Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensausgleich. Einkommensfeststellung. Ausgangsjahr
Orientierungssatz
Anspruch auf Einkommensausgleich besteht nicht, wenn der Gewerbebetrieb des Beschädigten in dem, der Arbeitsunfähigkeit vorhergehenden Kalenderjahr keinen Gewinn, sondern einen Verlust erwirtschaftet hat. Der Wortlaut des Gesetzes läßt es nicht zu, die Einkünfte aus dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, zugrunde zu legen.
Normenkette
BVG § 17 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, Abs. 3 Fassung: 1966-12-28
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Januar 1978 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist selbständiger Bauunternehmer. Er bezieht Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH; als Schädigungsfolgen sind ua schlecht heilende Magengeschwüre anerkannt. In der Zeit vom 9. November 1971 bis zum 14. April 1972 war er an Magengeschwüren arbeitsunfähig erkrankt.
Im November 1971 hat der Kläger Einkommensausgleich beantragt, weil er wegen Arbeitsunfähigkeit sein Geschäft nicht selbst habe führen können; er habe deshalb im November 1971 ein Architekturbüro mit der Überwachung der Baustellen beauftragt und anschließend einen bei ihm angestellten Zimmermeister. Der Zimmermeister habe von übriger Arbeit freigestellt werden müssen, für die ein neuer Arbeiter eingestellt worden sei.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 1971 hat das Versorgungsamt einen Einkommensausgleich für den Kläger abgelehnt, weil er in seinem Gewerbebetrieb nach dem Einkommensbescheid für das Jahr 1969 einen Verlust von 22.522,- DM erlitten habe und für das Jahr 1970 ein ähnlicher Verlust zu erwarten sei. Der Widerspruch des Klägers ist durch Bescheid vom 13. März 1975 zurückgewiesen worden, weil der Kläger im Kalenderjahr vor seiner Arbeitsunfähigkeit keinen Gewinn erzielt habe, sondern ein Verlust eingetreten sei. Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 22. März 1977 und Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 17. Januar 1978). Das SG hat gegen sein Urteil Berufung, das LSG die Revision zugelassen. Zur Sache hat das LSG ausgeführt: Nach § 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aF sei bei einem Beschädigten, der Einkommen aus Gewerbebetrieb erziele, bei der Berechnung des Einkommensausgleichs grundsätzlich von dem Durchschnitt des in dem Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens auszugehen. Der Kläger habe in dem maßgeblichen Jahr keinen Gewinn aus Gewerbebetrieb erzielt. Die gesetzliche Regelung lasse trotz einer gewissen Unbilligkeit des Ergebnisses eine andere Auslegung nicht zu.
Der Kläger hat Revision eingelegt und trägt vor: Im Zeitraum seiner Arbeitsunfähigkeit habe er einen geschäftlichen Gewinn erzielt; dieser Gewinn wäre um die nachgewiesenen Auslagen für einen Ersatzmann höher gewesen; in Umfang dieser Auslagen sei ihm aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen ein Minderverdienst entstanden. Nach seiner Auffassung habe der Gesetzgeber den Fall übersehen, daß in dem Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ein geschäftlicher Verlust eingetreten ist; er habe nicht bewußt einen solchen Beschädigten von jeglichem Einkommensausgleich ausschließen wollen. Das Gesetz lasse auch Ausnahmen von dem angeordneten Berechnungsmodus zu, denn es spreche ausdrücklich davon, daß "grundsätzlich" - also in der Regel - das Kalenderjahr vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit herangezogen werden solle.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Januar 1978 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes K vom 22. Dezember 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit Einkommensausgleich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland führt zu der strittigen Frage aus: § 17 Abs 3 BVG aF beziehe sich mit dem Wort "grundsätzlich" auf die Ausnahmen, die in den Vorschriften des § 17 Abs 4 Buchst c und § 17 Abs 6 BVG aF zugelassen seien. Zweck dieser Vorschrift sei es, willkürliche Entscheidungen bei der Gewährung von Einkommensausgleich zu verhindern und eine einheitliche Praxis sicherzustellen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis gegeben, daß ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werde (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Einkommensausgleich verneint.
Als Grundlage für den Anspruch des Klägers käme § 17 Abs 1 und Abs 3 BVG in der Fassung des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechtes - 3. NOG-KOV - vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S 750) in Betracht. § 17 Abs 1 BVG bestimmt, ein Beschädigter, der wegen Schädigungsfolgen arbeitsunfähig wird, erhält einen Einkommensausgleich nach Maßgabe der folgenden Vorschriften. Nach den unbestrittenen Feststellungen des LSG ist der Kläger in der Zeit vom 9. November 1971 bis zum 14. April 1972 wegen Schädigungsfolgen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Dennoch steht dem Kläger für diese Zeit ein Einkommensausgleich nicht zu, weil im Jahre 1970 sein Gewerbebetrieb mit Verlust gearbeitet hat. Der Einkommensausgleich richtet sich nämlich nach dem Nettoeinkommen, das der Beschädigte vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielt hat (§ 17 Abs 2 BVG aF). Für die Ermittlung des Nettoeinkommens ist, wenn der Beschädigte Einkommen aus Gewerbebetrieb erzielt hat, grundsätzlich der Durchschnitt des in dem Kalenderjahr vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens maßgebend (§ 17 Abs 3 BVG aF). Mit Recht hat die Versorgungsverwaltung darauf bestanden, für die Ermittlung des Nettoeinkommens von dem Jahre 1970 auszugehen. Der Wortlaut des Gesetzes läßt es nicht zu, die Einkünfte aus dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, zugrunde zu legen, wenn in dem vorhergehenden Jahr der Gewerbebetrieb keinen Gewinn, sondern einen Verlust erwirtschaftet hat. Der Ansicht des Klägers, daß eine ihm günstigere Auslegung des Gesetzes möglich sei, weil der angegebene Ausgangspunkt nur "grundsätzlich" zu beachten sei und damit das Gesetz selbst zu erkennen gebe, daß Ausnahmen in besonderen Fällen zu anderen Einkommensfeststellungen führten, ist nicht zu folgen. Es kann dahinstehen, ob das Gesetz mit dem Wort "grundsätzlich" Ausnahmen zulassen will von der zeitlichen Bestimmung, daß ein Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugrunde zu legen ist; es könnte auch gemeint sein, daß im allgemeinen der Durchschnitt, in besonderen Fällen jedoch ein anderer Teil des Jahreseinkommens, oder daß im allgemeinen ein Kalenderjahr, in besonderen Fällen jedoch ein abweichendes Wirtschaftsjahr des Gewerbebetriebes zugrunde zu legen ist. Das Gesetz gibt jedoch, worauf die Beigeladene hinweist, selbst einige Ausnahmen von der allgemeinen Regelung an; daß darüber hinaus für Fälle der vorliegenden Art ebenfalls eine Ausnahme gelten soll, ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Gesetz in § 17 Abs 6 BVG aF klar ausgedrückt, daß das Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festzusetzen ist, wenn sich das Einkommen des Beschädigten aus Gewerbebetrieb zahlenmäßig nicht ermitteln läßt. Damit ist deutlich ausgedrückt, daß ein Ausweg dort gegeben ist, wo es nicht möglich ist, die allgemeine Regelung durchzuführen. Daraus ist auch die Ausnahme in den Verwaltungsvorschriften zu § 17 BVG aF Nr 9 zu verstehen, daß bei einem Beschädigten, der Einnahmen aus Gewerbebetrieb erzielt, in dem Kalenderjahr, das der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangen ist, noch keine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat, das Nettoeinkommen aus der genannten Einkunftsart im Kalenderjahr der Arbeitsunfähigkeit zugrunde zu legen ist. Auch hier ist es nicht möglich - wie in den in § 17 Abs 6 BVG aF angesprochenen Fällen - das Einkommen zahlenmäßig zu ermitteln. Der Verlust des Klägers im Jahre vor der Arbeitsunfähigkeit ist zahlenmäßig jedoch genau zu ermitteln; es ergibt sich daher kein positives Nettoeinkommen, aus dem ein positiver Einkommensausgleich zu errechnen wäre (vgl BSG vom 22. Februar 1967 - Az.: 8 RV 1033/65 in SozEntsch 2. Folge BSG IX/3 § 17 Nr 2).
Der Senat vermag auch nicht davon auszugehen, daß das Gesetz eine Lücke für eine Fallgestaltung wie die vorliegende aufweist. Zwar hat der Senat in einem anderen Zusammenhang, nämlich dem der Mitarbeit des Beschädigten im Gewerbebetrieb der Ehefrau, angenommen, daß die Regelung in § 17 nicht dem Plan des Gesetzes genüge (Urteil vom 30. Oktober 1973 - Az.: 9 RV 64/73 = BSGE 36, 229 = Fam RZ 1975 S 95 mit Anm Grasmann S 98). Eine Planwidrigkeit ist hier jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien eindeutig, daß den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen bekannt war, wie Unstimmigkeiten dadurch aufzutreten vermöchten, weil das Nettoeinkommen aus einem zurückliegenden Zeitraum errechnet werden sollte (vgl Kurzprotokoll der 35. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vom 27. April 1960, Seiten 8 bis 11). Gleichwohl ist dieser Zeitabschnitt gewählt worden, um eine feste Grundlage für die Berechnung zu erhalten, die insbesondere in einem vorliegenden Einkommenssteuerbescheid gesehen wurde. In der Vorschrift, die seit dem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881) den entsprechenden Sachverhalt regelt (§ 16 b Abs 1 Satz 2 BVG nF), heißt es, Bemessungszeitraum ist das letzte Jahr, für das ein Einkommenssteuerbescheid vorliegt. Hierbei nimmt der Gesetzgeber sogar in Kauf, daß eine noch weiter zurückliegende Zeit als das Jahr unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit für die Berechnung des Übergangsgeldes, das an die Stelle des Einkommensausgleichs getreten ist, zugrunde gelegt wird. Diese neue Gesetzesfassung enthält nicht einmal mehr den Zusatz "grundsätzlich", dem der Kläger im alten Text des § 17 Abs 3 BVG entscheidende Bedeutung beilegte.
Der Gesetzgeber ist berechtigt, derartig typisierende Regelungen vorzunehmen, auch wenn dadurch im Einzelfall gewisse Härten entstehen, die sich aber in tragbarem Rahmen halten (vgl BVerfGE 26, 265, 275; 48, 346, 361).
Das Berufungsurteil bleibt demnach aufrechterhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen