Leitsatz (amtlich)
Liegen die Voraussetzungen zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes nach AVG § 25 Abs 3 vor, so ist es auf Antrag auch der Bezieherin einer umgestellten Rente (AnVNG Art 2 §§ 31, 37 Abs 2) zu bewilligen (Anschluß BSG 1963-06-21 12/3 RJ 40/61 = BSGE 19, 188).
Normenkette
AVG § 25 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 37 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 31 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 38 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 32 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Juli 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die im Februar 1896 geborene Klägerin bezog seit 1954 bis zum Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit. Die Rente wurde zum 1. Januar 1957 nach Art. 2 §§ 30 ff AnVNG umgestellt. In den Jahren 1958 und 1959 entrichtete die Klägerin auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung noch insgesamt 16 Monatsbeiträge zur Angestelltenversicherung. Seitdem hat sie keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeübt. Im Februar 1960 beantragte sie das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). In den letzten 20 Jahren vor ihrem Rentenantrag war sie überwiegend versicherungspflichtig beschäftigt; sie hat auch eine Versicherungszeit von mehr als 180 Kalendermonaten zurückgelegt, die auf die Wartezeit anrechenbar ist. Die Beklagte lehnte jedoch den Rentenantrag ab, weil eine umgestellte laufende Rente nur umgewandelt werden könne, und zwar nach Maßgabe des Art. 2 § 37 Abs. 3 AnVNG, also nur bei Vollendung des 65. Lebensjahres; sie dürfe aber nicht nach neuem Recht festgestellt werden, wenn der Versicherungsfall des § 25 Abs. 3 AVG eintrete. Die Klägerin meint dagegen, ihr dürfe das vorzeitige Altersruhegeld nicht vorenthalten werden. Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) bestätigten die Rechtsauffassung der Klägerin. Die Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen; sie rügte Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung von Art. 2 § 37 AnVNG.
Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Beklagten ist zuzugeben - und hiervon geht auch das LSG aus -, daß bei umgestellten Renten eine "Umwandlung" nur in Altersruhegeld und nur für den Fall vorgesehen ist, daß der Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet. Art. 2 § 37 Abs. 3 AnVNG bestimmt, daß die umgestellte Rente (ohne Kinderzuschuß) bei Vollendung des 65. Lebensjahres um 2/13 des bisherigen monatlichen Zahlbetrages erhöht wird; die so erhöhte Rente gilt dann als Altersruhegeld. Sind jedoch für den Rentenempfänger seit dem 1. Januar 1957 mehr als 12 Monatsbeiträge geleistet, so ist die Rente nach neuem Recht zu berechnen, wobei der Besitzstand gewahrt bleibt (Satz 2). Die Rente der Klägerin kann deshalb nicht - entgegen diesem eindeutigen Gesetzeswortlaut - im Sinne von Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG schon von einem früheren Zeitpunkt an in Altersruhegeld "umgewandelt" werden. Getrennt hiervon ist aber die Frage zu beurteilen, ob ihr deswegen auch das vorzeitige Altersruhegeld zu versagen ist, obwohl alle Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AVG erfüllt sind.
Wie der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) inzwischen mit Urteil vom 21. Juni 1963 (BSG 19, 188) entschieden hat, ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des vorzeitigen Altersruhegeldes nach § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dieses auch dann - unter Wegfall der Rente wegen Berufsunfähigkeit - zu bewilligen, wenn der Antragsteller bisher Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen hat. In diesem Urteil ist dargelegt, daß eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zwar nicht nach § 1254 Abs. 2 RVO in vorzeitiges Altersruhegeld "umgewandelt" werden kann; denn die Umwandlung der Berufsunfähigkeitsrente in Altersruhegeld sei nur für den Fall vorgesehen, daß der Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet. Dadurch werde aber die originäre Rentengewährung bei einem neuen Versicherungsfall nicht ausgeschlossen. In dem vom 12. Senat entschiedenen Rechtsstreit handelte es sich allerdings um den Empfänger einer nach neuem Recht festgestellten Rente wegen Berufsunfähigkeit, während die Klägerin eine nach Art. 2 §§ 30 ff AnVNG umgestellte und nach Art. 2 § 37 Abs. 2 AnVNG als Erwerbsunfähigkeitsrente geltende Bestandsrente bezogen hat. Für diesen Fall kann aber nichts anderes gelten. Denn auch hier ist der neue Versicherungsfall erst nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten, ist demnach neues Recht anzuwenden und sind alle Voraussetzungen zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 3 und 4 AVG erfüllt.
Die Beklagte ist allerdings der Meinung, daß die Empfänger umgestellter Renten wegen der Sonderregelung des Art. 2 § 37 AnVNG von der Anwendung der für neue Versicherungsfälle geltenden Vorschriften des Art. 1 schlechthin ausgeschlossen seien, wenn nicht der Ausnahmetatbestand des Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2 AnVNG gegeben sei. Die Umstellungsrenten seien - wie die Regelung des Art. 2 § 37 AnVNG zeige - ihrem Wesen nach weder echte Renten alten Rechts noch echte Renten neuen Rechts, sondern solche eigener Art. Es erscheine auch mit dem Zweck der Umstellung nicht vereinbar, eine vom Umstellungsrecht losgelöste selbständige Anspruchsbegründung nach neuem Recht anzunehmen, weil dann möglicherweise in einer Reihe von Fällen die durch die pauschalierende Umstellung erstrebte möglichst vereinfachte Abwicklung der "Altfälle" illusorisch würde.
Es ist zwar richtig, daß Art. 2 § 37 AnVNG zu dem Versicherungsfall der Vollendung des 65. Lebensjahres Sondervorschriften für die Bezieher umgestellter Renten enthält; daraus läßt sich aber noch nicht entnehmen, daß damit alle neuen, in der Person des Rentenbeziehers eintretenden Versicherungsfälle erfaßt wären. Art. 2 § 37 AnVNG regelt nicht einmal alle mit der Vollendung des 65. Lebensjahres eintretenden Versicherungsfälle. Hat z. B. ein Wanderversicherter vor dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze eine Rente wegen Berufsunfähigkeit aus der Angestelltenversicherung bezogen und vollendet er nach dem 31. Dezember 1956 das 65. Lebensjahr und erfüllt damit erst die Voraussetzungen für eine Leistung aus der Arbeiterrentenversicherung, dann ist nicht Art. 2 § 37 AnVNG anzuwenden, sondern Art. 2 § 29 AnVNG mit der Folge, daß auch die vor dem 1. Januar 1957 erworbenen Versicherungszeiten aus der Arbeiterrentenversicherung der Rentenberechnung zugrunde zu legen sind und daß die Gesamtleistung nach der neuen Rentenformel zu berechnen ist. Diese Gesamtleistung darf freilich die bisherige Leistung nicht unterschreiten.
Mit Art. 2 § 37 AnVNG verhält es sich ähnlich wie mit § 31 Abs. 2 AVG: Diese Vorschriften regeln die Fälle, in denen nicht mehr geschieht, als daß der Bezieher einer Versichertenrente das 65. Lebensjahr vollendet; alle anderen Möglichkeiten lassen sie außer acht, und zwar sowohl den Fall, daß bei Wanderversicherten erst während des Rentenbezugs der Versicherungsfall in anderen Versicherungszweig eintritt, als auch die Fälle des vorzeitigen Altersruhegeldes. Die Vorschriften enthalten aber auch keinen Hinweis darauf, daß in diesen Fällen die Leistung nicht neu festgestellt werden müßte oder könnte. Insoweit schließt sich der erkennende Senat der Entscheidung des 12. Senats an. Wie dieser kann er auch weder aus der Systematik des Gesetzes noch aus dem Zweck seiner einzelnen Vorschriften und ihrem Sinnzusammenhang einen Anhalt dafür entnehmen, daß ein Rentner von der höheren Leistung, deren Voraussetzungen er erfüllt, ausgeschlossen sein sollte, während derjenige, der die Voraussetzungen für eine Versichertenrente noch nicht erfüllt hatte, unter sonst gleichen Bedingungen Anspruch auf das höhere vorzeitige Altersruhegeld haben soll.
Freilich muß der Bezieher einer nach Art. 2 § 31 AnVNG umgestellten Rente alle Voraussetzungen des vorzeitigen Altersruhegeldes erfüllen, während er bei Vollendung des 65. Lebensjahres die längere Wartezeit von 180 Beitragsmonaten nicht zurückgelegt zu haben braucht und außerdem auch bei Anwendung der neuen Rentenformel kraft Gesetzes mindestens eine Rente in Höhe des um 2/13 erhöhten bisherigen Zahlbetrages erhält (Art. 2 § 37 Abs. 3 Satz 2, letzter Halbsatz AnVNG). Für das vorzeitige Altersruhegeld gilt diese Gewährleistung nicht. In diesen Unterschieden - besonderer Antrag, Erfüllung der längeren Wartezeit und Wegfall der Gewährleistung sowohl der um 2/13 erhöhten als auch überhaupt der bisher gewährten Rente - liegt ein Schutz der Versichertengemeinschaft und des Versicherungsträgers gegen eine übermäßige Belastung durch den Übergang von umgestellten Renten auf das vorzeitige Altersruhegeld. Dazu kommt, daß sowohl die strengen übrigen Voraussetzungen für das vorzeitige Altersruhegeld als auch die in aller Regel sich besonders günstig auswirkende Umstellung der Bestandsrenten die Bezieher solcher Renten von dem Antrag auf vorzeitiges Altersruhegeld abhalten werden.
Der Senat schließt sich daher der Auffassung des LSG und des SG im Ergebnis an. Die Revision der Beklagten muß deshalb zurückgewiesen werden (§§ 170 Abs. 1, 193 SGG).
Fundstellen