Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufstockung von Beiträgen
Orientierungssatz
1. Das Recht, freiwillige Beiträge durch weitere Beitragszahlungen nachträglich zu erhöhen (aufzustocken) besteht weder nach der allgemeinen Nachentrichtungsvorschrift des RVO § 1418 noch nach den mit dem RRG eingefügten außerordentlichen Nachentrichtungsvorschriften des ArVNG Art 2 § 46 Abs 3 und des Art 2 § 51a Abs 1 und 2.
2. Die Vorschrift des ArVNG Art 2 § 51a verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des GG Art 3 Abs 1, als mit der Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen nicht gleichzeitig die Aufstockung bereits entrichteter freiwilliger Beiträge zugelassen ist.
3. Der Verzicht auf Sozialleistungen gilt nicht für die "Berechnungselemente" der Rente (zB ungünstige Beiträge), weil ein Verzicht hierauf gegen die Bestimmungen der Rentenversicherungsgesetze verstoßen würde, die zwingend vorschreiben, wie und welche Beiträge und Zeiten bei einer Rentenberechnung zu berücksichtigen sind.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 46 Abs. 3 Fassung: 1972-10-16, § 51a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1407 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1418 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVBeitrV 1976 § 11 Abs. 1 Fassung: 1976-06-21; SGB 1 § 46 Abs. 1 Fassung: 1975-12-11; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; SGB 1 § 46 Abs. 2 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 22.09.1977; Aktenzeichen L 6 J 1006/77) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 19.11.1976; Aktenzeichen S 2 J 127/76) |
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, seine in den Jahren 1950 bis 1963 zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichteten freiwilligen Beiträge nachträglich auf die jeweiligen Höchstbeiträge aufzustocken.
Der Kläger entrichtete ab 1. Januar 1949 freiwillige Beiträge, und zwar bis einschließlich 1954 jährlich 26 Wochenbeiträge der Klasse II, in den Jahren 1956 bis 1960 jeweils 52 Wochenbeiträge der Klasse II bzw 12 Monatsbeiträge der Klasse A, in den Jahren 1962 und 1963 je 12 Monatsbeiträge der Klasse J. und ab 1964 jährlich 12 Monatsbeiträge der jeweils höchsten Klasse. Auf seinen Antrag vom 15. September 1973 nahm ihn die Beklagte mit Bescheid vom 4. März 1974 in die Pflichtversicherung der Selbständigen nach § 1227 Abs 1 Nr 9 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf. Gleichzeitig gestattete sie ihm antragsgemäß die Nachentrichtung von Beiträgen in Höhe von insgesamt 6.630,- DM, die für die nicht belegten Zeiten ab 1950 (je 6 Monate der Jahre 1950 bis 1954 sowie 12 Monate des Jahres 1955 - Referendar- und Assessorenzeit -) auf Art 2 § 46 Abs 3 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) und für das Jahr 1961 auf Art 2 § 51a Abs 1 ArVNG gestützt wurde. Am 22. Dezember 1975 beantragte der Kläger, seine von 1950 bis 1963 entrichteten freiwilligen Beiträge bis zu den jeweils maßgeblichen Höchstbeiträgen aufstocken zu dürfen. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, das Wahlrecht über die Höhe des Beitrages und über den Zeitraum, für den der Beitrag gelten soll, stehe dem Versicherten nur so lange zu, bis der Beitrag entrichtet sei. Eine nachträgliche Änderung sei nicht möglich (Bescheid vom 17. Januar 1976). Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers gab die Beklagte mit dessen Zustimmung als Klage an das Sozialgericht (SG) ab. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. November 1976). Die Berufung des Klägers ist ebenfalls erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 22. September 1977). Das LSG hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Das Recht zur Wahl der Beitragsklassen nach § 1407 Abs 2 RVO sei verbraucht, sobald für einen Kalendermonat ein Beitrag durch Einkleben in die Versicherungskarte entrichtet sei. Dieser Beitrag könne später nicht mehr geändert werden. Nichts anderes gelte, wenn ein freiwillig Versicherter statt der Verwendung von Beitragsmarken einen Barbetrag an den Versicherungsträger mit dem Auftrag überweise, diesen im Rahmen der gesetzlich zulässigen Beitragsentrichtung innerhalb eines genau abgegrenzten Zeitraums zu verwenden. Diese Regelung verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 des Grundgesetzes (GG). Das LSG hat auch über den schon im Klageverfahren gestellten Hilfsantrag des Klägers, ihm unter Verzicht auf seine Rechte aus den Beitragsleistungen der Jahre 1950 bis 1960 die Nachentrichtung von Beiträgen für diesen Zeitraum in den jeweils höchsten Beitragsklassen zu gestatten, mitentschieden und diesem Begehren nicht entsprochen. Ein Verzicht sei allenfalls auf Leistungen aus Beiträgen möglich. Die tatsächliche Entrichtung von Beiträgen könne dagegen nicht ungeschehen gemacht werden.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Nach seiner Auffassung besteht ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG darin, daß innerhalb der gleichen Personengruppe, für die eine Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Rentenreformgesetz (RRG) ermöglicht worden sei, eine ungleiche Handhabung bei der Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen erfolgt sei. Die Unterscheidung zwischen Selbständigen, die noch nicht der Versicherung angehörten, und freiwillig versicherten Selbständigen stelle eine grobe Ungerechtigkeit dar. Sie würde auch gegen den Sinn des RRG verstoßen, Selbständigen die Möglichkeit einer ausreichenden Altersversorgung unter Aufbringung eigener Mittel zu gewährleisten. Den Vorinstanzen könne auch nicht gefolgt werden, soweit sie die Möglichkeit des Verzichts auf geleistete Beiträge verneinten. Wenn auf Leistungen aus Beiträgen verzichtet werden könne, sei nicht zu erkennen, weshalb dann nicht auf die Beiträge selbst verzichtet werden könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Aufstockung der in der Zeit vom 2. Januar 1950 bis zum 31. Dezember 1963 entrichteten freiwilligen Beiträge bis zu den jeweiligen Höchstbeiträgen zu gestatten,
hilfsweise,
ihm nach Verzicht auf seine Rechte aus seinen Vertragsleistungen (gemeint: Beitragsleistungen) aus den Versicherungskarten Nr 3 bis Nr 9 zu gestatten, für diese Zeit Beiträge in den jeweils höchsten Beitragsklassen nachzuentrichten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II.
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß der Kläger nicht berechtigt ist, seine für die Zeit von Januar 1950 bis Dezember 1963 entrichteten freiwilligen Beiträge durch weitere Beitragszahlungen nachträglich zu erhöhen (aufzustocken). Ein solches Recht steht ihm weder nach der allgemeinen Nachentrichtungsvorschrift des § 1418 RVO noch nach den mit dem RRG eingefügten außerordentlichen Nachentrichtungsvorschriften des Art 2 § 46 Abs 3 und des Art 2 § 51a Abs 1 und 2 ArVNG zu.
Es entspricht dem Wesen des Versicherungsverhältnisses in der gesetzlichen Rentenversicherung, daß es grundsätzlich nachträglich nicht mehr geändert werden kann. Ausdruck dieses Prinzips ist § 1418 RVO, nach dessen Abs 1 Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge unwirksam sind, wenn sie nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen entrichtet werden, wie auch die Vorschrift des § 1407 Abs 2 Satz 1 RVO, wonach für jeden Kalendermonat nur ein Beitrag entrichtet werden darf. Ausgehend von diesem Grundsatz hat das Bundessozialgericht (BSG) bisher in ständiger Rechtsprechung zu anderen außerordentlichen Nachentrichtungsvorschriften in der gesetzlichen Rentenversicherung, aber auch zur allgemeinen Nachentrichtungsvorschrift des § 140 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (= § 1418 RVO) die nachträgliche Aufstockung, Aufspaltung, Zusammenlegung oder Verschiebung bereits entrichteter Beiträge für unzulässig gehalten (BSG SozR Nr 10 zu Art 2 § 52 ArVNG; BSG Urteil vom 22. August 1967 - 11 RA 338/64 - DAngVers 1968, 67; BSG SozR Nr 38 zu Art 2 § 42 ArVNG; BSG SozR Nr 8 zu § 1418 RVO; BSG SozR Nr 3 zu § 1407 RVO; BSGE 35, 178 = SozR Nr 4 zu § 1407 RVO). Nach § 1407 Abs 2 RVO ist dem Versicherten ein Wahl- und Gestaltungsrecht eingeräumt. Hat er dieses Wahl- und Gestaltungsrecht ausgeübt und sich durch wirksame Entrichtung einer Beitragsmarke für eine bestimmte Beitragshöhe entschlossen, dann ist die Beitragsentrichtung insoweit endgültig abgeschlossen. Das Wahlrecht ist verbraucht, und es können keine Änderungen durch Zahlung von Aufstockungsbeiträgen mehr vorgenommen werden, auch nicht innerhalb der Frist des § 1418 Abs 1 RVO (BSGE 35, 178, 180). Dies gilt auch - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - wenn der Beitrag nicht durch Verwendung einer Beitragsmarke, sondern durch Einzahlung eines Betrages an den Versicherungsträger mit Angabe des zu belegenden Zeitraumes und der gewünschten Beitragsklasse entrichtet wurde, zumal seit dem 1. Januar 1977 die Verwendung von Beitragsmarken ohnehin nicht mehr zulässig ist (§ 11 Abs 1 der Verordnung über das Entrichten von Beiträgen zu den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten - RV-BEVO - vom 21. Juni 1976 - BGBl I 2838 -). Das Aufstockungs- und Doppelbelegungsverbot ist auch bei den außerordentlichen Nachentrichtungsvorschriften des Art 2 §§ 46 und 51a ArVNG zu beachten. Der Gesetzgeber hat nämlich bei diesen Vorschriften ersichtlich diesen Grundsatz beibehalten. Um dem begünstigten Personenkreis die Nachentrichtung über die in § 1418 Abs 1 RVO vorgeschriebene Frist zurück zu ermöglichen, hat er diese Sperrwirkung ausdrücklich beseitigt und an die Stelle der Zweijahresfrist bis zum 1. Januar 1924 bzw 1. Januar 1956 zurückreichende Fristen gesetzt. Dagegen hat er das Doppelbelegungs- und Aufstockungsverbot des § 1407 Abs 2 Satz 1 RVO nicht aufgehoben. Das ergibt sich schon aus gesetzessystematischen Gründen. Da es sich nämlich hier um Vorschriften handelt, die das Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge ausnahmsweise anders regeln als nach den allgemeinen Nachentrichtungsvorschriften der RVO, hätte es dem Charakter einer Ausnahmevorschrift entsprechend der ausdrücklichen Beseitigung oder Abänderung der allgemeinen Vorschrift ebenso bedurft wie dies mit § 1418 RVO geschehen ist. Der in § 1407 Abs 2 Satz 1 RVO enthaltene Grundsatz ist aber nicht nur nicht aufgehoben, sondern in Art 2 §§ 46 Abs 3 und 51a Abs 2 ArVNG sogar noch einmal ausdrücklich hervorgehoben worden, indem geregelt wurde, daß sich die Nachentrichtung nur auf noch nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belegte Zeiten erstrecken kann. Wenngleich Art 2 § 51a Abs 1 ArVNG diesen ausdrücklichen Hinweis nicht enthält, so kann hieraus nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, daß nach dieser Vorschrift entgegen dem allgemeinen Grundsatz aufgestockt werden dürfte (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1978 - 12 RK 43/76 -).
Die Vorschrift des Art 2 § 51a ArVNG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Der Gesetzgeber hat, indem er mit der Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen nicht gleichzeitig auf die Aufstockung bereits entrichteter freiwilliger Beiträge zugelassen hat, die ihm im Rahmen des Art 3 Abs 1 GG zukommende Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Er konnte im RRG die Nachentrichtung von Beiträgen für bisher nicht belegte Zeiten und die Erhöhung bereits entrichteter Beiträge ("Aufstockung") als rechtlich verschiedene Sachverhalte bewerten (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27. September 1978 - 1 BVl 31/76 - SozVers 1978, 326 = DB 1978, 2416).
Schließlich kann die Revision auch nicht mit ihrem Hilfsantrag durchdringen. Hierbei handelt es sich nicht um einen rechtlich verschiedenen Streitgegenstand, sondern lediglich um eine Hilfsbegründung für das Begehren auf Nachentrichtung höherer Beiträge. Im Sozialversicherungsrecht ist der Versicherte zwar grundsätzlich berechtigt, auf seine Ansprüche auf Sozialleistungen zu verzichten. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz (vgl Maier/Hannemann/Laufer/Knieczka/Eibs, SGB I § 46 Anm 2 mwN) ist nunmehr mit Wirkung ab 1. Januar 1976 gesetzlich normiert (§ 46 Abs 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB I -). Er gilt jedoch nicht für die "Berechnungselemente" der Rente (zB ungünstige Beiträge), weil ein Verzicht hierauf gegen die Bestimmungen der Rentenversicherungsgesetze verstoßen würde, die zwingend vorschreiben, wie und welche Beiträge und Zeiten bei einer Rentenberechnung zu berücksichtigen sind (Maier/Hannemann ua aaO Anm 4). Der vom Kläger ausgesprochene Verzicht auf seine bisherige Beitragsleistungen wäre nur eine Umgehung des zwingenden Verbotes der Aufstockung. Er ist daher unwirksam (§ 46 Abs 2 SGB I).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen