Leitsatz (amtlich)
1. An der Rechtsprechung, daß Kassenhonorarstreitigkeiten Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen iS des SGG § 144 Abs 1 Nr 2 betreffen und daß deshalb bei dem Streit über die Honorarkürzung für nur ein Vierteljahr die Berufung ausgeschlossen ist, wird festgehalten (BSG 1959-11-27 6 RKa 4/58 = BSGE 11, 102 und BSG 1974-01-24 6 RKa 2/73 = SozR 1500 § 144 Nr 1).
2. Zur Frage, inwieweit nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens ergangene weitere Honorarkürzungsbescheide auch bei unzulässiger Berufung Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG werden.
Normenkette
SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 150 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Februar 1975 geändert.
Die Berufung des Klägers und die Anschlußberufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 27. Mai 1970 werden als unzulässig verworfen.
Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene haben dem Kläger die Kosten aller Rechtszüge zu drei Zehnteln zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist als Facharzt für Chirurgie in Lübeck-K. niedergelassen. Er ist auch für die Versorgung von Mitgliedern der Ersatzkassen vertragsärztlich tätig.
Die Prüfungskommission der Beklagten kürzte mit Bescheid vom 5. Juni 1968 die Ersatzkassen-Honorarforderung des Klägers für das erste Vierteljahr 1968 (I/68) wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise um 1.000,- DM. Den Widerspruch des Klägers wies die Beschwerdekommission der Beklagten - in der Besetzung mit 5 Kassenärzten und mit einem beratenden Mitglied der Beigeladenen - mit Bescheid vom 6. Juni 1969 als unbegründet zurück.
Die Prüfungskommission kürzte mit Bescheiden vom 5. März, 4. Juni und 2. September 1969 das Ersatzkassen-Honorar des Klägers auch für die Vierteljahre IV/68, I und II/69. Die Widersprüche des Klägers wurden mit Bescheiden vom 12. Oktober 1970 - nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens - als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der am 7. Juli 1969 erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Kürzungsbescheides für I/68 beantragt. Das Sozialgericht (SG) Kiel hat mit Urteil vom 27. Mai 1970 den Bescheid abgeändert und die Kürzung auf 700,- DM beschränkt; im übrigen hat es die Klage als unbegründet abgewiesen.
Gegen das Urteil haben der Kläger am 17. September 1970 Berufung und die Beklagte sowie der beigeladene Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. (VdAK) nach Ablauf der Berufungsfrist Anschlußberufung eingelegt. Der Kläger hat vorgetragen: Die Berufung sei nach § 150 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, weil das SG verfahrensfehlerhaft die Berufung nicht zugelassen habe, obwohl der Rechtsstreit deshalb grundsätzliche Bedeutung habe, weil das SG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 28. Februar 1975 die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen, auf die Anschlußberufungen das angefochtene Urteil geändert und die Klage in vollem Umfang als unbegründet abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Berufung des Klägers sei statthaft; die Honorarkürzung betreffe weder eine einmalige noch eine wiederkehrende Leistung im Sinn des § 144 Abs. 1 SGG. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des BSG werde nicht gefolgt. Damit seien auch die Anschlußberufungen statthaft. Die vom Kläger rechtzeitig mit selbständiger Klage angefochtenen Bescheide für IV/68, I und II/69 seien nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand eines erstinstanzlichen Verfahrens vor dem LSG geworden; auch insoweit werde von der Rechtsprechung des BSG abgewichen. Die angefochtenen Bescheide für I/68 seien rechtmäßig. Die Revision sei wegen der im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Berufung entscheidungserheblicher Rechtsfragen zugelassen worden.
Mit der Revision rügt der Kläger Verstöße gegen die §§ 103 und 128 SGG sowie gegen das Kassenarztrecht. Er beantragt sinngemäß,
die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid vom 5. Juni 1968 aufzuheben,
hilfsweise,
die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der VdAK beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise:
sie als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die Berufung für unzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Senat ist mit zwei Kassenärzten als ehrenamtlichen Richtern ordnungsgemäß besetzt. Es handelt sich um eine Angelegenheit der Kassenärzte im Sinn des § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG, da die Beschwerdekommission bei der Beschlußfassung ungeachtet der beratenden Mitwirkung eines Mitglieds der Beigeladenen nur mit Kassenärzten zu entscheiden hatte (BSG 11, 102; 31, 33, 34 f).
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist die richtige Beklagte (BSG SozR Nr. 15 zu § 70 SGG).
Die infolge der Zulassung statthafte Revision ist zulässig. Sie ist auch teilweise begründet.
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Berufung des Klägers als zulässig angesehen. Seine Bedenken können den Senat nicht veranlassen, von der gefestigten Rechtsprechung (BSG 11, 102; SozR 1500 § 144 Nr. 1) abzugehen, daß Kassenhonorarstreitigkeiten Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen im Sinn des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG betreffen. Diese Rechtsprechung, auf die sich Kassenärzte und Kassenärztliche Vereinigungen seit mehr als einem Jahrzehnt eingestellt haben, kann nicht ohne zwingende Gründe geändert werden, zumal der Ausschluß der Berufung bei dem Streit über die Honorarkürzung für nur ein Vierteljahr die Beteiligten nicht unzumutbar belastet; geht der Streit um mehrere Vierteljahre, ist die Berufung ohne weiteres, d. h. ohne besondere Zulassung statthaft (BSG SozR Nr. 21 zu § 144 SGG); dies gilt auch dann, wenn das SG mehrere ursprünglich selbständig erhobene Anfechtungsklagen, die einzeln nicht berufungsfähig wären, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden hat (BSG in SozR 1500 § 144 Nr. 1). Damit ist einerseits dem Zweck des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG, das Berufungsverfahren von Bagatellstreitigkeiten freizuhalten, Rechnung getragen und andererseits den Beteiligten in einem gewissen Umfang die Möglichkeit eingeräumt, bei Streitbefangenheit mehrerer Quartale u. U. die Berufungsinstanz in Anspruch nehmen zu können.
An der Unzulässigkeit der Berufung ändert der Umstand nichts, daß hier während des anhängigen Verfahrens noch drei weitere Honorarkürzungsbescheide ergangen sind. Zwar hat der Senat entschieden, daß die nach Klageerhebung erlassenen weiteren Honorarbescheide, jedenfalls wenn sie die Honoraransprüche des Klägers in demselben Sinne wie der erste Bescheid regeln und deshalb vom Kläger mit derselben Begründung angefochten werden, in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werden (BSG 27, 146, 148 Mitte; SozR Nr. 14 zu § 96 SGG), und zwar auch dann, wenn sie nicht in unmittelbarer Folge auf den ausdrücklich angefochtenen Honorarkürzungsbescheid ergangen sind (SozR Nr. 19 zu § 96 SGG). Aber abgesehen davon, daß das angefochtene Urteil keine Feststellungen darüber enthält, ob die weiteren Bescheide die Honoraransprüche des Klägers in gleicher Weise wie der frühere Bescheid regeln, würden sie jedenfalls die Berufung hinsichtlich des Bescheides für I/68 nicht zulässig machen können. Zwar ist in der Entscheidung in BSG 4, 24, 26 ausgesprochen, daß der während des Berufungsverfahrens erlassene Bescheid nach § 96 SGG auch dann Gegenstand des Berufungsverfahrens wird, wenn die Berufung wegen des zunächst angefochtenen Bescheids unzulässig ist (vgl. dazu auch BSG 5, 158 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Auflage, Stand April 1976, S. 242 t). Bei den genannten BSG-Entscheidungen handelte es sich jedoch um Fälle, in denen der frühere Bescheid durch den späteren Bescheid geändert worden war. Dies ist hier aber nicht der Fall; denn die Bescheide für die späteren Quartale haben den Bescheid für I/68 in jeder Hinsicht unverändert gelassen. Hinzu kommt hier außerdem, daß der Kläger seine Berufungsanträge ausdrücklich auf das 1. Quartal 1968 beschränkt hatte. Demgemäß hat der 5. Senat in BSG 18, 31, 33 entschieden, daß auch dann, wenn ein Bescheid nach § 96 SGG als mitangefochten gilt, dieser nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens wird, wenn der Kläger seine Klage ausdrücklich nur gegen den ersten Bescheid gerichtet wissen will (vgl. auch aaO S. 34 oben).
Die Berufung ist schließlich auch nicht deshalb zulässig, weil der Kläger einen wesentlichen Mangel des Verfahrens gerügt hat. Denn selbst in einer unrichtigen Nichtzulassung der Berufung durch das SG läge - jedenfalls nach dem damals geltenden alten Recht - kein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG (BSG SozR Nr. 8 und 12 zu § 150 SGG; BSG 3, 231).
Die Berufung des Klägers mußte sonach als unzulässig verworfen werden (§ 158 Abs. 1 SGG). Damit verlieren die Anschlußberufungen ihre Wirkung (§ 522 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung i. V. m. § 202 SGG; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Anm. 3 zu § 151 SGG S. III/78-1-).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen