Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedergewährung einer Waisenrente
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des SGG § 161 Abs 1 S 2 (Fassung: 1953-09-03), daß die schriftliche Erklärung der Einwilligung des Rechtsmittelgegners der Sprungrevisionsschrift beizufügen ist, ist ihrem Sinn und Zweck nach auch dann erfüllt, wenn in der Revisionsschrift auf die in den Akten des SG befindliche Urschrift der Einwilligungserklärung verwiesen worden ist und diese Akten noch vor Ablauf der Revisionsfrist beim Revisionsgericht eingegangen sind.
Leitsatz (redaktionell)
AVG § 67 Abs 3 S 1 (= RVO § 1290 Abs 3 S 1) betrifft nach Wortlaut - vgl "nur" - und Entstehungsgeschichte allein Fälle, in denen der Antrag auf Wiedergewährung der Rente nach Ablauf des Monats der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt wird. Wird hingegen die Wiedergewährung der Waisenrente im Monat des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen bzw schon vorher beantragt, so steht Waisenrente erst ab dem Antragsnachmonat zu. AVG § 67 Abs 3 S 1 (= RVO § 1290 Abs 3 S 1) kann nur als Einschränkung gegenüber Abs 1 S 1 verstanden werden, weil nach der durch das FinÄndG vom 1967-12-21 erfolgten Änderung des AVG § 67 Abs 1 S 1 (= RVO § 1290 Abs 1 S 1) zur finanziellen Entlastung der Rentenversicherung die Rentenzahlungen nun grundsätzlich einen Monat später beginnen sollten. Der Ausnahmecharakter des Abs 3 S 1 aaO (wonach gegenüber der Grundregel des Abs 1 S 1 bei Erhöhung und Wiedergewährung von Renten dem Antrag materiellrechtliche Bedeutung mit der Folge beigelegt wurde, daß sich der Rentenbeginn zu Ungunsten des Berechtigten hinschob, sofern der Rentenantrag erst nach Erfüllung der Voraussetzungen gestellt wurde: so auch BSG 1975-03-13 12 RJ 204/74 = SozR 2200 § 1290 Nr 2) darf nicht auf Grund der Neuregelung des FinÄndG in sein Gegenteil verkehrt werden.
Normenkette
SGG § 161 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1953-09-03; AVG § 67 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1290 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 67 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1290 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Oktober 1974 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob dem Kläger für den Monat Oktober 1973 Waisenrente aus der Versicherung seiner Mutter wiederzugewähren ist.
Der 1949 geborene Kläger bezog bis März 1973 Waisenrente; er beantragte im Juli 1973 deren Wiedergewährung unter Hinweis auf sein im Oktober 1973 beginnendes Universitätsstudium. Die Beklagte entsprach seinem Antrag ab November 1973. Der Kläger begehrte die Vorverlegung des Rentenbeginns um einen Monat. Seiner Klage gab das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 17. Oktober 1974 statt. Es stützt seine Entscheidung auf § 67 Abs. 3 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG); diese Bestimmung lege den Beginn einer wiederzugewährenden Rente abweichend von § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG auf den Beginn des Antragsmonats fest. Das SG ließ die Berufung zu.
Die Beklagte hat Revision (Sprungrevision) eingelegt; sie beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Mit der Einlegung der Sprungrevision hatte sich der Kläger schon in einem von ihm unterzeichneten Schreiben an das SG vom 5. März 1974 einverstanden erklärt. Eine Abschrift hiervon, die keine Unterschrift des Klägers enthält, hatte das SG der Beklagten am 8. März 1974 zugeleitet. Die Beklagte hat ihrer Revisionsschrift Fotokopien beider Schreiben mit dem Hinweis beigefügt, daß sich die Urschrift der Einwilligungserklärung bei den Akten des SG befinde. Diese sind noch innerhalb der Revisionsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen.
Zur Begründung ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision ist zulässig. Die Zulässigkeit ist noch nach § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) idF vor 1975 zu beurteilen. Nach Abs. 1 Satz 2 dieser Bestimmung (vgl. auch § 161 Abs. 1 Satz 3 SGG n. F.) ist die schriftliche Erklärung der Einwilligung des Rechtsmittelgegners der Revisionsschrift beizufügen. Damit soll dem Revisionsgericht bis zum Ablauf der Revisionsfrist die Einwilligung des Rechtsmittelgegners sicher nachgewiesen werden. Das kann jedoch auch in anderer Weise als durch Beifügung der schriftlichen Einwilligungserklärung geschehen, etwa durch Vorlage einer Fotokopie, durch telegrafische Einwilligung oder durch Vorlage einer beglaubigten, nicht einer einfachen Abschrift der die Einwilligung protokollierenden Verhandlungsniederschrift (SozR Nr. 7, 12, 14, 17 zu § 161 SGG); es genügt stets der Eingang bis zum Ablauf der Revisionsfrist (SozR Nr. 6 zu § 161 SGG). Im vorliegenden Falle hat allerdings die Revisionsschrift mit ihren Anlagen die ordnungsgemäße Einwilligung noch nicht nachgewiesen, weil sie eine vom Kläger auch unterzeichnete Einwilligung nicht belegte; bis zum Ablauf der Revisionsfrist ist aber durch den zusätzlichen Hinweis der Beklagten auf die vom Kläger unterzeichnete Urschrift in den Akten des SG und deren Eingang noch vor Ablauf der Revisionsfrist der sichere Nachweis seiner formgerechten Einwilligung geführt worden; damit war dem Sinn und Zweck des § 161 Abs. 1 Satz 2 SGG aF Genüge getan.
Die Revision ist auch begründet. Der Kläger kann für Oktober 1973 noch keine Waisenrente beanspruchen. Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG ist die Waisenrente - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Dies war - erst - in Oktober 1973 der Fall. Dementsprechend stand ihm die wiederzugewährende Rente erst ab November 1973 zu. § 67 Abs. 3 Satz 1 AVG ist entgegen der Ansicht des SG hier nicht anzuwenden, weil sich dessen Anwendungsbereich nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte auf Fälle beschränkt, in denen der Antrag auf Wiedergewährung nach Ablauf des Monats der Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen gestellt wird. In diesem Sinne hat der Senat bereits durch Urteil vom gleichen Tage die Sache 11 RA 182/73 mit näherer Begründung entschieden. Er stimmt damit mit dem 1. und 12. Senat des BSG überein (vgl. die Urteile 12 RJ 204/74 vom 13. März 1975 und 1 RA 221/74 vom 14. März 1975).
Das angefochtene Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen