Orientierungssatz
Zeiten, in denen der Versicherte auf Grund desselben Beschäftigungsverhältnisses gleichzeitig Beiträge sowohl zur Angestelltenversicherung als auch zur Invalidenversicherung geleistet hat (Doppelversicherung), können bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nur einmal berücksichtigt werden.
Normenkette
AVG § 89 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1957-07-27; RVO § 1310 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1957-07-27; AVG § 35 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1258 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Mai 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird um die Höhe des Altersruhegeldes geführt, das der Kläger von der Beklagten aus der Rentenversicherung der Angestellten (AnV) vom 1. August 1959 an erhält, insbesondere um die Frage, wie diejenigen Zeiten anzurechnen sind, in denen der Kläger auf Grund desselben Beschäftigungsverhältnisses sowohl in der AnV als auch in der Invalidenversicherung (JV), jetzt Rentenversicherung der Arbeiter (ArV), pflichtversichert war (sog. Doppelversicherung).
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hat der Kläger erstmals im Jahre 1912 Beiträge zur JV entrichtet. Von 1913 bis Februar 1957 war er - von kleineren Unterbrechungen abgesehen - in der AnV pflichtversichert; danach führte er die Versicherung bis 1959 freiwillig weiter. In der Zeit vom 1. Januar 1913 bis zum 12. September 1914 und vom 7. Januar 1919 bis zum 2. Januar 1920 leistete er auf Grund desselben Beschäftigungsverhältnisses Pflichtbeiträge sowohl zur JV als auch zur AnV.
Nach der Auffassung des Klägers hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 11. September 1959 bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die mit Beiträgen zur JV und zur AnV doppelt belegten Jahre zu Unrecht nur einfach berücksichtigt.
Die Klage zum Sozialgericht (SG) München hatte Erfolg. Die Beklagte wurde mit Urteil vom 19. Dezember 1960 verurteilt, die strittigen Versicherungsjahre doppelt anzurechnen.
Auf die Berufung der Beklagten hob das Bayerische LSG das Urteil des SG auf und wies die Klage - unter Zulassung der Revision - ab: Die gesetzlichen Vorschriften über die Wanderversicherung (§§ 87 ff des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) seien - da die Versicherungspflicht des Klägers zur JV wie zur AnV in der fraglichen Zeit auf Grund desselben Beschäftigungsverhältnisses bestanden habe - bei der Entscheidung nicht mit heranzuziehen; deshalb sei auch § 89 Abs. 4 Satz 2 AVG nicht anwendbar. Die Frage, wie die für dieselben Zeiten zur JV und zur AnV geleisteten Beiträge bei der Anrechnung als Versicherungsjahre zu berücksichtigen seien, müsse vielmehr gesondert beurteilt werden. Die Rechtslage sei etwa die gleiche wie bei dem Ausschluß von Ansprüchen aus der JV oder der AnV, den § 3 Abs. 1 der Verordnung vom 22. März 1943 bei der Einführung der einheitlichen knappschaftlichen Rentenversicherung gebracht habe. Die Richtigkeit dieser Auffassung werde durch Art. 2 § 11 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) bestätigt. Die doppelte Berücksichtigung der strittigen Beitragsjahre würde das Verhältnis zwischen dem Individuallohn und dem Durchschnittslohn aller Versicherten verfälschen und zu einer nicht gerechtfertigten Begünstigung der Doppelversicherten führen. Auch bei der Wartezeit seien Versicherungsjahre nur insoweit zusammenzurechnen, als sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Ebenso komme bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die doppelte Anrechnung derselben Beitragszeiten nicht in Betracht (Urteil vom 2. Mai 1961).
Der Kläger legte Revision ein mit dem Antrag,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er rügte, das LSG habe zu Unrecht die Vorschriften über die Wanderversicherung (§§ 87 ff AVG) bei den Doppelversicherten für nicht anwendbar und die Doppelanrechnung der in der JV und in der AnV gleichzeitig belegten Zeiten bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre für unmöglich gehalten. Auch die Beklagte sehe die Doppelversicherten als Wanderversicherte an. Aus § 89 Abs. 4 Satz 2 AVG folge aber, daß etwas vorhanden sein müsse, was doppelt berücksichtigt werde. Durch die Einschränkung von § 88 Abs. 1 Satz 1 AVG werde nur die Wartezeit berührt. Der Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit wäre verletzt, wenn Beiträge, die doppelt entrichtet werden mußten, nur einmal honoriert würden. Schon nach altem Recht hätten die Pflichtbeiträge bei der Doppelversicherung zweimalige Steigerungsbeträge bei der Rentenberechnung ergeben. Möglicherweise seien auch die Beiträge zur AnV, die während der Kriegsdienstzeiten des Klägers von dessen Arbeitgeber aus freien Stücken bezahlt worden seien, als freiwillige Beiträge anzusehen und nach Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG zu behandeln. Für seine Teilnahme am ersten Weltkrieg sei ihm eine Ersatzzeit nicht zugebilligt worden.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Auffassung des LSG, daß die Zeiten, in denen der Kläger auf Grund desselben Beschäftigungsverhältnisses gleichzeitig Beiträge sowohl zur AnV als auch zur JV geleistet hat (Doppelversicherung), bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nur einmal zu berücksichtigen sind, ist nicht zu beanstanden.
Zwar sind im vorliegenden Streitfall - entgegen der Meinung des LSG - die Vorschriften über die Wanderversicherung (§§ 87 ff AVG) anzuwenden, weil der Kläger schon vor dem Eintritt in die AnV Beiträge zur JV geleistet hat. Diese Vorschriften gelten für das gesamte Versicherungsverhältnis und damit auch für die hier zu entscheidende Frage der Berücksichtigung von Doppelversicherungszeiten. Es kann deshalb offen bleiben, ob auch schon die Doppelversicherung als solche die Anwendung der Vorschriften der Wanderversicherung rechtfertigt, obwohl sie - wie das LSG mit Recht darlegt - kein "wandern" des Versicherten von dem einen zum anderen Versicherungszweig bedeutet. Weil der Kläger bereits vor dem Beginn der Doppelversicherung in der JV versichert war, ist sein Rentenanspruch - wie der Revision zuzugeben ist - nach den Vorschriften über die Wanderversicherung zu beurteilen. Dennoch kann dem Verlangen des Klägers, die Versicherungszeit um die Jahre der Doppelversicherung zu erhöhen, nicht entsprochen werden, weil diesem Verlangen das durch die Renten-Neuregelungsgesetze eingeführte Rentenberechnungssystem entgegensteht.
Schon für die Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit schreibt § 88 Abs. 1 Satz 1 AVG vor, daß die Versicherungszeiten (Beitrags- und Ersatzzeiten), die in den Rentenversicherungen der Angestellten und der Arbeiter zurückgelegt sind, zusammengerechnet werden, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Daraus folgt, daß die Zeiten der Doppelversicherung für die Wartezeit nur einmal berücksichtigt werden dürfen. Für die Rentenberechnung gilt im Ergebnis nichts anderes. § 89 AVG, der die Voraussetzungen und die Höhe der Leistungen bei Wanderversicherten regelt, sagt zwar in Abs. 4, daß auch für die Rentenberechnung die in den Rentenversicherungen der Angestellten und der Arbeiter zurückgelegten Versicherungszeiten und anrechenbaren Ausfallzeiten zusammengerechnet werden. Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen. Nach Satz 2 werden Ersatzzeiten, Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit nur einmal berücksichtigt. Auch verweist Satz 3 des § 89 Abs. 4 AVG allgemein auf die Vorschriften "dieses Gesetzes", nach denen aus den anrechenbaren Zeiten eine einheitliche Leistung gewährt wird. Deshalb dürfen, soweit es sich darum handelt, das Verhältnis des Bruttoarbeitsentgelts des Versicherten zu dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten und damit die persönliche Rentenbemessungsgrundlage zu finden (§ 32 Abs. 1 und Abs. 3 AVG), für die Zeiten der Doppelversicherung in der AnV und JV nur die Beiträge zur AnV, nicht dagegen auch die Beiträge zur JV berücksichtigt werden (Art. 2 § 11 Abs. 2 AnVNG; vgl. auch §§ 2 und 3 der Verordnung vom 9. Juli 1957 - BGBl I 696 -). Die bei der Rentenberechnung hiernach zu berücksichtigenden Werte aus den AnV-Beiträgen ergeben sich, weil in der fraglichen Zeit Beitragsmarken verwendet worden sind, aus der Tabelle Anlage 1 zu § 32 AVG. Daneben sind, soweit Doppelversicherung bestanden hat, nicht auch die Werte zu berücksichtigen, die in der Anlage 1 zu § 1255 der Reichsversicherungsordnung (RVO) enthalten sind. Für die Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre bei der Rentenberechnung kann entgegen der Meinung der Revision nichts anderes gelten. Auch insoweit enthält zwar § 89 AVG keine ausdrückliche Bestimmung. Aus dem Hinweis auf die sonstigen Vorschriften des AVG, nach denen die Gesamtleistung zu berechnen ist, folgt aber die Anwendbarkeit von § 35 Abs. 1 AVG. Hier ist ausdrücklich bestimmt, daß bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten sowie die Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit zusammengerechnet werden, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Im Hinblick auf diese übereinstimmende Regelung hat schon der 11. Senat in einer gleichliegenden Streitsache geschlossen, daß in Wanderversicherungsfällen nicht nur die in § 89 Abs. 1 Satz 2 AVG ausdrücklich genannten Ersatzzeiten, Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit, sondern ebenso die Beitragszeiten, die mit Pflichtbeiträgen sowohl zur Rentenversicherung der Angestellten als auch zur Rentenversicherung der Arbeiter belegt sind, bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nur einmal zu berücksichtigen sind (Urteil vom 17. März 1964 - 11/1 RA 317/62 - SozR RVO § 1310 Bl. Aa 1 Nr. 1). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung nach eigener Prüfung der Rechtslage an. Danach können die Zeiten der Doppelversicherung auch bei der Feststellung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nur einmal angerechnet werden.
Dieses Ergebnis entspricht dem Rentenberechnungssystem des AnVNG. Die Rentenformel dieses Gesetzes nimmt den Versicherungsbeitrag als Maßstab allein für das Bruttoarbeitsentgelt (§ 32 Abs. 1 und Abs. 3 AVG), nicht aber als selbständigen Maßstab für die Höhe der Rente, wie dies bei der Rentenformel des früheren Rechts der Fall war, bei der sich die Höhe des Versicherungsbeitrags im Steigerungsbetrag ausdrückte, und wie das jetzt noch bei den Höherversicherungsbeiträgen gehandhabt wird (§ 38 AVG). Diese Betrachtung widerlegt aber den Einwand des Klägers, es sei der Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit verletzt, wenn Beiträge, die doppelt geleistet werden mußten, nur einmal honoriert würden. Der Kläger übersieht den Wandel, der im Rentenversicherungsrecht mit dem Inkrafttreten der Renten-Neuregelungsgesetze eingetreten ist. Danach kommt es bei der Rentenberechnung - anders als früher - nicht auf den Nennbetrag der geleisteten Beiträge, sondern allein auf den der Beitragsleistung zugrunde liegenden Bruttoarbeitsverdienst an. Dieser wird aber nicht deshalb größer, weil der Versicherte in demselben Beschäftigungsverhältnis sowohl in der AnV als auch in der JV pflichtversichert war. Die Höhe des Bruttoarbeitsentgelts wird durch die Doppelversicherung nicht berührt. Ebenso wie bei der Ermittlung des Verhältnisses des Bruttoarbeitsentgelts des Versicherten zu dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten für Zeiten der Doppelversicherung in der AnV und in der JV die Beiträge zur JV nicht berücksichtigt werden dürfen, weil der Bruttoarbeitsentgelt während dieses Zeitraums bereits durch die Beiträge zur AnV repräsentiert wird, kann die Beitragsleistung zur JV auch bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nicht zusätzlich berücksichtigt werden. Die doppelte Anrechnung von Doppelversicherungszeiten, denen dasselbe Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegt, würde, wie das LSG mit Recht ausgeführt hat, die Faktoren für die Rentenberechnung verfälschen; sie ist deshalb mit der geltenden Art der Rentenberechnung nicht zu vereinbaren.
Soweit der Kläger in der Revisionsbegründung (erstmals) vorträgt, für ihn habe während seiner Kriegsdienstzeit im ersten Weltkrieg der Arbeitgeber Beiträge aus freien Stücken geleistet, weshalb diese Beiträge als solche der Höherversicherung nach Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 AnVNG behandelt werden müßten, kann seine Revision ebenfalls keinen Erfolg haben. Nach den Feststellungen des LSG hat es sich bei den Beiträgen des Klägers für die Jahre von 1914 bis 1920 um Pflichtbeiträge gehandelt. Diese Feststellung ist, weil sie der Kläger nicht mit geeigneten Revisionsrügen angegriffen hat, für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Damit entfällt aber die Anwendung des Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG, der nur freiwillig entrichtete Beiträge des Versicherten erfaßt.
Das LSG hat danach mit Recht das Urteil des SG, soweit es die Anrechnung der Doppelversicherungszeiten betrifft, aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers muß als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen