Leitsatz (amtlich)
1. Der für die Vertriebeneneigenschaft nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG ausreichende Nötigungstatbestand iS einer bloßen Wohnsitzaufgabe im Vertreibungsgebiet wegen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis genügt auch für die Vertreibung eines zeitlich unter § 1 Abs 1 BVFG fallenden Verfolgten.
2. Auch bei einem Verfolgten, der das Vertreibungsgebiet vor dem 1.10.1953 und noch vor Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen verlassen hat, ist von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebietes und der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis auszugehen (Anschluß an und Fortführung von BSG 1977-10-20 11 RA 88/76 = SozR 5070 § 20 Nr 2). Ob es sich dabei um eine unwiderlegliche Vermutung handelt (vgl BSG 1982-02-16 12 RK 56/80 = SozR 5070 § 20 Nr 4) bleibt offen.
Normenkette
FRG § 15 Fassung: 1960-02-25, § 16 Fassung: 1960-02-25; WGSVG § 19 Abs 2, § 20; BVFG § 1 Abs 2 Nr 3; BVFG § 1 Abs 1; BEG §§ 138, 150
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1912 in Zakliczyn, Kreis Krakau, geborene Kläger, der dort von 1927 bis 1939 das Kürschnerhandwerk erlernt und als Kürschnerlehrling, Kürschnerarbeiter und schließlich ab 1936 als selbständiger Kürschner tätig gewesen war, mußte nach der Besetzung Polens durch die Wehrmacht Zwangsarbeiten leisten, kam ins Getto nach Krakau und sodann in Konzentrationslager, in denen er bis zum Kriegsende festgehalten wurde. Nach seiner Befreiung ging er nach Krakau zurück, suchte dort erfolglos nach überlebenden Verwandten und begab sich Ende 1945 von Krakau nach Palästina. Im Entschädigungsverfahren gab er 1959 an, er habe sein Heimatland verlassen, weil er gefürchtet habe, von dem dort herrschenden politischen Regime verfolgt zu werden.
Einen 1975 gestellten Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen für Verfolgte, den die Beklagte als Antrag auf Wiederherstellung von Versicherungsunterlagen wertete und zu dem der Kläger 1977 die erforderlichen Angaben machte, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. August 1977 mit der Begründung ab: der Kläger habe beim Verlassen seiner Heimat nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört, weshalb er nicht unter § 20 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) falle. Der ua auf die Zuerkennung einer Gesundheitsschadenrente gemäß § 150 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) gestützte Widerspruch blieb aus dem gleichen Grunde erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1978).
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin durch Urteil vom 12. Mai 1980 mit der Begründung abgewiesen: nach den eigenen Angaben des Klägers habe er Polen aus politischen Gründen verlassen, so daß es an der für das Vertreibungsschicksal typischen Nötigungslage fehle. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin mit Urteil vom 20. Januar 1982 die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG aufgehoben und die Beigeladene verurteilt, für den Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1930 bis zum 31. Dezember 1932 Versicherungsunterlagen herzustellen. Es hat ausgeführt, die Beteiligten würden davon ausgehen, daß für die Zeit vom 1. Januar 1930 bis zum 31. Dezember 1932 Versicherungszeiten des Klägers entweder nach § 15 oder nach § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) zur Arbeiterrentenversicherung glaubhaft gemacht seien. Streitig sei nur, ob die persönlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften nach § 20 WGSVG beim Kläger gegeben seien. Dies müsse jedoch bejaht werden. Der Kläger sei nämlich Vertriebener iS von § 1 Abs 2 Nr 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG). Nach dieser Bestimmung genüge als Grund für die Wohnsitznahme im Ausland die schon erlittene Verfolgung. Verfolgte, die noch in zeitlicher Nähe zum Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft dem Ort der Verfolgung den Rücken gekehrt hätten, dürften bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts nämlich gegenüber denjenigen ehemals Verfolgten nicht benachteiligt werden, die erst viel später - in dem von § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG erfaßten Zeitraum - die dort genannten Gebiete verlassen hätten. Beim Kläger sei eine solche Nähe aber gegeben, weil er noch im Jahre 1945 ausgewandert sei. Das Ergebnis werde auch vom Gedanken des § 150 BEG gestützt, der bis zum 1. Oktober 1953 einen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis und dem Verlassen des Vertreibungsgebietes festgelegt habe.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beigeladene sinngemäß die Verletzung der §§ 20 WGSVG und 1 Abs 2 Nr 1 BVFG. Im Gegensatz zu § 150 BEG habe nämlich § 20 WGSVG am Vertriebenenbegriff festgehalten. Es genüge daher nicht, daß der Kläger dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört und vor dem 1. Oktober 1953 Polen verlassen habe. Vielmehr müsse ein Vertreibungstatbestand auf ihn zutreffen. Das sei jedoch nicht der Fall. Entgegen der Auffassung des LSG könne eine Aufgabe des Wohnsitzes nach Beendigung der Besetzung des Gebietes durch deutsche Truppen nicht unter § 1 Abs 2 Nr 1 BVFG fallen. Dabei könne offen bleiben, ob im Einzelfall Nachwirkungen von Verfolgungsmaßnahmen nach Kriegsende ausnahmsweise den Ursachenzusammenhang zwischen der Wohnsitzaufgabe und den früheren Verfolgungsmaßnahmen begründen könnten; denn vom Kläger seien solche Nachwirkungen nie behauptet worden. § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG sei auf ihn deshalb nicht anwendbar, weil er Polen noch im Jahre 1945 und damit vor Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen verlassen habe. Und endlich treffe § 1 Abs 1 BVFG auf den Kläger nicht zu, weil er nicht habe darlegen und glaubhaft machen können, daß er als Angehöriger des deutschen Sprach- und Kulturkreises seinen Wohnsitz in Polen im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht verloren habe.
Die Beigeladene beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Januar 1982 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 1980 zurückzuweisen; hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen.
Die Beklagte hat von einer Stellungnahme und Antragstellung zur Revision abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beigeladenen ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil im Ergebnis zutrifft (§ 170 Abs 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Bestimmungen des FRG auf den Kläger nur angewandt werden können, wenn er zu dem von diesem Gesetz erfaßten Personenkreis gehört. Da er israelischer Staatsangehöriger und nicht als Vertriebener iS des § 1 BVFG anerkannt ist, hängt die Anwendung des FRG gemäß § 20 WGSVG davon ab, ob der Kläger vertriebener Verfolgter iS dieser Bestimmung ist. Vertriebene Verfolgte stellt diese Norm bei Anwendung des FRG den anerkannten Vertriebenen iS des BVFG dann gleich, wenn sie lediglich deswegen nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben. Dabei genügt es nach der in § 20 Satz 2 WGSVG enthaltenen Verweisung auf § 19 Abs 2 Buchst a 2. Halbsatz WGSVG, soweit es auf die deutsche Volkszugehörigkeit ankommt, wenn der vertriebene Verfolgte im Zeitraum des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat. Diese Voraussetzung ist nach den von der Beklagten nicht angegriffenen und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG im Falle des Klägers erfüllt.
Nach den weiteren vom LSG getroffenen und von der Revision ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen zum Lebensschicksal des Klägers kommt jedoch für den Kläger nicht - wie das LSG meint - der Vertreibungstatbestand des § 1 Abs 2 Nr 1 BVFG, sondern der des § 1 Abs 1 BVFG in Betracht. Von diesem Grundtatbestand werden Personen erfaßt, die im Zusammenhang mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges als deutsche Staatsangehörige oder Volkszugehörige ihren Wohnsitz in Gebieten außerhalb des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 oder in den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten infolge Vertreibung verloren haben.
Die Anwendung des § 1 Abs 1 BVFG auf den Kläger bestätigt ein Vergleich mit denjenigen Personengruppen, die nach Abs 2 dieser Vorschrift "auch" Vertriebene sind. Davon scheidet entgegen der Auffassung des LSG der dort in Nr 1 aufgeführte Tatbestand hier schon deswegen aus, weil er begrifflich regelmäßig nur Verfolgungsmaßnahmen erfassen kann, die - von Ausnahmen abgesehen - vor dem Beginn der allgemein gegen Deutsche gerichteten Verfolgungsmaßnahmen lagen. Andererseits ist nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG Vertriebener in der Regel auch, wer als deutscher Volkszugehöriger nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die dort genannten Gebiete - hier: Polen - verlassen hat.
Da der Kläger bereits Ende 1945 Polen verlassen hat, liegt dieser Zeitpunkt schon wegen der Nähe zum Kriegsende und dessen Folgewirkungen vor dem Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, ohne daß deren Ende hier zeitlich näher bestimmt werden muß. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 20. Oktober 1977 (SozR 5070 § 20 WGSVG Nr 2) § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG auf einen Verfolgten angewendet, der die Tschechoslowakei im August 1948 verlassen hat. An die Stelle des sowohl in Abs 1 als auch in Abs 2 des § 1 BVFG verwendeten und in § 6 dieses Gesetzes definierten Begriffs der deutschen Volkszugehörigkeit tritt bei vertriebenen Verfolgten wegen der Sonderregelung in § 20 iVm § 19 Abs 2 Buchst a 2. Halbsatz WGSVG die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Dabei hat der 11. Senat des BSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebietes und der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (Nötigungstatbestand) zwar grundsätzlich für erforderlich gehalten, an die Feststellung des Nötigungstatbestandes indes nur geringe Anforderungen gestellt, eine Vermutung des Zusammenhangs allerdings bei einer nach dem 30. September 1953 erfolgten Auswanderung verneint (vgl BSG Urteil vom 5. November 1980 in BSGE 50, 279, 282 = SozR aaO Nr 3).
Verfolgte, die vom Grundtatbestand der Vertriebenen in § 1 Abs 1 BVFG erfaßt werden, können nach der Zielsetzung der Bestimmung bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung keinesfalls schlechter gestellt werden als diejenigen, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ihre Heimat verlassen haben. Der Begriff der Vertreibung in § 1 Abs 1 BVFG ist nicht enger zu fassen als die Vertriebeneneigenschaft nach Abs 2. Erfaßt nämlich Abs 2 Personengruppen, die an sich nicht zum typischen Kernbereich der Vertriebenen gehören, und rechnet sie gleichwohl unter den hier näher bestimmten Voraussetzungen zu den Vertriebenen, so wird damit eine Erweiterung auch des Vertreibungsbegriffs deutlich. Denn ein Vertriebener, der keine Vertreibung erlitten hat, wäre ein Widerspruch in sich. Auch die Beklagte geht unter Hinweis auf die Urteile des BGH vom 25. März 1970 (RzW 70, 503) und des BVerwG vom 27. Mai 1970 (Buchholz, BVerwG 412.3, § 1 BVFG Nr 10) davon aus, daß der Vertriebenenbegriff in Abs 1 und Abs 2 des § 1 BVFG aufgrund des in diesen Regelungen erkennbaren Sachzusammenhangs nicht unterschiedlich sein kann. Der für die Vertriebeneneigenschaft nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG ausreichende Nötigungstatbestand iS einer bloßen Wohnsitzaufgabe im Vertreibungsgebiet wegen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis muß deshalb auch für die Vertreibung eines unter § 1 Abs 1 BVFG fallenden Verfolgten genügen. Dies gebietet die Gleichbehandlung der von der Gesamtregelung des § 1 Abs 1 und 2 BVFG umfaßten Fallgestaltungen.
Müßte der Kläger daher - sofern er unter die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG fallen würde -, für die Wiedergutmachung in der Sozialversicherung als vertriebener Verfolgter angesehen werden, so gebietet die Gleichbehandlung auch, bei Anwendung des § 1 Abs 1 BVFG auf die Rechtsprechung des BSG zu den unter § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG fallenden vertriebenen Verfolgten zurückzugreifen. Nach den Entscheidungen des 11. Senats des BSG vom 20. Oktober 1977 aaO und des 12. Senats des BSG vom 16. Februar 1982 (SozR 5070 § 20 WGSVG Nr 4) kommt es bei den dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugehörigen Verfolgten, die vor dem 1. Oktober 1953 das Vertreibungsgebiet endgültig verlassen haben, auf die für den Weggang tatsächlich maßgebend gewesenen Gründe nicht an. Es ist in diesen Fällen vielmehr von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebietes und der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis auszugehen. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat trotz der hiergegen von der Beigeladenen vorgetragenen Bedenken an.
Der Beigeladenen ist zwar einzuräumen, daß § 20 WGSVG keine Stichtagsregelung für die Anwendung des FRG auf "vertriebene Verfolgte" enthält. Der Stichtag 1. Oktober 1953 ist vielmehr nur in § 150 Abs 2 BEG idF des BEG-Schlußgesetzes vom 14. September 1965 (BGBl I, 1315) und hier für Verfolgte aus Vertreibungsgebieten auch nur in Bezug auf die dort näher bezeichneten Entschädigungsansprüche vorgesehen, deren Aufzählung den Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen, zu dem auch der Schaden in der Sozialversicherung (§ 138 BEG) gehört, nicht enthält. § 20 WGSVG gehört aber zu den Wiedergutmachungsgesetzen, bei deren Auslegung - wie das BSG schon mit Urteil vom 26. Juni 1959 (BSGE 10, 113, 116) allgemein entschieden hat - die Prinzipien des Entschädigungsrechts mit zu berücksichtigen sind. Deshalb hält es der erkennende Senat im Anschluß an die genannten Entscheidungen des 11. Senats des BSG vom 20. Oktober 1977 und 5. November 1980 sowie des 12. Senats des BSG vom 16. Februar 1982 für vertretbar, auch bei Anwendung des § 20 WGSVG die auf Überwindung erheblicher Aufklärungsschwierigkeiten durch Beweiserleichterung zielenden Erwägungen des Gesetzgebers bei der Änderung des § 150 BEG im BEG-Schlußgesetz (vgl BT-Drucks IV/3423) zum Tragen zu bringen. Er sieht bei Würdigung der von der Beigeladenen vorgetragenen Bedenken keinen Anlaß, die erwähnte Rechtsprechung aufzugeben, zumal die Praxis sich darauf weitgehend eingestellt hat und es sich um eine zeitlich begrenzte Zahl von Fällen handelt (vgl BSGE 40, 292 = SozR 5050 § 16 Nr 9; BSGE 44, 151, 163 = SozR 2200 § 1302 Nr 3 S 17 mwH). Dies gilt im vorliegenden Fall umsomehr, als der vom LSG festgestellte Sachverhalt (erfolglose Suche nach Verwandten nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager und sodann noch im Jahre 1945 Auswanderung nach Palästina) für eine sprachliche Vereinsamung des Klägers in Polen spricht und auch deswegen der nach der genannten Rechtsprechung zu unterstellende Vertreibungsdruck hier unbedenklich erscheint. Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des BGH vom 31. Januar 1980 (RzW 1980, 58) steht dieser insoweit einhelligen Auffassung des BSG schon deshalb nicht entgegen, weil sie nicht die Auslegung des § 20 WGSVG, sondern des § 64 Abs 1 Satz 2 BEG betrifft und dafür nach Auffassung des BGH nur die besondere Stichtagsregelung des § 154 Abs 2 BEG eingreift.
Bei der Vermutung des für die Vertriebeneneigenschaft erforderlichen Zusammenhangs zwischen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis und dem Verlassen des Vertreibungsgebietes in den Fällen, in denen dies - wie hier - vor dem 1. Oktober 1953 geschehen ist, hat der 11. Senat des BSG in der Entscheidung vom 20. Oktober 1977 aaO unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG offen gelassen, ob etwas anderes gilt, wenn ausnahmsweise eindeutige Anhaltspunkte dafür bestehen, daß das Vertreibungsgebiet aus politischen Gründen oder wegen krimineller Delikte verlassen worden ist. Demgegenüber hat der 12. Senat des BSG im Urteil vom 16. Februar 1982 aaO entschieden, daß bei Auswanderung vor dem 1. Oktober 1953 ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis und dem Verlassen des Vertreibungsgebietes unwiderleglich zu vermuten sei. Von der Vermutung eines derartigen Zusammenhangs gehen folglich beide Senate aus. Die Frage, ob er widerlegt werden kann, braucht im Falle des Klägers nicht entschieden zu werden, weil hier die von der Revision nicht angegriffenen und deshalb für das BSG gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des Berufungsurteils keinen Anhalt für das Vorliegen der vom 11. Senat im Urteil vom 20. Oktober 1977 angeführten besonderen Gründe bieten.
Nach alledem muß hier der Vertreibungstatbestand des § 1 Abs 1 BVFG und damit auch die Anwendung des § 20 WGSVG auf den Kläger bejaht und die Revision der Beigeladenen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen