Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.03.1987)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers hin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. März 1987 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Im Prozeß geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen die Beschäftigung einer nebenberuflichen Lehrkraft „kurzzeitig” (§ 102 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-) ist.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger hat die Prüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen abgelegt. Das Land Rheinland-Pfalz beschäftigte ihn zunächst für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 1982 und sodann in unbefristeter Verlängerung als nebenberufliche Lehrkraft am G. … -Gymnasium in K. …; die Zahl der Unterrichtsstunden war auf 13 Wochenstunden festgelegt. Seit 15. August 1985 ist der Kläger beamteter Lehrer.

Für die Zeit vom 15. Februar bis 30. August 1982 lehnte das Arbeitsamt K. … den Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) bindend ab, weil die Lehrtätigkeit eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung und der Kläger deshalb nicht arbeitslos gewesen sei.

Auf die erneute Arbeitslosmeldung bewilligte das Arbeitsamt K. … mit Bescheid vom 31. Januar 1983 Alg für die Zeit vom 31. August 1982 an. Es nahm jedoch mit Bescheid vom 4. März 1983 den Bewilligungsbescheid für die Zukunft zurück, weil der Kläger wegen der Beschäftigung am G. … -Gymnasium nicht arbeitslos und sein Vertrauen auf den Bestand des Bewilligungsbescheides nicht schutzwürdig sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

Das Sozialgericht K. … hat mit Urteil vom 2. Juni 1986 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, die Revision zugelassen und ausgeführt, für die Frage der Kurzzeitigkeit sei die tatsächlich ausgeübte Lehrtätigkeit an einem Gymnasium und nicht die erworbene Lehrbefähigung maßgebend. Beim Kläger seien also die 24 Wochenstunden der Lehrer an Gymnasien und nicht die 28 bzw 27 Wochenstunden der Lehrer an Grund- und Hauptschulen bzw Lehrer an Realschulen zugrunde zu legen. Danach sei der Kläger nicht nur kurzzeitig iS von § 101 Abs 1 Satz 1 iVm § 102 Abs 1 und Abs 2 Nr 1 AFG beschäftigt und somit auch nicht arbeitslos gewesen.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 101 iVm § 102 AFG. Für die Pflichtstundenzahl vollbeschäftigter Lehrer sei auf deren Ausbildung und Lehrbefähigung, nicht jedoch auf die Schulart abzustellen, in der die Lehrtätigkeit ausgeübt werde. Daraus ergebe sich hier eine nur kurzzeitige Beschäftigung und damit Arbeitslosigkeit iS der genannten Vorschriften.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte in Abänderung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, das ab 31. August 1982 bewilligte Alg für 312 Tage sowie Anschluß-Alhi bis 14. August 1985 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist im Sinn der Zurückverweisung begründet. Zu einer abschließenden Entscheidung reichen die Feststellungen des LSG nicht aus.

Nach § 100 Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alg, wer ua arbeitslos ist. Arbeitslos ist auch ein Arbeitnehmer, der vorübergehend … nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt (§ 101 Abs 1 Satz 1 AFG). Kurzzeitig war in der hier zu beurteilenden Zeit ab 31. August 1983 eine Beschäftigung, die auf weniger als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegte oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt war (§ 102 Abs 1 Satz 1 AFG idF des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 3656 -aF-). Davon abweichend galt eine Beschäftigung nicht als kurzzeitig, wenn sie zwar auf weniger als 20 Stunden wöchentlich beschränkt war, aber mit der für die Ausübung erforderlichen Vor- und Nacharbeit die Arbeitskraft des Beschäftigten in der Regel mindestens 20 Stunden wöchentlich in Anspruch nahm (§ 102 Abs 2 Nr 1 AFG aF).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muß insoweit festgestellt werden, ob ein durchschnittlich begabter Lehrer mit durchschnittlicher Fertigkeit bei normalem Ablauf der Ereignisse unter üblichen Arbeitsbedingungen einschließlich der Vor- und Nacharbeit sowie unter Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten der von ihm auszuführenden Arbeiten weniger als 20 Arbeitsstunden wöchentlich benötigt; bei gleichartigen Verpflichtungen und gleichartigen Aufgaben läßt sich aus Gründen der Praktikabilität der Zeitaufwand – soweit für die gesamte Breite der Tätigkeit Gemeinsamkeiten bestehen – generalisieren; Erlasse des Kultusministeriums können dabei dem Gericht Hinweise geben, wieviel Zeit ein Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst für eine bestimmte Arbeit braucht. Bestehen allerdings vertragliche Verpflichtungen hinsichtlich der Arbeitszeit, so ist diesen zu entnehmen, ob die Beschäftigung geringfügig ist (BSG SozR 4100 § 102 Nr 4 mwN). Das hat das LSG nicht genügend beachtet.

Zur Begründung für seine Ansicht, neben 13 Pflichtwochenstunden seien beim Kläger für Vor- und Nacharbeit noch weitere 8,67 Stunden wöchentlich zu berücksichtigen, hat das LSG – ausgehend von einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden – bei einem Pflichtstundensatz für Lehrer an Gymnasien von 24 Stunden eine Zeit der Vor- und Nacharbeit von 16 Stunden (also ein Verhältnis von 3 zu 2) errechnet, die bei 13 Pflichtstunden eine Vor- und Nacharbeitszeit von 8,67 Stunden wöchentlich ausmache.

Gegen die rechnerische Richtigkeit ist nichts einzuwenden. Unzutreffend ist aber nach der Rechtsprechung des BSG (aaO) der Ausgangspunkt des LSG, beim Kläger sei von 24 Stunden auszugehen, weil er an einem Gymnasium tätig gewesen sei. Maßgebend ist danach vielmehr der Arbeitsvertrag zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Kläger. Diesem Vertrag mußte das LSG durch Auslegung seines Wortlauts entnehmen, welche Pflichtstundenzahl und welche Zeit der Vor- und Nacharbeit der Kläger bei Annahme durchschnittlicher Begabung und Fertigkeit für die von ihm konkret zu leistende Tätigkeit aufzubringen hatte. Zu diesen entscheidungserheblichen Tatsachen hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Es hat zwar zur Ergänzung des Tatbestandes auch auf die Prozeßakten Bezug genommen, in denen der Arbeitsvertrag vom 9./13. Januar 1982 und der Verlängerungsvertrag vom 17. August 1982 enthalten sind, diese Verträge aber nicht ausgelegt. Dabei hätten die ebenfalls in den Prozeßakten enthaltenen „Richtlinien für die Beschäftigung von nebenamtlich und nebenberuflich tätigen Lehrpersonen an Schulen und Pädagogischen Akademien in Rheinland-Pfalz” vom 29. Oktober 1958, die in der jeweils geltenden Fassung für das Vertragsverhältnis gelten sollten, möglicherweise nähere Aufklärung gebracht. Dort ist in der Definition der nebenberuflich tätigen Lehrpersonen (Nr 2 Abs 1) auf die „für vergleichbare hauptamtliche Lehrpersonen festgesetzte Pflichtstundenzahl” hingewiesen.

Die Auslegung der Arbeitsverträge hätte möglicherweise ergeben, daß der Kläger in die Gruppe der an einem Gymnasium unterrichtenden Lehrer an Grund- und Hauptschulen entweder mit einer Pflichtstundenzahl von 28 oder, weil er vorwiegend oder ausschließlich an einer 10. Klasse unterrichtete, von 27 Wochenstunden eingestuft war. Daraus hätten sich dann bei 27 Wochenstunden 13/27 = 48,1 % bzw bei 28 Wochenstunden 12/28 = 42,9 % seiner 13 wöchentlichen Unterrichtsstunden als Zeit der Vor- und Nacharbeit ergeben, also 6,25 bzw 5,58 zusätzliche Stunden, insgesamt mithin weniger als 20 Stunden. Jedenfalls hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in dem vom Kläger vorgelegten und der Beklagten zur Kenntnis gebrachten, am 27. Januar 1988 verkündeten Urteil in dem Verwaltungsrechtsstreit des Klägers gegen das Land Rheinland-Pfalz – Az 2 A 50/87 – ausgeführt, für einen vollbeschäftigten Grund- und Hauptschullehrer, der auf Dauer in der 10. Klassenstufe eines Gymnasiums eingesetzt ist, betrage das Regelstundenmaß nach Ziffern 1.6 iVm 1.2 der Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums Rheinland-Pfalz vom 25. Juni 1982 (ABl S 360) 27 Wochenstunden. Nach seiner Ansicht liegt der sachliche Grund für die Differenzierung bei der – notwendigerweise pauschalierenden – Festlegung der Pflichtstundenzahl darin, daß die Lehrer an Gymnasien jederzeit in der Oberstufe eines Gymnasiums eingesetzt werden könnten, während dies bei Lehrern an Grund- und Hauptschulen nicht der Fall sei.

Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommt aus arbeitsrechtlicher Sicht das Arbeitsgericht K. … im Urteil vom 31. Juli 1986 – 1 Ca 189/86 – im Gehaltszahlungsprozeß des Klägers gegen das Land Rheinland-Pfalz. Es hält es nicht für unsachlich, wenn von denjenigen an Gymnasien eingesetzten Lehrern, denen die entsprechende Lehrbefähigung fehlt, eine höhere Pflichtstundenzahl verlangt wird als von den Gymnasiallehrern. Auch dieses Urteil ist ebenso wie die Formel des die Berufung des Klägers im wesentlichen zurückweisenden Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 1987 – 9 Sa 860/86 – in den Prozeßakten enthalten.

Schließlich ergeben sich Gesichtspunkte für die Auslegung der Arbeitsverträge aus dem in den Prozeßakten abgehefteten Schreiben der Bezirksregierung K. … vom 13. Juli 1984 an den Kläger.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur Auslegung der Arbeitsverträge an das LSG zurückzuverweisen, das abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger während des hier streitigen Zeitraumes nur kurzzeitig beschäftigt war und deshalb Anspruch auf Alg hat, so wird es zweckmäßigerweise prüfen, ob eine Neuregelung seitens der Beklagten für die Zeit vom 15. Februar bis 30. August 1982 anzuregen ist, wobei eine etwaige Änderung der Anspruchsdauer berücksichtigt werden könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1172723

ZBR 1989, 145

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