Leitsatz (amtlich)

Die Beurteilung der Frage, ob eine "besondere Härte" iS des KOV-VfG § 47 Abs 4 vorliegt, richtet sich nicht allein nach den Einkünften des Rückerstattungspflichtigen, sondern nach seinen gesamten wirtschaftlichen Verhältnissen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es gibt keinen Erfahrungssatz des täglichen Lebens, der besagt, daß durch die Einstellung im öffentlichen Dienst in jedem Falle der Lebensunterhalt in einem solchen Umfange sichergestellt ist, daß der Empfänger der Leistung ohne besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten monatliche Teilzahlungen leisten kann.

Jedenfalls kann sich auch ein Angestellter im öffentlichen Dienst bei einem monatlichen Einkommen von rund 500 DM bei Berücksichtigung seines Familienstandes (Frau und Tochter) in einer derart wirtschaftlich bedrängten Lage befinden, daß er nicht in der Lage ist, in monatlichen Teilbeträgen eine Summe von 1400 DM zurückzuerstatten.

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Erfahrungssatz bei einem wesentlich höheren Einkommen aus dem öffentlichen Dienst bestehen könnte.

2. Bei der dem Beklagten durch KOV-VfG § 47 Abs 4 eingeräumten Möglichkeit, von einer Rückforderung abzusehen, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung iS des SGG § 54 Abs 2 S 2.

Aus dem Umstand, daß dem Beklagten ein Ermessen bei der Anwendung des KOV-VfG § 47 Abs 4 eingeräumt ist, kann nicht gefolgert werden, daß es auch allein seinem Ermessen überlassen bleibt zu entscheiden, ob die Rückforderung eine besondere Härte iS dieser Vorschrift bedeutet. Es handelt sich vielmehr insoweit um einen unbestimmten Rechtsbegriff.

Das Gericht muß den unbestimmten Rechtsbegriff auslegen, dh, seien allgemeinen Sinngehalt ermitteln und nachprüfen, ob die Auslegung, welche die Versorgungsbehörde dem Begriff gegeben hat, dem Gesetz entspricht.

3. Der Bescheid, durch den der Beklagte den Antrag auf Niederschlagung des überzahlten Betrages abgelehnt hat, ist ein Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung auch in der Hinsicht, daß dem Kläger in diesem Bescheid zugebilligt worden ist, die Rückzahlung in Raten vorzunehmen.

Für die Frage, ob Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung, gegen die eine Aufhebungsklage erhoben ist, rechtmäßig oder rechtswidrig sind, kommt es auf die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt an, in dem die letzte Verwaltungsentscheidung ergangen ist. Das Gericht hat demnach zu prüfen, ob die Rückforderung im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides für den Kläger eine "besondere Härte" iS des KOV-VfG § 47 Abs 4 bedeutet hat.

4. Steht rechtskräftig fest, daß die Rückforderung nach KOV-VfG § 47 berechtigt ist und wendet sich der Kläger nur noch gegen den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid des Versorgungsamtes, mit dem der Antrag auf Niederschlagung abgelehnt wurde, dann liegt ein neuer Verwaltungsakt iS des SGG § 96 vor, der Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG geworden ist; über einen solchen während des Berufungsverfahrens erlassenen neuen Verwaltungsakt entscheidet das LSG in erster Instanz.

 

Normenkette

KOVVfG § 47 Abs. 4 Fassung: 1955-05-02; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 96 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 1964 insoweit aufgehoben, als die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts L vom 27. September 1962 abgewiesen worden ist, und die Sache in diesem Umfange zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) L vom 27. November 1953 wurden bei dem Kläger als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz anerkannt:

"1.) In guter Stellung fest verheilter Bruch der rechten Elle,

2.) größere flächenhafte Verbrennungsnarben des linken Armes und der linken Brustseite,

3.) belanglose Narben des Nackens und der linken Schulterblattgegend nach oberflächlicher Splitterverletzung,

4.) linksseitige Zwerchfellverwachsung nach Rippenfellentzündung."

Die Anerkennung von degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Zwischenwirbelscheiben sowie von Senkfüßen wurde abgelehnt; eine Versorgungsrente wurde nicht gewährt, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) weniger als 25 v. H. betrage. Auf die Klage änderte das Sozialgericht (SG) Landshut durch Urteil vom 13. Februar 1956 diesen Bescheid ab und verurteilte den Beklagten, als weitere Schädigungsfolge "Erkrankung der Wirbelsäule i. S. der Verschlimmerung" anzuerkennen und Rente nach einer MdE um 25 v. H. ab 1. März 1953 zu gewähren. In Ausführung dieses Urteils erließ das VersorgA Landshut den Bescheid vom 10. April 1956 und gewährte dem Kläger die ihm durch das Urteil des SG zugesprochene Rente nach einer MdE um 25 v. H. seit dem Tage des Urteilserlasses. In dem Ausführungsbescheid wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, daß im Falle der Abänderung oder Aufhebung des Urteils des SG die Neufeststellung der Rente erfolge und die inzwischen erhaltenen Bezüge zurückzuerstatten seien.

Auf die Berufung des Beklagten wurde die Entscheidung des SG Landshut vom 13. Februar 1956 durch Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 15. März 1960 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden. Mit Bescheid vom 11. Mai 1960 forderte das VersorgA die gemäß § 154 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufgrund des Urteils des SG ab 13. Februar 1956 gezahlten Versorgungsbezüge in Höhe von 1403,20 DM zurück. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Bescheid des LVersorgA vom 11. August 1960).

Die Klage gegen den Rückforderungsbescheid ist durch Urteil des SG Landshut vom 4. Dezember 1961 abgewiesen worden. Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger die "dauernde Einstellung der Rückforderung von 1403,20 DM" gemäß § 47 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) beantragt. Er hat zur Begründung seines Antrags angegeben, daß er seit Ende 1958 als Lichtpauser beim Straßenbauamt in L beschäftigt sei und sein Netto-Verdienst 490,55 DM betrage. Seine 13jährige Tochter besuche die Mittelschule, er habe dafür monatlich etwa 35 DM aufzuwenden. Über Haus- und Grundbesitz sowie über ein Barvermögen vermöge er nicht. Die Rückzahlung des Betrages von 1403,20 DM sei ihm nicht möglich, weil er von 1953 bis 1958 arbeitslos gewesen sei und anschließend durch die Beschaffung von Möbeln, Kleidung usw. hohe Unkosten gehabt habe. Wegen seines Magenleidens müsse er Diät leben und habe auch dadurch höhere Aufwendungen. Durch Bescheid vom 27. September 1962 wurde der Antrag auf Niederschlagung des Betrages von 1403,20 DM mit der Begründung abgelehnt, daß die Rückerstattung für den Kläger keine besondere Härte i. S. des § 47 Abs. 4 VerwVG bedeute, weil die Tilgung der Rückzahlung in angemessenen monatlichen Teilbeträgen zugemutet werden könne.

Nach Beiziehung der Personalakten des Klägers vom Straßenbauamt L und der Akte des Arbeitsamts L hat das Bayerische LSG durch Urteil vom 25. Februar 1964 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Landshut vom 4. Dezember 1961 zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid des VersorgA L vom 27. September 1962 abgewiesen. Das LSG hat die Revision zugelassen. Es hat in den Gründen seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, daß § 47 Abs. 1 VerwVG auch auf Leistungen Anwendung finde, die von der Versorgungsbehörde in Ausführung des § 154 Abs. 2 SGG gewährt wurden. Die Rückforderung der 1403,20 DM sei daher berechtigt. Damit erledige sich der weitere Einwand des Klägers gegen die Rückforderung, daß er die gewährten Leistungen für seinen Lebensunterhalt verbraucht habe, weil nach § 47 Abs. 1 Satz 2 VerwVG der Einwand der nicht mehr vorhandenen Bereicherung bei zu Unrecht empfangenen Leistungen ausgeschlossen sei. Es werde zwar nicht verkannt, daß infolge der noch immer bestehenden Überlastung der Berufungsgerichte die Erledigung der Streitsachen verhältnismäßig lange Zeit in Anspruch nehme, die in Ausführung des § 154 Abs. 2 SGG gewährten Leistungen aus diesem Grunde eine sonst im allgemeinen nicht zu erwartende Höhe erreichen könnten und daher die Rückzahlung für den Betroffenen in vielen Fällen eine finanzielle Belastung bedeute. Dieser Umstand könne aber das Rückforderungsrecht des Beklagten dem Grunde nach nicht beeinträchtigen. Die Milderung oder Abstellung der sich hieraus ergebenden Härten könne durch die Anwendung des § 47 Abs. 4 und 7 VerwVG erfolgen. Wenn jedoch im vorliegenden Falle das VersorgA in dem Bescheid vom 27. September 1962 den Verzicht auf die Rückerstattung abgelehnt habe, so könne darin ein Ermessensfehler i. S. des § 54 Abs. 2 SGG nicht erblickt werden. Die Rückerstattung bedeute für den Kläger, der als Angestellter im öffentlichen Dienst stehe, seinen Lebensunterhalt dadurch gesichert wisse und zumindest in der Lage sei, den dem Beklagten geschuldeten Betrag in monatlichen Teilzahlungen zurückzuerstatten, keine besondere Härte. Die Klage gegen den Bescheid vom 27. September 1962 habe daher abgewiesen werden müssen.

Gegen dieses am 23. März 1964 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. März 1964, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 26. März 1964, Revision eingelegt. Er beantragt mit der Revision lediglich noch,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. September 1962 abgewiesen ist, und den Rechtsstreit in diesem Umfange zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger hat die Revision innerhalb der bis zum 23. Juni 1964 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 10. Juni 1964, auf den Bezug genommen wird, begründet. Er rügt eine Verletzung des § 47 Abs. 4 VerwVG und insoweit eine fehlerhafte Ermessenshandhabung i. S. des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, ferner die Verletzung der §§ 103, 128 SGG. Er wendet sich gegen die Feststellung des LSG, daß die Rückerstattung des überzahlten Betrages von 1403,20 DM für den Kläger keine besondere Härte bedeute, weil er als Angestellter im öffentlichen Dienst stehe und seinen Lebensunterhalt dadurch gesichert wisse. Welche Tatsachen und rechtlichen Erwägungen der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts insoweit im einzelnen zugrunde gelegen hätten, ergebe sich weder aus dem Tatbestand noch aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, so daß es schon verfahrensrechtlich bedenklich sei, ob das angefochtene Urteil in diesem Punkt den Erfordernissen des § 136 Abs. 1 Nr. 5 und 6 SGG entspreche. Abgesehen davon sei weiter zu rügen, daß das LSG den Begriff "besondere Härte" i. S. des § 47 Abs. 4 VerwVG verkannt habe. Das Berufungsgericht hätte es nicht allein darauf abstellen dürfen, daß für ihn als Angestellten im öffentlichen Dienst die Rückerstattung des überzahlten Betrages keine besondere Härte bedeute, ohne auch nur im geringsten auf seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzugehen. Zumindest hätte es die Höhe seines Einkommens feststellen und prüfen müssen, ob er unter Berücksichtigung seines Familienstandes, seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten, der Kosten für den notwendigen Lebensbedarf, besonderer Verpflichtungen, krankheitsbedingter Sonderausgaben usw. zu einer Rückzahlung in Teilbeträgen in der Lage sei. Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung müsse auch dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Überzahlung in ihrer beträchtlichen Höhe aus Gründen eingetreten sei, die ihm nicht als Verschulden angerechnet werden könnten. Insbesondere beruhe die Feststellung des LSG, der Lebensunterhalt des Klägers sei "gesichert" und er sei zumindest zu einer ratenweisen Abdeckung in der Lage, auf einer Verletzung der §§ 103, 128 SGG. Das LSG habe nicht einmal die Höhe seines Einkommens festgestellt und habe daher auch nicht zu dem Schluß gelangen können, sein Lebensunterhalt sei "gesichert". Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, durch die Einstellung im öffentlichen Dienst werde in jedem Falle der Lebensunterhalt im Rechtssinne effektiv sichergestellt, gebe es nicht. Das LSG habe ferner seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es ohne Klärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse festgestellt habe, der Lebensunterhalt sei gesichert. Gehe man von dem Zeitpunkt als maßgeblich aus, in dem die letzte Verwaltungsentscheidung vom 27. September 1962 ergangen sei, so hätten die notwendigen Ermittlungen ergeben, daß er damals als Lichtpauser beim Straßenbauamt Landshut ein monatliches Einkommen von 500 DM gehabt habe. Dem stünden an Ausgaben, - die in der Revisionsbegründung im einzelnen unter Angabe von Beweismitteln beziffert werden-, die Miete, Lernmittel für die Tochter, Ausgaben für Heizung, Gas, Lebensversicherungsprämie, Rundfunkgebühren und Zeitungsabonnement gegenüber. Da er ferner an einer seit 1960 behandlungsbedürftigen chronischen anaciden Gastritis mit Neigung zu Durchfällen leide, müsse er ferner eine strenge Magendiät einhalten, die erhöhte Aufwendungen für seine Ernährung erfordere. Die angeführten Ausgaben erforderten einen Betrag von etwa 200 DM, so daß er von dem verbleibenden Resteinkommen von rd. 300 DM monatlich den gesamten weiteren Lebensbedarf für seine dreiköpfige Familie bestreiten müsse. Hätte das LSG die erforderlichen Ermittlungen angestellt, so wäre es zu dem Ergebnis gelangt, daß der Lebensunterhalt des Klägers nicht in einem Maße sichergestellt sei, daß die Rückerstattung der im Hinblick auf seine Verhältnisse beträchtlichen, von ihm nicht verschuldeten Überzahlung keine besondere Härte bedeute.

Der Beklagte beantragt,

die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 1964 als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, daß das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig sei. Das Berufungsgericht habe weder den Begriff "besondere Härte" i. S. des § 47 Abs. 4 VerwVG verkannt noch zu Unrecht einen Ermessensfehler der Versorgungsbehörde i. S. des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG verneint. Bei einem Monatseinkommen von netto 500 DM verblieben dem Kläger nach seinen eigenen Angaben in der Revisionsbegründung noch rd. 300 DM zum Verbrauch für seine dreiköpfige Familie. Bei dieser Sachlage könne von einer wirtschaftlich bedrängten Lage, welche die Anerkennung einer besonderen Härte rechtfertigen könnte, nicht gesprochen werden, zumal dem Kläger die Rückzahlung in angemessenen Monatsraten zugestanden worden sei.

Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden; sie ist daher zulässig.

Die Revision ist auch begründet.

Der Kläger hat das Urteil des LSG, soweit seine Berufung gegen das Urteil des SG Landshut vom 4. Dezember 1961 zurückgewiesen worden ist, nicht mit der Revision angegriffen. Damit steht rechtskräftig fest, daß die Rückforderung des Beklagten in Höhe von 1403,20 DM berechtigt ist. Der Kläger wendet sich mit der Revision gegen das angefochtene Urteil lediglich noch insoweit, als das LSG die Klage gegen den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid des VersorgA L vom 27. September 1962 abgewiesen hat. Dieser Bescheid, mit dem der Antrag des Klägers auf Niederschlagung des Betrages von 1403,20 DM abgelehnt wurde, ist ein neuer Verwaltungsakt i. S. des § 96 SGG, der Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG geworden ist. Über einen solchen während des Berufungsverfahrens erlassenen neuen Verwaltungsakt entscheidet das LSG in erster Instanz, wie es zutreffend erkannt hat (vgl. BSG 18, 231). Der Bescheid vom 27. September 1962, durch den der Beklagte den Antrag auf Niederschlagung des überzahlten Betrages abgelehnt hat, ist ein Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung auch in der Hinsicht, daß dem Kläger in diesem Bescheid zugebilligt worden ist, die Rückzahlung in Raten vorzunehmen (vgl. BSG in SozR VerwVG § 47 Nr. 11). Für die Frage, ob Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung, gegen die eine Aufhebungsklage erhoben ist, rechtmäßig oder rechtswidrig sind, kommt es auf die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt an, in dem die letzte Verwaltungsentscheidung - hier der Bescheid vom 27. September 1962 - ergangen ist. Das LSG hatte demnach zu prüfen, ob die Rückforderung des Betrages von 1403,20 DM im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides für den Kläger eine "besondere Härte" i. S. des § 47 Abs. 4 VerwVG bedeutet hat.

Nach dieser Vorschrift kann der Beklagte von der Rückforderung einer zu Unrecht empfangenen Leistung absehen, wenn die Rückforderung eine besondere Härte für den Versorgungsberechtigten bedeutet. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es sich bei der dem Beklagten durch § 47 Abs. 4 VerwVG eingeräumten Möglichkeit, von einer Rückforderung abzusehen, um eine Ermessensentscheidung i. S. des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG handelt. Nach dieser Vorschrift ist, soweit eine Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, Rechtswidrigkeit gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nichtentsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Aus dem Umstand, daß dem Beklagten ein Ermessen bei der Anwendung des § 47 Abs. 4 VerwVG eingeräumt ist, kann jedoch nicht gefolgert werden, daß es auch allein seinem Ermessen überlassen bleibt zu entscheiden, ob die Rückforderung eine besondere Härte i. S. dieser Vorschrift bedeutet. Es handelt sich vielmehr insoweit um einen unbestimmten Rechtsbegriff, weil der Inhalt und der Umfang des Begriffs "besondere Härte" weitgehend ungewiß ist. Dieser Begriff muß daher mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden, der für die Ermessenentscheidung der Versorgungsbehörde maßgebend ist. Das Gericht muß den unbestimmten Rechtsbegriff auslegen, d. h. seinen allgemeinen Sinngehalt ermitteln und nachprüfen, ob die Auslegung, welche die Versorgungbehörde dem Begriff gegeben hat, dem Gesetz entspricht (vgl. hierzu auch BSG 10, 51, 53 zu dem unbestimmten Rechtsbegriff "besondere Umstände" in § 38 Abs. 2 BVG). Der Begriff "besondere Härte" ist in erster Linie aus dem Gesetz selbst auszulegen. Auf eine Rückerstattung kann nach § 47 Abs. 4 VerwVG nur verzichtet werden, wenn sie berechtigt ist, d, h. wenn die Rückforderung nicht bereits nach § 47 Abs. 2 und 3 VerwVG ausgeschlossen ist. Das bedeutet aber nicht, daß die in § 47 VerwVG sonst enthaltenen Vorschriften nicht bei der Auslegung des Abs. 4 dieser Vorschrift herangezogen werden können und müssen. So ist nach § 47 Abs. 2 VerwVG der Empfänger von Versorgungsleistungen zur Rückerstattung u. a. nur verpflichtet, soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse vertretbar ist. Das BSG hat hierzu in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nur nach den Einkünften zu beurteilen sind; es kommt vielmehr auf die gesamte wirtschaftliche Lage an. Dabei sind die Vermögens- und Familienverhältnisse sowie besondere Aufwendungen, die von dem Empfänger der Versorgungsleistungen zu erbringen sind, zu berücksichtigen. Bei der Entscheidung, ob eine Rückforderung i. S. des § 47 Abs. 2 VerwVG nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Empfängers vertretbar ist, sind somit seine Einkünfte und die für seinen und seiner Familie notwendigen Lebensunterhalt erforderlichen Ausgaben zugrunde zu legen (vgl. hierzu BSG 11, 44, 49; SozR VerwVG § 47 Nr. 8 und 15). Es kann kein Zweifel sein, daß es bei der Prüfung der Frage, ob die Rückerstattung eine "besondere Härte" i. S. des § 47 Abs. 4 VerwVG für den Rückerstattungspflichtigen bedeuten würde, ebenfalls entscheidend auf dessen wirtschaftliche Verhältnisse ankommt. Es reicht also nicht aus, wenn bei der nach § 47 Abs. 4 VerwVG von der Versorgungsbehörde vorzunehmenden Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich von den Einkünften des Empfängers der zu Unrecht gewährten Leistung ausgegangen wird, vielmehr müssen auch seine notwendigen Ausgaben eine angemessene Berücksichtigung finden. Diese für die Anwendung des § 47 Abs. 4 VerwVG geltenden Grundsätze hat das LSG in dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend beachtet, wie der Kläger zutreffend rügt.

Der Beklagte hat zur Begründung des Bescheides vom 27. September 1962 ausgeführt, daß das monatliche Einkommen des Klägers durchschnittlich 490 DM betrage und er auch den notwendigen Nachholbedarf an Anschaffungen habe decken können, weil er seit 1958 einen regelmäßigen Verdienst erzielt habe. Eine Tilgung der Überzahlung in angemessenen monatlichen Teilbeträgen könne ihm somit zugemutet werden und stelle keine besondere Härte dar. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil hierzu festgestellt, daß die Rückerstattung des Betrages von 1403,20 DM in monatlichen Teilzahlungen für den Kläger keine besondere Härte bedeute. Es hat diese Feststellung lediglich damit begründet, daß der Kläger als Angestellter im öffentlichen Dienst stehe und seinen Lebensunterhalt dadurch gesichert wisse. Das LSG hat es somit nicht für notwendig erachtet, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers auf der Einkommen- und Ausgabenseite im einzelnen nachzuprüfen und einander gegenüberzustellen, weil es der Auffassung gewesen ist, der Lebensunterhalt des Klägers und seiner Familie sei im Hinblick auf seine Tätigkeit als Angestellter im öffentlichen Dienst auf jeden Fall in einem solchem Umfange gesichert, daß er den Rückerstattungsbetrag in monatlichen Teilzahlungen abtragen könne.

Der Kläger wendet sich gegen diese Feststellung des LSG zunächst mit dem Vorbringen, daß sich weder aus dem Tatbestand noch aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergebe, welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts insoweit im einzelnen zugrunde gelegen haben. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang nur ausführt, daß er dieses Vorgehen des LSG für verfahrensrechtlich bedenklich halte, so wird man aus seinem Vorbringen doch entnehmen müssen, daß er eine Verletzung des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG rügen will. Ob diese Vorschrift im vorliegenden Falle verletzt ist, kann jedoch dahinstehen, weil schon die vom Kläger gegen die betreffende Feststellung des LSG erhobene Rüge einer Verletzung des § 128 SGG durchgreift.

Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, daß es für den Kläger keine besondere Härte bedeute, den dem Beklagten geschuldeten Betrag in monatlichen Teilzahlungen zurückzuerstatten, weil der Kläger als Angestellter im öffentlichen Dienst stehe und sein Lebensunterhalt auch bei teilweiser Rückzahlung des Betrages von 1403,20 DM "gesichert" sei. Gegen diese Feststellung wendet sich der Kläger mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht habe logischerweise nicht zu dem Schluß gelangen dürfen, der Lebensunterhalt sei gesichert, weil es nicht einmal die Höhe seines Einkommens festgestellt habe. Sofern das Berufungsgericht seiner Überzeugungsbildung insoweit einen vermeintlichen Erfahrungssatz habe zugrunde legen wollen, sei dem entgegenzuhalten, daß es keinen Erfahrungssatz des Inhalts gebe, durch die Einstellung im öffentlichen Dienst werde in jedem Falle der Lebensunterhalt im Rechtssinne effektiv sichergestellt. Diese Rüge ist gerechtfertigt. Ein Verfahrensmangel in bezug auf die Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten oder gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen die Denkgesetze verstoßen hat. Da das LSG die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht im einzelnen geprüft und insbesondere aufgeklärt hat, welche notwendigen Ausgaben der Kläger von seinem Einkommen in Höhe von monatlich rd. 500 DM bestreiten muß, beruht die angegriffene Feststellung des Berufungsgerichts offenbar darauf, daß es einen Erfahrungssatz des täglichen Lebens angenommen hat, der besagt, daß durch die Einstellung im öffentlichen Dienst in jedem Falle der Lebensunterhalt in einem solchen Umfange sichergestellt ist, daß der Kläger ohne besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten monatliche Teilzahlungen leisten kann. Einen solchen Erfahrungssatz gibt es jedoch nicht, wie der Kläger zutreffend rügt. Jedenfalls kann sich auch ein Angestellter im öffentlichen Dienst bei einem monatlichen Einkommen von rd. 500 DM bei Berücksichtigung seines Familienstandes (Frau und Tochter) in einer derart wirtschaftlich bedrängten Lage befinden, daß er nicht in der Lage ist, in monatlichen Teilbeträgen eine Summe von 1403,20 DM zurückzuerstatten. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Erfahrungssatz bei einem wesentlich höheren Einkommen aus dem öffentlichen Dienst bestehen könnte. Bei einem Monatseinkommen von etwa 500 DM können die wirtschaftlichen Verhältnisse einer dreiköpfigen Familie jedenfalls so liegen, daß die Rückforderung von 1403,20 DM - auch in Teilzahlungen - eine besondere Härte darstellt. Das LSG hat daher gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung dadurch verstoßen, daß es die vom Kläger angegriffene Feststellung allein auf einen Erfahrungssatz, den es bei den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers nicht gibt, gestützt hat; es hat somit den § 128 SGG verletzt. Diese Feststellung des LSG ist somit für das BSG nicht bindend (§ 163 SGG).

Wie bereits oben dargelegt worden ist, kann die Frage, ob eine besondere Härte i. S. des § 47 Abs. 4 VerwVG vorliegt und ob die Versorgungsbehörde insoweit das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, nur entschieden werden, wenn die für den Einzelfall in Betracht kommenden gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft und die Einkünfte den notwendigen Ausgaben gegenübergestellt werden. Dies hat das LSG nicht getan, es konnte sich insoweit auch nicht auf einen allgemeinen Erfahrungssatz stützen. Da das Revisionsgericht selbst die für die Entscheidung rechtserheblichen tatsächlichen Feststellungen nicht treffen kann (vgl. auch BSG in SozR SGG § 163 Nr. 6 und 9), mußte das angefochtene Urteil insoweit ausgehoben werden, als die Klage gegen den Bescheid des VersorgA L vom 27. September 1962 abgewiesen worden ist, und die Sache in diesem Umfange zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380137

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