Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1917 geborene Kläger erwarb im Dezember 1946 ein Patent als Binnenlotse; seit Januar 1947 ist er selbständiger Lotse auf einer Rheinstrecke. Mit Bescheid vom 2. Oktober 1974 merkte die Beklagte Zeiten im Jahre 1937, in denen der Kläger die Schifferschule besucht hatte, als Ausfallzeiten vor; die Vormerkung seiner Lotsenkandidatenzeit von Januar bis April 1938 und von August bis Dezember 1946 als – weitere – Ausfallzeit lehnte sie dagegen ab, da sie „keine Ausbildungszeit i. S. von § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG” sei. Der vom Kläger hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1975).
Die Klage haben die Vorinstanzen abgewiesen (Urteile vom 9. April 1976 und vom 29. Juli 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Die Kandidatenzeit stelle keine Ausfallzeit dar, weil sie weder eine Lehrzeit noch eine Ausbildungszeit mit dem Charakter eines echten Lehrverhältnisses sei. Sie vermittle keine umfassenden beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, etwa für die Befähigung, als Lotse auf Binnenwasserstraßen zu arbeiten; sie diene nur dem Erwerb des Lotsenpatents auf einem bestimmten Stromabschnitt. Ihre Erteilung setze nicht nur die auf der Schifferschule erlangte berufliche Befähigung sowie Zuverlässigkeit und Tauglichkeit voraus; sie sei ferner von der Durchführung von Lehrfahrten als Gehilfe eines konzessionierten Lotsen, d. h. der Kandidatenzeit, abhängig. Diese sei eine Vorbereitungszeit ganz besonderer Art und höchstens dem Referendar-Vorbereitungsdienst vergleichbar.
Mit der – zugelassenen – Revision beantragt der Kläger,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Lotsenkandidatenzeit vom 5. Januar bis zum 1. April 1938 und vom 8. August bis zum 17. Dezember 1946 als Ausfallzeit vorzumerken.
Er rügt die Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Das LSG habe die speziellen Gegebenheiten der Lotsenkandidatur zu wenig berücksichtigt und nicht beachtet, daß die Berufsstruktur sich mittlerweile rechtlich verändert habe. Die Kandidatenzeit umfasse (heute) eine theoretische sowie praktische Ausbildung; sie ende mit einer Prüfung, die als Befähigungsnachweis Voraussetzung für die Erteilung des Lotsenpatents sei. Hiernach seien die Merkmale eines Lehrverhältnisses vorhanden; sie sei eine Lehrzeit von eigener Art.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Lotsenkandidatenzeit des Klägers keine Ausfallzeit ist; sie stellt keine (abgeschlossene, nicht versicherungspflichtige oder versicherungsfreie) Lehrzeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG i.d.F. des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) dar. Zu diesem Ergebnis ist der Senat aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG gekommen, die der Kläger nicht angegriffen hat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–); soweit die Revision neues tatsächliches Vorbringen enthält, ist es nicht zu berücksichtigen.
Der Senat mußte bei seiner Entscheidung von den Gegebenheiten zur Zeit der hier streitigen Kandidatenschaft ausgehen (s. hierzu SozR Nr. 1 zu § 1259 der Reichsversicherungsordnung –RVO–). Veränderungen der Berufsstruktur mit Auswirkungen auf die Ausbildungsvorschriften, auf die der Kläger nun in erster Linie abhebt, können keine Bedeutung haben.
Nach dem festgestellten Sachverhalt war der Kläger 1938 knapp drei Monate und 1946 etwas mehr als vier Monate Lotsenkandidat auf einem bestimmten Abschnitt des Rheins. Während dieser Zeiten machte er unter der Aufsicht von konzessionierten Binnenlotsen eine Anzahl von (vorgeschriebenen) Lehrfahrten; sie dienten insbesondere dazu, ihm die Kenntnisse der Strecke sowie der auf ihr zu beachtenden amtlichen Vorschriften zu vermitteln.
Hiernach befand sich der Kläger damals zwar in einer beruflichen Ausbildung, die mit einer Prüfung endete, aufgrund deren er sein Lotsenpatent erhielt. Daß die Lotsenkandidatenzeit eine Zeit der Ausbildung war, macht sie indessen nicht zu einer Lehrzeit im Sinne des Gesetzes. Denn „Ausbildung” ist als – vom Gesetz nicht erfaßter – Oberbegriff zu verstehen, wohingegen die „Lehrzeit” eine der mannigfaltigen Ausbildungsmöglichkeiten darstellt; nur sie ist in § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG relevant.
Ein Lehrverhältnis im dort gemeinten Sinne (innerhalb dessen die Lehrzeit abgeschlossen wird) setzt voraus, daß eine Beschäftigung (in einem Betrieb) hauptsächlich der Fachausbildung dient, diesem Ziel entsprechend geleitet wird und der Auszubildende tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt (BSGE 6, 147, 151; 31, 226, 230; SozR Nr. 40 zu § 1259 RVO). Nach diesen Kriterien muß die Lehrzeit sonach für ein abgerundetes (berufskundlich anerkanntes) Fachgebiet umfassende Kenntnisse vermitteln, so daß – nach Ablauf der festgelegten Zeit – alle notwendigen Grundlagen für einen bestimmten Beruf in dem betreffenden Fach vorhanden sind; nur dann hat der Lehrling die erforderliche Fachausbildung erhalten.
Diese Voraussetzungen erfüllt die Lotsenkandidatenzeit des Klägers nicht. Sie ist vor allem deshalb keine Lehrzeit und ihr auch nicht wesensgleich, weil sie Fachkenntnisse nur auf einem sachlich eng begrenzten Aufgabengebiet vermittelte. Die Lehrfahrten dienten der Einarbeitung des Kandidaten mittels Einweisung durch den begleitenden Lotsen; damit war die Ausbildung auf einen Ausschnitt aus dem Aufgabenbereich eines Binnenlotsen konzentriert. Darüber hinaus bezog sich die Einarbeitung auf einen amtlich festgelegten kurzen Stromabschnitt; die dafür erworbenen Kenntnisse waren nicht beliebig austauschbar, sie blieben räumlich begrenzt. Dem entsprach die verhältnismäßig kurze Dauer der Kandidatenzeit, die im Normalfall ein Jahr erreichte. Sie wich damit wesentlich von der üblichen Dauer von Lehrzeiten ab, was ebenfalls gegen ihre Anerkennung als Lehr- und Ausfallzeit spricht.
Der in § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG enthaltene Begriff der Lehrzeit darf schließlich nicht erweiternd ausgelegt werden (BSGE 31, 230; SozR Nrn. 40 und 46 zu § 1259 RVO; BSG, Urteil vom 15. Oktober 1970 – 11 RA 248/68); der Kläger bezeichnet selbst seine Lotsenkandidatenzeit als „Lehrzeit eigener Art”; solche Zeiten gehören aber zu den Ausbildungszeiten, die der Gesetzgeber nicht als Ausfallzeiten hat begünstigen wollen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen