Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindende Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Rentenablehnungsbescheid
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Umfanges der Bindung eines Bescheides, mit dem der Unfallversicherungsträger zwar einen Arbeitsunfall anerkannt, Unfallentschädigung aber abgelehnt hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätzlich erstreckt sich die bindende Wirkung von Bescheiden nur auf den bescheidmäßigen Ausspruch (Verfügungssatz).
2. Die regelnde Wirkung eines Bescheids kann jedoch aus mehreren Teilen bestehen. Deshalb ist auch die Begründung eines Bescheids darauf hin zu prüfen, inwieweit sie für einen Verwaltungsakt typische, der Bindung fähige Regelungen trifft.
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. August 1975 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines 1942 erlittenen Unfalls. Im Revisionsverfahren streiten die Beteiligten darüber, ob die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bindend anerkannt hat.
Der am 9. Dezember 1901 geborene Kläger ist italienischer Staatsbürger. Er arbeitete vom 5. Mai bis zum 28. Juli 1942 als Schweißer in der Betriebsschlosserei der IG-Farbenindustrie AG in L. Danach war er nach seinen Angaben als Schweißer in der Maschinenfabrik S & Co. in B beschäftigt. Am 6. Januar 1943 traf er wieder in seiner Heimat ein.
Mit Schreiben vom 25. Januar 1962 beantragte der Kläger eine "Kriegsrente", da er sich bei einem der schwersten Bombenangriffe auf Berlin eine Gehirnerschütterung zugezogen habe. Gegenüber der Beklagten erklärte er, er habe am 28. November 1942 in B einen Unfall erlitten: Während seiner Tätigkeit bei der Firma S sei ein Luftangriff erfolgt. Als die Arbeiterschaft im unteren, unversehrten Teil des Fabrikgebäudes Zuflucht gesucht habe, sei er infolge Finsternis und allgemeiner Panik hingeschlagen. Dabei sei die Gegend des linken Scheitel-Schläfenbeines gequetscht worden; es sei dort zu Abschürfungen und zu einem Bluterguß gekommen. Außerdem habe er im Juni 1942 während der Tätigkeit in L bei einem anderen Feindeinflug eine Kopfverletzung erlitten.
Der Kläger reichte bei der Beklagten mehrere ärztliche Bescheinigungen sowie zwei Zeugenerklärungen über die behaupteten Unfälle ein. Nachdem die Beklagte ärztliche Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers veranlaßt hatte, lehnte sie den Antrag mit Bescheid vom 24. Januar 1966 ab. Darin heißt es u. a.: "Bescheid .... über Nichtgewährung einer Verletztenrente ... Der Schlosser O N, geboren 9.12.1901, hat am 28.12.1942 in dem Unternehmen S & Co., B, B-str. ..., bei seiner Tätigkeit einen Arbeitsunfall erlitten. Die Gewährung einer Rente wird abgelehnt, weil der Arbeitsunfall eine meßbare Minderung der Erwerbsfähigkeit seit dem 1.4.1952 nicht hinterlassen hat. Für die Zeit vor dem 1.4.1952 wird die Unfallentschädigung auch mangels Zuständigkeit abgelehnt".
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat nach Beweiserhebung mit Urteil vom 9. Januar 1970 diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Januar 1958 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v. H. zu zahlen. Im übrigen - der Kläger hatte Verletztenrente nach einer MdE von 70 v. H. ab 1. April 1952 begehrt - hat es die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat Berufung, der Kläger Anschlußberufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat Beweis über den behaupteten Unfallhergang erhoben und mit Urteil vom 25. August 1975 das Urteil des SG geändert, die Klage in vollem Umfang abgewiesen sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt: Es lasse sich nicht feststellen, daß der Kläger bei seiner Beschäftigung als Schweißer bei der Firma S in B einen Unfall erlitten habe. Die im Berufungsrechtszug angestellten Ermittlungen der Beklagten und des Senats hätten ergeben, daß es nach dem 30. August 1942 in jenem Jahr keinen Bombenangriff auf Berlin mehr gegeben habe. Nach diesem Tage habe es 1942 nur noch Fliegeralarme und zwar am 9./10. September und am 9. November 1942, gegeben. Darüber hinaus sei die Firma S noch am 16. Januar 1945 unversehrt gewesen. Sie sei erst am 3. Februar 1945 total ausgebombt worden. Ferner sei nicht festzustellen, daß der Kläger in L einen Unfall erlitten habe. Während seiner Beschäftigung dort sei er niemals arbeitsunfähig krank gewesen. - Der Prüfung, ob der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten habe, stehe der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 1966 nicht entgegen. Hierdurch sei ein Arbeitsunfall nicht bindend anerkannt worden. In materielle Bindung könne grundsätzlich nur der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes erwachsen, nicht aber ein einzelnes Element. Das Vorliegen eines Arbeitsunfalles sei aber nur eines von mehreren Elementen der Begründung für den Anspruch des Versicherten auf Verletztenrente.
Der Kläger hat die vom erkennenden Senat mit Beschluß vom 30. April 1976 zugelassene Revision eingelegt. Er meint, die Beklagte habe in dem angefochtenen Bescheid einen Arbeitsunfall auch mit Bindungswirkung gegenüber dem Gericht anerkannt. Das LSG habe deshalb das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht erneut prüfen dürfen. Auf Arglist des Klägers könne sich die Beklagte nicht berufen, da dessen Gedächtnis lückenhaft sei bzw. es an einer Erinnerung an die Geschehnisse fehle. Der Grundsatz der objektiven Beweislosigkeit könne dem in Beweisnotstand befindlichen Kläger nicht entgegengehalten werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen sowie in Abänderung des Urteils des SG und des Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, dem Kläger ab 1. April 1952 Verletztenrente nach einer MdE von 70 v. H. zu gewähren;
hilfsweise
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Daß der Bescheid keine Anerkennung eines Arbeitsunfalls beinhalte, folge schon aus dessen Wortlaut und aus der Tatsache, daß das Datum des streitigen Unfalls ("28.12.1942") fehlerhaft wiedergegeben worden sei; der Kläger sei nur bis zum 20. Dezember 1942 beschäftigt gewesen. Außerdem enthalte der Bescheid lediglich einen in Bindungswirkung erwachsenen Verfügungssatz, nämlich die Ablehnung der Gewährung von Verletztenrente. Unabhängig hiervon sei jedenfalls der Leidenszustand des Klägers nicht auf den behaupteten Unfall zurückzuführen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Wie die Revision zu Recht ausführt, hat das LSG unrichtigerweise angenommen, der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 1966 sei auch hinsichtlich der Anerkennung des streitigen Arbeitsunfalles nicht bindend geworden. Das Berufungsgericht durfte vielmehr bei dem bisherigen Verfahrensstand keine eigenen Ermittlungen über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls anstellen, sondern es mußte von einem solchen ausgehen; es hatte den Sachverhalt lediglich noch hinsichtlich der geltend gemachten Unfallfolgen und der Höhe einer etwaigen MdE aufzuklären. Da es die Klage ohne diese Aufklärung und in Verkennung der Bindungswirkung des genannten Bescheides abgewiesen hat, hat es gegen die §§ 77, 123, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen.
Mit dem Zugang des Bescheides beim Adressaten ist die Behörde an ihn gebunden, auch wenn der Betroffene ihn noch anfechten kann. Dieser Grundsatz, der für das Versorgungsrecht in § 24 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung seinen gesetzgeberischen Niederschlag gefunden hat, folgt aus der Tatsache, daß die Verwaltung zwar in der gleichen Sache einen "Zweitbescheid" erlassen, aber den Erstbescheid nicht selbst nach § 77 SGG anfechten kann (vgl. BSG 14, 154, 158; BSG in SozR Nr. 44 zu § 77 SGG; Haueisen in NJW 1959, 697, 700 und in DVBl 1960, 913, 917).
Bindend wurde hier der Teil des angefochtenen Verwaltungsaktes, in dem die Beklagte einen "Arbeitsunfall" anerkannt hat. Das LSG meint zu Unrecht, das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sei nur eines von mehreren Elementen der Begründung des Anspruchs des Versicherten auf Verletztenrente, nicht aber Teil des in Bindung erwachsenden Verfügungssatzes. Es ist zwar richtig, daß sich die bindende Wirkung von Bescheiden grundsätzlich nur auf den bescheidmäßigen Ausspruch, den Verfügungssatz, beschränkt (vgl. BSG 6, 288, 291; 9, 80, 84; 12, 25, 26; 27, 22, 23). Entscheidend ist aber, was der Bescheid geregelt hat. Diese Regelung kann aus mehreren Teilen bestehen, ein Verwaltungsakt kann auch mehrere Verfügungssätze enthalten (BSG 27, 23). Das LSG hat verkannt, daß hier die Anerkennung des Unfalls einen selbständigen Verfügungssatz darstellt.
