Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungspflicht. Befreiungstatbestand. Arbeitnehmerkündigung
Leitsatz (redaktionell)
§ 128 Abs . 1 S. 2 Nr. 3 AFG kann nicht einschränkend dahingehend ausgelegt werden, dass auch auf Wunsch des Arbeitslosen geschlossene Aufhebungsvereinbarungen den Befreiungstatbestand erfüllen.
Normenkette
AFG § 128 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. November 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) und von Beiträgen gemäß § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verpflichtet ist.
Der Kläger schloss mit dem am 9. Mai 1939 geborenen und seit Juli 1977 als Mitarbeiter in seiner Hausverwaltung beschäftigten B.… einen schriftlichen Auflösungsvertrag vom 18. Januar 1996, wonach das Arbeitsverhältnis “im beiderseitigen Einvernehmen betriebsbedingt” zum 30. September 1996 gelöst wurde und B.… für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung von 4.000 DM erhielt. B.… meldete sich am 20. September 1996 arbeitslos. Nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung belief sich die maßgebende Kündigungsfrist des Arbeitgebers auf sechs Monate zum Ende des Vierteljahres.
Die Beklagte erließ B.… gegenüber zunächst Bescheide über das Ruhen des Alg-Anspruchs wegen einer Urlaubsabgeltung und der Abfindung sowie einer Sperrzeit bis einschließlich 23. Dezember 1996. Anschließend bewilligte und zahlte sie B.… Alg ab 24. Dezember 1996 bis 12. Juli 1997 und – nachdem B.… in der Zeit vom 13. Juli 1997 bis 21. Oktober 1997 Krankengeld bezogen hatte – vom 24. Oktober 1997 (Tag der erneuten Arbeitslosmeldung) bis einschließlich 3. April 1999 (Erschöpfung des Anspruchs). Seit 1. Juni 1999 bezieht B.… Altersrente.
Mit drei Bescheiden vom 6. März 2000 verpflichtete die Beklagte den Kläger zur Erstattung des an B.… gezahlten Alg zuzüglich der Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 9. Mai 1997 bis 1. Juni 1997 und 24. Oktober bis 31. Dezember 1997 (8.010,28 DM), vom 1. Januar 1998 bis 31. März 1999 (39.864,57 DM) und vom 1. April bis 3. April 1999 (262,59 DM). Mit seinem gegen diese Bescheide erhobenen Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, eine Erstattungspflicht sei nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG nicht eingetreten. Das Arbeitsverhältnis sei auf ausdrücklichen Wunsch des B.…, der sich mit seiner Ehefrau im Ausland habe zur Ruhe setzen wollen, beendet worden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2000 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Juni 2002). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen (Urteil vom 14. November 2003). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Der Kläger sei zur Erstattung verpflichtet, denn der geltend gemachte Befreiungstatbestand nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG sei nicht erfüllt. Nach dem Wortlaut sei die Regelung auf Fälle beschränkt, in denen der Arbeitnehmer selbst ausdrücklich eine Kündigung ausspreche; Vereinbarungen über das Ausscheiden, selbst wenn auf Wunsch des Arbeitnehmers geschlossen, seien nicht gleichzusetzen. Der Befreiungstatbestand scheide auch aus, weil B.… eine Abfindung erhalten habe; auf die Höhe der Abfindung komme es nicht an. Der Auffassung, es müsse sich um Abfindungen oder Vorteile von beachtlichem Wert handeln, sei nicht zu folgen. Einer der übrigen Befreiungstatbestände liege zur Überzeugung des Senats nicht vor und sei zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG und der Art 12 und 14 Grundgesetz. Der Wortlaut des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG schließe es nicht von vornherein aus, dass sich der Arbeitgeber auch bei einem Aufhebungsvertrag auf ihn berufen könne. Die Vorschrift knüpfe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) an äußere Merkmale an, die den Schluss darauf zuließen, dass der Arbeitgeber das Ausscheiden nicht initiiert oder in sonstiger Weise gefördert habe. Unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geforderten besonderen Verantwortung des Arbeitgebers laute die Frage demnach, ob im vorliegenden Fall eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers festgestellt werden könne und, wenn ja, ob diese, bezogen auf ihre Ursächlichkeit, so wesentlich sei, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne einer normativen Betrachtung jedenfalls überwiegend dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zuzuschreiben sei. Dies sei nicht der Fall; die besondere Verantwortung liege ausschließlich beim Arbeitnehmer. Es sei entscheidend darauf abzustellen, dass er als Arbeitgeber überhaupt keine Möglichkeit gehabt habe, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verhindern, da B.… seine Entscheidung zusammen mit seiner Ehefrau längst getroffen habe. Durch die unverhältnismäßig niedrige Abfindung von 4000 DM sei die Willensbildung des Arbeitnehmers nicht beeinflusst worden. Angesichts der Größenordnung sei fraglich, ob es sich überhaupt um eine “Abfindung” im eigentlichen arbeitsrechtlichen Sinne gehandelt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 14. November 2003, das Urteil des SG vom 12. Juni 2002 und die Bescheide des Arbeitsamts München vom 6. März 2000 und den Widerspruchsbescheid des Arbeitsamts München vom 12. September 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
- Ob der Kläger zur Erstattung von Alg zuzüglich Beiträgen verpflichtet ist, richtet sich nach § 128 AFG idF des Gesetzes zur Änderung der Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2044, der gemäß § 431 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm § 242x Abs 6 und Abs 3 Satz 1 Nr 1 AFG (jeweils idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl I 594) hier anzuwenden ist, weil B.… innerhalb der Rahmenfrist mindestens 360 Kalendertage vor dem 1. April 1997 in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat.
- Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Grundvoraussetzungen für eine Erstattungspflicht des Klägers erfüllt sind. Nach § 128 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 AFG erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der Beklagten vierteljährlich das Alg – unter Einschluss gezahlter Beiträge – für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage; soweit eine Erstattungspflicht für Zeiten nach dem 31. Dezember 1997 besteht, verlängert sich der Erstattungszeitraum für jeweils sechs Tage um einen Tag (§ 431 Abs 1 Satz 2 SGB III). Der am 9. Mai 1939 geborene B.… hat beim Kläger in der Zeit von Juli 1977 bis September 1996 durchgehend in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden. Die Erstattungsforderung bezieht sich auf das B.… ab 9. Mai 1997 bis (mit Unterbrechungen) einschließlich 3. April 1999 gewährte Alg bzw die geleisteten Beiträge und damit ausschließlich auf die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen (zur Einbeziehung des Geburtstages in den Erstattungszeitraum vgl Urteil des Senats vom 21. September 2000, B 11 AL 5/00 R, EzA § 147a SGB III Nr 2). Auch die Höchstdauer, für die eine Erstattungspflicht längstens bestehen kann, ist nicht überschritten.
Die Entscheidung des LSG ist auch nicht zu beanstanden, soweit es angenommen hat, dass der Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG – nunmehr § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III – nicht zu Gunsten des Klägers eingreift. Nach dieser Vorschrift tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet und weder eine Abfindung noch eine Entschädigung oder ähnliche Leistung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder zu beanspruchen hat. Der Senat geht davon aus, dass es bereits an der ersten der genannten Voraussetzungen dieses Befreiungstatbestandes fehlt.
Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch Kündigung des B.… beendet worden. Dies ist den tatsächlichen Feststellungen des LSG zu entnehmen, an die der Senat gebunden ist. Das LSG hat ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch den Auflösungsvertrag vom 18. Januar 1996 zum 30. September 1996 beendet worden. Diese Feststellung des LSG entspricht dem Wortlaut des Auflösungsvertrages, der vom LSG jedenfalls durch Bezugnahme auf den Inhalt der Verwaltungsakten festgestellt worden ist; denn in diesem Vertrag heißt es unmissverständlich, das Arbeitsverhältnis werde “im beiderseitigen Einvernehmen betriebsbedingt zum 30.09.96 gelöst”. Auch der Kläger, der sich nur im Widerspruchsverfahren sinngemäß auf eine Arbeitnehmerkündigung berufen hat, trägt inzwischen vor, B.… hätte erst gekündigt, wenn es nicht zum Auflösungsvertrag gekommen wäre; er geht somit ebenfalls davon aus, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine Arbeitnehmerkündigung beendet worden ist.
Entgegen dem Vorbringen der Revision kann § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG grundsätzlich nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, auch auf Wunsch des Arbeitslosen geschlossene Aufhebungsvereinbarungen erfüllten den Befreiungstatbestand. Dabei kann offen bleiben, ob der Vortrag, B.… hätte in jedem Fall selbst gekündigt, überhaupt zutrifft; das LSG hat derartige Feststellungen nicht getroffen. Auch bei Unterstellung einer Kündigungsabsicht des B.… ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur deshalb zu Stande gekommen, weil der Kläger und B.… den Auflösungsvertrag geschlossen haben, woraus sich eine wesentliche Verantwortung des Klägers hinsichtlich der späteren Arbeitslosigkeit des B.… ergibt. Etwas anderes folgt nicht aus der von der Revision angeführten Entscheidung des BSG vom 18. September 1997 (SozR 3-4100 § 128 Nr 2). Der Senat hat zwar in dieser Entscheidung zu § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG ausgeführt, es könne nach den Umständen des damals zu beurteilenden Falles unentschieden bleiben, ob der Abschluss eines vom Wortlaut des Befreiungstatbestandes nicht erfassten Aufhebungsvertrages es in jeder Fallgestaltung von vornherein ausschließe, dass sich der Arbeitgeber auf ihn berufen könne. Der Senat hat in der genannten Entscheidung aber auch zum Ausdruck gebracht, dass § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG an äußere Merkmale anknüpft, die den Schluss darauf zulassen, der Arbeitgeber habe das Ausscheiden nicht initiiert oder sonst gefördert. Darüber hinaus hat der Senat in einer späteren Entscheidung vom 11. Mai 1999 (BSGE 84, 75, 78 f = SozR 3-4100 § 128 Nr 6) klargestellt, dass jeder ursächliche Beitrag des Arbeitgebers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG ausschließt, da eine andere Sichtweise die Erstattungsregelung des § 128 AFG praktisch entwerten würde. Da der Kläger im vorliegenden Fall mit der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses einverstanden war, ist eine den Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG ausschließende wesentliche Mitwirkung des Arbeitgebers gegeben. Die Annahme einer solchen Mitwirkung steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG, das in der Wahl einer bestimmten äußeren Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines älteren Arbeitnehmers ein Indiz dafür gesehen hat, dass die Arbeitslosigkeit in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers fällt (BVerfGE 81, 156, 197 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1), worauf das BSG in stRspr abstellt (ua BSGE 81, 259, 264 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5, zuletzt Urteil des 7. Senats vom 2. September 2004, B 7 AL 78/03 R). Im Übrigen geben die tatsächlichen Feststellungen des LSG dem Senat keine Veranlassung, über mögliche Ausnahmen von den bisher entwickelten Grundsätzen nachzudenken.
Da der Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG somit schon deswegen nicht zu Gunsten des Klägers eingreifen kann, weil es an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung des Arbeitnehmers fehlt, kommt es nicht mehr auf den Vortrag der Revision an, die vorliegend gezahlte Abfindung von “nur” 4000 DM sei keine Abfindung von beachtlichem Wert.
- Auf einen den Nichteintritt der Erstattungspflicht begründenden anderen Tatbestand nach Maßgabe des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG hat sich der Kläger nicht berufen; das Eingreifen eines solchen Tatbestandes ist auch nicht ersichtlich. Soweit im Urteil des LSG ausdrückliche Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG fehlen, wonach die Erstattungspflicht nicht eintritt, wenn der Arbeitslose auch die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt hat, ist zu beachten, dass ausweislich der Verwaltungsakten der Beklagten, auf die das LSG im Tatbestand des angefochtenen Urteils ergänzend Bezug genommen hat, B.… sich der Beklagten gegenüber im November 1999 zu seinen gesundheitlichen Verhältnissen geäußert und Beeinträchtigungen mit Ausnahme der zum Krankengeldbezug im Jahre 1997 führenden Erkrankung verneint hat. Der Senat geht deshalb davon aus, dass sich das LSG nach den vorliegenden Umständen nicht zur weiteren Sachaufklärung gedrängt sehen musste (vgl BSGE 87, 132, 137 f = SozR 3-4100 § 128 Nr 10).
- Die Höhe der Erstattungsforderung, die der Senat überprüft hat, ist nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG nicht zu beanstanden.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). § 197a SGG ist nicht anzuwenden, da das erstinstanzliche Verfahren im Jahre 2000 begonnen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1278968 |
EzA-SD 2005, 16 |
SGb 2004, 700 |