter Erzieher" von Januar 1977 bis August 1982 in diesem Beruf tätig. Für ihre am 2. September 1982 begonnene Ausbildung zum "Sondererzieher" bewilligte ihr die Beklagte Uhg in Höhe von 58 vH des maßgeblichen Arbeitsentgelts als Darlehen; der auf ein höheres Uhg (68 vH) als Zuschuß gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 25. Februar 1983; Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, Uhg als Zuschuß zu gewähren (Urteil vom 5. April 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Februar 1986). Zur Begründung wird ausgeführt, der Beruf des Sondererziehers sei kein Mangelberuf im Sinne des § 44 Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Bei der angestrebten Tätigkeit handele es sich nicht um einen Beruf, in dem ein Mangel an Arbeitskräften bestehe oder zu erwarten sei. Der Arbeitsverwaltung seien offene Stellen für Sondererzieher nur in geringem Umfang gemeldet und es seien auch nur wenige Sondererzieher arbeitslos, so daß der Arbeitsmarkt ausgeglichen sei. Zwar bestehe nach einer Auskunft des Jugendamtes insoweit ein theoretischer Mangel an Sondererziehern, als in Rheinland-Pfalz von 501 Gruppenleiterstellen nur 44 Stellen mit einem Sonderpädagogen besetzt seien. Jedoch seien auch die anderen Gruppenleiterstellen tatsächlich besetzt. Die Qualifikation der Stelleninhaber als Erzieher habe nicht zu einer vermehrten Nachfrage nach Sondererziehern auf dem Arbeitsmarkt geführt, sondern nur zu einer erhöhten Nachfrage dieser Stelleninhaber nach entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen in berufsbegleitendem Teilzeitunterricht. Soweit tatsächlich Gruppenleiterstellen frei geworden seien, seien diese sogleich mit Sondererziehern besetzt worden oder der Arbeitgeber habe die fachliche Qualität der übrigen Bewerber als ausreichend angesehen. Jedenfalls habe kein Arbeitgeber die Notwendigkeit gesehen, zunächst auf dem Arbeitsmarkt - zumindest für einige Zeit - nach Sondererziehern zu suchen. Eine Änderung sei in der Zukunft nicht zu erwarten, zumal sich die Stelleninhaber in großer Zahl in berufsbegleitendem Teilzeitunterricht fortbildeten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 44 Abs 2 AFG. Es könne rechtlich nicht von Bedeutung sein, wenn die Träger entsprechender Einrichtungen aus Kostengründen Stellen mit Personen besetzten, die nicht die ausreichende Qualifikation besäßen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf das begehrte höhere Uhg als Zuschuß nach § 44 Abs 2 Satz 1 AFG, der auf die im September 1982 begonnene Bildungsmaßnahme in der Fassung des Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG) anzuwenden ist, weil sie die Voraussetzungen des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4 AFG, der als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommt, nicht erfüllt. Danach ist Voraussetzung für das Unterhaltsgeld nach Satz 1, daß die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme notwendig ist, damit ein Antragsteller, der einen Beruf ergreifen will, in dem ein Mangel an Arbeitskräften auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt besteht oder in absehbarer Zeit zu erwarten ist, diesen ausüben kann. Hierzu bestimmt § 10 Abs 2 der Anordnung Fortbildung und Umschulung (AFuU) in der Fassung der 12. Änderungsanordnung vom 16. März 1982, daß Uhg ein Teilnehmer an einer Maßnahme erhalte, die ihn auf eine berufliche Tätigkeit vorbereitet, in welcher auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt dem Angebot an freien Stellen eine so geringe Nachfrage solchen Stellen auf Arbeitnehmerseite gegenübersteht, daß der Bedarf in dem entsprechenden Beschäftigungszweig nicht in der für eine ausgeglichene Arbeitsmarktsituation erforderlichen Weise gedeckt werden kann. Hierbei ist auch die vorhersehbare arbeitsmarktliche Entwicklung dieses Beschäftigungszweiges zu berücksichtigen. Die sich daraus ergebende Auslegung des Begriffs Mangelberuf stimmt mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung überein (BSGE 41, 1) und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Hierzu hat das LSG festgestellt, daß der Arbeitsmarkt für den angestrebten Beruf des Sondererziehers ausgeglichen sei. Offene Stellen seien der Beklagten nur in geringem Umfang gemeldet und es seien nur wenige Sondererzieher arbeitslos. Ein Mangel sei auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

Dabei hat es das LSG als rechtlich unerheblich angesehen, daß nach einer Auskunft des Jugendamtes für den Einsatz von Sonderpädagogen von in Betracht kommenden 501 Gruppenleiterstellen im Bereich der Sonderheime in Rheinland-Pfalz nur 44 mit Sonderpädagogen besetzt seien, so daß ein Fehlbedarf von 457 Sonderpädagogen bestehe. Denn die Gruppenleiterstellen seien tatsächlich besetzt. Die Besetzung dieser Stellen mit Erziehern habe nicht zu einer vermehrten Nachfrage nach Sondererziehern auf dem Arbeitsmarkt geführt, sondern nur zu einer erhöhten Nachfrage dieser Stelleninhaber nach entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen in berufsbegleitendem Teilzeitunterricht. Jedenfalls hätten Arbeitgeber keine Notwendigkeit gesehen, zunächst auf dem Arbeitsmarkt nach Sondererziehern zu suchen.

Hiergegen wendet die Revision ein, rechtlich könne es nicht von Bedeutung sein, wenn die Träger aus Kostengründen entsprechende Stellen mit Personen besetzten, die nicht die ausreichende fachliche Qualifikation besäßen. Hierzu kann der Senat offen lassen, unter welchen Umständen eine Stelle als "offen" im Hinblick auf den Begriff "Mangelberuf" anzusehen ist, wenn der Stelleninhaber keine ausreichende Qualifikation hat und der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer mit einer höheren Qualifikation einstellen möchte. Eine Stelle ist in diesem Zusammenhang jedenfalls dann nicht offen, wenn der Arbeitgeber die Einstellung eines Höherqualifizierten nicht anstrebt und die Stelle auf dem Arbeitsmarkt nicht anbietet. Schon das fehlende Angebot offener Stellen eines bestimmten Berufes auf dem Arbeitsmarkt schließt es aus, diesen als Mangelberuf zu bezeichnen. Dem Begriff des Mangelberufes ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß es auf die Ursache eines fehlenden Stellenangebots ankommen könnte. Sinn der hier streitigen Ausbildungsförderung ist es, einem Mangel an zureichend ausgebildeten Arbeitnehmern abzuhelfen. Begnügen sich die Arbeitgeber aus Kostengründen mit geringer qualifizierten Arbeitnehmern, so kann dies nicht durch eine vermehrte Ausbildung, die die Kostenlage unverändert läßt, bekämpft werden.

Die Revision der Klägerin war daher mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662955

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