Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1987 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Bundesknappschaft dem Kläger eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zu gewähren hat.
Der Kläger war seit September 1946 im deutschen Steinkohlenbergbau tätig, zuletzt als Schachthauer und Hauer. Im Februar 1969 erlitt er unter Tage einen Unfall, bei dem er sich eine Handverletzung rechts zuzog. Danach arbeitete er zunächst als Platzreiniger und Kraftfahrer und von Februar 1974 bis Oktober 1983 als Vorarbeiter im Bergehalden-Rückgewinnungsbetrieb bei der Firma C. … in A. …. Hier war er seit dem 24. September 1976 vom E. … als Aufsichtsperson bestellt.
Die Beklagte gewährte ihm ab Juni 1969 Rente wegen BU, die ab September 1972 in Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit umgewandelt wurde. Im November 1982 beantragte der Kläger, ihm Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 2. August 1983 mit der Begründung ab, der Kläger könne noch mehrere Arbeiten verrichten, die ihm – ausgehend vom Hauptberuf des Hauers – zumutbar seien. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 23. September 1983).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Knappschaftsrente wegen BU zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei berufsunfähig. Für die Frage, welche Tätigkeiten dem Kläger zumutbar seien, müsse davon ausgegangen werden, daß er zuletzt die Tätigkeit eines qualifizierten Vorarbeiters ausgeübt habe. Er sei nach der Spitzengruppe der Lohnskala seines früheren Betriebes bezahlt worden. Er habe auch keinen Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis folgen müssen, sei vielmehr gegenüber mehreren anderen Facharbeitern weisungsbefugt gewesen. Er habe etwa 20 Mitarbeiter in seiner Schicht beaufsichtigen müssen, darunter mehrere Facharbeiter technischer Berufe, wie Elektriker, Schlosser oder Aufbereiter. Zwar verfüge er selbst nicht über die entsprechenden Fachkenntnisse, so daß es sich nur um eine personelle Aufsicht gehandelt haben könne. Doch sei vom BSG für die Anerkennung als qualifizierter Vorarbeiter nie verlangt worden, daß eine fachliche Beaufsichtigung vorliegen müsse. Dies würde auch nicht im Einklang mit den Anforderungen an eine moderne Arbeitswelt mit ihren vielfältigen Spezialisierungen stehen. Desweiteren sei auch davon auszugehen, daß der Kläger in seiner Funktion als Vorarbeiter bei der Firma C. … deutlich höherwertige Tätigkeiten ausgeübt habe als die ihm unterstellten Facharbeiter. So habe er – ohne über ihr spezielles Fachwissen zu verfügen – ihre Arbeit im Rahmen einer ordnungsgemäßen Schichtführung überwacht und ihnen ihre Aufgaben zugeteilt. Außerdem habe er auf die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz und die bergrechtlichen Betriebspläne achten müssen. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe auch fest, daß der Kläger spätestens seit seiner Bestellung zur verantwortlichen Aufsichtsperson im Oktober 1976 die Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Facharbeiters besessen habe. Während der vorhergehenden 2 1/2-jährigen Tätigkeit als Vorarbeiter habe er sich die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen aneignen können, um vollwertig als Schichtführer im Bergehalden-Rückgewinnungsbetrieb eingesetzt werden zu können. Er habe schließlich auch den höchsten Lohn für Arbeiter erhalten. Da nicht zu erkennen sei, daß hierfür irgendwelche qualitätsfremden Merkmale maßgeblich gewesen seien, müsse auch unter diesem Gesichtspunkt bejaht werden, daß es sich bei seiner Tätigkeit bei der Firma C. … um eine „Facharbeit” gehandelt habe. Da er – gesundheitsbedingt – keine zumutbaren Arbeiten mehr verrichten könne, stehe ihm die begehrte Rente wegen BU zu.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 46 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) und des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach der Rechtsprechung gehöre der Gruppe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion nur derjenige an, der solche wesentlich anderen Arbeiten als die zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen verrichte, die wegen besonderer geistiger sowie persönlicher Anforderungen die Berufstätigkeit der Facharbeiter in ihrer Qualität deutlich überrage. Vor allem müsse der Vorarbeiter selbst Facharbeiter sein, also einen Beruf mit einer Ausbildungszeit von mindestens zwei Jahren ausüben. Dies habe das LSG nicht hinreichend beachtet. Es sehe die Verrichtung einer Tätigkeit als ausreichend an, für die eine staatlich anerkannte Ausbildung von mehr als zwei Jahren nicht vorgesehen sei. Zwar habe die höchstrichterliche Rechtsprechung Tätigkeiten ohne vorgeschriebene Berufsausbildung dann der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet, wenn sie den Facharbeitertätigkeiten qualitativ gleichständen. Erreiche eine Tätigkeit das Facharbeiterniveau erst durch dieses qualitätsorientierte Merkmal, so könne damit nicht gleichzeitig eine noch höhere Qualifikationsstufe eingenommen werden. Aus diesem Grunde sei es nicht möglich, daß die betriebsspezifische bzw branchenbezogene Facharbeitertätigkeit die Voraussetzungen für die Zuordnung zur höchsten Gruppe erfülle. Aber selbst wenn man die Zuordnung zur Gruppe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion nicht von dem Vorliegen einer staatlich anerkannten Ausbildungszeit abhängig machen wollte, so scheitere die Einordnung in diese Sondergruppe daran, daß das von der Rechtsprechung geforderte Kriterium der Weisungsbefugnis gegenüber mehreren Facharbeitern im vorliegenden Falle nicht gegeben sei. Denn dem Kläger habe lediglich die personelle, nicht aber die fachliche Aufsicht oblegen. Da seine Tätigkeit somit nur als Facharbeitertätigkeit eingestuft werden könne, sei er nicht nur auf Facharbeitertätigkeiten verweisbar. Welche Möglichkeiten einer Verweisung auf andere als Facharbeitertätigkeiten beständen, sei vom LSG aber – von seinem Rechtsstandpunkt zutreffend bisher nicht festgestellt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1987 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ergänzend geltend, selbst wenn man nur vom Facharbeiter ausgehe, sei die Revision unbegründet. Denn wegen seiner gesundheitsbedingten Leistungseinschränkungen sei es ihm auch nicht möglich, noch eine Anlerntätigkeit auszuüben.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, daß dem Kläger Knappschaftsrente wegen BU zu gewähren ist.
Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG, die mit der Revision nicht angegriffen und damit für den Senat bindend sind (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), ist der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Vorarbeiter im Bergehalden-Rückgewinnungsbetrieb auszuüben. Die Frage, welche anderen Tätigkeiten ihm zumutbar sind (§ 46 Abs 2 Satz 2 RKG), hängt von der Qualität des bisherigen Berufs (Hauptberufs) ab. Die Rechtsprechung des BSG hat hierzu ein Mehrstufenschema entwickelt, an deren Spitze der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion und der besonders qualifizierte Facharbeiter stehen, denen nur die Tätigkeiten mit dem Leitbild des Facharbeiters zumutbar sind.
In die besondere Gruppe der „Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion” können nur Versicherte eingestuft werden, deren Berufstätigkeit infolge besonderer geistiger und persönlicher Anforderungen die des Facharbeiters in ihrer Qualität noch deutlich überragt. Schlichte Vorarbeiter, die keine wesentlich anderen, höherwertigen Arbeiten als die der Gruppe der Facharbeiter angehörenden Arbeiter verrichten, fallen allerdings nicht hierunter. Das gleiche gilt für Vorarbeiter, die sich durch eine etwas herausgehobene Stellung innerhalb von Arbeitergruppen Ungelernter oder Angelernter auszeichnen (BSGE 43, 243, 246). Der 4. Senat hat in seinem Urteil vom 19. Januar 1978 (BSGE 45, 276, 278) hervorgehoben, daß die Einstufung in die Spitzengruppe in der Regel nur dann in Betracht komme, wenn der Versicherte selbst Facharbeiter sei, also einen Beruf mit einer Ausbildungszeit von mindestens zwei Jahren ausübe, Weisungsbefugnisse nicht nur gegenüber Angelernten und Hilfsarbeitern, sondern gegenüber mehreren anderen Facharbeitern habe und selbst in der Spitzengruppe der Lohnskala der Arbeiter stehe.
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger in seiner letzten beruflichen Tätigkeit gegenüber mehreren anderen Facharbeitern weisungsbefugt gewesen. Er hat in seiner Schicht etwa 20 Mitarbeiter beaufsichtigt, darunter mehrere Facharbeiter technischer Berufe wie Elektriker, Schlosser oder Aufbereiter. Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis hatte er nicht zu folgen. Ob die Einstufung in die Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion auch die Zugehörigkeit zur Spitzengruppe der Lohnskala der Arbeiter seines Betriebes erfordert oder ob es sich dabei nur um ein Indiz für die Qualität der Arbeit handelt, kann dahingestellt bleiben, denn der Kläger gehörte zu dieser Spitzengruppe.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das LSG § 46 Abs 2 Satz 2 RKG nicht dadurch rechtsfehlerhaft angewendet, daß es den Kläger zur Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion gerechnet hat, obwohl der Kläger – wegen Fehlens einer entsprechenden Fachausbildung – den nachgeordneten Facharbeitern keine fachlichen Weisungen erteilen konnte. Denn für die Einstufung in die Gruppe der Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion ist dies nicht erforderlich. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß in der Praxis häufig Arbeitsgruppen tätig werden, in denen Facharbeiter verschiedener Fachrichtungen zusammengefaßt sind, der Vorarbeiter einer solchen Gruppe aber – wenn überhaupt – nur eine Ausbildung in einem bestimmten Fachbereich durchlaufen hat. Bei der Bestimmung des bisherigen Berufes und damit zugleich des Kreises der zumutbaren Verweisungstätigkeiten sind nur die besonderen Anforderungen des bisherigen Berufes, seine positiv zu bewertenden Merkmale, insgesamt also sein qualitativer Wert entscheidend. Weniger gewichtig ist dagegen die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO bzw § 46 Abs 2 Satz 2 RKG weiter genannte Ausbildung. Sie kennzeichnet lediglich den Weg, auf dem die den Beruf qualifizierenden „Kenntnisse und Fähigkeiten” (§ 1246 Abs 2 Satz 1 RVO, § 46 Abs 2 Satz 1 RKG) regelmäßig erworben werden. Deshalb ist eine Tätigkeit, die ein Versicherter nicht nur vorübergehend vollwertig ausübt, auch dann sein bisheriger Beruf, wenn er die für diesen Beruf vorgesehene Ausbildung nicht durchlaufen hat (BSGE 41, 129, 130 f; 43, 243, 244; 49, 54, 55; BSG SozR 3200 § 1246 Nr 70 mwN). Im vorliegenden Fall kann nach den Feststellungen des LSG davon ausgegangen werden, daß die tarifliche Eingruppierung des Klägers in die Spitzengruppe der Lohnskala den qualitativen Wert seiner Arbeit widerspiegelte. Es bestehen deshalb keine Bedenken, ihn der Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion zuzuordnen, auch wenn er wegen des Fehlens einer entsprechenden Ausbildung – der Kläger hat vor seiner Beschäftigung im Bergehalden-Rückgewinnungsbetrieb immerhin die Facharbeitertätigkeit eines Hauers verrichtet – nicht in der Lage war, allen ihm unterstellten Facharbeitern fachliche Weisungen zu erteilen. Hinzu kommt, daß er auch zur Aufsichtsperson formell bestellt worden ist.
Das Ergebnis steht auch mit der Rechtsprechung der anderen Senate des BSG im Einklang. So hat der 5. Senat im Urteil vom 30. März 1977 (BSGE 43, 243, 245 f) angenommen, daß für eine Einstufung in die Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion grundsätzlich auch Arbeiter in Betracht kommen, die keine bestimmte Ausbildung durchlaufen haben. Dem ist der 4. Senat im Urteil vom 29. November 1979 – 4 RJ 17/79 – gefolgt: Nicht der Weg zum Beruf, sondern die Qualität des tatsächlich ausgeübten Berufs sei maßgebend. Deshalb könne auch nicht ausschlaggebend sein, in welcher Weise sich der Aufstieg eines Versicherten zum „Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion” vollzogen habe. Der 4. Senat des BSG hat aber einschränkend hinzugefügt: Im Interesse einer klaren und sachgerechten Abgrenzung müsse jedoch andererseits eingehend geprüft werden, ob die abweichend vom „normalen” Ausbildungsweg erlangte berufliche Position tatsächlich in voller Breite derjenigen des vergleichbaren Versicherten entspreche, der die üblichen Stadien der Ausbildung durchlaufen habe. Neben der gleichen tariflichen Einstufung und Entlohnung sei zu verlangen, daß der Versicherte nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Leistung erbringe, sondern auch über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten verfüge, welche in seiner Berufsgruppe gemeinhin erwartet würden.
Selbst unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Anforderungen des 4. Senats ist der Kläger in die Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion einzustufen. Denn das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß der Kläger für die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Vorarbeiter und Aufsichtsperson über die erforderlichen Kenntnisse verfügte. Daß er den ihm nachgeordneten Facharbeitern selbst keine deren Fachgebiet betreffenden Weisungen erteilen konnte, ist rechtlich ohne Bedeutung. Für die Qualität des vom Kläger ausgeübten Berufes kommt es nämlich entscheidend nicht auf die Möglichkeit fachlicher Weisungen an, sondern darauf, daß er die ihm unterstellten Arbeiter beaufsichtigte, ihnen allgemeine Weisungen erteilen konnte, insbesondere die durchzuführenden Arbeiten festlegte und damit gegenüber den sonstigen Angehörigen der ihm unterstellten Arbeitsgruppe durch besondere Verantwortung herausgehoben war.
Ist der Kläger aber in die Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion einzustufen, so hat das LSG auch zu Recht angenommen, daß er nur auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die durch den Leitberuf Facharbeiter charakterisiert werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 29; BSGE 43, 243 und 45, 276).
Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG im Hinblick auf seine gesundheitlichen Einschränkungen für die Ausübung solcher Tätigkeiten nicht mehr in Betracht kommt, ist ihm zu Recht die begehrte Knappschaftsrente wegen BU zugesprochen worden.
Die Revision der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen