Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Anspruch auf Mutterschaftsgeld bei Vereinbarung von unbezahltem Sonderurlaub auch während der Schutzfrist
Leitsatz (redaktionell)
Der werdenden Mutter, die ohne Anspruch auf Krankengeld versichert ist, steht kein Anspruch auf Mutterschaftsgeld zu, wenn sie mit ihrem Arbeitgeber einen unbezahlten Sonderurlaub vereinbart hat, der auch die Zeit der Schutzfristen umfaßt.
Normenkette
MuSchG § 6 Abs. 1, § 3 Abs. 2; RVO § 200 Abs. 1 Hs. 1 Altern. 2 Fassung 1988-12-20
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 02.02.1994; Aktenzeichen L 3 K 13/93) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 19.03.1993; Aktenzeichen S 1 K 43/92) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse der Klägerin Mutterschaftsgeld zu zahlen hat.
Die Klägerin, die zunächst bei der Beklagten pflichtversichert war und ihr ab 1. März 1990 als freiwilliges Mitglied angehört, erhielt vom 21. Februar 1990 bis 20. Februar 1991 von ihrem Arbeitgeber unbezahlten Sonderurlaub. Wegen einer weiteren Schwangerschaft, für die die Schutzfrist am 1. Juni 1991 beginnen sollte, wurde der unbezahlte Sonderurlaub bis zum 20. Februar 1993 verlängert. Nach der Geburt ihres Sohnes Jakob (16. Juli 1991) beantragte die Klägerin im September 1991 die Gewährung von Mutterschaftsgeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1992 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil des SG für das Saarland vom 19. März 1993). Die Berufung der Klägerin ist vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen worden (Urteil des LSG für das Saarland vom 2. Februar 1994). In den Entscheidungsgründen des LSG wird ua ausgeführt: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 200 Abs 1 2. Alternative der Reichsversicherungsordnung (RVO), da ihr kein Arbeitsentgelt wegen der Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) ausgefallen sei. Während der am 1. Juni 1991 beginnenden Schutzfristen habe sie sich in einem ruhenden Arbeitsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt befunden. Das bedeute: Der Ausfall des Arbeitsentgelts sei nicht auf die Mutterschutzfristen, sondern auf die bereits bestehende Beurlaubung zurückzuführen. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, daß sie eine Verlängerung des Sonderurlaubs nur im Hinblick auf die erneute Schwangerschaft vereinbart habe und eine Arbeitsaufnahme nur für ca drei Monate bis zum Beginn der neuen Schutzfrist nicht sinnvoll gewesen sei. Zwar werde mit den Beschäftigungsverboten auch beabsichtigt, die Wiederaufnahme eines ruhenden Arbeitsverhältnisses in den Schutzfristen zu verhindern. Dies ändere aber nichts daran, daß ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld nur entstehe, wenn das Arbeitsentgelt wegen der Schutzfristen ausgefallen sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 200 Abs 1 1. Halbsatz 2. Alternative RVO und macht ua geltend: Entgegen der Auffassung der Vorinstanz seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch dann zu bejahen, wenn die Antragstellerin bei Beginn der Schutzfrist in einem ruhenden Arbeitsverhältnis stehe. Jedenfalls habe dies zu gelten, wenn der Sonderurlaub nur im Hinblick auf die Schwangerschaft und die damit bevorstehende Schutzfrist nach dem MuSchG genommen worden sei und die Versicherte ansonsten die Arbeit wiederaufgenommen hätte. Einer solchen Auslegung stehe der Wortlaut des § 200 RVO nicht entgegen. Es komme nicht darauf an, ob der Versicherten bei Beginn der Schutzfrist ein Arbeitsentgeltanspruch zustehe und dieser Anspruch wegen der Schutzfrist ausgefallen sei. Eine solche Auslegung wäre zu eng. Sie würde den Sinn und Zweck des Gesetzes verfehlen. Das Mutterschaftsgeld solle das Arbeitsentgelt, das während und wegen der Beschäftigungsverbote des MuSchG ausfalle, ersetzen und damit den Unterhalt der werdenden Mutter für diese Zeit sichern. Für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld genüge nach dem Gesetz daher der Ursachenzusammenhang zwischen der Schutzfrist und dem Entgang des Arbeitsentgelts. Diese Kausalität sei im vorliegenden Falle aber gegeben. Im übrigen widerspreche das angefochtene Urteil der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. April 1991 (SozR 3-2200 § 200 Nr 1). Darin sei auch für ein ruhendes Arbeitsverhältnis angenommen worden, daß zwischen dem Entgang des Arbeitsentgelts und den Beschäftigungsverboten ein Ursachenzusammenhang bestehe, weil die Versicherte an der Wiederaufnahme ihrer Arbeit gehindert werde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 2. Februar 1994
sowie das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19. März 1993 und
den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 1991 idF des
Widerspruchsbescheides vom 16. März 1992 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, der Klägerin Mutterschaftsgeld anläßlich ihrer
Schwangerschaft, die zur Geburt ihres Kindes Jakob geführt habe, zu
bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat.
Nach § 200 Abs 1 RVO in der hier anwendbaren Fassung des Art 5 Nr 4 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) erhalten weibliche Mitglieder, die bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld haben oder denen wegen der Schutzfristen nach § 3 Abs 2 und § 6 Abs 1 MuSchG kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, Mutterschaftsgeld, wenn sie vom Beginn des zehnten bis zum Ende des vierten Monats vor der Entbindung mindestens zwölf Wochen Mitglieder waren oder in einem Arbeitsverhältnis standen.
Die Klägerin ist zwar seit dem 1. März 1990 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Ihr Versicherungsverhältnis umfaßt jedoch, wie sich aus dem bindenden Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 1990 ergibt (vgl dazu auch S 9 des Berufungsurteils), keinen Anspruch auf Krankengeld. Deshalb kommt hier nur die 2. Alternative des § 200 Abs 1 RVO in Betracht. Wie schon der Wortlaut dieser Vorschrift ("wegen") deutlich macht, muß die Nichtzahlung von Arbeitsentgelt auf die Schutzfristen des § 3 Abs 2 und § 6 Abs 1 MuSchG zurückzuführen sein, dh die in den genannten Vorschriften enthaltenen Beschäftigungsverbote müssen dafür ursächlich sein, daß der Arbeitgeber seiner Arbeitnehmerin kein Arbeitsentgelt zu zahlen hat. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
Die Beschäftigungsverbote der §§ 3 Abs 2 und 6 Abs 1 MuSchG haben weder allein noch zusammen mit anderen Bedingungen bewirkt, daß mit Beginn der Schutzfristen ein Arbeitsentgeltanspruch nicht mehr zu erfüllen war. Denn der Klägerin stand bei Beginn der Schutzfristen kein Arbeitsentgelt zu. Nach den unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG gebunden ist, wurde der Klägerin auf ihren Antrag im Januar 1991 für die Zeit vom 21. Februar 1991 bis 20. Februar 1993 unbezahlter Sonderurlaub gewährt. Damit blieb zwar das Arbeitsverhältnis weiter bestehen. Die Hauptpflichten waren aber suspendiert. Die Klägerin mußte ihre Tätigkeit nicht am 21. Februar 1991 wiederaufnehmen. Für den Arbeitgeber entfiel für die Zeit des Sonderurlaubs die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts. Daraus folgt: Die Schutzfristen konnten sich nicht in dem von § 200 Abs 1 RVO geforderten Sinne auf das Arbeitsverhältnis auswirken, daß der Klägerin das Arbeitsentgelt wegen des Eingreifens der Beschäftigungsverbote nicht mehr zu zahlen war.
Selbst wenn es zutreffen sollte, daß die Klägerin nur im Hinblick auf die zweite Schwangerschaft ab 21. Februar 1991 erneut unbezahlten Urlaub genommen hat, gibt dies keinen Anlaß für eine andere Beurteilung. In diesem Falle wäre zwar die zweite Schwangerschaft das maßgebliche Motiv der Klägerin für den Antrag auf Gewährung weiteren unbezahlten Urlaubs. Nach § 200 Abs 1 RVO kommt es aber nicht auf die Gründe für die weitere Gewährung des unbezahlten Sonderurlaubs an, sondern allein darauf, ob die Beschäftigungsverbote der §§ 3 Abs 2 und 6 Abs 1 MuschG die Erfüllung eines bei Beginn der Schutzfristen bestehenden Arbeitsentgeltanspruchs verhindert haben. Das ist jedoch zu verneinen.
Im übrigen wären die Voraussetzungen des § 200 Abs 1 RVO auch dann nicht gegeben, wenn man generell die Schwangerschaft als einen Ursachenfaktor für den Ausfall des Arbeitsentgelts einer Versicherten bei Beginn der Schutzfristen ansähe. Denn dann wäre im Falle der Klägerin der Ursachenzusammenhang zwischen Schwangerschaft und Nichtzahlung des Arbeitsentgelts durch eine freie Willensentscheidung der Versicherten unterbrochen, nämlich durch den Entschluß, ihren Arbeitgeber um eine Verlängerung des unbezahlten Urlaubs über den 20. Februar 1991 hinaus bis zum 20. Februar 1993 zu bitten. Diese Entscheidung ist zwar im Hinblick auf den relativ kurzen Zeitraum vom Ende des zunächst gewährten Sonderurlaubs bis zum Beginn der Schutzfristen am 1. Juni 1991 verständlich. Für die Verlängerung des unbezahlten Urlaubs bestand aber aufgrund der Schwangerschaft kein zwingender Anlaß.
Zugunsten der Klägerin kann auch nicht - wie in dem Urteil des BSG vom 20. September 1974 (BSGE 38, 130, 131 f = SozR 2200 § 182 Nr 6) für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit - davon ausgegangen werden, daß die Urlaubsabrede mit Beginn der Schutzfristen hinfällig geworden wäre. Das BSG hat die genannte Entscheidung unter Hinweis auf § 9 des Mindesturlaubsgesetzes für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz ≪BUrlG≫) vom 8. Januar 1963 damit begründet, daß bei Erkrankung des Arbeitnehmers während des Urlaubs die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den (bezahlten) Jahresurlaub nicht angerechnet würden. Der Eintritt von Arbeitsunfähigkeit unterbreche daher den Urlaub mit der Folge, daß dem Arbeitsunfähigen für die Zeit der Krankheit Krankenlohn - unter Verrechnung mit dem zurückerstatteten Urlaubsgeld - zu zahlen sei. Demgegenüber verfolgen die Regelungen über die Beschäftigungsverbote und die Gewährung von Mutterschaftsgeld eine andere Zielrichtung. Mit ihnen soll die erwerbstätige schwangere Frau geschützt werden, nicht aber werdende Mütter, die sich für längere Zeit und während der Schutzfristen in unbezahltem Sonderurlaub befinden. Das Mutterschaftsgeld nach § 200 Abs 1 1. Halbsatz 2. Alternative RVO hat nämlich Lohnersatzfunktion. Es soll den Ausfall an Arbeitseinkommen ausgleichen, der einer Frau entsteht, die infolge von Schwangerschaft und Entbindung eine Zeitlang nicht arbeiten k a n n (BT-Drucks IV/3652, S 9 zu § 200c; BSG SozR § 200 RVO Nr 3 und SozR 2200 § 200 Nr 3; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, § 200 Anm 4; Kummer in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1 Krankenversicherungsrecht, § 20 RdNr 144). Mit dem Zweck des Gesetzes wäre es daher unvereinbar, Mutterschaftsgeld auch dann zu gewähren, wenn der Arbeitgeber bei Eintritt der Schutzfristen Arbeitsentgelt deshalb nicht zahlt, weil aufgrund der rechtlichen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Schutzfristen ein Entgeltanspruch nicht besteht.
Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des erkennenden Senats vom 17. April 1991 (SozR 3-2200 § 200 Nr 1) berufen. In dieser Entscheidung ging es darum, ob die Voraussetzungen für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld auch erfüllt sind, wenn die werdende Mutter in der in § 200 Abs 1 RVO vorgesehenen Rahmenfrist vom Beginn des zehnten bis Ende des vierten Monats vor der Entbindung nur in einem ruhenden Arbeitsverhältnis gestanden hat. Das hat der Senat bejaht. Er hatte jedoch nicht darüber zu entscheiden, ob ein ruhendes Arbeitsverhältnis auch dann für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld ausreicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - bei Beginn der Schutzfristen wegen eines unbezahlten Sonderurlaubs kein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Diese Frage hat der Senat in dem Urteil vom 17. April 1991 zwar angesprochen, aber ausdrücklich offengelassen, weil die Klägerin in dem damaligen Rechtsstreit mehrere Wochen vor Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs 2 MuSchG ihre Tätigkeit wiederaufgenommen hatte (vgl BSG SozR 3-2200 § 200 RVO Nr 1 S 3).
Nach alledem war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
RegNr, 21900 (BSG-Intern) |
FuR 1995, 312 (L) |
DOK 1995, 452 (KT) |
DOK 1996, 530 (K) |
USK, 9514 (T) |
WzS 1996, 86-87 (T) |
ZAP, EN-Nr 532/95 (S) |
ZAP, EN-Nr 949/95 (S) |
AP § 14 MuSchG 1968 (LT1), Nr 12 |
AP 1 BUrlG Unbezahlter Urlaub (L1), Nr 5 |
AuA, 1996 215-216 (LT) |
Breith 1996, 89-91 (LT1) |
EzS, 104/42 (T) |
NZS 1995, 459-460 (LT1) |
SozR 3-2200 § 200, Nr 3 (LT1) |
SozSich 1996, 117-118 (LT1) |
AusR 1995, 19 |
Breith. 1996, 89 |