Verwaltungsakte weisen in der Regel nicht wie Urteile eine strenge Trennung zwischen Tenor - hier Verfügungssatz - und Begründung auf. Die gesamte Begründung ist vielmehr daraufhin zu prüfen, inwieweit sie für einen Verwaltungsakt typische, der Bindung fähige Regelungen trifft. Der hier streitige Bescheid enthält zwar in seinem Eingangssatz die Worte - "Bescheid ... über Nichtgewährung einer Verletztenrente ...". Dieser Satz ist allein aber zum Verständnis nicht ausreichend, weil die Ablehnung verschiedene Gründe haben kann. Zur Auslegung dieses Satzes müssen die weiteren Ausführungen im Bescheid mitherangezogen werden. Dort hat die Beklagte in Ergänzung der genannten Eingangsformel geschrieben: "Die Gewährung einer Rente wird abgelehnt, weil der Arbeitsunfall eine meßbare Minderung der Erwerbsfähigkeit seit dem 1. April 1952 nicht hinterlassen hat". Zur Regelung des Bescheides zählt demnach zunächst die Ablehnung des Rentenanspruchs wegen fehlender MdE. Damit ist aber der regelnde Inhalt des Bescheides noch nicht erschöpft; denn die Beklagte hat im Bescheid weiter ausgeführt: "Der Schlosser Orlando N ... hat am 28.12.1942 in dem Unternehmen S. & Co. ... bei seiner Tätigkeit einen Arbeitsunfall erlitten". Hierdurch hat sie durch einen weiteren Verfügungssatz einen Arbeitsunfall festgestellt und anerkannt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat insbesondere in Streitverfahren aus der Kriegsopferversorgung mehrfach ausgesprochen, daß in Bescheiden über die Gewährung bzw. Ablehnung von Leistungen gleichzeitig eine Anerkennung bestimmter Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen als feststellender, begünstigender Verwaltungsakt enthalten sein kann; insoweit liegt eine besondere Regelung im Sinne eines selbständigen Verfügungssatzes vor (BSG 9, 80, 83; 12, 25, 26; BSG in SozR Nr. 20 zu § 77 SGG; siehe auch Haueisen in Bundesarbeitsblatt 1960, 259, 260 und in NJW 1959, 697, 698). Für die Unfallversicherung ist der 2. Senat des BSG in seinem Urteil vom 14. Dezember 1965 (BSG 24, 162, 164) zu Recht davon ausgegangen, daß die Berufsgenossenschaft das Vorliegen eines Arbeitsunfalls selbständig, d. h. unabhängig von der Entscheidung über die Leistungsgewährung, anerkennen kann. Das kann einmal - wie in dem der Entscheidung des 2. Senats zugrunde liegenden Sachverhalts - durch einen gesonderten Bescheid geschehen, zum anderen aber auch zusammen mit der Entscheidung über die Leistungsgewährung bzw. Leistungsablehnung. So ist es im vorliegenden Fall.
Entgegen der Auffassung des LSG ist die Anerkennung des Arbeitsunfalls hier nicht eine unselbständige bloße Begründung der Leistungsablehnung ; vielmehr ergibt sich das Gegenteil aus dem weiteren Wortlaut des angefochtenen Bescheides. Die Beklagte hat darin ausgeführt, durch die Ablehnung der Verletztenrente werde der Anspruch auf Heilbehandlung nicht berührt. Es heißt dann wörtlich:" Soweit wegen Unfallfolgen ärztliche Behandlung erforderlich ist, wird diese dem Verletzten durch den Arzt zuteil, den die Berufsgenossenschaft ... ihm bezeichnet". Eine solche Heilbehandlung setzt aber das Vorliegen eines Arbeitsunfalls voraus (vgl. §§ 547, 556 RVO). Die Beklagte hat demnach das vom Kläger angeschuldigte Ereignis als Unfall gewertet und als Arbeitsunfall anerkannt (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1976 - 8 RU 138/75 -). Daß in dem Bescheid das Datum des Unfalls von den eigenen Angaben des Klägers abweicht, ist ohne Bedeutung. Hierbei handelt es sich - wie das LSG festgestellt hat und auch die Beklagte einräumt - um einen Schreibfehler; von den Beteiligten wurde übereinstimmend dasselbe Ereignis gemeint, nämlich der vom Kläger behauptete Unfall während der Tätigkeit bei der Firma S. im Zusammenhang mit einem Fliegerangriff. Das unterscheidet diesen Fall auch von dem Sachverhalt des Urteils des 5. Senats des BSG vom 21. November 1958 (SozR Nr. 5 zu § 1585 RVO), ganz abgesehen davon, daß diese Entscheidung einen "Bescheid alter Art" betraf (vgl. dazu auch die spätere Entscheidung des 2. Senats in BSG 24, 164/65), weshalb sie von der Beklagten zur Stützung ihrer gegenteiligen Ansicht nicht herangezogen werden kann. In dem dem Urteil des 5. Senats zugrundeliegenden Bescheid war die Feststellung so unbestimmt, daß sie sich nicht konkretisieren ließ.
Die vom LSG angeführten Entscheidungen des BSG stützen seine Auffassung nicht. Im Urteil des 9. Senats vom 14. März 1972 (SozR Nr. 84 zu § 1 BVG) ist ausdrücklich offengelassen worden, wie zu entscheiden ist, wenn im Recht der Unfallversicherung ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall "anerkannt" worden ist. Die Entscheidung des 2. Senats (BSG 24, 162 ff) stützt im Gegenteil die Auffassung des erkennenden Senats (siehe oben). Das Urteil des 3. Senats vom 18. Juni 1968 (SozR Nr. 2 zu § 1509 a a. F. RVO) bestätigt die Rechtsauffassung des LSG ebenfalls nicht. Diese Entscheidung befaßt sich mit der Bindungswirkung eines Bescheides, der eine Leistung mit der Begründung ablehnt, es habe kein Arbeitsunfall vorgelegen. In einem solchen Fall kann diese Feststellung unselbständige Begründung des Verfügungssatzes sein, da sie grundsätzlich keine eigene Regelung darstellt. Im vorliegenden Fall dagegen ist trotz Ablehnung von Rente ein Arbeitsunfall ausdrücklich anerkannt und Heilbehandlung bewilligt worden, was nach dem Ausgeführten als selbständige Feststellung angesehen werden muß. Wie in einem solchen oder ähnlichen Fall zu entscheiden ist, hat der 3. Senat offengelassen. - Der hier vertretenen Ansicht steht auch das Urteil des erkennenden Senats vom 21. März 1974 (SozR 2200 Nr. 1 zu § 581 RVO) nicht entgegen. Dort hat der Senat zunächst erwogen, ob der Grad der MdE grundsätzlich dann nicht zum - bindenden - Verfügungssatz eines Bescheides gerechnet werden kann, wenn eine Leistung abgelehnt worden ist, diese Frage dann aber unentschieden gelassen, weil die Beklagte einen genauen MdE-Grad überhaupt nicht festgesetzt hatte.
Daß diese Bindung vom Gericht beachtet werden muß, ergibt sich auch aus dem allgemein anerkannten Grundsatz, daß der Rechtsmittelkläger im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden darf (Verbot der Schlechterstellung - reformatio in peius -; vgl. hierzu BSG 2, 225, 228 f; 14, 154, 158; BSG in SozR Nr. 44 zu § 77 SGG; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand Mai 1976, Anm. 4 zu § 123 SGG; und Bettermann in Festschrift für Wacke, 1972, S. 233, 234 ff, der das Verbot der Schlechterstellung auf das gesetzliche Verbot an das Gericht, über den Klageantrag hinauszugehen, zurückführt).
Die Bindungswirkung kann auch nicht etwa unter Hinweis auf die Verpflichtung des Gerichts zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 SGG) verneint werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) gewährleistete Rechtsweg müsse die vollständige Nachprüfung des Verwaltungsaktes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein Gericht ermöglichen. Das Gericht sei an die von der Verwaltungsbehörde getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gebunden (BVerfG 15, 275, 282). Das kann aber - abgesehen davon, daß die Anerkennung eines Arbeitsunfalls auch eine rechtliche Beurteilung enthält - nicht für solche Feststellungen gelten, die im Einzelfall der richterlichen Nachprüfung entzogen sind. Im übrigen wird der Umfang der Amtsermittlung durch den Klageanspruch begrenzt (§ 123 SGG), das Gericht hat nur darüber zu entscheiden, was noch unter den Beteiligten streitig ist, nicht was unter ihnen bereits (wenn auch nur einseitig) bindend festgestellt wurde (vgl. Rohwer-Kahlmann, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: Dezember 1975, RdNr. 21 zu § 77 SGG). Nur insoweit ist der Sachverhalt noch aufzuklären (vgl. auch BSG 12, 25, 26).
Eine Bindung in dem oben genannten Sinne besteht jedoch nur in dem Umfang, in dem eine Anerkennung von der Beklagten ausgesprochen worden ist. Dabei ist zu beachten, daß die Anerkennung eines "Arbeitsunfalls" sowohl ein begrifflich notwendiges tatsächliches schädigendes Ereignis als auch dessen rechtliche Wertung als Arbeitsunfall i. S. des 3. Buches der RVO (haftungsbegründende Kausalität) umfaßt. Hinsichtlich des tatsächlichen schädigenden Vorgangs ist für die Bindung der Beklagten die Fassung ihres Bescheides von wesentlicher Bedeutung. Ist der Verfügungssatz insoweit nicht eindeutig, so können und müssen gegebenenfalls die Begründung und die Unterlagen des Versicherungsträgers zur Auslegung herangezogen werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1976 - 8 RU 138/75 - mit Nachweisen). Ergibt sich daraus nicht, in welchem Umfang und mit welchen Einzelheiten ein bestimmtes Ereignis anerkannt ist, so sind insoweit weitere Ermittlungen möglich und erforderlich, um festzustellen, welche Gesundheitsstörungen Folge des anerkannten Arbeitsunfalles sind (haftungsausfüllende Kausalität) und in welchem Grade die Erwerbsfähigkeit durch Unfallfolgen gemindert ist. In jedem Fall ist aber - solange die Bindung nicht beseitigt ist - davon auszugehen, daß ein schädigendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte in dem Verfügungssatz ihres Bescheides vom 24. Januar 1966 den anerkannten Arbeitsunfall bezüglich Zeit und Ort näher beschrieben, wobei sie insoweit den Angaben des Klägers gefolgt ist. Was den Unfallhergang und die schädigenden Einwirkungen anbelangt, enthält der Bescheid zwar weder in den Verfügungssätzen noch in der Begründung weitere Einzelheiten. Nach den voraufgegangenen Ermittlungsergebnissen und dem von den Sachverständigen der "verschiedenen Fachkliniken der Universität München" angenommenen Hergang des Unfalls, worauf die Beklagte in der Begründung ihres Bescheides ausdrücklich Bezug genommen hat, hat sie eine äußere Gewalteinwirkung auf den Kopf des Klägers anerkennen wollen und auch anerkannt, wobei sie die nun bestehenden krankhaften Veränderungen als solche endogener Art wertete und den Verlust des Geruchssinnes, der möglicherweise Unfallfolge sei, nicht als erwerbsmindernd erachtete. Hiervon ist daher bei der weiteren Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Leistungsansprüche auszugehen. Sollte sich dabei ergeben, daß beweiserhebliche Tatsachen zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs bestimmter Gesundheitsstörungen mit dem als Arbeitsunfall anerkannten schädigenden Ereignis und der dadurch hervorgerufenen Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht (mehr) feststellbar sind, würde diese Nichtfeststellbarkeit nach den Grundsätzen der objektiven Beweislosigkeit den geltend gemachten Ansprüchen des Klägers entgegenstehen. Da der Kläger Rentenansprüche erst nahezu 20 Jahre nach dem behaupteten Unfall erhoben hat, kann er sich nicht auf einen besonderen "Beweisnotstand" berufen. Ob und gegebenenfalls welche Feststellungen insoweit erforderlich sind, wird das LSG - vor allem auch unter Würdigung der erstatteten und gegebenenfalls mit Hilfe weiterer medizinischer Gutachten - im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht zu entscheiden haben. Zu diesem Zweck war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob die eingetretene Bindung gemäß § 1744 RVO beseitigt werden kann (vgl. hierzu BSG 14, 154, 158). Die Beklagte hat bisher diese Frage nicht in einem förmlichen Verfahren geprüft und keinen entsprechenden Bescheid erlassen. Sie wäre nicht gehindert, dieses im anhängigen Rechtsstreit zu tun; ein etwaiger Bescheid würde dann Gegenstand des Berufungsverfahrens (§ 96 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen